VfGH vom 09.06.2016, E2617/2015

VfGH vom 09.06.2016, E2617/2015

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Abweisung des Antrags einer Staatsangehörigen von Ghana auf Erteilung eines Aufenthaltstitels, auf Zulassung der Inlandsantragstellung sowie auf Absehen vom Nachweis von Deutschkenntnissen mangels Berücksichtigung der besonderen Beziehung zwischen einem neugeborenen Kind und seiner Mutter

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art 8 EMRK verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Ghana, reiste mit einem für den Zeitraum von bis gültigen Visum C in das österreichische Bundesgebiet ein. Am heiratete sie einen österreichischen Staatsbürger, den sie 2012 in Ghana kennengelernt hatte. Am wurde das gemeinsame Kind geboren, dem die österreichische Staatsbürgerschaft zukommt.

2. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Weiz vom wurde der – am durch ihren Rechtsvertreter und nach Belehrung (§19 Abs 1 Niederlassungs- und AufenthaltsgesetzNAG) am persönlich eingebrachte – Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung des Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" (§8 Abs 1 Z 8 iVm § 47 NAG), auf Zulassung der Inlandsantragstellung (§21 Abs 3 NAG) sowie auf Absehen vom Nachweis von Deutschkenntnissen bei Stellung eines Erstantrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels (§21a Abs 5 NAG) abgewiesen. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung vom Landesverwaltungsgericht Steiermark mit Erkenntnis vom abgewiesen.

Zur in § 21 Abs 2 und 3 ausnahmsweise vorgesehenen Möglichkeit der Inlandsantragstellung bei Erstanträgen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels traf das Landesverwaltungsgericht Steiermark folgende Ausführungen:

"Gemäß § 21 Abs 1 NAG sind Erstanträge vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Vertretungsbehörde im Ausland einzubringen. Die Entscheidung ist im Ausland abzuwarten.

Abweichend von § 21 Abs 1 NAG kann die Behörde gemäß § 21 Abs 3 NAG auf begründeten Antrag die Antragstellung im Inland zulassen, wenn kein Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs 1 Z 1, 2 oder 4 NAG vorliegt und die Ausreise des Fremden aus dem Bundesgebiet zum Zweck der Antragstellung zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK (§11 Abs 3 NAG) nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar ist. Die Stellung eines solchen Antrages ist nur bis zur Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides zulässig. Über diesen Umstand ist der Fremde zu belehren.

Bei der nach § 21 Abs 3 NAG erforderlichen Interessensabwägung im Sinne des Art 8 EMRK berücksichtigte die belangte Behörde den rechtswidrigen Aufenthalt der Beschwerdeführerin seit , das Entstehen des Privat- und Familienlebens[…] der Beschwerdeführerin zu einem Zeitpunkt, in dem sie sich ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst gewesen ist, die fehlenden Kenntnisse der deutschen Sprache und die strafrechtliche Unbescholtenheit. Der Entscheidung wurde auch zu Grunde gelegt, dass der Ehemann der Beschwerdeführerin Staatsangehöriger von Österreich ist und der Beschwerdeführerin auch bei bestehender Schwangerschaft die Ausreise aus dem Bundesgebiet zur Antragstellung aus dem Ausland zumutbar gewesen wäre.

Geht man nun davon aus, dass die Beschwerdeführerin mit ihrem nunmehrigen Ehemann, Herrn R[.] R[.], seit verheiratet ist, somit zu einem Zeitpunkt die Ehe eingegangen ist, als sich die Beschwerdeführerin bereits rechtswidrig im Bundesgebiet aufgehalten, den Antrag am gestellt hat und aus der Ehe das am geborene gemeinsame Kind, R[.] C[.] R[.], stammt, ist zwar grundsätzlich von einem Eingriff in das Familienleben der Beschwerdeführerin nach Art 8 EMRK auszugehen, allerdings war ihr im Hinblick darauf, dass sie seit Oktober 2014 rechtswidrig im Bundesgebiet aufhältig ist, zu diesem Zeitpunkt und auch davor durchaus zumutbar, zur Antragstellung im Ausland aus dem Bundesgebiet auszureisen ( ZI. 2012/22/0084). Zu berücksichtigen ist, dass die Beschwerdeführerin zu diesem Zeitpunkt weder verheiratet noch schwanger war [und] das Privat- und Familienleben zu diesem Zeitpunkt noch nicht so lange bestanden hat, dass eine Antragstellung vom Ausland nicht möglich oder zumutbar gewesen wäre.

§21 Abs 2 NAG sieht eine Ausnahme vom Prinzip der Auslandsantragsstellung unter anderem für Familienangehörige sowie für Drittstaatsangehörige, die zur visumsfreien Einreise berechtigt sind[, vor] und erfordert für beide Ausnahmen bei der Antragstellung den rechtmäßigen Aufenthalt. Da die Beschwerdeführerin zwar legal in das Bundesgebiet der Republik Österreich eingereist ist, sich aber nach Ablauf ihres Visums C für den Schengenbereich seit rechtswidrig im Bundesgebiet aufhielt, erfüllt sie nicht die Voraussetzungen als Familienangehörige eines Österreichers für eine Inlandsantragstellung.

Die belangte Behörde ist somit zu Recht von einem zwingenden Abweisungsgrund bzw. Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs 1 Z 5 NAG ausgegangen."

Zu § 11 Abs 3 NAG 2005 führt das Landesverwaltungsgericht Steiermark aus:

"Gemäß § 11 Abs 3 NAG 2005 können Aufenthaltstitel unter anderem trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß Abs 2 Z 3 erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist. Bei dieser Beurteilung [ist] unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an der Versagung des Aufenthaltstitels mit de[n] gegenläufigen privaten und familiären Interessen und der Berücksichtigung der in § 11 Abs 3 NAG 2005 näher angeführten Kriterien in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen ( ZI. 2009/21/0348; ZI. 2010/21/0356).

Nach der einschlägigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes besteht nach Art 8 EMRK weder das Recht, den geeignetsten Ort für die Entwicklung für das Familienleben zu wählen, noch die grundsätzliche Verpflichtung zur Herstellung des Familienlebens. Es bleibt jedem Vertragsstaat unbenommen, die Einreise von Nichtstaatsangehörigen einer Kontrolle zu unterwerfen. Gemäß Art 8 EMRK besteht auch nicht die generelle Verpflichtung eines Vertragsstaates, die Wahl des Familienwohnsitzes durch verschiedene Familienmitglieder anzuerkennen und die Zusammenführung einer Familie auf seinem Gebiet zu erlauben ( ZI. G119/03).

Es ist davon auszugehen, dass die österreichische Ankerperson, der Ehegatte der Beschwerdeführerin, bei Nichtgewährung des beantragten Aufenthaltstitels nicht gezwungen ist, Österreich und das Gebiet der Europäischen Union zu verlassen. Die bloße Tatsache, dass es für einen Staatsbürger eines Mitgliedsstaates aus wirtschaftlichen Gründen oder zur Aufrechterhaltung der Familiengemeinschaft im Gebiet der Union wünschenswert erscheinen könnte, dass Familienangehörige, die nicht die Staatsbürgerschaft eines Mitgliedsstaats besitzen, sich mit ihnen zusammen im Gebiet der Union aufhalten […] können, rechtfertigt nicht die Annahme, dass der Unionsbürger, im gegenständlichen Fall der Ehegatte der Beschwerdeführerin und der gemeinsame Sohn, gezwungen wären, das Gebiet der Union zu verlassen, wenn dem Familienangehörigen kein Aufenthaltsrecht gewährt wird. Im gegenständlichen Fall ist außerdem zu berücksichtigen, dass der Ehegatte der Beschwerdeführerin vor der Eheschließung jeweils mehrere Monate pro Jahr in Afrika verbracht hat.

Die belangte Behörde ist zu Recht davon ausgegangen, dass im gegenständlichen Fall die öffentlichen Interessen an einem geordneten Zuwanderungswesen und der Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen durch eine Antragstellung im Ausland wesentlich höher zu gewichten sind, als die privaten Interessen der Antragstellerin. So lagen zu Gunsten der Antragstellerin weder ein besonders langer Aufenthalt im Bundesgebiet noch eine nachhaltige vertiefte Integration und nur ein seit kurzer Zeit bestehendes Familienleben vor. Die Beschwerdeführerin hat, wie im gegenständlichen Verfahren von ihrem Ehemann offen eingestanden, bewusst die Einwanderungsbestimmungen missachtet[,] um sich in Bezug auf die Ausgleichszulage einen finanziellen Vorteil zu verschaffen. Dass der Beschwerdeführerin der Flug in ihr Heimatland unzumutbar wäre, konnte aus den getroffenen Feststellungen nicht abgeleitet werden. Ein Vorbringen, wonach tatsächlich ein schwieriger Verlauf der Schwangerschaft vorgelegen habe oder gar eine Gefährdung des Kindes mit einem Flug verbunden gewesen wäre, wurde weder erbracht, noch durch irgendwelche Beweismittel untermauert.

In Anbetracht der Abwägung der Umstände gelangt das Landesverwaltungsgericht Steiermark zu dem Ergebnis, dass die Nichterteilung des beantragten Aufenthaltstitels auch unter Berücksichtigung des Art 8 EMRK verhältnismäßig ist, weshalb der Beschwerdeführerin der beantragte Aufenthaltstitel, wie im Spruch ersichtlich, nicht erteilt werden konnte."

3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art 8 EMRK behauptet wird.

4. Die Bezirkshauptmannschaft Weiz und das Landesverwaltungsgericht Steiermark legten den Verwaltungs- bzw. Gerichtsakt vor und nahmen von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.

II. Rechtslage

Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Niederlassung und den Aufenthalt in Österreich (Niederlassungs- und AufenthaltsgesetzNAG), BGBl I 100/2005 idF BGBl I 70/2015, lauten wie folgt:

"3. Hauptstück

Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigungen

Arten und Form der Aufenthaltstitel

§8. (1) Aufenthaltstitel werden erteilt als:

[…]

8. Aufenthaltstitel 'Familienangehöriger' für die befristete Niederlassung mit der Möglichkeit, anschließend einen Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt – EU' (Z7) zu erhalten;

[…]

4. Hauptstück

Allgemeine Voraussetzungen

Allgemeine Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel

§11. (1) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nicht erteilt werden, wenn

1. gegen ihn ein aufrechtes Einreiseverbot gemäß § 53 FPG oder ein aufrechtes Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG besteht;

2. gegen ihn eine Rückführungsentscheidung eines anderen EWR-Staates oder der Schweiz besteht;

3. gegen ihn eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung erlassen wurde und seit seiner Ausreise nicht bereits achtzehn Monate vergangen sind, sofern er nicht einen Antrag gemäß § 21 Abs 1 eingebracht hat, nachdem er seiner Ausreiseverpflichtung freiwillig nachgekommen ist;

4. eine Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§30 Abs 1 oder 2) vorliegt;

5. eine Überschreitung der Dauer des erlaubten visumfreien oder visumpflichtigen Aufenthalts im Zusammenhang mit § 21 Abs 6 vorliegt oder

6. er in den letzten zwölf Monaten wegen Umgehung der Grenzkontrolle oder nicht rechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet rechtskräftig bestraft wurde.

(2) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nur erteilt werden, wenn

1. der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet;

2. der Fremde einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft nachweist, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird;

3. der Fremde über einen alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig ist;

4. der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte;

5. durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels die Beziehungen der Republik Österreich zu einem anderen Staat oder einem anderen Völkerrechtssubjekt nicht wesentlich beeinträchtigt werden, und

6. der Fremde im Fall eines Verlängerungsantrages (§24) das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a rechtzeitig erfüllt hat.

(3) Ein Aufenthaltstitel kann trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses gemäß Abs 1 Z 3, 5 oder 6 sowie trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß Abs 2 Z 1 bis 6 erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische MenschenrechtskonventionEMRK), BGBl Nr 210/1958, geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen rechtswidrig war;

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4. der Grad der Integration;

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Drittstaatsangehörigen;

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Drittstaatsangehörigen in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren;

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(4) Der Aufenthalt eines Fremden widerstreitet dem öffentlichen Interesse (Abs2 Z 1), wenn

1. sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde oder

2. der Fremde ein Naheverhältnis zu einer extremistischen oder terroristischen Gruppierung hat und im Hinblick auf deren bestehende Strukturen oder auf zu gewärtigende Entwicklungen in deren Umfeld extremistische oder terroristische Aktivitäten derselben nicht ausgeschlossen werden können.

[(5)–(7) …]

[…]

Verfahren bei Erstanträgen

§21. (1) Erstanträge sind vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einzubringen. Die Entscheidung ist im Ausland abzuwarten.

(2) Abweichend von Abs 1 sind zur Antragstellung im Inland berechtigt:

1. Familienangehörige von Österreichern, EWR-Bürgern und Schweizer Bürgern, die in Österreich dauernd wohnhaft sind und nicht ihr unionsrechtliches oder das ihnen auf Grund des Freizügigkeitsabkommens EG-Schweiz zukommende Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten in Anspruch genommen haben, nach rechtmäßiger Einreise und während ihres rechtmäßigen Aufenthalts;

2. Fremde bis längstens sechs Monate nach Ende ihrer rechtmäßigen Niederlassung im Bundesgebiet, wenn sie für diese Niederlassung keine Bewilligung oder Dokumentation nach diesem Bundesgesetz benötigt haben;

[3.–4. …]

5. Fremde, die an sich zur visumfreien Einreise berechtigt sind, während ihres erlaubten visumfreien Aufenthalts;

6. Fremde, die eine Aufenthaltsbewilligung als Forscher (§67) beantragen, und deren Familienangehörige jeweils nach rechtmäßiger Einreise und während ihres rechtmäßigen Aufenthalts;

7. Drittstaatsangehörige, die einen Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot – Karte' gemäß § 41 Abs 1 beantragen, während ihres rechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet mit einem Visum gemäß § 24a FPG;

8. Drittstaatsangehörige, die einen Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot – Karte' gemäß § 41 beantragen, während ihres rechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet mit einer Bestätigung gemäß § 64 Abs 4;

9. Drittstaatsangehörige, die gemäß § 1 Abs 2 liti oder j AuslBG oder § 1 Z 5, 7 oder 9 AuslBVO vom Anwendungsbereich des AuslBG ausgenommen sind oder die unter § 1 Z 4 Personengruppenverordnung 2014 – PersGV 2014, BGBl II Nr 340/2013, fallen und die eine Aufenthaltsbewilligung 'Sonderfälle unselbständiger Erwerbstätigkeit' oder eine Aufenthaltsbewilligung 'Studierender' beantragen, nach rechtmäßiger Einreise und während ihres rechtmäßigen Aufenthalts und

10. […]

(3) Abweichend von Abs 1 kann die Behörde auf begründeten Antrag die Antragstellung im Inland zulassen, wenn kein Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs 1 Z 1, 2 oder 4 vorliegt und die Ausreise des Fremden aus dem Bundesgebiet zum Zweck der Antragstellung nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar ist:

1. im Fall eines unbegleiteten Minderjährigen (§2 Abs 1 Z 17) zur Wahrung des Kindeswohls oder

2. zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK (§11 Abs 3).

Die Stellung eines solchen Antrages ist nur bis zur Erlassung des Bescheides zulässig. Über diesen Umstand ist der Fremde zu belehren.

(4) Beabsichtigt die Behörde den Antrag nach Abs 3 zurück- oder abzuweisen, so hat die Behörde darüber im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.

(5) […]

(6) Eine Inlandsantragstellung nach Abs 2 Z 1, Z 4 bis 10, Abs 3 und 5 schafft kein über den erlaubten visumfreien oder visumpflichtigen Aufenthalt hinausgehendes Bleiberecht. Ebenso steht sie der Erlassung und Durchführung von Maßnahmen nach dem FPG nicht entgegen und kann daher in Verfahren nach dem FPG keine aufschiebende Wirkung entfalten.

Nachweis von Deutschkenntnissen

§21a. (1) Drittstaatsangehörige haben mit der Stellung eines Erstantrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 8 Abs 1 Z 2, 4, 5, 6 oder 8 Kenntnisse der deutschen Sprache nachzuweisen. Dieser Nachweis hat mittels eines allgemein anerkannten Sprachdiploms oder Kurszeugnisses einer durch Verordnung gemäß Abs 6 oder 7 bestimmten Einrichtung zu erfolgen, in welchem diese schriftlich bestätigt, dass der Drittstaatsangehörige über Kenntnisse der deutschen Sprache zumindest zur elementaren Sprachverwendung auf einfachstem Niveau verfügt. Das Sprachdiplom oder das Kurszeugnis darf zum Zeitpunkt der Vorlage nicht älter als ein Jahr sein.

(2) Abs 1 gilt auch für Drittstaatsangehörige, die einen Antrag auf erstmalige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 8 Abs 1 Z 2, 4, 5, 6 oder 8 im Zuge eines Verfahrens gemäß § 24 Abs 4 oder § 26 stellen.

(3) Der Nachweis gilt überdies als erbracht, wenn die Voraussetzungen zur Erfüllung des Moduls 1 oder 2 der Integrationsvereinbarung (§§14a und 14b) vorliegen.

(4) Abs 1 gilt nicht für Drittstaatsangehörige,

1. die zum Zeitpunkt der Antragstellung unmündig sind,

2. denen auf Grund ihres physischen oder psychischen Gesundheitszustandes die Erbringung des Nachweises nicht zugemutet werden kann; dies hat der Drittstaatsangehörige durch ein amtsärztliches Gutachten oder ein Gutachten eines Vertrauensarztes einer österreichischen Berufsvertretungsbehörde nachzuweisen, oder

3. die Familienangehörige von Inhabern eines Aufenthaltstitels gemäß §§41 Abs 1, 42 oder 45 Abs 1, letztere sofern der Zusammenführende ursprünglich einen Aufenthaltstitel 'Blaue Karte EU' innehatte, sind.

(5) Die Behörde kann auf begründeten Antrag eines Drittstaatsangehörigen von einem Nachweis nach Abs 1 absehen:

1. im Fall eines unbegleiteten Minderjährigen (§2 Abs 1 Z 17) zur Wahrung des Kindeswohls, oder

2. zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK (§11 Abs 3).

Die Stellung eines solchen Antrages ist nur bis zur Erlassung des Bescheides zulässig. Über diesen Umstand ist der Drittstaatsangehörige zu belehren; § 13 Abs 3 AVG gilt.

[(6)–(7) …]

[…]

2. Hauptstück

Familienangehörige und andere Angehörige von dauernd in Österreich wohnhaften Zusammenführenden

Aufenthaltstitel 'Familienangehöriger' und 'Niederlassungsbewilligung – Angehöriger'

§47. (1) Zusammenführende im Sinne der Abs 2 bis 4 sind Österreicher oder EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, die in Österreich dauernd wohnhaft sind und nicht ihr unionsrechtliches oder das ihnen auf Grund des Freizügigkeitsabkommens EG-Schweiz zukommende Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten in Anspruch genommen haben.

(2) Drittstaatsangehörigen, die Familienangehörige von Zusammenführenden sind, ist ein Aufenthaltstitel 'Familienangehöriger' zu erteilen, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen.

[(3)–(5) …]"

III. Erwägungen

Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

1. Ein Eingriff in das durch Art 8 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte – unter Gesetzesvorbehalt stehende – Recht ist dann verfassungswidrig, wenn die ihn verfügende verwaltungsgerichtliche Entscheidung ohne jede Rechtsgrundlage ergangen ist, auf einer dem Art 8 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruht oder wenn das Verwaltungsgericht bei Erlassung der Entscheidung eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hat; ein solcher Fall liegt nur vor, wenn das Verwaltungsgericht einen so schweren Fehler begangen hat, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre, oder wenn es der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art 8 Abs 1 EMRK widersprechenden und durch Art 8 Abs 2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellt hat (vgl. VfSlg 11.638/1988, 15.051/1997, 15.400/1999, 16.657/2002).

2. Dem Landesverwaltungsgericht Steiermark ist bei der gemäß Art 8 Abs 2 EMRK gebotenen Abwägung ein solcher in die Verfassungssphäre reichender Fehler vorzuwerfen:

2.1. Gemäß § 11 Abs 3, § 21 Abs 3 Z 2 bzw. § 21a Abs 5 Z 2 NAG kann ein Aufenthaltstitel, die ausnahmsweise Inlandsantragstellung sowie eine Nachsicht vom Nachweis von Deutschkenntnissen erteilt bzw. zugelassen werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist bzw. die Ausreise des Fremden aus dem Bundesgebiet zum Zweck der Antragstellung nachweislich zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK nicht möglich oder nicht zumutbar ist.

2.2. Das Landesverwaltungsgericht Steiermark begründet seine Entscheidung in Bezug auf die Inlandsantragstellung gemäß § 21 Abs 3 NAG insbesondere damit, dass, obgleich auf Grund der Ehe der Beschwerdeführerin mit einem österreichischen Staatsbürger und ihres am geborenen gemeinsamen Kindes von einem Eingriff in ihr Familienleben auszugehen sei, die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Antragstellung weder verheiratet noch schwanger gewesen sei und das Privat- und Familienleben zu diesem Zeitpunkt noch nicht so lange bestanden habe, dass eine Antragstellung vom Ausland nicht möglich oder zumutbar gewesen wäre.

Bei der Abwägung im Rahmen des § 11 Abs 3 NAG führt das Landesverwaltungsgericht Steiermark insbesondere aus, dass der österreichische Ehegatte und das gemeinsame Kind der Beschwerdeführerin bei Nichtgewährung des beantragten Aufenthaltstitels nicht gezwungen wären, das Gebiet der Europäischen Union zu verlassen. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass der Ehegatte der Beschwerdeführerin vor der Eheschließung jeweils mehrere Monate pro Jahr in Afrika verbracht habe. Die belangte Behörde sei daher zu Recht davon ausgegangen, dass die öffentlichen Interessen an einem geordneten Zuwanderungswesen und der Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen durch eine Antragstellung im Ausland wesentlich höher zu gewichten seien, als die privaten Interessen der Antragstellerin. So seien zu Gunsten der Antragstellerin weder ein besonders langer Aufenthalt im Bundesgebiet noch eine nachhaltig vertiefte Integration und nur ein seit kurzer Zeit bestehendes Familienleben vorgelegen.

3. Das Landesverwaltungsgericht Steiermark hat bei der Interessenabwägung eine Auseinandersetzung mit den Folgen, die eine durch die Abweisung des Antrages der Beschwerdeführerin drohende Ausreise – wenn auch für die Dauer des Abwartens eines Niederlassungsverfahrens – und die damit verbundene Trennung von ihrem Ehemann und ihrem Kind, das die österreichische Staatsangehörigkeit besitzt, mit sich brächten, unterlassen und beschränkt sich auf die bloße Feststellung, dass der Ehemann der Beschwerdeführerin und der gemeinsame – im Zeitpunkt der Entscheidung des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark nur 4 Monate alte – Sohn nicht gezwungen wären, das Gebiet der Union zu verlassen, wenn der Beschwerdeführerin kein Aufenthaltsrecht gewährt werde. Das Landesverwaltungsgericht Steiermark versäumt es hinsichtlich der damit getroffenen Annahme, der Vater könne die alleinige Obsorge für das gemeinsame neugeborene Kind übernehmen, eine konkrete und fallbezogene Begründung aufzunehmen. Das Verwaltungsgericht hätte in dieser Hinsicht ermitteln und bei seiner Abwägungsentscheidung berücksichtigen müssen, welche konkreten Auswirkungen eine Ausreise der Beschwerdeführerin auf das Kindeswohl hat, insbesondere, ob nicht in der konkreten Situation – angesichts der besonderen Bedürfnisse eines Kindes in der ersten Lebensphase – eine Trennung der Mutter von ihrem Kind faktisch auch das Kind zum Verlassen des Bundesgebietes zwingt (dieser Wertung folgt im Übrigen auch der EuGH in seiner Entscheidung vom , Rs. C-34/09, Gerardo Ruiz Zambrano , Rz 43, wenn er festhält, dass einer einem Drittstaat angehörenden Person in dem Mitgliedstaat des Wohnsitzes ihrer minderjährigen Kinder, die diesem Mitgliedstaat angehören und denen sie Unterhalt gewährt, der Aufenthalt und eine Arbeitserlaubnis nicht verweigert werden dürfen; vgl. idS ; , U2241/12; , E426/2015).

4. Indem das Landesverwaltungsgericht Steiermark die besondere Beziehung zwischen einem neugeborenen Kind und seiner Mutter somit bei seiner Abwägungsentscheidung nicht berücksichtigt, hat es – ungeachtet des Umstandes, dass das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich die Beschwerdeführerin ihres Aufenthaltsstatus bewusst war – diese mit einem in die Verfassungssphäre reichenden Mangel behaftet. Dies wird insbesondere auch nicht dadurch ausgeglichen, dass das Landesverwaltungsgericht Steiermark offenbar davon ausgeht, dass eine Fortsetzung des Familienlebens in Ghana möglich wäre, weil der Ehegatte der Beschwerdeführerin vor der Eheschließung jeweils mehrere Monate pro Jahr in Afrika verbracht habe. Damit vermag das Landesverwaltungsgericht Steiermark aber keine relevanten Argumente darzutun, die die Zumutbarkeit des Familiennachzuges von österreichischen Staatsbürgern in den Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin zu begründen vermögen (vgl. idS VfSlg 18.832/2009, 19.362/2011; ; , U128/12). Vor diesem Hintergrund ist die vom Landesverwaltungsgericht Steiermark vorgenommene Abwägungsentscheidung unter Art 8 EMRK in verfassungsrechtlich relevanter Weise fehlerhaft.

IV. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) verletzt worden.

2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nicht öffentlicher Sitzung getroffen werden.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VFGH:2016:E2617.2015