VfGH vom 03.10.2019, E2538/2019
Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander hinsichtlich der Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz betreffend einen Staatsangehörigen von Ghana; keine hinreichende Auseinandersetzung mit dem als unglaubwürdig erachteten Fluchtvorbringen durch prüfungslose Übernahme der Ausführungen des angefochtenen Bescheids
Spruch
I.Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI BVG zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II.Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I.Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1.Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Ghana, gehört der Volksgruppe der Akan an und bekennt sich zum christlichen Glauben. Er wurde in Ghana geboren und lebte dort bis zu seiner Flucht. Er stellte nach illegaler Einreise in Österreich am einen Antrag auf internationalen Schutz.
2.Als Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer bei seiner Erstbefragung an, er habe im Herkunftsstaat als Sekretär für ein Bergbauunternehmen gearbeitet und habe in dieser Funktion unter anderem die Tageserträge des Unternehmens bei der Bank einbezahlt. Sein Vorgesetzter habe ihn sehr gemocht und ihm helfen wollen, nach Europa auszureisen. Der Beschwerdeführer habe im Mai 2017 seinen Vorgesetzten nicht erreichen können und sei aus Sorge zum Unternehmenssitz gefahren. Dort habe er mitansehen müssen, wie Militärangehörige mit Macheten auf die Mitarbeiter losgegangen seien und auch Menschen getötet hätten; unter den Getöteten sei auch der Vorgesetzte des Beschwerdeführers gewesen. Der Beschwerdeführer sei sofort geflohen, bevor die Militärangehörigen Verdacht schöpfen hätten können, dass er auch Mitarbeiter des Unternehmens sei.
3.Bei seiner Einvernahme am vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl führte der Beschwerdeführer aus, er und sein Vorgesetzter hätten gemeinsam nach Europa ausreisen wollen. Als er eines Tages seinen Vorgesetzten nicht erreicht habe und daraufhin zum Unternehmenssitz gefahren sei, habe es dort einen Aufruhr gegeben. Die beteiligten Personen hätten bei der Ankunft des Beschwerdeführers mit dem Finger auf ihn gezeigt und "er hat den Kaffee gemacht" gerufen. Auf Nachfrage habe der Beschwerdeführer erfahren, dass sein Vorgesetzter tot in seinem Büro aufgefunden worden sei, aus Mund und Nase blutend. Der Vorgesetzte sei vermeintlich mit seinem morgendlichen Kaffee vergiftet worden, welchen ihm der Beschwerdeführer serviert gehabt habe. Der Beschwerdeführer habe sich mit dem Auto vor den anderen Mitarbeitern in Sicherheit bringen wollen und dabei zwei Personen umgefahren. Danach sei er "um sein Leben" gerannt.
4.Mit Bescheid vom wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 im Hinblick auf die Gewährung von Asyl und gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt. Darüber hinaus erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG und stellte gemäß § 52 Abs 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Ghana gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs 1a FPG wurde dem Beschwerdeführer keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt und gemäß § 18 Abs 1 Z 1 und 5 BFA-VG einer Beschwerde gegen diese Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz die aufschiebende Wirkung aberkannt.
5.Die vom Beschwerdeführer gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom als unbegründet ab. Das Bundesverwaltungsgericht stellte in Bezug auf das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers und auf Grund der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat fest, dass der Beschwerdeführer in Ghana auf Grund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung nicht verfolgt würde. Der Beschwerdeführer sei im Fall seiner Rückkehr nach Ghana mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner asylrelevanten Verfolgung und keiner wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt. Zudem unterliege der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat keiner realen Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK oder Art 3 EMRK. Ghana gelte zudem gemäß § 1 Z 8 der Herkunftsstaaten-Verordnung als sicherer Herkunftsstaat.
6.Gegen diese Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
Begründend wird dazu im Wesentlichen Folgendes ausgeführt: Das Bundesverwaltungsgericht habe keine mündliche Verhandlung durchgeführt, obwohl dies durch den Beschwerdeführer beantragt worden sei und in der Beschwerde insbesondere die Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheides und die hierin angeführten Widersprüche bestritten worden seien. Zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers sei es notwendig gewesen, dass sich das Bundesverwaltungsgericht einen persönlichen Eindruck des Beschwerdeführers verschaffe und im Rahmen des Parteiengehörs die Gelegenheit zu Äußerung geben werde.
7.Das Bundesverwaltungsgericht legte die Gerichts- und Verwaltungsakten der belangten Behörde im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof vor und sah von der Erstattung einer Gegenschrift ab.
II.Erwägungen
1.Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
2.Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hierfür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
3.Solche Fehler sind dem Bundesverwaltungsgericht im konkreten Fall unterlaufen:
In der – ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergangenen – angefochtenen Entscheidung stützt sich das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen auf die vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl getroffenen Feststellungen sowie dessen Beweiswürdigung.
Die beweiswürdigenden Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichtes beschränken sich darauf, dass den beweiswürdigenden Erwägungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in der Beschwerde nicht substantiiert entgegentreten werde. Der Beschwerdeführer habe dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Grunde einen anderen Fluchtgrund als bei seiner Erstbefragung genannt, wobei von einer bloßen Konkretisierung keine Rede sein könne.
Auch in der rechtlichen Beurteilung beschränken sich die auf die behauptete Verfolgung des Beschwerdeführers konkret bezogenen Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes (zum Spruchpunkt Asyl) auf folgende Formulierungen:
"Der Beschwerdeführer brachte im Administrativverfahren vor, in Ghana der Gefahr staatlicher Verfolgung ausgesetzt zu sein, da er im Verdacht stehe, seinen ehemaligen Arbeitgeber umgebracht zu haben. Diesem Vorbringen war jedoch, wie in der Beweiswürdigung dargelegt wurde, die Glaubwürdigkeit abzusprechen."
Da sich die Begründung der angefochtenen Entscheidung in der Wiedergabe und dem Verweis auf die verwaltungsbehördlichen Erhebungen erschöpft und eine eigenständige Auseinandersetzung zu den entscheidungsrelevanten Umständen fehlt, wird den nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes statuierten Anforderungen an eine verwaltungsgerichtliche Entscheidung nicht entsprochen (vgl ).
Das Bundesverwaltungsgericht geht hinsichtlich des Fluchtgrundes der staatlichen Verfolgung des Beschwerdeführers von der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens aus, ohne sich mit dem Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers eigenständig auseinanderzusetzen. Das Bundesverwaltungsgericht schloss sich vielmehr in diesem Punkt – ohne weitergehende Prüfung – durch Übernahme der im Bescheid getroffenen Ausführungen der Ansicht des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl an. Da die Entscheidung die eigene Auseinandersetzung mit dem Fluchtvorbringen vermissen lässt, ist sie mit Willkür belastet (vgl VfSlg 18.861/2009 mwN).
III.Ergebnis
1.Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI BVG zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung verletzt worden.
2.Das Erkenntnis ist daher bereits aus diesem Grund aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3.Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4.Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe (auch) im Umfang des § 64 Abs 1 Z 1 lita ZPO genießt.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:VFGH:2019:E2538.2019 |
Schlagworte: | Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, Rückkehrentscheidung |
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