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VfGH vom 06.10.2020, E2406/2020

VfGH vom 06.10.2020, E2406/2020

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechten durch Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz eines Staatsangehörigen von Afghanistan; zumutbare Rückkehr in den Herkunftsstaat trotz Übersiedelung im Kindesalter nach Pakistan und auf Grund kurzzeitiger Rückkehr nach Afghanistan im Erwachsenenalter; ausreichende Auseinandersetzung mit der COVID-19-Pandemie

Spruch

I.Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

II.Die Beschwerde wird abgewiesen und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber abgetreten, ob der Beschwerdeführer durch das angefochtene Erkenntnis in einem sonstigen Recht verletzt worden ist.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist ein im Jahr 1987 geborener afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen. Er bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Der Beschwerdeführer ist in Jalalabad, Afghanistan, geboren und wanderte im Kindesalter – nach eigenen Angaben im fünften oder sechsten Lebensjahr – nach Pakistan aus. Er besuchte in Pakistan eine Schule bis zur achten Klasse und drei Jahre eine afghanische Schule. Zur Finanzierung eines künftigen Medizinstudiums arbeitete der Beschwerdeführer im Erwachsenenalter einige Monate in Paktia, Afghanistan, bei einer Spendenorganisation als Dolmetscher. Im Jahr 2007 reiste der Beschwerdeführer nach Europa und stellte in der Schweiz einen Antrag auf Asylgewährung. Am stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Mit Bescheid vom wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan ab. Einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 erteilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nicht. Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom als unbegründet ab.

3.1. Das Bundesverwaltungsgericht führt darin betreffend die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zusammengefasst aus, dass es dem Beschwerdeführer nicht gelungen sei, eine begründete Furcht vor Verfolgung iSd § 3 AsylG 2005 durch die Taliban auf Grund seiner Tätigkeit als Dolmetscher für die Amerikaner glaubhaft zu machen. Das Vorbringen des Beschwerdeführers sei vage, nicht nachvollziehbar und unschlüssig gewesen. Der Beschwerdeführer habe in wesentlichen Punkten keine gleichbleibenden Angaben gemacht.

3.2. Hinsichtlich der Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten führt das Bundesverwaltungsgericht das Folgende aus:

"Der Beschwerdeführer stammt aus der Provinz Nangarhar, welche zu den volatilen Provinzen in Afghanistan zählt. Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in seine Heimatprovinz die reale Gefahr einer Verletzung des Art 3 EMRK drohen würde.

Daher bleibt zu prüfen, ob der Beschwerdeführer unter Berücksichtigung der dortigen allgemeinen Gegebenheiten und seiner persönlichen Umstände auf eine andere Region des Landes – nämlich Mazar-e Sharif oder Herat - verwiesen werden kann.

Laut dem aktuellen Länderbericht vom gilt die Stadt Herat aufgrund der Nähe zum Iran als der COVID-19-Hotspot Afghanistans und wurden dort die höchste Anzahl bestätigter COVID-19-Fälle registriert. Tagelöhner können aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. In diesem Zusammenhang wird aber festgehalten, dass im vorliegenden Fall für den Beschwerdeführer nicht bloß die Innerstaatliche Fluchtalternative Herat, sondern auch die Innerstaatliche Fluchtalternative Mazar-e Sharif vor dem Hintergrund seiner persönlichen Voraussetzungen geprüft wurde und der aktuelle Länderbericht vom für Mazar-e Sharif von keinem Lockdown in dieser Stadt berichtet.

Mazar-e Sharif verfügt laut den oben zitierten Länderfeststellungen ebenfalls über einen internationalen Flughafen und wird - wie eine Recherche im Internet ergeben hat – von Wien aus von Turkish Airlines mit einem Zwischenstopp in Istanbul angeflogen. Der Beschwerdeführer könnte Mazar-e Sharif aber auch von Kabul aus sicher erreichen: Was die Reise in Gebiete außerhalb der Hauptstadt Kabul betrifft, ist auszuführen, dass angesichts der auf den meisten Hauptverkehrsrouten gestiegenen Unsicherheit grundsätzlich nicht erwartet werden kann, dass afghanische Staatsangehörige von Kabul aus auf dem Landweg durch unsichere Gebiete reisen müssen, um ihren endgültigen (sicheren) Zielort zu erreichen. Im gegenständlichen Fall ist daher festzuhalten, dass dem Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nach Afghanistan die Möglichkeit offensteht, auf dem Luftweg von Kabul nach Mazar-e-Sharif zu gelangen. Es bestehen Flugverbindung zwischen Kabul und Mazar-e Sharif. Kam Air, eine afghanische Fluggesellschaft mit Sitz in Kabul, und Ariana Afghan Airlines, die staatliche Fluggesellschaft Afghanistans mit Sitz in Kabul, bieten für diese Verbindung Flüge an.

[…]

Laut EASO besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum zu mieten. Als Alternative dazu stehen ferner günstige Unterkünfte in Teehäusern zur Verfügung.

Ferner ist medizinische Versorgung in Mazar-e Sharif, sowohl in staatlichen als auch privaten Krankenhäusern verfügbar. Ebenso sind Medikamente grundsätzlich verfügbar. Insgesamt ist es für das Bundesverwaltungsgericht in Bezug auf die Stadt Mazar-e Sharif nicht ersichtlich, dass die Versorgung der afghanischen Bevölkerung dort nicht grundsätzlich gegeben ist.

Nach Art 10 Abs 3 litb der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Verfahrens-Richtlinie) haben die Mitgliedstaaten bei der Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz ua sicherzustellen, dass hierfür genaue und aktuelle Informationen aus verschiedenen Quellen, wie etwa von UNHCR und EASO, eingeholt werden. Die besondere Bedeutung von Berichten von UNHCR und EASO ergibt sich daher schon aus dem Unionsrecht, UNHCR-Richtlinien kommt zudem nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes Indizwirkung zu (vgl ua ; vgl auch ).

EASO prüft in seiner Country Guidance von Juni 2018 spezielle Personenprofile im Hinblick auf die Frage der Zumutbarkeit einer internen Schutzalternative in den afghanischen Städten Mazar-e Sharif, Herat und Kabul. Dabei kommt EASO für das Personenprofil der alleinstehenden, gesunden und erwerbsfähigen Männer, welche früher schon einmal in Afghanistan gelebt haben, zum Ergebnis, dass diesen – verbunden mit bestimmten Härten – eine interne Schutzalternative in diesen Städten zumutbar sein könnte, selbst wenn diese über kein familiäres oder sonstiges Unterstützungsnetzwerk innerhalb des als interne Schutzalternative geltenden Gebiets verfügen würden. Hierbei ist allerdings stets zu prüfen, ob die persönlichen Umstände des Betroffenen, wie etwa sein Alter, Gesundheitszustand, Familienstand oder schulischer und beruflicher Hintergrund, allenfalls zusätzliche Aspekte aufwerfen, die eine besondere Schutzwürdigkeit auslösen.

Im Hinblick auf diese Ausführungen betonen sowohl UNHCR als auch EASO, dass diese immer vor dem Hintergrund einer Einzelfallprüfung zu verstehen sind.

Wie dargelegt reicht es für die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten entsprechend der oben wiedergegeben Judikatur nicht aus, sich bloß auf eine allgemein schlechte Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan zu berufen, sondern es müssen vom Betroffenen auch individuelle Umstände glaubhaft gemacht werden, die im Fall der Rückkehr nach Afghanistan eine reale Gefahr der Verletzung von Art 3 EMRK für maßgeblich wahrscheinlich erscheinen lassen.

[…]

Der Beschwerdeführer wurde in Afghanistan geboren, wuchs in einem afghanisch geprägten Familienverband in Pakistan auf und ist nach Afghanistan zurückgekehrt, um zu arbeiten und zu studieren. Er ist mit den kulturellen Gepflogenheiten in Afghanistan vertraut und spricht eine Landessprache als Muttersprache. Es muss maßgeblich berücksichtigt werden, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen erwachsenen und arbeitsfähigen Mann handelt, der über Schulbildung, Sprachkenntnisse (Englisch, Deutsch) und Arbeitserfahrung verfügt. Bei ihm kann somit die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden. Auf seine Fähigkeiten und Erfahrungen kann er bei einer Neuansiedlung in Mazar-e Sharif zurückgreifen, auf Grund seiner soliden Ausbildung wird es ihm jedenfalls gelingen, sich eine Existenz aufzubauen. Er kann auf Unterstützung durch seine Familie in Pakistan, durch seine Familienangehörigen in Afghanistan sowie den Familienangehörigen in den USA und Deutschland zurückgreifen. Es ist auch davon auszugehen, dass er sich - auch unter Zuhilfenahme verschiedener vorhandener Programme für Rückkehrer - Arbeit und Unterkunft finden sowie eine Existenz wird aufbauen können, auch wenn er mit anfänglichen Schwierigkeiten konfrontiert sein sollte. Es ist vor alledem nicht zu befürchten, dass der Beschwerdeführer aus persönlichen Gründen in Mazar-e Sharif in eine ausweglose oder existenzbedrohende Situation geraten wird.

Auch wenn eine Rückführung zu einer schwierigen Lebenssituation, unter Berücksichtigung der gegenwärtigen Covid-19 Krise bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht führen könnte, wird damit aber entsprechend der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs noch nicht die reale Gefahr existenzbedrohender Verhältnisse und somit eine Verletzung des Art 3 EMRK im Sinne der obigen Rechtsgrundsätze in Bezug auf Mazar-e Sharif dargetan. Den Länderberichten ist jedenfalls zu entnehmen ist, dass Rückkehrprogramme auch derzeit durchgeführt werden und eine Rückkehr des Beschwerdeführers nach Afghanistan nicht wegen COVID-19 verunmöglicht ist.

Die derzeitige Situation rund um den Virus COVID-19 und die weltweite Ausbreitung betrifft nicht nur den Herkunftsstaat, sondern ist dieser Virus aktuell besonders in Europa aktiv. Der Virus COVID-19 vermag jedoch für sich alleine betrachtet noch nicht die Schlussfolgerung zu tragen, dass die Ausweisung in einen von diesem Virus betroffenen Staat automatisch gegen Art 3 EMRK verstoßen würde, zumal auch Österreich, wo sich der BF derzeit aufhält, in einem solchen Ausmaß von diesem Virus betroffen ist, dass vorläufige Maßnahmen für das gesamte Bundesgebiet gesetzlich erlassen wurden. Maßnahmen werden stufenweise an die jeweilige Situation angepasst und unterliegen spontanen Veränderungen. Den Länderberichten ist jedenfalls zu entnehmen ist, dass Rückkehrprogramme auch derzeit durchgeführt werden und eine Rückkehr des Beschwerdeführers nach Afghanistan nicht wegen COVID-19 verunmöglicht ist.

Dafür, dass der Beschwerdeführer in Ansehung existentieller Grundbedürfnisse (zB Nahrung, Unterkunft) einer lebensbedrohlichen Situation ausgesetzt wäre, gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte. Daher wird gesamthaft betrachtet davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer passable Chancen hätte, sich am Arbeitsmarkt in Mazar-e Sharif zu integrieren und dort eine Unterkunft zu finden, also somit in Mazar-e Sharif ein Leben ohne unbillige Härten führen könnte, wie es auch andere Landsleute führen können.

Der Beschwerdeführer hat keine weiteren in seiner persönlichen Situation begründeten, vor allem keine exzeptionellen Umstände aufgezeigt, die dazu führen würden, dass gerade bei ihm ein besonderes Risiko besteht, in Mazar-e Sharif einer der Bestimmungen der EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw sonst eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen."

3.3. Hinsichtlich der Interessenabwägung nach Art 8 Abs 2 EMRK führt das Bundesverwaltungsgericht zusammengefasst aus, die belangte Behörde sei zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet sein persönliches Interesse am Verbleib im Bundesgebiet überwiege und daher durch die Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Rechtes gemäß Art 8 EMRK nicht vorliege.

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, auf Asyl gemäß Art 18 GRC, auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art 8 EMRK sowie im Recht gemäß Art 3 EMRK, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.

Begründend wird dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass das Bundesverwaltungsgericht die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bzw des Verfassungsgerichtshofes nicht berücksichtige, wonach für Afghanen, die ihr ganzes Leben außerhalb von Afghanistan verbracht bzw schon in jungen Jahren Afghanistan verlassen haben, Herat und Mazar-e Sharif als zumutbare innerstaatliche Fluchtalternativen nicht zur Verfügung stünden. Der Beschwerdeführer habe in Afghanistan keine Kernfamilie und kein sonstiges soziales Netzwerk, auf dessen Unterstützung er zurückgreifen könne. Das Bundesverwaltungsgericht nehme weiters auf die Corona-Pandemie und deren Auswirkungen auf Afghanistan und die Verfügbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative überhaupt nicht Bezug.

5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.

II. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist nicht begründet.

1.1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

1.2. Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

2. Ein solches willkürliches Verhalten ist dem Bundesverwaltungsgericht nicht vorzuwerfen:

2.1. Gemäß § 8 Abs 1 AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

2.2. Zur Beurteilung dessen sind vor allem hinreichend aktuelle Länderberichte heranzuziehen; dies betrifft insbesondere Staaten mit sich rasch ändernder Sicherheitslage (vgl etwa VfSlg 19.466/2011; ; , U2557/2012; , U1159/2012 ua; , E1542/2014; , E1641/2016; , E1796/2016; , E2124/2017; zuletzt ). Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang etwa auf die Richtlinien des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (United Nations High Commissioner for Refugees – UNHCR) oder auf die Berichte des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (European Asylum Support Office – EASO). Im Zusammenhang mit der Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative ordnet Art 8 Abs 2 der Richtlinie 2011/95/EU über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Qualifikationsrichtlinie) an, dass genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, wie etwa Informationen des UNHCR oder des EASO, eingeholt werden; diesen misst das Unionsrecht auch sonst besonderes Gewicht bei (vgl zB auch Art 10 Abs 3 litb der Richtlinie 2013/32/EU zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes [Verfahrensrichtlinie] und etwa , Halaf, Rz 44). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl jüngst etwa ; , E4399/2019; , E3835/2019) und des Verwaltungsgerichtshofes (jüngst etwa ) ist diesen Berichten daher besondere Beachtung zu schenken.

2.3. Der Verfassungsgerichtshof geht in Übereinstimmung mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (s etwa EGMR , Fall Soering, EuGRZ1989, 314 [319]; , Fall Vilvarajah ua, ÖJZ1992, 309 [309]; , Fall Hilal, ÖJZ2002, 436 [436 f.]) davon aus, dass die Entscheidung eines Vertragsstaates, einen Fremden in welcher Form immer außer Landes zu schaffen, unter dem Blickwinkel des Art 3 EMRK erheblich werden und demnach die Verantwortlichkeit des Staates nach der EMRK begründen kann, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden sind, dass der Fremde konkret Gefahr liefe, in dem Land, in das er gebracht werden soll, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden (vgl VfSlg 13.837/1994, 14.119/1995, 14.998/1997).

Das Bundesverwaltungsgericht hat weder eine grundrechtswidrige Gesetzesauslegung vorgenommen noch sind ihm grobe Verfahrensfehler unterlaufen, die eine vom Verfassungsgerichtshof aufzugreifende Verletzung des genannten Grundrechtes darstellen (vgl VfSlg 13.897/1994, 15.026/1997, 15.372/1998, 16.384/2001, 17.586/2005). Ob ihm sonstige Fehler bei der Rechtsanwendung unterlaufen sind, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu beurteilen.

3. Das Bundesverwaltungsgericht ist unter Bezugnahme auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, auf die UNHCR-Richtlinien und auf den Länderbericht "Country Guidance: Afghanistan, Guidance note and common analysis" des EASO vom Juni 2018 im konkreten Einzelfall von einer innerstaatlichen Fluchtalternative für den Beschwerdeführer in Mazar-e Sharif und – grundsätzlich auch – Herat ausgegangen.

3.1. Der Länderbericht "Country Guidance: Afghanistan, Guidance note and common analysis" des EASO vom Juni 2018 (die aktuelle Fassung vom Juni 2019 enthält hier keine relevanten Neuerungen) geht davon aus, dass alleinstehenden Männern eine innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Mazar-e Sharif, Herat oder Kabul zumutbar ist, auch wenn es in dem Neuansiedlungsgebiet kein Unterstützungsnetzwerk gibt. Der Länderbericht "Country Guidance" des EASO vom Juni 2018 nimmt dabei aber ausdrücklich jene Gruppe von Rückkehrern aus, die entweder außerhalb Afghanistans geboren wurden oder lange Zeit außerhalb Afghanistans gelebt haben. Eine innerstaatliche Fluchtalternative kommt demnach insbesondere dann nicht in Betracht, wenn am Zielort der aufenthaltsbeendenden Maßnahme kein Unterstützungsnetzwerk für die konkrete Person vorhanden ist, das sie bei der Befriedigung grundlegender existenzieller Bedürfnisse unterstützen könnte, und dass es einer Beurteilung im Einzelfall unter Heranziehung der folgenden Kriterien bedarf: Unterstützungsnetzwerk, Ortskenntnis der betroffenen Person bzw Verbindungen zu Afghanistan sowie sozialer und wirtschaftlicher Hintergrund, insbesondere Bildungs- und Berufserfahrung, Selbsterhaltungsfähigkeit außerhalb Afghanistans (siehe nur ; , E2692/2019; , E4399/2019; weiters etwa ; , E3835/2019; , E4666/2019; vgl in diesem Sinn etwa auch ; , Ra 2019/18/0405 sowie ). Rückkehrer, die nie, nur im Kleinkindalter oder nur sehr kurze Zeit in Afghanistan gelebt haben, stehen nämlich gegenüber solchen, die in Afghanistan aufgewachsen sind, bei der Sicherung ihrer grundlegenden existenziellen Bedürfnisse vor besonderen Herausforderungen, mit denen sich die Behörde und das Bundesverwaltungsgericht auseinanderzusetzen haben (der Verfassungsgerichtshof sieht sich daher auch angesichts anderer Einzelfallentscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes – siehe etwa ; , Ra 2019/01/0347 – nicht dazu veranlasst, von seiner bisherigen Rechtsprechung abzugehen).

Das Bundesverwaltungsgericht erachtet vor dem Hintergrund des Länderberichtes "Country Guidance" des EASO vom Juni 2018 nach einer Beurteilung des Einzelfalles die Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat Afghanistan trotz einer Übersiedelung nach Pakistan im Kindesalter für zumutbar: Das Bundesverwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang unter anderem berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan geboren worden und in einem afghanisch geprägten Familienverband in Pakistan aufgewachsen sei. Er sei im Kindesalter von Afghanistan nach Pakistan übersiedelt. Im Erwachsenenalter sei er nach Afghanistan zurückgekehrt und habe – (laut Verhandlungsprotokoll vom für sechs bis sieben Monate) als Dolmetscher arbeitend – seinen Lebensunterhalt selbst erwirtschaftet. Der Beschwerdeführer habe acht Klassen einer pakistanischen Schule und drei Jahre an einer afghanischen Schule absolviert. Zudem weise er Kenntnisse der deutschen und englischen Sprache auf. Er könne nicht nur die Unterstützung von Familienangehörigen in Pakistan, den USA und Deutschland, sondern auch die Hilfe durch nach wie vor in Afghanistan lebende Verwandte in Anspruch nehmen. Das Bundesverwaltungsgericht ist – wenngleich es bei den Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat auch auf das Personenprofil der "Rückkehrer" nach Afghanistan ("Applicants who were born and/or lived outside Afghanistan for a very long period of time"; vgl "Country Guidance" des EASO vom Juni 2018, S 109) Bezug genommen hat – in den rechtlichen Ausführungen offensichtlich von einem Personenprofil des Beschwerdeführers ausgegangen, das sich auf alleinstehende, gesunde und erwerbsfähige Männer, welche früher schon einmal in Afghanistan gelebt haben, bezieht ("Single able-bodied men"; vgl "Country Guidance" des EASO vom Juni 2018, S 106). Das Bundesverwaltungsgericht hat ungeachtet dessen im vorliegenden Fall eine Einzelfallprüfung anhand der Kriterien, die aus dem Länderbericht des EASO für "Rückkehrer" hervorgehen, vorgenommen und kommt zu dem aus verfassungsrechtlicher Perspektive nicht zu beanstandenden Ergebnis, dass eine Rückkehr nach Afghanistan trotz der Tatsache, dass der Beschwerdeführer lange Zeit außerhalb Afghanistans gelebt hat, zumutbar sei, zumal es insbesondere die vermutete Selbsterhaltungsfähigkeit des Beschwerdeführers ausreichend begründet.

4. Das Bundesverwaltungsgericht geht in seinem Erkenntnis darüber hinaus auch auf die derzeit herrschende COVID-19-Pandemie ein und kommt zu dem aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstandenden Ergebnis, dass eine Rückkehr nach Afghanistan für den Beschwerdeführer zumutbar sei, zumal es sich bei dem Beschwerdeführer um einen jungen und gesunden Mann handelt, der unter keinen relevanten Vorerkrankungen leidet und somit nicht einer von COVID-19 gefährdeten Risikogruppe angehört. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich zudem mit der sozio-ökonomischen Lage ausreichend auseinandergesetzt. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Stadt Herat angesichts der aktuellen COVID-19-Situation als innerstaatliche Fluchtalternative in Betracht kommt, zumal dem Beschwerdeführer überdies die Stadt Mazar-e Sharif als innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung steht, die nach den nachvollziehbaren Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes – gestützt auf aktuelle Länderberichte – nicht im selben Ausmaß wie Herat von der Pandemie betroffen sei.

5. Auch sonst ist keine in die Verfassungssphäre reichende Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses, insbesondere hinsichtlich der Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und der Erlassung einer Rückkehrentscheidung, hervorgekommen:

5.1. Das Bundesverwaltungsgericht legt nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung und unter Gewinnung eines Eindruckes über die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers hinreichend und nachvollziehbar dar, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers als vage und widersprüchlich anzusehen gewesen sei. Ein in die Verfassungssphäre reichender Mangel kann nicht erkannt werden.

5.2. Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg 17.340/2004 ausgeführt hat, darf eine aufenthaltsbeendende Maßnahme nicht verfügt werden, wenn dadurch das Recht auf Schutz des Privat- und Familienlebens des Betroffenen verletzt würde. Bei der Beurteilung nach Art 8 EMRK ist eine Interessenabwägung vorzunehmen (vgl die in VfSlg 18.223/2007 und 18.224/2007 wiedergegebene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte).

Das Bundesverwaltungsgericht hat sich mit der Frage der Gefährdung der beschwerdeführenden Partei in ihren Rechten auseinandergesetzt. Ihm kann unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht entgegengetreten werden, wenn es auf Grund der Umstände des vorliegenden Falles davon ausgeht, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts von Fremden ohne Aufenthaltstitel das Interesse am Verbleib im Bundesgebiet aus Gründen des Art 8 EMRK überwiegt (vgl VfSlg 19.086/2010).

III. Ergebnis

1. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, dass er in seinen Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.

2. Die Beschwerde ist daher abzuweisen und gemäß Art 144 Abs 3 B-VG antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten (zum System der Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof durch den Verfassungsgerichtshof nach Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 vgl VfSlg 19.867/2014).

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VFGH:2020:E2406.2020
Schlagworte:
Asylrecht, Rückkehrentscheidung

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