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VfGH vom 28.11.2019, E2584/2019

VfGH vom 28.11.2019, E2584/2019

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung Fremder untereinander durch Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten betreffend einen Staatsangehörigen von Nigeria; keine Auseinandersetzung mit aktuellen Länderberichten

Spruch

I.1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Nigeria, die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung, die Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise, die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde, den Verlust des Rechtes zum Aufenthalt sowie die Verhängung eines Einreiseverbotes abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

II.Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

III.Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Nigerias, stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz.

2.Im Rahmen der Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer an, Zeit seines Lebens in Sierra Leone gelebt zu haben und ausschließlich aus wirtschaftlichen Gründen ausgereist zu sein.

3.Auf Grund eines durchgeführten Sprachgutachtens ist in weiterer Folge hervorgekommen, dass eine Hauptsozialisierung des Beschwerdeführers in Sierra Leone mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen sei, vielmehr stamme er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus Nigeria.

4.Mit Bescheid vom wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 55 und 57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Nigeria gemäß § 46 FPG zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt. Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung wurde gemäß § 18 Abs 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt. Gemäß § 13 Abs 2 AsylG 2005 wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer sein Recht zum Aufenthalt ab dem verloren habe. Gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 2 FPG wurde darüber hinaus ein auf die Dauer von sieben Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.

5.Die gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht im zweiten Rechtsgang mit Erkenntnis vom mit der Maßgabe ab, dass der erste Satz des Spruchpunktes III. wie folgt zu lauten habe: "Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz wird Ihnen gemäß § 57 Asylgesetz 2005, BGBl I Nr 100/2005 (AsylG), nicht erteilt".

6.Seine Feststellungen zur Lage in Nigeria stützt das Bundesverwaltungsgericht auf Länderberichte, die überwiegend aus den Jahren 2014 und 2015 stammen oder noch älter sind.

Die getroffenen Länderfeststellungen ergäben sich aus den in das Verfahren eingebrachten und im Bescheid bzw Erkenntnis angeführten herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen. Dabei seien Berichte verschiedenster allgemein anerkannter Institutionen berücksichtigt worden. Diese Quellen lägen dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vor und deckten sich im Wesentlichen mit dem Amtswissen, das sich aus der ständigen Beachtung der aktuellen Quellenlage ergebe. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zu Grunde gelegt worden seien, sei auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht zur Verfügung stehenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert hätten.

7.Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.

8.Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und das Bundesverwaltungsgericht haben die Verwaltungs- bzw Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Äußerung bzw Gegenschrift jedoch abgesehen.

II.Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

A. Die Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den festgestellten Herkunftsstaat Nigeria, die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung, die Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise, die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde, den Verlust des Rechtes zum Aufenthalt sowie die Verhängung eines Einreiseverbotes richtet, begründet:

1.Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

1.1.Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

1.2.Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

1.3.Wie der Verfassungsgerichtshof weiter zu dem aus dem Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander folgenden Willkürverbot in Zusammenhalt mit dem aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden rechtsstaatlichen Gebot der Begründung gerichtlicher Entscheidungen ausgesprochen hat, müssen die für die angefochtene Entscheidung maßgeblichen Erwägungen aus der Begründung der Entscheidung hervorgehen, da nur auf diese Weise die rechtsstaatlich gebotene Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof möglich ist (vgl jeweils mwN ; , U2899/10; , E940/2017).

2.Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1.In seiner Beweiswürdigung führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dass sich die Feststellungen zum Herkunftsstaat aus den in das Verfahren eingebrachten herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen ergäben. Dabei seien Berichte verschiedenster allgemein anerkannter Institutionen berücksichtigt worden. Diese Quellen lägen dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vor und deckten sich im Wesentlichen mit dem Amtswissen, das sich aus der ständigen Beachtung der aktuellen Quellenlage (Einsicht in aktuelle Berichte zur Lage im Herkunftsstaat) ergebe.

2.2.Zwischen dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes liegt ein Zeitraum von beinahe dreieinhalb Jahren. Die im Erkenntnis herangezogenen Erkenntnisquellen stammen zum Großteil aus den Jahren 2014 und 2015 oder sind noch älter. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass die im Asylverfahren herangezogenen Länderberichte hinreichend aktuell sein müssen; dies betrifft insbesondere Staaten mit sich rasch ändernder Sicherheitslage (vgl etwa VfSlg 19.466/2011, 19.642/2012; ; , U1032/12; , U2557/2012; , U1159/2012; , U36/2013; , E1542/2014; , E1641/2016 ua). Vor diesem Hintergrund kommen den vom Bundesverwaltungsgericht angestellten Ermittlungen bzw herangezogenen Länderfeststellungen in Bezug auf die Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers besondere Bedeutung zu (vgl VfSlg 18.646/2008, 19.129/2010, 19.642/2012).

2.3.Wenn das Bundesverwaltungsgericht anführt, dass sich die Umstände im Vergleich zu den herangezogenen Länderberichten nicht wesentlich geändert hätten, so ist auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu verweisen, wonach die pauschale Behauptung, dass keine maßgeblichen Änderungen der Ländersituation bekannt geworden seien, mangels näherer Belege oder Begründung nicht nachvollziehbar ist (vgl ).

2.4.Vor dem Hintergrund der im angefochtenen Erkenntnis wiedergegebenen Länderinformationen geht das Bundesverwaltungsgericht in nicht nachvollziehbarer Weise davon aus, dass der Beschwerdeführer durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat nicht in Rechten nach Art 2 und Art 3 EMRK verletzt werde. Das Bundesverwaltungsgericht trifft in diesem Zusammenhang Feststellungen auf Grund unzureichender Länderberichte. Aus den genannten Gründen ist dem Verfassungsgerichtshof eine nachprüfende Kontrolle des angefochtenen Erkenntnisses betreffend die Entscheidung über die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria nicht möglich. Die angefochtene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes ist daher mit Willkür behaftet, sodass sie im angegebenen Umfang aufzuheben ist.

B. Soweit die Beschwerde sich im Übrigen gegen die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Asylstatus richtet, wird ihre Behandlung aus folgendem Grund abgelehnt:

3.Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs 2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

4.Die vorliegende Beschwerde behauptet die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Nach den Beschwerdebehauptungen wären die gerügten Rechtsverletzungen aber im vorliegenden Fall nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

5.Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde, soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet, abzusehen.

III.Ergebnis

1.Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit seine Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Nigeria, die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung, die Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise, die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde, den Verlust des Rechtes zum Aufenthalt sowie die Verhängung eines Einreiseverbotes abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2.Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen und diese gemäß Art 144 Abs 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten.

3.Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4.Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VFGH:2019:E2584.2019
Schlagworte:
Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Rückkehrentscheidung, Einreiseverbot

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