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VfGH vom 13.12.2017, E2497/2016 ua

VfGH vom 13.12.2017, E2497/2016 ua

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Außerachtlassung der aktuelleren Rechtsprechung des VwGH zur asylrelevanten Zwangsrekrutierung eines afghanischen Staatsangehörigen durch die Taliban sowie Nichtberücksichtigung dieses Vorbringens beim subsidiären Schutz; Unterlassung jeglicher Ermittlungen zum subsidiären Schutz des minderjährigen Drittbeschwerdeführers

Spruch

I.Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Das angefochtene Erkenntnis wird aufgehoben.

II.Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 3.008,40 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.Der Erstbeschwerdeführer ist Ehepartner der Zweitbeschwerdeführerin. Sie sind Eltern des im Jahr 2014 geborenen Drittbeschwerdeführers. Die Beschwerdeführer sind afghanische Staatsangehörige, gehören der Volksgruppe der Araber an und lebten bis zu ihrer Ausreise in der Provinz Baghlan. Die Beschwerdeführer reisten Ende Oktober 2015 nach Österreich und stellten am Anträge auf internationalen Schutz.

2.Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom wurden die Anträge der Beschwerdeführer hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen, ihnen der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zuerkannt, kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, gegen sie eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei; für die freiwillige Ausreise wurde eine Frist von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gesetzt.

3.Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom bestätigte das Bundesverwaltungsgericht die Bescheide des BFA nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zur Gänze. Im Wesentlichen begründet das Bundesverwaltungsgericht sein Erkenntnis wie folgt:

"1.2. Feststellungen zum Herkunftsstaat:

[...]

Baghlan

Im Zeitraum 1.1. — wurden in der Provinz Baghlan, 354 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO ).

Baghlan liegt im Nordosten Afghanistans und wird als eine der industriellen Provinzen Afghanistans gesehen. Sie ist von strategischer Bedeutung, da sie an sieben weitere Provinzen, inklusive Kabul, grenzt. Baghlan hat 14 administrative Bezirke, inklusive der Provinzhäuptstadt Puli Khumri: Kinjan, Dushi, Banu, Dih Salah, Puli Hisar, Jilgah, Khost, Talawa Barfak, Farang, Guzargah-a-Noor, Nahrin, Burkah und Dahana-i-Ghori. Im Nordosten grenzt sie an die Provinzen Panjsher, Takhar und Kundoz, im Westen an Samangan und Bamyan, im Süden grenzt sie an die Provinz Parwan (Pajhwok o.D.h). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 910.784 geschätzt (UN OCHA ).

Am wurde ein Waffenstillstandsabkommen betreffend den Bezirk Pul-e Kumri (Dorf Dand-e Ghori), vom Minister für Stammes- und Grenz-angelegenheiten, dem Gouverneur der Provinz Baghlan und Stammesältesten unterzeichnet. Es wurde berichtet, dass dies das erste Waffenstillstandsabkommen mit Unterstützung der afghanischen Regierung sei, welches vorschrieb, dass weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch die Taliban, militärische Operationen in dieser Gegend durchführen dürfen. Eine unmittelbare Reduzierung gewalttätiger Zusammenstöße wurde registriert (UN GASC ).

Mehr als 1.200 Aufständische, die sich in Baghlan dem Friedensprozess angeschlossen haben, wurden mit Arbeitsmöglichkeiten versorgt. Der Großteil der Rebellen, die der Gewalt abgeschworen haben, waren Mitglieder der Taliban und der Hezb-e Islami (Pajhwok ). Etwa 1.000 illegale Bewaffnete sind in drei Teilen der Provinz aktiv. Die Regierung warnte davor Handlungen zu setzen, ansonsten würden diese Männer sich Rebellengruppen anschließen (Tolonews ).

Seit Herbst 2014 wird beobachtet, dass IMU (Islamic Movement of Uzbekistan) hinter erbitterten Kämpfen und steigender Gewalt in verschiedenen Provinzen, wie Zabul, Baghlan, Kunduz, Badakhshan, Takhar, Faryab, Jowzjan und Badghis steht. Sechs dieser Provinzen grenzen an Tadschikistan, Usbekistan und Turkmenistan. Besonders die langjährige Loyalität zu den Taliban, hat IMUdabei geholfen Schutzgebiete im Norden Afghanistans zu bilden (Gandhara ). Im April 2015 aber, hat ein Zweig von IMU dem IS bedingungslose Loyalität geschworen (CTC ; vgl. Tolonews ).

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt um manche Gegenden von Terroristen zu befreien (Pajhwok ; Tolonews ; Tolonews ).

[...]

1.2.3. Gutachten des länderkundigen Sachverständigen Dr. ****** im Rahmen einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vom :

[...]

Die Städte Mazar-e Sharif, Kabul, Herat, Bamiyan zählen derzeit zu relativ sicheren Städten Afghanistans. Der Grund liegt darin, dass die Sicherheitsmaßnahmen in diesen Städten seitens der Behörde und der ausländischen Truppen erhöht worden sind. Aber sie bieten fremden Menschen, d.h. Menschen aus anderen Provinzen keine Arbeitsmöglichkeit, aber auch keine Wohnmöglichkeit, wenn die Fremden keine Verwandten dort haben oder wenn sie keinen Arbeitsplatz vorweisen können.

[...]

1.2.4. Gutachten des länderkundigen Sachverständigen Dr. ****** im Rahmen einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vom :

[...]

[…] Ich möchte bei der Gelegenheit darauf hinweisen, dass die Sicherheitslage in den meisten Provinzen Afghanistans prekär bis sehr prekär ist, aber in folgenden Großstädten ist die Sicherheitslage insofern besser, weil die Taliban zwar vereinzelt Anschläge in diesen Städten verüben können, aber nicht in der Lage sind in diesen Städten bestimmte Bezirke einzunehmen und für eine Weile unter ihrer Kontrolle zu halten. Das sind: Kabul, Mazar-e Sharif, Herat und Bamiyan.

[…]

2. Beweiswürdigung:

[…]

Der Erstbeschwerdeführer hat sowohl vor dem BFA als auch vor dem Bundesverwaltungsgericht angegeben, auf Grund der schlechten Sicherheitslage in Afghanistan geflüchtet zu sein. Außerdem seien sie nach Österreich gekommen, weil sie in Freiheit leben wollten. Sie hätten selbst keine Schulbildung bekommen und möchten, dass ihre Kinder In Österreich eine Bildung bekommen. Ferner gab der Erstbeschwerdeführer an, auf Grund von Rekrutierungsversuchen durch die Taliban geflohen zu sein. Auf die Frage des Bundesverwaltungsgerichtes, ob er jemals persönlich von den Taliban bedroht worden sei, verwies der Erstbeschwerdeführer wiederum auf die Tatsache, dass die Taliban von ihm verlangt hätten, mit ihnen in den Krieg zu ziehen.

Weder mit dem Vorbringen bezüglich schlechter Sicherheitslage, noch mit jenen betreffend Zwangsrekrutierungen durch die Taliban, zeigt der Erstbeschwerdeführer eine asylrelevante Verfolgung auf (zur Zwangsrekrutierungen siehe unten 3., rechtliche Beurteilung). Aus dem Vorbringen, wonach der Erstbeschwerdeführer in Österreich in Freiheit leben wolle bzw. dessen Kinder eine Bildung ermöglich[t] werden sollte, folgt vielmehr, dass der Erstbeschwerdeführer aus rein wirtschaftlichen Gründen nach Österreich geflohen ist.

[…]

3. Rechtliche Beurteilung:

[…]

1.a) Zu den Beschwerden gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide:

[…]

Zudem ist anzumerken, dass der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide — unabhängig von der Glaubwürdigkeit des Vorbringens — schon deshalb der Erfolg versagt bleibt, weil eine Verfolgung aus Gründen wie in der GFK genannt, gar nicht vorliegt. Die Beschwerdeführer werden nicht wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität oder wegen ihrer politischen Gesinnung verfolgt.

Zum Vorbringen des Erstbeschwerdeführers betreffend Rekrutierung Taliban ist festzuhalten, dass diese behauptete Furcht vor Verfolgung für sich alleine genommen in keinem kausalen Zusammenhang mit einem in der GFK der abschließend genannten Verfolgungsgründe (Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmen sozialen Gruppe, politische Gesinnung) steht. Bei der behaupteten Gefahr einer Zwangsrekrutierung von afghanischen Männern durch bewaffnete Kämpfer der Taliban handelt es sich weder um eine von einer staatlichen Behörde Afghanistans ausgehende noch um eine dem afghanischen Staat zurechenbare Verfolgung, die von den staatlichen Einrichtungen allenfalls auch geduldet würde (siehe BVwG , W163 1425271-1/9E; siehe dazu auch BVwG , W123 1436728-1/6E). Auch aus den Angaben des Erstbeschwerdeführers im Verfahren ergibt sich vielmehr, dass die Taliban in jenen Teilen Afghanistans, in denen sie nach wie vor präsent und aktiv sind, in einzelne Dörfer gegangen waren, um dort offenbar wahllos männliche Kämpfer für ihren 'Heiligen Krieg' gegen die afghanische Regierung bzw. gegen die im Land befindlichen internationalen Truppen zu rekrutieren.

Auch der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom , 95/19/0077, ausgeführt, dass aus dem Vorgang einer Zwangsrekrutierung alleine für den Asylwerber nichts zu gewinnen sei, weil eine solche ihm drohende Gefahr ausschließlich aus seinem Geschlecht und Alter resultiere und deshalb nicht unter den (mit § 3 AsylG identen) Flüchtlingsbegriff des § 1 Abs 1 Asylgesetz 1991 fiele (siehe dazu auch die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom , 98/20/0280, vom , 99/20/0203 und vom , 99/20/0373 mit gleichem Inhalt).

[…]

1.b) Zu den Beschwerden gegen Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide:

[...]

Zunächst ist vorauszuschicken, dass der Erstbeschwerdeführer sowohl in seiner Heimatprovinz Baghlan, als auch in Balkh, konkret in Mazar-e-Sharif, familiäre Anknüpfungspunkte hat (vgl. seine Aussagen vor dem Bundesverwaltungsgericht). Zudem hat er vor dem BFA selbst zugestanden, dass die Sicherheitslage in Mazar-e-Sharif 'mit Sicherheit am besten' ist ('Freilich könnte man dort eine Arbeit finden.').

Aus den vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen ergibt sich, dass weder die Provinz Baghlan, noch die Provinz Balkh — im Vergleich zu anderen Provinzen – als derart unsicher qualifiziert werden können, dass es einem Beschwerdeführer von vornherein verunmöglicht würde, dorthin zurück zu gelangen. Das gilt insbesondere für die Hauptstadt von Balkh, Mazar-e-Sharif, die über eine vergleichsweise gute Infrastruktur mit dem Bestehen eines Flughafens, der für den zivilen Flugverkehr geeignet ist, verfügt.

Zudem ist nicht zu erkennen, dass den Beschwerdeführern im Falle einer Rückkehr die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art 3 EMRK überschritten wäre (vgl. diesbezüglich das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 2003/01/0059, zur 'Schwelle' des Art 3 EMRK), haben doch die Beschwerdeführer selbst nicht ausreichend konkret vorgebracht, dass ihnen im Falle einer Rückführung nach Afghanistan jegliche Existenzgrundlage — im Sinne des bereits zitierten Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom , 2003/01/0059 — fehlen würde und sie in Ansehung existenzieller Grundbedürfnisse (wie etwa Versorgung mit Lebensmittel oder Unterkunft) einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wären.

Die Beschwerdeführer sind gesund und arbeitsfähig, sodass bei ihnen die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann. Es ist daher anzunehmen, dass sie im Herkunftsstaat in der Lage sein werden, sich ein ausreichendes Auskommen zu sichern und somit nicht in eine hoffnungslose Lage kommen werden. Darüber hinaus leben Familienangehörige des Erstbeschwerdeführes in Baghlan und Mazar-e-Sharif. Zu diesen besteht nach wie vor Kontakt. Es kann somit davon ausgegangen werden, dass für den Erstbeschwerdeführer samt Gattin und Kind im Fall der Rückkehr im Rahmen seines Familienverbandes jedenfalls eine wirtschaftliche und soziale Unterstützung (zunächst vor allem mit Wohnraum und Nahrung) zukommt.

Auch die Stellungnahme der Beschwerdeführer vom zur aktuellen Sicherheitslage vermag an diesem Ergebnis nichts zu ändern. Die Behauptung, wonach sich die Sicherheitslage in Kabul verschlechtert habe, ist für den vorliegenden Sachverhalt ohne Belang, da die Familienangehörigen der Beschwerdeführer in Baghlan und in Mazar-e-Sharif beheimatet sind und somit eine allfällige Rückkehr nach Kabul gar nicht in Betracht zu ziehen ist. Die Beschwerdeführer verwiesen auf ein Gutachten des länderkundigen Sachverständigen Dr. ****** vom , wonach die Sicherheitslage in Afghanistan 'derzeit' sehr prekär sei. Dem stehen jedoch zwei aktuelle Ländergutachten von Dr. ****** aus dem Jahr 2016 gegenüber (vgl. Feststellungen), aus denen insbesondere hervorgeht, dass die Städte Mazar-e Sharif, Kabul, Herat, Bamiyan derzeit zu relativ sicheren Städten Afghanistans zählen. In Mazar-e Sharif wohnt — wie bereits festgehalten — der Onkel des Erstbeschwerdeführers. Ferner stellte Dr. ****** im Gutachten vom folgendes fest: 'Ich möchte bei der Gelegenheit darauf hinweisen, dass die Sicherheitslage In den meisten Provinzen Afghanistans prekär bis sehr prekär ist, aber in folgenden Großstädten ist die Sicherheitslage insofern besser, weil die Taliban zwar vereinzelt Anschläge in diesen Städten verüben können, aber nicht in der Lage sind in diesen Städten bestimmte Bezirke einzunehmen und für eine Weile unter ihrer Kontrolle zu halten. Das sind: Kabul, Mazar-e Sharif, Herat und Bamiyan.'

Im gegenständlichen Fall haben sich in einer Gesamtschau der Angaben der Beschwerdeführer und unter Berücksichtigung der zur aktuellen Lage in Afghanistan herangezogenen Erkenntnisquellen keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend ergeben, wonach die unmittelbar nach erfolgter Rückkehr allenfalls drohenden Gefahren nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht wären, dass sich daraus bei objektiver Gesamtbetrachtung für den Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit das reale Risiko einer derart extremen Gefahrenlage ergeben würde, die im Lichte der oben angeführten Rechtsprechung einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Art 3 EMRK darstellen und somit einer Rückführung nach Afghanistan entgegenstehen würde. Die bloße Möglichkeit einer allenfalls drohenden extremen (allgemeinen) Gefahrenlage in Afghanistan reicht nicht aus, sondern es müssen vielmehr konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde ( Zl. 98/21/0427; , Zl. 2002/18/0028; konkret zu Afghanistan: zB Urteil des deutschen Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. BVerwG 10 C 10.09; weiters EGMR , N. gg. Schweden, ZI. 23505/09, Rz 52ff; , Husseini gg. Schweden, ZI. 10611/09, Rz 84; , J.H. gg. Vereinigtes Königreich, Zl. 48839/09, Rz 55).

Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würden die Beschwerdeführer somit nicht in Rechten nach Art 2 und 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische MenschenrechtskonventionEMRK), BGBl Nr 210/1958 idgF, oder ihren relevanten Zusatzprotokollen Nr 6 über die Abschaffung der Todesstrafe, BGBl Nr 138/1985 idgF, und Nr 13 über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe, BGBl III Nr 22/2005 idgF, verletzt werden. Weder droht im Herkunftsstaat durch direkte Einwirkung noch durch Folgen einer substanziell schlechten oder nicht vorhandenen Infrastruktur ein reales Risiko einer Verletzung der oben genannten von der EMRK gewährleisteten Rechte.

Dasselbe gilt für die reale Gefahr, der Todesstrafe unterworfen zu werden. Auch Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für den Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen.

[...]"

(Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

4.Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungs-gesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander und in den Rechten nach Art 2 und 3 EMRK, behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

Begründend wird in der Beschwerde insbesondere auch Folgendes ausgeführt:

"5.7. Doch auch der Ansicht des BVwG auf Erkenntnisseite 45, dass eine Zwangsrekrutierung durch die Taliban in keinem kausalen Zusammenhang mit der GFK stehe, ist entschieden zu widersprechen und wird diesbezüglich auf die höchstgerichtliche Judikatur verwiesen (vgl. E Zl. Ra 2014/01/0094 sowie E vom Zlen. 2014/18/00103 bis 0106-7).

Auch mit dieser Judikatur hat sich das BVwG nicht auseinander[gesetzt] und erweist sich die bekämpfte Entscheidung auch aus diesem Grunde als grob rechtswidrig."

5.Das Bundesverwaltungsgericht legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor, nahm aber von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.

II.Erwägungen

1.Die – zulässige – Beschwerde ist im Ergebnis begründet.

2.Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestim-mung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Ver-waltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkom-mens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3.Derartige in die Verfassungssphäre reichende Fehler sind dem Bundesverwaltungsgericht bei der Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz unterlaufen:

3.1. Der Erstbeschwerdeführer gab sowohl vor dem BFA als auch vor dem Bundesverwaltungsgericht an, insbesondere auch auf Grund von Rekrutierungsversuchen durch die Taliban geflohen zu sein. Das Bundesverwaltungsgericht stellt dieses Vorbringen nicht in Frage und begründet im Rahmen der Beurteilung der Frage des Status eines Asylberechtigten die Nichtberücksichtigung des Vorbringens damit, "dass diese behauptete Furcht vor Verfolgung für sich alleine genommen in keinem kausalen Zusammenhang mit einem in der GFK der abschließend genannten Verfolgungsgründe (Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, politische Gesinnung) steht". Es stützt diese Aussage auf Judikate des Bundesverwaltungsgerichts aus Juni bzw. Juli 2014 und des Verwaltungsgerichtshofs aus den Jahren 1999 und 2000 (u.a. ). Dabei übersieht – wie in der Beschwerde zu Recht vorgebracht wird – das Bundesverwaltungsgericht, dass der Verwaltungsgerichtshof spätestens mit Erkenntnis vom , Z Ra 2014/18/0103 bis 0106, seine Judikatur im Hinblick auf die Zwangsrekrutierung durch die Taliban modifiziert hat:

In seiner bisherigen Rechtsprechung hat der Verwaltungsgerichtshof

"von der – nicht asylrelevanten – Zwangsrekrutierung durch eine Bürgerkriegspartei (vgl. etwa , vom , 99/20/0373, und vom , 2006/19/0387) jene Verfolgung unterschieden [...], die an die tatsächliche oder nur unterstellte politische Gesinnung anknüpft, die in der Weigerung, sich den Rekrutierenden anzuschließen, gesehen wird. Auf das Auswahlkriterium für die Zwangsrekrutierung selbst kommt es in einem solchen Fall nicht an (vgl. , mwN).

5. Dementsprechend greift die Beurteilung des BVwG, die Zwangsrekrutierung durch die Taliban könne "potentiell alle Menschen im Heimatgebiet" der revisionswerbenden Parteien treffen und sei nicht mit einer besonderen Eigenschaft begründet, zu kurz. Entscheidend ist vielmehr, mit welchen Reaktionen der Taliban die revisionswerbenden Parteien (also auch die Familienangehörigen des von der versuchten Zwangsrekrutierung unmittelbar betroffenen Zweitrevisionswerbers) aufgrund ihrer Weigerung, sich dem Willen der Rekrutierenden zu beugen, rechnen müssen und ob in ihrem Verhalten eine – sei es auch nur unterstellte – politische oder religiöse oppositionelle Gesinnung erblickt wird."

Diese Aussage war zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses schon zur ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geworden (, Ra 2014/18/0090; , Ra 2014/18/0168; , Ra 2015/01/0089; , Ra 2014/01/0243; , Ra 2015/01/0069; , Ra 2015/01/0079). Das Bundesverwaltungsgericht hat in der angefochtenen Entscheidung diese Judikatur dennoch nicht berücksichtigt und seiner Entscheidung die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes aus den Jahren 1999 und 2000 zugrunde gelegt.

Es ist im Prinzip nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofes, dieses Abweichen aufzugreifen. Dafür sieht Art 133 Abs 4 B-VG die Revision an den Verwaltungsgerichtshof vor. Verfassungsrechtlich relevant wird dieser Rückgriff des Bundesverwaltungsgerichts auf die längst überholte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes aber dadurch, dass das Bundesverwaltungsgericht das Vorbringen der Zwangsrekrutierung auch bei der Beurteilung des subsidiären Schutzes nicht berücksichtigt, ja nicht einmal erwähnt (– im Anlassfall zu Ra 2014/18/0103 bis 0106 hatte das Bundesverwaltungsgericht der allfälligen Gefährdung durch die drohende Zwangsrekrutierung zumindest noch mit der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten Rechnung getragen). Das Bundesverwaltungsgericht hat also einerseits die Rechtslage (bei der Anwendung des § 3 AsylG 2005) verkannt und andererseits gleichzeitig das Parteienvorbringen der Zwangsrekrutierung (bei der Anwendung des § 8 AsylG 2005) ignoriert, es hat damit den Erstbeschwerdeführer betreffend sowohl bei der Beurteilung des Status eines Asylberechtigten als auch des eines subsidiär Schutzberechtigten Willkür geübt.

4.Bei der Beurteilung der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist dem Bundesverwaltungsgericht aber noch ein weiterer, gegen das Willkürverbot verstoßender Fehler unterlaufen:

4.1.Gemäß § 8 Abs 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, dessen Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

4.2.Der Drittbeschwerdeführer ist ein heute dreijähriges Kind. Es ist notorisch, dass Kinder – insbesondere von Rückkehrern – in Afghanistan dem realen Risiko ausgesetzt sein können, einer Art 3 EMRK widersprechenden Behandlung unterworfen zu werden. Der Verfassungsgerichtshof hat dies in seinem (aufhebenden) Erkenntnis vom , E2130-2132/2017, zusammenfassend dargelegt:

"Das Bundesverwaltungsgericht trifft Feststellungen zur Lebenssituation von Kindern in Afghanistan (siehe 3.1.). Aus den Länderberichten geht hervor, dass die Anzahl an Kindern unter den zivilen Opfern um 24% höher als im Vergleichszeitraum des Vorjahres ist; Hauptursache dafür seien Munitionsrückstände. Außerdem ist den Länderberichten zu entnehmen, dass körperliche Übergriffe im familiären Umfeld, in Schulen oder durch die afghanische Polizei verbreitet sind. Laut Länderinformationen fehlt es an dauerhaften und durchsetzungsfähigen Mechanismen um dieses Gewaltpotenzial einzudämmen. Auch sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen sei nach wie vor ein großes Problem, das tabuisiert und verharmlost werde. Die Länderberichte nennen Kinderarbeit als tiefgreifendes Problem, von dem rund die Hälfte aller Kinder betroffen ist. Abschließend stellt das Bundesverwaltungsgericht fest, dass viele Kinder unterernährt seien und ca. 10 % der Kinder vor ihrem fünften Geburtstag sterben würden."

4.3.Das Bundesverwaltungsgericht hat in diesem entscheidenden Punkt, ob dem zum Zeitpunkt der Entscheidung zweijährigen Drittbeschwerdeführer, im Fall einer Rückkehr, eine Verletzung seiner gemäß Art 2 und 3 EMRK gewährleisteten Rechte droht, aber jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen. Die Länderberichte enthalten keine Sachverhaltsdarstellung zu dieser Frage. Eine Auseinandersetzung dazu findet überhaupt nicht statt. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zum subsidiären Schutz ist daher, in Bezug auf den Drittbeschwerdeführer, begründungslos ergangen.

5.Soweit das angefochtene Erkenntnis die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten an den Erstbeschwerdeführer und die Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten an den Erst- und den Drittbeschwerdeführer und – daran anknüpfend – die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung bzw. der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan unter Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise ausspricht, ist es somit mit Willkür behaftet. Dieser Mangel schlägt gemäß § 34 Abs 4 AsylG 2005 auf die Entscheidungen betreffend die jeweils anderen Beschwerdeführer durch (VfSlg 19.855/2014, ua.) und belastet auch diese mit (objektiver) Willkür (etwa VfSlg 19.401/2011 mwN). Daher ist das Erkenntnis hinsichtlich aller Beschwerdeführer zur Gänze aufzuheben (vgl. ).

III.Ergebnis

1.Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

2.Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3.Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 bzw. § 19 Abs 3 Z 1 iVm § 31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4.Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 501,40 enthalten. Da die Beschwerdeführer gemeinsam durch einen Rechtsanwalt vertreten sind, ist der einfache Pauschal-satz, erhöht um einen entsprechenden Streitgenossenzuschlag, zuzusprechen.

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ECLI:
ECLI:AT:VFGH:2017:E2497.2016
Schlagworte:
Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren

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