VfGH vom 27.11.2019, E2522/2018

VfGH vom 27.11.2019, E2522/2018

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz eines iranischen Staatsangehörigen; keine hinreichende Klärung des Sachverhalts hinsichtlich der Glaubwürdigkeit des Glaubensabfalls

Spruch

I.Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht gemäß Art 47 Abs 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II.Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.Der Beschwerdeführer, ein iranischer Staatsangehöriger, stellte nach seiner Einreise in das Bundesgebiet am einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.1.In der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, dass er im Herkunftsstaat "religiöse Probleme" gehabt habe. Er habe vor zwölf Jahren das Christentum kennengelernt und sei vom Regime seines Herkunftsstaates verhaftet worden und habe zwei Monate im Gefängnis verbracht. Zudem sei er telefonisch bedroht worden. Da er sich nicht mehr sicher gefühlt habe, habe er den Herkunftsstaat verlassen.

1.2.In der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, dass er auf Grund seiner Konvertierung zum Christentum aus seinem Herkunftsstaat geflohen sei. Diese werde mit dem Tod bestraft. Er sei zweimal telefonisch bedroht worden und habe auch versucht, Freunde und Bekannte zu missionieren, was ebenfalls mit der Todesstrafe bedroht werde. In Österreich besuche er nunmehr einen Taufvorbereitungskurs. Auf Nachfrage, was die Hostie und der Rotwein im Rahmen eines christlichen Gottesdienstes symbolisierten, habe der Beschwerdeführer geantwortet, dass Jesus gesagt habe, das Brot sei sein Körper und der Wein sein Blut. Am Karfreitag sei Jesus gekreuzigt worden. Der Beschwerdeführer habe darüber hinaus das "Vater unser" sinngemäß wiedergeben können.

2.Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies mit Bescheid vom den Antrag auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten als auch eines subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkte I. und II.). Es erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass die Abschiebung in den Iran zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe nicht habe glaubhaft machen können. Von einer Konversion sei nicht auszugehen, weil es hiefür keine Anhaltspunkte gebe. Es wäre zu erwarten gewesen, dass sich der Beschwerdeführer entsprechendes Fachwissen angeeignet habe, was im vorliegenden Fall nicht erkennbar sei. Der Beschwerdeführer sei bei seiner Rückkehr in den Iran keiner besonderen Gefährdung ausgesetzt und zudem ein gesunder, arbeitsfähiger Mann, der noch über Angehörige im Herkunftsstaat verfüge.

3.In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht führte der Beschwerdeführer zusammengefasst aus, dass er als konvertierter Christ im Iran gefährdet sei, verfolgt zu werden. Er sei vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nur mangelhaft zu seinen Fluchtgründen befragt worden. Zudem werde ihm auf Grund seiner Teilnahme an regierungskritischen Demonstrationen eine regimefeindliche Gesinnung unterstellt. Er sei einer besonderen Gefährdung ausgesetzt. Der Beschwerdeführer beantragte – unter anderem – die Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung.

4.Das Bundesverwaltungsgericht wies diese Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom als unbegründet ab.

4.1.Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht auf das Wesentliche zusammengefasst aus, dass dem Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich seiner Konversion zum christlichen Glauben keine Glaubhaftigkeit zukomme. Er könne insgesamt nicht den Eindruck vermitteln, dass es sich bei seinen Angaben um ein tatsächlich erlebtes Geschehen handle. Gegen eine Konversion spreche zudem, dass der Beschwerdeführer nicht in der Lage gewesen sei, nähere Inhalte hinsichtlich des Christentumes wiederzugeben. Es sei unverständlich, warum der Beschwerdeführer nicht in der Lage gewesen sei, ein größeres Wissen zum Christentum zu erwerben. Sein Vorbringen zu einer Missionierungstätigkeit im Herkunftsstaat sei als reine Schutzbehauptung zu werten.

4.2.Das Absehen von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung begründete das Bundesverwaltungsgericht unter Verweis auf § 21 Abs 7 BFA-VG damit, dass der Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde im vorliegenden Fall vollständig erhoben worden sei und zum Zeitpunkt der Entscheidung die notwendige Aktualität aufweise. Mängel im Ermittlungsverfahren und in der Beweiswürdigung der Behörde seien nicht zu Tage getreten. Hinzu komme, dass sich das erkennende Gericht den tragenden Erwägungen der Behörde anschließe. In der Beschwerde seien keine relevanten Sachverhaltselemente behauptet worden und es seien alle zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechenden Fakten in die Entscheidung mit einbezogen worden, sodass keine Notwendigkeit der Erörterung des Sachverhaltes mit dem Beschwerdeführer vorliege. Hinzu komme, dass das erkennende Gericht zu dem Schluss gelange, dass das gegenständliche Vorbringen unzweifelhaft nicht den Tatsachen entspreche. Eine Verhandlung habe daher unterbleiben können.

5.Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in welcher der Beschwerdeführer eine Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht gemäß Art 47 GRC sowie auf Glaubens- und Gewissensfreiheit gemäß Art 9 EMRK behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt. Er beantragte zudem, der Beschwerde gemäß § 85 VfGG die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Begründend wird in der Beschwerde zusammengefasst ausgeführt, dass sich das Bundesverwaltungsgericht unmittelbar einen Eindruck in einer mündlichen Verhandlung verschaffen hätte müssen, zumal das Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich einer Konversion zum Christentum während des gesamten Verfahrens konsistent geblieben sei. Darüber hinaus habe das Bundesverwaltungsgericht die Kenntnisse des Beschwerdeführers hinsichtlich des Christentumes nahezu gänzlich unbeachtet gelassen. Den diesbezüglichen Feststellungen liege insgesamt eine offensichtlich opportunistische Beweiswürdigung zu Grunde, da ausschließlich negativ beantwortete Fragen herangezogen und positiv beantwortete Fragen völlig unbeachtet gelassen worden seien. Es sei auch nicht begründet worden, warum diese nicht die innere Überzeugung des Beschwerdeführers belegen könnten.

6.Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom wurde dem Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, gemäß § 85 Abs 2 und 4 VfGG Folge gegeben.

7.Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift bzw Äußerung jedoch abgesehen.

II.Erwägungen

Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

1.Für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht regelt § 21 Abs 7 BFA–VG den Entfall der mündlichen Verhandlung. Das Absehen von einer mündlichen Verhandlung steht – sofern zuvor bereits ein Verwaltungsverfahren stattgefunden hat, in dessen Rahmen Parteiengehör gewährt wurde – jedenfalls in jenen Fällen im Einklang mit Art 47 Abs 2 GRC, in denen der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen tatsachenwidrig ist (vgl VfSlg 19.632/2012).

Das Absehen von einer mündlichen Verhandlung, wenn diese zur Gewährleistung einer, den Anforderungen des Art 47 Abs 2 GRC an ein faires Verfahren entsprechenden Entscheidung des erkennenden Gerichtes geboten ist, stellt aber eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht gemäß Art 47 Abs 2 GRC dar ( ua; , U1257/2012; , U2529/2013).

2.Eine solche Verletzung von Art 47 Abs 2 GRC ist dem Bundesverwaltungsgericht hier anzulasten:

Das Bundesverwaltungsgericht leitet die mangelnde innere Überzeugung des Beschwerdeführers, Christ sein zu wollen und damit seine Auffassung, dass im vorliegenden Fall von einer Scheinkonversion auszugehen sei, im Wesentlichen aus den Antworten des Beschwerdeführers in der niederschriftlich festgehaltenen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl auf die dortigen Fragen zu seinen Kenntnissen zum Christentum her.

Für die Beurteilung, ob es sich bei der Konversion des Beschwerdeführers um eine Scheinkonversion handelt, kommt der Frage der inneren (Glaubens-)Überzeugung des Beschwerdeführers maßgebliche Bedeutung zu (vgl VfSlg 19.837/2013; ; , U2193/2013; , E3296/2017). Für diese Beurteilung ist insbesondere der persönliche Eindruck des Beschwerdeführers wesentlich. Einen solchen Eindruck vermag vor dem Hintergrund des hier vorliegenden Falles aber nur eine Einvernahme in einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht zu vermitteln.

Im vorliegenden Fall, in dem die Entscheidung über das Vorliegen eines Asylgrundes wesentlich von der Glaubwürdigkeit des Asylwerbers in Bezug auf seine innere Einstellung, nämlich hier seiner religiösen Überzeugung, abhängt, für deren Beurteilung der persönliche Eindruck maßgeblich ist, verlangt Art 47 Abs 2 GRC, dass sich das erkennende Gericht selbst unmittelbar in einer mündlichen Verhandlung diesen Eindruck verschafft (vgl in diesem Zusammenhang EGMR , Fall Helmers, Appl 11.826/85, Rz 37, zum Gebot der öffentlichen mündlichen Verhandlung im Rechtsmittelverfahren; weiters mwN VfSlg 19.632/2012). Indem das Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Fall die mündliche Verhandlung unterlassen hat, unterstellt es § 21 Abs 7 BFA-VG einen mit Art 47 Abs 2 GRC nicht zu vereinbarenden Inhalt und verletzt damit den Beschwerdeführer in seinem durch diese Bestimmung verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht.

III.Ergebnis

1.Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht gemäß Art 47 Abs 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verletzt worden.

2.Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3.Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4.Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VFGH:2019:E2522.2018
Schlagworte:
Asylrecht, Verhandlung mündliche, Ermittlungsverfahren, Rückkehrentscheidung, EU-Recht

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