VfGH vom 23.09.2019, E2272/2019
Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung Fremder untereinander und im Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz eines iranischen Staatsangehörigen; keine Durchführung einer mündlichen Verhandlung zur Beurteilung des persönlichen Eindrucks des Beschwerdeführers hinsichtlich seiner Konversion vom Islam zum Christentum
Spruch
I.Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) sowie gemäß Art 47 Abs 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II.Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I.Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1.Bei dem Beschwerdeführer handelt es sich um einen iranischen Staatsangehörigen, der nach illegaler Einreise am einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
In der Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am brachte er im Wesentlichen vor, dass er an einem Trauerumzug teilgenommen habe, bei dem Flaggen der Provinz Khouzestan hochgehalten worden seien. Beamte hätten den Trauerumzug gestürmt und einige Teilnehmer verhaftet. In der Folge seien die geflüchteten Teilnehmer gesucht worden. Befragt nach seiner Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft gab der Beschwerdeführer an, dass seine Familie schiitisch sei, er aber keine bestimmte Religion habe.
2.Mit Bescheid vom wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten als auch eines subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkte I. und II.). Es erteilte einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht, erließ eine Rückkehrentscheidung und sprach aus, dass die Abschiebung in den Iran zulässig ist (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).
3.Der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung keine Folge. Es begründet dies im Wesentlichen damit, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht glaubhaft sei. Zur Person des Beschwerdeführers stellt das Bundesverwaltungsgericht ua fest, dass dieser "als schiitischer Muslim zur Welt [kam]".
4.Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der eine Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Erkenntnisses beantragt wird.
Am habe der Beschwerdeführer eine mit datierte Stellungnahme beim Bundesverwaltungsgericht eingebracht, in der er ausführe, dass er nunmehr der evangelischen Glaubensgemeinschaft AB angehöre. Er sei zwar gebürtiger schiitischer Moslem, aber bereits im Iran ohne religiöse Überzeugung gewesen. In Österreich sei er endgültig vom Islam abgefallen und zum Christentum konvertiert. In der Einlaufstelle des Bundesverwaltungsgerichtes sei die Stellungnahme registriert und mit einem Eingangsstempel versehen worden. Das Bundesverwaltungsgericht habe die Stellungnahme jedoch gänzlich ignoriert und gehe auf die Konversion des Beschwerdeführers in dem angefochtenen Erkenntnis überhaupt nicht ein.
5.Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt sowie eine Gegenschrift erstattet, in der es beantragt, die Beschwerde abzuweisen und darauf hinweist, dass der erkennende Richter zum Zeitpunkt der Abfertigung des angefochtenen Erkenntnisses nicht in Kenntnis der Eingabe vom gewesen sei.
II.Erwägungen
1.Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
2.Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001)oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
Ein solches willkürliches Verhalten ist dem Bundesverwaltungsgericht vorzuwerfen:
2.1.Das Bundesverwaltungsgericht weist die Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, mit dem der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten abgewiesen wurde, ab. Es begründet dies im Wesentlichen damit, dass das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers in Zusammenhang mit dem von Beamten gestürmten Trauerumzug nicht glaubwürdig sei.
Auf den – im Akt des Bundesverwaltungsgerichtes einliegenden – Schriftsatz des Beschwerdeführers vom (beim Bundesverwaltungsgericht mit einlangend protokolliert), in dem der Beschwerdeführer unter Anschluss eines Taufscheines vom sowie einer Bestätigung der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich vom , dass der Beschwerdeführer kein Mitglied der Islamischen Glaubensgemeinschaft sei, vorbringt, zum Christentum konvertiert zu sein, geht das Bundesverwaltungsgericht überhaupt nicht ein. Zur Person des Beschwerdeführers stellt es in diesem Zusammenhang lediglich fest, dass dieser "als schiitischer Muslim zur Welt [kam]", ohne auszuführen, wie es zu dieser Feststellung gelangt.
2.2.Maßgeblich für die Gewährung von Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention sind – wie auch in § 3 Abs 2 AsylG 2005 zum Ausdruck kommt – nicht nur jene Gründe die den Antragsteller zum Verlassen des Herkunftsstaates bewogen haben, sondern auch jene, die zum Entscheidungszeitpunkt eine asylrelevante Verfolgung begründen können (vgl zB mwN; , E4695/2018).
Da das Bundesverwaltungsgericht jegliche Auseinandersetzung in einem für die Begründung seiner Entscheidung wesentlichen Aspekt, nämlich der aktenkundig behaupteten und mit Beweisanboten untermauerten Konversion des Beschwerdeführers, vermissen lässt, wurde der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt. Selbst wenn, wie es in seiner Gegenschrift erläutert, dem Bundesverwaltungsgericht bei seiner Entscheidungsfindung nicht der gesamte Akt (auch in Papierform) vorgelegen sein sollte, hat dies nicht der Beschwerdeführer zu verantworten.
3.Für die Beurteilung der behaupteten Konversion kommt der Frage der inneren (Glaubens-)Überzeugung des Beschwerdeführers maßgebliche Bedeutung zu (vgl VfSlg 19.837/2013; ; , U2193/2013; , E3296/2017; ; , Ra 2017/18/0028). Für diese Beurteilung ist insbesondere der persönliche Eindruck des Beschwerdeführers wesentlich. Einen solchen vermag vor dem Hintergrund des Falles aber nur eine Einvernahme in einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht zu vermitteln.
Im vorliegenden Fall, in dem die Entscheidung über das Vorliegen eines Asylgrundes wesentlich von der Glaubwürdigkeit des Asylwerbers in Bezug auf seine innere Einstellung, nämlich hier seine religiöse Überzeugung, abhängt, für deren Beurteilung der persönliche Eindruck maßgeblich ist, verlangt Art 47 Abs 2 GRC, dass sich das erkennende Gericht selbst unmittelbar in einer mündlichen Verhandlung diesen Eindruck verschafft (vgl in diesem Zusammenhang EGMR , Fall Helmers, Appl 11.826/85, Z 37, zum Gebot der öffentlichen mündlichen Verhandlung im Rechtsmittelverfahren; weiters mwN VfSlg 19.632/2012). Unterlässt dies das erkennende Gericht, unterstellt es § 21 Abs 7 BFA-VG einen mit Art 47 Abs 2 GRC nicht zu vereinbarenden Inhalt und verletzt damit den Beschwerdeführer in seinem durch diese Bestimmung verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht (vgl ).
III.Ergebnis
1.Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) sowie gemäß Art 47 Abs 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2.Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3.Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:VFGH:2019:E2272.2019 |
Schlagworte: | Asylrecht, Verhandlung mündliche, Ermittlungsverfahren, Entscheidungsbegründung, Glaubens- und Gewissensfreiheit |
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