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VfGH vom 10.03.2020, E2570/2019 ua

VfGH vom 10.03.2020, E2570/2019 ua

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und Erlassung einer Rückkehrentscheidung betreffend einen Staatsangehörigen der Demokratischen Republik Kongo; Verkennung der Rechtslage durch Prüfung der Verletzung der von Art 3 EMRK geschützten Rechte eingeschränkt auf Akteure oder einen bewaffneten Konflikt

Spruch

I.1.Die beschwerdeführenden Parteien sind durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerden gegen die Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Kamerun, gegen die Nichterteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung von Rückkehrentscheidungen und gegen die Festsetzung 14-tägiger Fristen zur freiwilligen Ausreise abgewiesen werden, in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2.Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

II.Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den beschwerdeführenden Parteien zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.860,92 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter des minderjährigen Zweitbeschwerdeführers. Beide sind Staatsangehörige Kameruns und stellten in Österreich Anträge auf internationalen Schutz.

2.Mit Bescheiden vom wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge der beschwerdeführenden Parteien auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten sowie hinsichtlich der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Kamerun ab (Spruchpunkte I. und II.). Es erteilte jeweils Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht, erließ Rückkehrentscheidungen und stellte fest, dass die Abschiebungen nach Kamerun zulässig sind (Spruchpunkte III. bis V.). Weiters sprach es aus, dass die Frist für die freiwillige Ausreise jeweils 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen beträgt (Spruchpunkt VI.).

3.Die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom hinsichtlich der Spruchpunkte I. bis IV. als unbegründet ab. Hinsichtlich Spruchpunkt V. gab das Bundesverwaltungsgericht den Beschwerden statt und stellte gemäß § 50 FPG fest, dass die Abschiebungen der beschwerdeführenden Parteien nach Kamerun unzulässig sind. Die Beschwerden gegen Spruchpunkt VI. (soweit im Spruch an dieser Stelle auf Spruchpunkt IV. verwiesen wird, handelt es sich erkennbar um einen Schreibfehler) werden ebenfalls als unbegründet abgewiesen. Begründend führt das Bundesverwaltungsgericht unter anderem Folgendes aus:

Das Bundesverwaltungsgericht stellt zunächst fest, dass die beschwerdeführenden Parteien an keinen schweren Krankheiten leiden würden und sie auch nicht längerfristig pflege- oder rehabilitationsbedürftig seien. Die Erstbeschwerdeführerin sei arbeitsfähig.

Die beschwerdeführenden Parteien würden auch weder durch die Todesstrafe noch durch einen bewaffneten Konflikt bedroht, weshalb ihnen nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union und des Verwaltungsgerichtshofes (, M'Bodj; ; , Ra 2018/01/0461) nicht der Status der subsidiär Schutzberechtigten zu gewähren sei. Umstände, die im Abschiebungsfall zu einer Verletzung von Art 2 oder 3 EMRK führen würden, jedoch für eine Zuerkennung von subsidiärem Schutz nicht in Betracht kämen, seien im Ausspruch nach § 52 Abs 9 FPG zu berücksichtigen. Das Bundesverwaltungsgericht geht in dieser Hinsicht davon aus, dass es den beschwerdeführenden Parteien bei einer Rückkehr nach Kamerun nicht möglich sei, sich eine Lebensgrundlage zu schaffen. Die Erwerbsaufnahme der Erstbeschwerdeführerin sei als Mutter eines Kleinkindes massiv erschwert. Ein sozialer oder familiärer Rückhalt sei nicht zu erwarten. Es sei daher nicht erkennbar, wie die Erstbeschwerdeführerin sich und ihrem Kind, dem Zweitbeschwerdeführer, eine Existenz sichern solle. Es müsse somit aktuell jedenfalls davon ausgegangen werden, dass eine Rückkehr nach Kamerun die beschwerdeführenden Parteien in eine aussichtslose Lage versetzen würde, sodass eine Rückführung einen Verstoß gegen Art 3 EMRK darstellen würde.

4.Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

5.Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber Abstand genommen.

II.Erwägungen

A. Soweit sich die – zulässige – Beschwerde gegen die Abweisung der Beschwerden durch das Bundesverwaltungsgericht betreffend die Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status der subsidiär Schutzberechtigten, die Nichtzuerkennung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung von Rückkehrentscheidungen und gegen die Aussprüche der Frist zur freiwilligen Ausreise richtet, ist sie begründet:

1.Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001)oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2.Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1.Gemäß § 8 Abs 1 AsylG 2005 ist einem Fremden – sofern ihm nicht der Status des Asylberechtigen gewährt wurde – der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass bei der Prüfung der Zuerkennung des subsidiären Schutzes lediglich die Bedrohung durch die Todesstrafe oder durch einen bewaffneten Konflikt und eine damit zusammenhängende Verletzung von Art 2 oder 3 EMRK zu berücksichtigen sei, weil es darauf ankomme, ob die Verletzung von einem Akteur ausgehe (vgl , M'Bodj). Den beschwerdeführenden Parteien drohe aber aus anderen als den genannten Gründen eine Verletzung nach Art 2 bzw 3 EMRK, weshalb ihnen der Status der subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen sei.

2.2.Indem das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen von § 8 AsylG 2005 eine Verletzung der von Art 3 EMRK geschützten Rechte nur eingeschränkt im Hinblick auf eine Verletzung, die durch Akteure oder durch einen bewaffneten Konflikt droht, prüft, verkennt es die Rechtslage in grundsätzlicher Weise:

Das Bundesverwaltungsgericht verneint zunächst das Vorliegen der Voraussetzungen des § 8 Abs 1 AsylG 2005 im Rahmen der Prüfung der Zuerkennung von subsidiärem Schutz, bejaht aber an anderer Stelle eine Verletzung der von Art 3 EMRK geschützten Rechte, um festzustellen, dass eine Abschiebung in den Herkunftsstaat unzulässig sei. Indem das Bundesverwaltungsgericht den beschwerdeführenden Parteien – obwohl es eine drohende Verletzung von Art 3 EMRK feststellt – entgegen § 8 Abs 1 AsylG 2005 den Status der subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkennt, hat es Willkür geübt. Dem steht auch die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (, M'Bodj) nicht entgegen; den Mitgliedstaaten ist ausdrücklich die Möglichkeit eingeräumt, Aufenthaltsrechte aus anderen humanitären Gründen zu gewähren (vgl ).

B. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde, soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerden durch das Bundesverwaltungsgericht betreffend die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten richtet, abgelehnt:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs 2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die Beschwerde rügt die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

III.Ergebnis

1.Die beschwerdeführenden Parteien sind durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerden gegen die Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Kamerun, gegen die Nichterteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung von Rückkehrentscheidungen und gegen die Festsetzung 14-tägiger Fristen zur freiwilligen Ausreise abgewiesen werden, in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben.

2.Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen und diese insoweit gemäß Art 144 Abs 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten.

3.Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG bzw § 19 Abs 3 Z 1 iVm § 31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4.Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 476,82 enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil die beschwerdeführenden Parteien Verfahrenshilfe (auch) im Umfang des § 64 Abs 1 Z 1 lita ZPO genießen.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VFGH:2020:E2570.2019
Schlagworte:
Asylrecht, Entscheidungsbegründung

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