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VfGH vom 14.03.2017, E2628/2016

VfGH vom 14.03.2017, E2628/2016

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten bzw subsidiär Schutzberechtigten für einen der Volksgruppe der Benin zugehörigen Staatsangehörigen von Nigeria infolge Unterlassens eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und der Gewährung von Parteiengehör sowie einer ausreichend substantiierten Begründung der Entscheidung im Hinblick auf die behauptete lebensbedrohende Verfolgung des Beschwerdeführers als Christ durch eine nigerianische Sekte

Spruch

I.Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II.Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.142,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Nigeria, stellte nach seiner Einreise in das österreichische Bundesgebiet am einen Antrag auf internationalen Schutz. Der Beschwerdeführer gab an, dass er Christ sei und der Volksgruppe der Benin angehöre. Als Fluchtgrund führte er an, dass er nach dem Tod seines Vaters dessen Stellung in einem Geheimbund einnehmen hätte sollen und – nachdem er dies auf Grund seines Glaubens verweigert habe – von Mitgliedern des Geheimbundes bedroht und angeschossen sowie mit einem Messer attackiert worden sei.

2.Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§57 und 55 AsylG nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Nigeria zulässig sei, sowie eine Frist zur freiwilligen Ausreise festgesetzt.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl begründete diese Entscheidung im Wesentlichen mit der Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers und führt dazu insbesondere Folgendes aus:

"Sie brachten im Wesentlichen bei der Erstbefragung vor, dass Sie Ihr Heimatland verlassen hätten, da Ihr Vater Mitglied eines Geheimbundes war. Nach seinem Tod hätten Sie die Nachfolge antreten müssen, was Sie laut Ihren Angaben nicht getan haben. Daraufhin hätte man Sie bedroht, mit einem Messer attackiert und angeschossen.

Diese Angaben wiederholten sich auch bei Ihrer Einvernahme am . Sie gaben erneut an, dass Sie angeschossen wurden von den Leuten[,] die Sie rekrutieren wollen. Zusätzlich gaben Sie an[,] mit einem Messer in Nigeria attackiert worden zu sein.

Sie gaben auch an, angeblich eine in Deutschland aufhältige Partnerin zu haben, welche ein Kind von Ihnen hätte.

Ihr Vorbringen wird von der Behörde als unglaubwürdig erachtet, zumal Ihr Vorbringen komplett frei erfunden ist.

[…]

[J]edoch haben Sie nicht glaubwürdig deklariert, warum Sie in Ihrem Heimatland verfolgt werden würden oder gar Ihr Leben in Gefahr wäre.

Sie gaben an, dass [es] die Hauptaufgabe der Gruppe […] wäre, Ölpipelines zu überfallen. Auch 'kidnapping' und Lösegeldforderungen wären Bestandteil der Organisation.

Zu Ihrem Fluchtgrund ist anzumerken, dass Ihre Behauptung[,] mit einem Messer attackiert worde[n] zu sein im Heimatland und angeschossen worden zu sein[,] mehr als nur schwachsinnig ist.

Sie haben bei der Einvernahme zur Wahrung des Parteiengehörs nicht mal [a]nsatzweise eine Schussverletzung angegeben. Sie hätten lediglich eine Verletzung an der Hand, welche angeblich von einem Messerangriff stamme.

Sie gaben aber an[,] das[s] sich dies in Griechenland zugetragen hätte und nicht schon in Nigeria.

Des Weiteren wurden Sie aufgefordert[,] die Schusswunde zu zeigen.

Mit Überraschung wurde festgestellt[,] dass es sich nicht um eine sehr große Schusswunde handelt, sondern um ein ganz normales Muttermal.

Auf die Frage hin, ob Sie schon jemals eine Schusswunde gesehen hätten, war die Antwort nein. Hierbei wird nicht noch näher auf die Erfindungen des Asylwerbers eingegangen, denn mit einer selbst verheilenden Schusswunde von Nigeria bis Lagos zu flüchten[,] erfordert eine bemerkenswerte Wunderheilung.

[…]

Wie aus den Länderfeststellungen ersichtlich ist, ist die Lage im Nigerdelta relativ stabil."

3.Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde, in der er im Wesentlichen ausführte, dass "[d]ie Art und Weise wie die belangte Behörde die Glaubwürdigkeit meines Vorbringens pauschal abgesprochen hat, […] nicht der amtswegigen Ermittlungspflicht [entspricht]", und deshalb die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragte, um ihm die Möglichkeit zu geben, seine Glaubwürdigkeit zu beweisen und seine Asylgründe vorzubringen.

4.Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl – ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung –mit der Maßgabe, dass der erste Spruchteil des Spruchpunktes III anders lautet, als unbegründet ab.

4.1.Im Rahmen der Beweiswürdigung führt das Bundesverwaltungsgericht zu den vorgebrachten Fluchtgründen Folgendes aus:

"Der Beschwerdeführer behauptete im Administrativverfahren, dass er in Nigeria und in Griechenland 'von den Dienern des bösen Götzen Amok' verfolgt worden sei.

Auffällig ist zunächst, dass seine Angaben, die er vor der belangten Behörde machte, oberflächlich sind und nahezu kein Tatsachensubstrat enthalten.

Außerdem verwickelte sich der Beschwerdeführer im Administrativverfahren hinsichtlich der Verletzungen, die er erlitten haben will, in Widersprüche:

So gab er in seiner Erstbefragung am an, angeschossen und mit einem Messer attackiert worden zu sein. Vor der belangten Behörde erklärte er am , dass seine Verfolger jemanden in Griechenland bezahlt hätten, ihn zu töten; aus diesem Grund habe jemand in Griechenland in seine Hand gestochen. Hingegen war in seiner Einvernahme am nur mehr davon die Rede, dass er (in Nigeria) angeschossen worden sei; die angeblich in Griechenland erfolgte Messerattacke auf ihn blieb bei dieser Gelegenheit unerwähnt.

Daher gelangt das Bundesverwaltungsgericht – wie auch die belangte Behörde – zu dem Schluss, dass es dem Beschwerdeführer nicht gelungen ist, eine konkrete, gegen seine Person gerichtete Verfolgung bzw. Verfolgungsgefahr glaubhaft zu machen, der auch Asylrelevanz zukommt."

4.2.Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung begründet das Bundesverwaltungsgericht die "Nichtgewährung von Asyl" wie folgt:

"Der Beschwerdeführer brachte vor, in Nigeria und in Griechenland 'von den Dienern des bösen Götzen Amok' verfolgt bzw. bedroht zu werden. Diesem Vorbringen war jedoch, wie in der Beweiswürdigung dargetan wurde, die Glaubwürdigkeit abzusprechen.

Eine darüberhinausgehende Verfolgung wurde weder von Seiten des Beschwerdeführers behauptet, noch war eine solche für das Bundesverwaltungsgericht erkennbar.

[…] Abgesehen davon, dass das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers nicht glaubwürdig ist, rechtfertigt es – vor dem Hintergrund der unbedenklichen Länderberichte über Nigeria – aber auch aus folgenden Gründen nicht die Stattgabe seines Antrages auf internationalen Schutz:

Selbst wenn das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers als glaubhaft zu werten gewesen wäre, ist ihm entgegenzuhalten, dass die staatlichen Behörden in Nigeria grundsätzlich schutzfähig und schutzwillig sind (vgl. dazu exemplarisch für die dortige ständige Rechtsprechung das Urteil des Schweizerischen Bundesverwaltungsgerichtes vom , E-2000/2015). Anstatt also sofort das Land zu verlassen, wäre es daher am Beschwerdeführer gelegen gewesen, die staatlichen Behörden um ihren Schutz und ihre Hilfeleistung zu ersuchen.

Außerdem ist es in Bezug auf den Herkunftsstaat des Beschwerdeführers gerichtsbekannt, dass in Nigeria – selbst bei Vorliegen einer asylrelevanten Verfolgung in einem Teil des Landes – grundsätzlich in anderen Teilen des Landes eine innerstaatliche Fluchtalternative iSd § 11 Asylgesetz 2005 besteht, die im Allgemeinen auch zumutbar ist (zu diesem Erfordernis vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 2008/01/0047); im Besonderen wäre es vor allem dem Beschwerdeführer zumutbar gewesen, innerhalb Nigerias Schutz vor der von ihm behaupteten Gefahr zu suchen, da es sich bei ihm um einen gesunden Erwachsenen handelt, dem ein Ortswechsel ohne weiteres möglich gewesen wäre. Letzteres erschließt sich schon alleine aus dem Umstand, dass es dem Beschwerdeführer schließlich auch gelungen ist, aus Nigeria kommend illegal nach Österreich einzureisen."

5.Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungs-gesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Gleichbehand-lung von Fremden untereinander sowie in den Rechten nach Art 2, 3, 5, 6, 8 und 12 EMRK, behauptet, die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses und für den Fall der Abweisung oder Ablehnung der Beschwerde die Abtretung an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird. Begründend wird dazu u.a. ausgeführt:

"So unterließ die belangte Behörde ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren zu entscheidungswesentlichen Punkten, indem sie mein Vorbringen ignorierte, leichtfertig vom Inhalt der Akten abging und den konkreten Sachverhalt außer Acht ließ sowie

a.keine Erhebungen und Feststellungen zu meiner(m) Herkunft, Wohnort, etc tätigte. Es fehlt jegliche Feststellung über mein Herkunftsgebiet in Nigeria. Lebte ich im nördlichen, mittleren oder südlichen Teil Nigerias oder im Nildelta? Lebte ich als Christ in einem muslimischen oder christlichen oder von Sekten bzw Geheimb[ü]nden geprägte Teil Nigerias? Laut den Lageberichten gibt es in Nigeria lokale und regionale Missstände, Anschläge, Kriminalität, Gewaltakte, Konflikte zwischen ethnischen, sozialen und religiösen Gruppen, Terror, Korruption, zahlreiche Todesopfer, massenhafte willkürliche Verhaftungen, Menschenrechtsvergehen, Folterungen, Misshandlung und Tötung, Todesstrafen, etc, ist die Menschenrechtssituation problematisch, ist die Religionsfreiheit schwierig und besteht mangelnde Religionstoleranz, ist das Verhältnis zwischen Muslimen und Christen äußerst gespannt, sind Kulte und Geheimgesellschaften weit verbreitet, etc. Das Vorliegen der vorbeschriebenen Zustände ist abhängig von der Frage, in welchem Teil und mit welchen glaubensorientierten Menschen ich in Nigeria zusammenlebte.

b.keine Erhebungen und Feststellungen zum Geheimbund 'Diener des bösen Götzen Amok' tätigte. Es fehlt jegliche Feststellung darüber, ob es den Geheimbund gibt, wo er verbreitet ist, welche Handlungen er setzt, ob er tatsächlich Überfälle auf Ölpipelines durchführt, Menschen kidnappt und für sie Lösegeld fordert, zu Gewalttätigkeiten neigt, Menschen ermordet, etc.

c.keine Erhebungen und Feststellungen zu meinen Schu[ss]- und Stichverletzungen tätigte. Wenn die belangte Behörde vermeint, dass meine gezeigten Verletzungen nicht von Schüssen und Messerstichen herrühren, hätte es zur Lösung dieser Frage ein medizinisches Gutachten einzuholen gehabt.

d.keine Erhebungen und Feststellungen zu meiner Mutter und den zwei Geschwistern tätigte. Leben meine Mutter und zwei Geschwister[…] noch, wo leben sie, was tun sie beruflich und sind sie wohlversorgt sowie sozial integriert? Die Lösung dieser Fragen ist relevant dafür, ob ich bei einer Abschiebung nach Nigeria versorgt bin, mich sozial integrieren kann, etc. Meine Mutter und zwei Schwestern wären auszuforschen und über die vorbeschriebenen Umstände sowie die Richtigkeit meiner Angaben einzuvernehmen gewesen.

e.keine Erhebungen und Feststellungen zu meiner Lebensgefährtin und unserem gemeinsamen Kind tätigte. Meine Lebensgefährtin wäre auszuforschen und darüber einzuvernehmen gewesen, ob meine Angaben stimmen, wo genau sie mit dem Kind lebt, ob sie eine Arbeit und Einkommen hat, ob das Kind versorgt ist, etc und ob eine Familienzusammenführung sowie Eheschließung und Familiengründung gewünscht wird. Es besteht ein Recht auf Kontakt zur Familie und ist das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gem Art 8 EMRK und das Recht auf Eheschließung und Familiengründung gem Art 12 EMRK zu berücksichtigen. Die belangte Behörde hätte entsprechende Nachforschungen zu tätigen gehabt, nachdem ich ihr Namen meiner Lebensgefährtin und unseres gemeinsamen Kindes nannte und ebenso deren Aufenthaltsort bekanntgab.

Zusammenfassend fehlen aktuelle Länderfeststellungen zu dem Teil von Nigeria, wo ich herkomme, und zu meinem Privat- und Familienleben (vgl V[f]GH , U2197/09).

Betrachtet man das bekämpfte Erkenntnis, so wurde kein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt. Die belangte Behörde übernahm unreflektiert die Feststellungen des BFA und gibt auf ca 40 Seiten (Seite 5 bis 45) lediglich zu Nigeria getroffene[…] Länderfeststellungen wieder und tätigt konkrete Feststellungen zu mir bloß auf ca 1/2 Seite (Seite 4) sowie würdigt die konkreten Beweise nur auf ca 2 Seiten (Seite 45 bis 47). Dabei begnügt sie sich mit dem Hinweis, dass sie mir hinsichtlich meiner angegebenen Verletzungen keinen Glauben schenkt, da ich mich in Widersprüchlichkeiten verwickelt hätte, und eine Bedrohungssituation in Nigeria nicht ausreichend substantiiert vorgebracht worden wäre.

Die Beweiswürdigung ist nicht ordnungsgemäß ausgeführt und zu kurz gefasst sowie zu schwach. So gibt es keine (ausreichende) individuelle Würdigung der Beweise. Die Beweiswürdigung wird nur auf ein Argument [gestützt], nämlich auf meine Unglaubwürdigkeit wegen angeblicher Verwicklung in Widersprüchlichkeiten bei Schilderung meiner Verletzungen. Bei einer ordnungsgemäßen Beweiswürdigung hat man aber sämtliche Beweismittel umfassend zu würdigen und im Detail auszuführen, warum ich unglaubwürdig bin. Bei einem Erkenntnis besteht Begründungspflicht und hat die Behörde in knapper, überprüfbarer und logisch einwandfreier Form darzulegen, warum sie aufgrund bestimmter Beweisergebnisse bestimmte Tatsachen feststellt, wobei nicht Willkür oder Missbrauch geübt werden darf.

[…]

Im gegenständlichen Fall bin ich der deutschen Sprache überhaupt nicht mächtig und verfüge ich bloß über eingeschränkte Englischkenntnisse, soda[ss] [es] nicht verwunderlich ist, dass meine Einvernahmen nicht immer widerspruchsfrei waren, zumal ich nicht immer alles verstand; dies, nachdem bei meiner Einvernahme bloß ein Dolmetscher der englischen Sprache beigezogen wurde. Bei Beiziehung eines Dolmetschers der nigerianischen Sprache hätte ich sämtliche Fragen voll verstanden und widerspruchsfreie, lebensnahe, nachvollziehbare sowie glaubwürdige Angaben tätigen können. Aufgrund der Nichtbeiziehung eines Dolmetschers der nigerianischen Sprache bei meine[n] Einvernahmen wurde ich auch in meinem Recht auf Parteiengehör verletzt.

Zudem übernahm die belangte Behörde die Beweiswürdigung des BFA und ist diese bloß von grundlosen persönlichen Angriffen mir gegenüber geprägt und in beleidigender Form ('schwachsinnig') ausgeführt und haltlosen subjektiven Erwägungen getragen ('mein Vorbringen ist komplett frei erfunden' […]; 'meine Behauptung, mit einem Messer attackiert worden zu sein im Heimatland und angeschossen worden zu sein, ist mehr als nur schwachsinnig' […][)].

[…]

Die belangte Behörde begründete in [ihrer] Entscheidung die Sicherheit in Nigeria damit, dass aufgrund der Landesberichte keine Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht. Bei der Beurteilung der Sicherheit kommt es aber nicht allein auf die formalen Kriterien an, sondern es ist darauf abzustellen, ob der Schutz auch tatsächlich gewährt wird. Die belangte Behörde ging weder auf mein konkretes Vorbringen, mit dem ich die Sicherheitsannahme zu widerlegen versuchte, ein[,] noch untersuchte sie, ob die Grundsätze der EMRK nicht 'bloß am Papier' bestehen, sondern auch tatsächlich in meinem Herkunftsgebiet umgesetzt wurden. Die vorbeschriebene Sich[er]heitsbegründung entspricht nicht den rechtsstaatlichen Mindestanforderungen an die Begründung einer gerichtlichen Entscheidung, da die belangte Behörde nicht in ausreichender Weise prüfte, ob ich bei einer Abschiebung nach Nigeria konkret Gefahr laufe, dort infolge einer Folter bzw unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung iSd Art 3 EMRK zu Tode kommen könnte. Die Feststellung der belangten Behörde, da[ss] aus den Landesberichten nicht entnommen werden kann, da[ss] derzeit in das Heimatland zurückkehrende Nigerianer grundsätzlich nicht bedroht werden, ist mit den zitierten Landesberichten keinesfalls in Einklang zu bringen, da es hiefür auf verschiedenste Umstände (wo ist mein Herkunftsgebiet in Nigeria, in welchem Landesteil von Nigeria wohne ich, lebe ich als Christ in einem muslimischen oder christlichen oder von Sekten bzw Geheimb[ü]nden geprägte[n] Teil Nigerias, etc) Umstände ankommt.

[…]

Meine Abschiebung nach Nigeria hätte zur Konsequenz, da[ss] ich nicht meine Lebensgefährtin und unser gemeinsames Kind in der Bundesrepublik Deutschland besuchen und mit ihnen zusammenleben und eine Familie gründen könnte bzw die Vorgenannten mich nicht in Österreich aufsuchen und dort mit mir zusammenleben und eine Familie gründen könnten.

Meiner Lebensgefährtin und unserem gemeinsamen kleinen Kind ist es auch nicht zumutbar, bei einer Abschiebung meinerseits zu mir nach Nigeria zu ziehen und dort mit mir zusammenzuleben sowie eine Familie zu gründen.

Ich habe ein Recht auf Familienzusammenführung, sei es nun in Österreich oder in der Bundesrepublik Deutschland, und bin ich durch die Versagung des Aufenthaltsrechtes und Erlassung einer aufhaltsbeendenden Maßnahme in meinem […] Recht verletzt." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

6.Das Bundesverwaltungsgericht legte die Gerichts- und Verwaltungsakten vor; eine Gegenschrift wurde nicht erstattet.

II.Erwägungen

Die – zulässige – Beschwerde ist im Ergebnis begründet:

1.Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Ein willkürliches Verhalten liegt insbesondere dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Entscheidung mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s. etwa VfSlg 13.302/1992 mwN, 14.421/1996, 15.743/2000; ; , E2151/2015).

2.Solche Fehler sind dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1.Das Bundesverwaltungsgericht begründet die Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens des Beschwerdeführers im Rahmen äußerst kurz gehaltener Ausführungen zunächst lediglich damit, dass die Angaben, die dieser vor der belangten Behörde machte, oberflächlich seien und nahezu kein Tatsachensubstrat enthielten.

Diese Ausführungen sind vor dem Hintergrund, dass das Bundesverwaltungsgericht keine mündliche Verhandlung durchgeführt hat und der Beschwerdeführer während des gesamten Verfahrens auch nicht zur Schilderung weiterer Details aufgefordert wurde, zur Begründung der Unglaubwürdigkeit nicht hinreichend, sondern vielmehr ein Indiz dafür, dass der Sachverhalt zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes nicht völlig geklärt war (vgl. ; , U610/2013).

2.2.Das Bundesverwaltungsgericht führt weiters "Widersprüche" im Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich der Verletzungen, die er erlitten haben will, ins Treffen und begründet diese im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer sowohl in der Erstbefragung am als auch in der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am angegeben habe, dass er in Nigeria angeschossen und in Griechenland mit einem Messer attackiert worden sei, in seiner Einvernahme am die Messerattacke hingegen unerwähnt gelassen habe. Diese Ausführungen sind – sofern das Weglassen eines Sachverhaltsteiles überhaupt als Widerspruch qualifiziert werden kann – nicht nachvollziehbar:

Zum einen stimmen diese weder mit dem vom Bundesverwaltungsgericht dargelegten Verfahrensgang, wonach der Beschwerdeführer im Zuge seiner Befragung am "im Wesentlichen seine bisherigen Angaben [bestätigte]", noch mit der im Rahmen der Beweiswürdigung einleitend getroffenen Feststellung, wonach der Beschwerdeführer im Administrativverfahren behauptet habe, dass er "in Nigeria und in Griechenland […] verfolgt worden sei", überein. Zum anderen wird im Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl festgestellt, dass der Beschwerdeführer bei seiner Einvernahme am angegeben habe, mit einem Messer in Nigeria attackiert worden zu sein (s. Pkt. I.2.).

2.3.Darüber hinaus lässt das Bundesverwaltungsgericht sowohl unberücksichtigt, dass der Beschwerdeführer in seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am eine Narbe auf dem linken Handrücken gezeigt hat, die von der Messerattacke in Griechenland stamme, als auch dass bei der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am ein Foto – welches im Akt jedoch nicht enthalten ist – von der Schusswunde aufgenommen wurde, die dem Beschwerdeführer in Nigeria zugefügt worden sei.

2.4.Schließlich kann auch den im Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl enthaltenen Ausführungen, denen sich das Bundesverwaltungsgericht implizit ("[d]aher gelangt das Bundesverwaltungsgericht – wie auch die belangte Behörde – zu dem Schluss") anschließt, angesichts der mangelhaften, zum Teil herabwürdigenden und zynisch anmutenden Argumentation ("unglaubwürdig […], zumal […] komplett frei erfunden", "Behauptung […] mehr als nur schwachsinnig", "bemerkenswerte Wunderheilung"; s. Pkt. I.2.) kein Begründungswert iSd oben dargestellten Judikatur zugeschrieben werden (vgl. ).

2.5.Indem das Bundesverwaltungsgericht die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers nicht substantiiert begründet hat, hat es seine Entscheidung mit Willkür behaftet (vgl. ).

2.6.Daran vermögen auch die erstmals vom Bundesverwaltungsgericht bei Wahrunterstellung des Vorbringens hilfsweise herangezogenen Erwägungen, wonach die staatlichen Behörden in Nigeria grundsätzlich schutzfähig und schutzwillig seien und es gerichtsbekannt sei, dass in Nigeria grundsätzlich in anderen Teilen des Landes eine innerstaatliche Fluchtalternative bestehe, nichts zu ändern:

2.6.1.Die im Erkenntnis angeführten, umfassenden und hinreichend aktuellen (überwiegend aus den Jahren 2015 und 2016) Länderfeststellungen zu Nigeria enthalten zwar das Fluchtvorbringen betreffende Aussagen zu Kulten und Geheimgesellschaften, der Schutzfähigkeit staatlicher Behörden sowie der – unter Berücksichtigung der jeweiligen persönlichen Umstände – grundsätzlich bestehenden innerstaatlichen Fluchtalternative; diese wurden dem Beschwerdeführer jedoch nicht mit der Gelegenheit zur Stellungnahme zur Kenntnis gebracht (vgl. ; , E389/2016; , E1796/2016; ).

2.6.2.Die dem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl zugrunde liegenden, überwiegend aus den Jahren 2014 und 2015 stammenden Länderfeststellungen enthalten weder Aussagen zu Kulten und Geheimgesellschaften noch zur Schutzfähigkeit und -willigkeit staatlicher Behörden oder zum Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative im konkreten Fall der Verfolgung durch Mitglieder eines Geheimbundes. Zudem stehen sie hinsichtlich der Sicherheitslage im Nigerdelta, welches – wie sich lediglich aus den Akten und nicht aus dem angefochtenen Erkenntnis selbst ergibt – die Herkunftsregion des Beschwerdeführers ist, insofern im Widerspruch zu den im Erkenntnis enthaltenen Länderfeststellungen, als darin ausgeführt wird, dass die Lage im Nigerdelta derzeit "relativ stabil" ist, während zufolge der im angefochtenen Erkenntnis enthaltenen Feststellungen die Lage derzeit "nicht stabil" ist. Vor diesem Hintergrund sind auch diese nicht geeignet, die vom Bundesverwaltungsgericht unter Wahrunterstellung des Fluchtvorbringens angenommene Schutzfähigkeit und -willigkeit staatlicher Behörden sowie innerstaatliche Fluchtalternative in Nigeria in Bezug auf die Verfolgung durch Mitglieder eine Geheimbundes hinreichend zu belegen.

2.7.Das Bundesverwaltungsgericht ist seiner Verpflichtung, die notwendigen Ermittlungen vorzunehmen und Parteiengehör zu gewähren (vgl. VfSlg 16.297/2001) sowie die für die Entscheidung maßgeblichen Erwägungen im Erkenntnis substantiiert zu begründen (vgl. mwN), nicht nachgekommen.

3.Aus diesen Gründen ist das angefochtene Erkenntnis mit Willkür belastet.

III.Ergebnis

1.Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

2.Das angefochtene Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3.Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4.Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 357,– enthalten.

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ECLI:
ECLI:AT:VFGH:2017:E2628.2016
Schlagworte:
Asylrecht, Rückkehrentscheidung, Ermittlungsverfahren, Entscheidungsbegründung

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