VfGH vom 11.10.2017, E2201/2017
Leitsatz
Keine Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm mangels Anwendung der vom VfGH aufgehobenen Neufassung der Regelung des BFA-VerfahrensG über die verkürzte Beschwerdefrist; keine Präjudizialität der - denkunmöglich - angewendeten alten Fassung
Spruch
I.Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Beschluss nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
II.Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I.Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1.Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Rumäniens. Nachdem er in den Jahren 2014 und 2015 strafgerichtlich verurteilt worden war, erließ das Bundes-amt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) gegen den Beschwerdeführer mit Bescheid vom gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG "idgF" ein auf die Dauer von 5 Jahren befristetes Aufenthaltsverbot (Spruchpunkt I.) unter Gewährung eines Durchsetzungsaufschubes von einem Monat gemäß § 70 Abs 3 FPG "idgF" (Spruchpunkt II.). In der Rechtsmittelbelehrung des Bescheides ist die Beschwerdefrist mit zwei Wochen angegeben.
2.Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom wegen Verspätung zurück (Spruch-punkt I.), ebenso wie den nach Vorhalt der Verspätung gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Spruchpunkt II.). Begründend führt das Bundesverwaltungsgericht aus, der Bescheid sei dem Beschwerdeführer am rechtmäßig zugestellt worden. Gemäß "§16 Abs 1 erster Satz BFA-VG, in der Fassung BGBl I Nr 70/2015" betrage die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen einen Bescheid des BFA "in den Fällen des § 3 Abs 2 Z 1, 2, 4 und 7 zwei Wochen, sofern nichts anderes bestimmt ist". Die Beschwerdefrist habe am geendet, sodass sich die am beim BFA eingebrachte Beschwerde als verspätet erweise. Ein Verspätungsvorhalt des Bundesverwaltungsgerichtes sei vom Beschwerdeführer am übernommen worden. Daraufhin habe der Beschwerdeführer am einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt. Auf Grund der zu diesem Zeitpunkt bereits verstrichenen vierzehn Tage ab Kenntnis des Verspätungsvorhaltes sei auch der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückzuweisen.
3.Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der – ausschließlich – die Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm behauptet wird. "§16 Abs 1 BFA-VG" bestimme, "dass die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen einen Bescheid des Bundesamtes in den Fällen des § 3 Abs 2 Zif. 2, 4 und 7 zwei Wochen" betrage. Die Normierung einer derart kurzen Frist in einer hochsensiblen Materie, wie im vorliegenden Fall einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, sei "generell rechtswidrig im Sinne von verfassungswidrig".
4.Das BFA und das Bundesverwaltungsgericht haben die Verwaltungs- bzw. Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift bzw. Äußerung aber Abstand genommen.
II.Rechtslage
1.Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz – BFA-VG), BGBl I 87/2012 idF BGBl I 70/2015 (§3 BFA-VG) bzw. idF BGBl I 24/2016 (§16 BFA-VG), lauten:
"Zuständigkeiten
Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl
§3. (1) Behörde im Inland nach diesem Bundesgesetz ist das Bundesamt mit bundesweiter Zuständigkeit.
(2) Dem Bundesamt obliegt
1.die Zuerkennung und die Aberkennung des Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten an Fremde in Österreich gemäß dem AsylG 2005,
2.die Gewährung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß dem AsylG 2005,
3.die Anordnung der Abschiebung, die Feststellung der Duldung und die Vollstreckung von Rückführungsentscheidungen von EWR-Staaten gemäß dem 7. Hauptstück des FPG,
4.die Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gemäß dem 8. Hauptstück des FPG,
5.die Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde gemäß dem 11. Hauptstück des FPG,
6.die Vorschreibung von Kosten gemäß § 53 und
7.die Führung von Verfahren nach dem Grundversorgungsgesetz – Bund 2005 (GVG-B 2005), BGBl Nr 405/1991, mit Ausnahme von Verwaltungsstrafverfahren.
(3) [...]
Beschwerdeverfahren
Beschwerdefrist und Wirkung von Beschwerden
§16. (1) Die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen einen Bescheid des Bundesamtes beträgt in den Fällen des § 3 Abs 2 Z 2, 4 und 7 zwei Wochen, sofern nichts anderes bestimmt ist. Dies gilt auch in den Fällen des § 3 Abs 2 Z 1, sofern die Entscheidung mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbunden ist. § 7 Abs 4 erster Satz Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl I Nr 33/2013 ist, sofern es sich bei dem Fremden im Zeitpunkt der Bescheiderlassung nicht um einen unbegleiteten Minderjährigen handelt, diesfalls nicht anwendbar.
(2) [...]"
2.§16 Abs 1 BFA-VG, BGBl I 87/2012 idF BGBl I 70/2015 lautete:
"Die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen einen Bescheid des Bundesamtes beträgt in den Fällen des § 3 Abs 2 Z 1, 2, 4 und 7 zwei Wochen, sofern nichts anderes bestimmt ist. § 7 Abs 4 erster Satz Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl I Nr 33/2013 ist, sofern es sich bei dem Fremden im Zeitpunkt der Bescheiderlassung nicht um einen unbegleiteten Minderjährigen handelt, diesfalls nicht anwendbar."
III.Erwägungen
Die – zulässige – Beschwerde ist nicht begründet:
1.Das Bundesverwaltungsgericht stützt sich in der Begründung seiner Entscheidung auf die in § 16 Abs 1 BFA-VG idF BGBl I 70/2015 normierte zweiwöchige Beschwerdefrist. Diese Fassung des § 16 Abs 1 BFA-VG (BGBl I 70/2015) gibt das Bundesverwaltungsgericht auch im Wortlaut wieder. Die Bestimmung in dieser Fassung stand im Entscheidungszeitpunkt des Bundesverwaltungsgerichtes jedoch nicht mehr in Geltung. Nachdem der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom , G589/2015 ua., den Ausdruck "1," in § 16 Abs 1 BFA-VG idF BGBl I 70/2015 als verfassungswidrig aufgehoben hatte, novellierte der Gesetzgeber mit BGBl I 24/2016 auch § 16 Abs 1 BFA-VG; diese Neufassung des § 16 Abs 1 BFA-VG wurde mit BGBl I 24/2016 am kundgemacht und trat gemäß Art 49 Abs 1 B-VG – mangels ausdrücklicher abweichender Bestimmung – mit Ablauf des Tages ihrer Kundmachung in Kraft.
2.Das Bundesverwaltungsgericht zieht daher explizit eine denkunmöglich anzuwendende Norm heran (vgl. VfSlg 11.644/1988), deren Prüfung dem Verfassungsgerichtshof verwehrt ist (zB VfSlg 4625/1963, 8999/1980).
Vielmehr hätte das Bundesverwaltungsgericht in seinem Entscheidungszeitpunkt die mit BGBl I 24/2016 kundgemachte Fassung des § 16 Abs 1 BFA-VG anzuwenden gehabt.
Eine solche Bestimmung, die das Bundesverwaltungsgericht anwenden hätte müssen, aber tatsächlich nicht angewendet hat, ist zwar vor dem Verfassungsgerichtshof grundsätzlich präjudiziell (zB VfSlg 3307/1958, 4571/1963, 5598/1967, 8647/1979, 16.116/2001, 19.948/2015). Sie hätte vom Verfassungsgerichtshof auch anlässlich des vorliegenden Falles in Prüfung gezogen werden können (vgl. VfSlg 11.644/1988). Mit Erkenntnis vom , G134/2017 ua., hat der Verfassungsgerichtshof aus Anlass einer anderen Beschwerde die Wortfolge "2, 4 und" sowie den zweiten Satz in § 16 Abs 1 BFA-VG, BGBl I 87/2012 idF BGBl I 24/2016, auch als verfassungswidrig aufgehoben und ausgesprochen, dass diese Bestimmungen nicht mehr anzuwenden sind.
3.Eine Verletzung des Beschwerdeführers wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Norm liegt aber nicht vor, weil das Bundesverwaltungsgericht die als verfassungswidrig aufgehobene Norm gerade nicht angewendet hat. Die vom Bundesverwaltungsgericht – denkunmöglich – angewendete Fassung des § 16 Abs 1 BFA-VG ist für den Verfassungsgerichtshof nicht präjudiziell.
4.Mangels Behauptung einer solchen Rechtsverletzung in der Beschwerde hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, ob der Beschwerdeführer in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt wurde (VfSlg 9447/1982, 14.299/1995, 20.054/2016).
IV.Ergebnis
1.Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Beschluss nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
2.Ob der Beschwerdeführer durch die angefochtene Entscheidung in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt wurde, war dabei nicht zu prüfen, weil die Beschwerde eine derartige Rechtsverletzung nicht geltend macht.
3.Die Beschwerde ist daher abzuweisen.
4.Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:VFGH:2017:E2201.2017 |
Schlagworte: | Asylrecht, Fremdenrecht, Verwaltungsverfahren, Verwaltungsgerichtsverfahren, Fristen, Geltungsbereich (zeitlicher) eines Gesetzes, VfGH / Aufhebung Wirkung, VfGH / Präjudizialität |
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