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VfGH vom 01.12.2016, E2176/2015 ua

VfGH vom 01.12.2016, E2176/2015 ua

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch Bestrafung der gesetzlichen Vertreter der ein Reinigungsunternehmen betreibenden Gesellschaft wegen Verstoßes gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften trotz Vorliegens einer wirksamen Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten im Sinne des VStG; keine Unwirksamkeit der vorgenommenen Meldung des verantwortlichen Beauftragten an das allgemeine Arbeitsinspektorat des Aufsichtsbezirkes trotz Einschreitens des für Bauarbeiten zuständigen Arbeitsinspektorats; Gleichheitswidrigkeit der dahingehenden Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtes

Spruch

I. Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Erkenntnisse im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Die Erkenntnisse werden aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 3.357,60 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Die Beschwerdeführer sind Geschäftsführer und daher gesetzliche Vertreter eines Reinigungsunternehmens, das in der Rechtsform einer GmbH betrieben wird und seinen Sitz im 2. Wiener Gemeindebezirk hat. Die Gesellschaft führte Reinigungsarbeiten zum Abschluss einer Baustelle auf einem Glasdach im Bereich einer U Bahnstation im 12. Wiener Gemeindebezirk durch, wobei ein Arbeitnehmer vom Glasdach gestürzt ist und sich verletzt hat. Die Beschwerdeführer wurden auf Grund einer Anzeige des einschreitenden Arbeitsinspektorates für Bauarbeiten vom Magistrat der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den 2. Wiener Gemeindebezirk, mit Straferkenntnissen vom wegen Verletzung des § 130 Abs 5 Z 1 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) iVm § 87 Abs 2 und § 160 der Bauarbeiterschutzverordnung (BauV) bestraft.

1.1. Die gegen diese Bescheide an das Verwaltungsgericht Wien erhobenen Beschwerden wurden nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung und der Einvernahme von Zeugen mit Erkenntnissen vom als unbegründet abgewiesen: Das Verwaltungsgericht Wien sah den Gesetzesverstoß als erwiesen an. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer habe es sich bei den abschließenden Reinigungsarbeiten auf einer Baustelle um Bauarbeiten im Sinne des § 2 Abs 3 ASchG gehandelt. Gemäß § 3 Abs 1 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit und Soziales über die Aufsichtsbezirke und den Wirkungsbereich der Arbeitsinspektorate (im Folgenden: Verordnung über die Aufsichtsbezirke) sei die Wahrnehmung des Arbeitnehmerschutzes bei Bauarbeiten im Gebiet des 1. bis 6. Aufsichtsbezirkes dem Arbeitsinspektorat für Bauarbeiten mit Sitz in Wien übertragen; dies gelte für alle mit Bau-, Erd- und Wasserbauarbeiten verbundenen baugewerblichen Arbeiten, Bauneben- und Bauhilfsarbeiten. Der Übermittlung der Bestellungsurkunde des verantwortlichen Beauftragten an das Arbeitsinspektorat für den 1. Aufsichtsbezirk komme keine maßgebliche Bedeutung zu, weil gemäß § 23 Abs 1 Arbeitsinspektionsgesetz 1993 (ArbIG) die rechtswirksame Bestellung einer Person zum verantwortlichen Beauftragten vom Einlangen einer diesbezüglichen Mitteilung beim zuständigen Arbeitsinspektorat abhängig sei (Hinweis auf ). Da im vorliegenden Fall nicht das Arbeitsinspektorat für den 1. Aufsichtsbezirk, sondern vielmehr das Arbeitsinspektorat für Bauarbeiten zuständig gewesen sei, seien die Beschwerdeführer als handelsrechtliche Geschäftsführer nicht von ihrer Verantwortung befreit worden. Die ordentliche Revision wurde vom Verwaltungsgericht Wien nicht zugelassen.

2. Gegen diese Erkenntnisse richten sich die vorliegenden, auf Art 144 B VG gestützten Beschwerden, in denen eine Verletzung des Art 7 B VG und des Art 2 StGG sowie des Art 7 EMRK behauptet wird: Das Verwaltungsgericht Wien habe § 23 Abs 1 ArbIG einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt. Es habe, indem es die Beschwerdeführer trotz Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten bestraft habe, gegen das strafrechtliche Analogieverbot gemäß Art 7 EMRK verstoßen. Der Verfassungsgerichtshof wolle § 23 Abs 1 ArbIG auf seine Verfassungsmäßigkeit prüfen.

3. Das Verwaltungsgericht Wien hat ohne Erstattung einer Gegenschrift die Gerichtsakten vorgelegt. Der Magistrat der Stadt Wien hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in beiden Verfahren eine gemeinsame Gegenschrift erstattet, in der er das Beschwerdevorbringen bestreitet und die Abweisung der Beschwerde beantragt. Die Beschwerdeführer haben eine Gegenäußerung dazu erstattet.

II. Rechtslage

1. Die hier maßgebenden Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Arbeitsinspektion (Arbeitsinspektionsgesetz 1993ArbIG), BGBl 27/1993 in der im vorliegenden Fall noch anzuwendenden Fassung BGBl I 35/2012, lauten auszugsweise wie folgt:

"Geltungsbereich

§1. (1) Der Wirkungsbereich der Arbeitsinspektion erstreckt sich auf Betriebsstätten und Arbeitsstellen aller Art.

(2) – (3) […]

Begriffsbestimmungen

§2. (1) Arbeitnehmer/in im Sinne dieses Bundesgesetzes ist jede Person, die in Betriebsstätten oder auf Arbeitsstellen im Rahmen eines Beschäftigungs- oder Ausbildungsverhältnisses tätig ist.

[…]

(2) [...]

(3) Betriebsstätten im Sinne dieses Bundesgesetzes sind örtlich gebundene Einrichtungen, in denen regelmäßig Arbeiten ausgeführt werden. Arbeitsstellen im Sinne dieses Bundesgesetzes sind alle Stellen außerhalb von Betriebsstätten, auf denen Arbeiten ausgeführt werden.

Aufgaben der Arbeitsinspektion

§3. (1) Die Arbeitsinspektion ist die zur Wahrnehmung des gesetzlichen Schutzes der Arbeitnehmer/innen und zur Unterstützung und Beratung der Arbeitgeber/innen und Arbeitnehmer/innen bei der Durchführung des Arbeitnehmerschutzes berufene Behörde. Sie hat durch ihre Tätigkeit dazu beizutragen, daß Gesundheitsschutz und Sicherheit der Arbeitnehmer/innen sichergestellt und durch geeignete Maßnahmen ein wirksamer Arbeitnehmerschutz gewährleistet wird. Zu diesem Zweck hat die Arbeitsinspektion die Arbeitgeber/innen und Arbeitnehmer/innen erforderlichenfalls zu unterstützen und zu beraten sowie die Einhaltung der dem Schutz der Arbeitnehmer/innen dienenden Rechtsvorschriften und behördlichen Verfügungen zu überwachen, insbesondere soweit diese betreffen

1. den Schutz des Lebens, der Gesundheit und der Sittlichkeit sowie der Integrität und Würde,

2. die Beschäftigung von Kindern und Jugendlichen,

3. die Beschäftigung von Arbeitnehmerinnen, vor allem auch während der Schwangerschaft und nach der Entbindung,

4. die Beschäftigung besonders schutzbedürftiger Arbeitnehmer/innen (Behinderter),

5. die Arbeitszeit, die Ruhepausen und die Ruhezeit, die Arbeitsruhe, die Urlaubsaufzeichnungen und

6. die Heimarbeit.

(2) – (6) […]

Betreten und Besichtigen von Betriebsstätten und Arbeitsstellen

§4. (1) Die Organe der Arbeitsinspektion sind zur Durchführung ihrer Aufgaben berechtigt, Betriebsstätten und Arbeitsstellen sowie die von Arbeitgebern/Arbeitgeberinnen den Arbeitnehmern/Arbeitnehmerinnen zur Verfügung gestellten Wohnräume und Unterkünfte sowie Wohlfahrtseinrichtungen jederzeit zu betreten und zu besichtigen. Dies gilt auch dann, wenn im Zeitpunkt der Besichtigung in der Betriebsstätte oder auf der Arbeitsstelle keine Arbeitnehmer/innen beschäftigt werden.

(2) – (9) […]"

"Feststellung und Anzeige von Übertretungen

§9. (1) Stellt die Arbeitsinspektion die Übertretung einer Arbeitnehmerschutzvorschrift fest, so ist der Arbeitgeber/die Arbeitgeberin oder die gemäß § 4 Abs 7 beauftragte Person nach Möglichkeit im erforderlichen Umfang mit dem Ziel einer möglichst wirksamen Umsetzung der Arbeitnehmerschutzvorschriften zu beraten und hat das Arbeitsinspektorat den Arbeitgeber/die Arbeitgeberin formlos schriftlich aufzufordern, innerhalb einer angemessenen Frist den den Rechtsvorschriften und behördlichen Verfügungen entsprechenden Zustand herzustellen. Eine Ablichtung der Aufforderung ist den Organen der Arbeitnehmerschaft und dem/der gemäß § 23 Abs 1 gemeldeten verantwortlichen Beauftragten zur Kenntnis zu übersenden. Den Sicherheitsvertrauenspersonen sowie den Sicherheitsfachkräften und Arbeitsmediziner/innen ist eine Ablichtung der Aufforderung zur Kenntnis zu übersenden, soweit deren Aufgabenbereich berührt ist.

(2) Wird der Aufforderung nach Abs 1 innerhalb der vom Arbeitsinspektorat festgelegten oder erstreckten Frist nicht entsprochen, so hat das Arbeitsinspektorat Anzeige an die zuständige Verwaltungsstrafbehörde zu erstatten.

(3) Das Arbeitsinspektorat hat auch ohne vorausgehende Aufforderung nach Abs 1 Strafanzeige wegen Übertretung einer Arbeitnehmerschutzvorschrift zu erstatten, wenn es sich um eine schwerwiegende Übertretung handelt.

(3a) Werden Übertretungen von arbeitsstättenbezogenen Arbeitnehmerschutzvorschriften oder behördlichen Verfügungen festgestellt, die sich auf geringfügigste Abweichungen von technischen Maßen (wie Raumhöhe, lichte Höhe, Lichteintrittsflächen usw.) beziehen, hat das Arbeitsinspektorat gemäß § 21 Abs 2 VStG von der Erstattung einer Anzeige abzusehen.

(4) Mit der Anzeige gemäß Abs 2 und 3 ist ein bestimmtes Strafausmaß zu beantragen. Eine Ablichtung der Anzeige ist dem Arbeitgeber/der Arbeitgeberin und den Organen der Arbeitnehmerschaft, in jenen Fällen, in denen die Anzeige auf Grund einer gemäß § 5 Abs 1 Z 1 des Arbeiterkammergesetzes 1992, BGBl Nr 626/1991, gemeinsam durchgeführten Besichtigung erfolgt, auch der zuständigen gesetzlichen Interessenvertretung der Arbeitnehmer, zur Kenntnis zu übersenden. Die Verwaltungsstrafbehörde hat über die Anzeige ohne Verzug, längstens jedoch binnen zwei Wochen, das Strafverfahren einzuleiten.

(4a) Erfolgt eine Anzeige wegen Übertretung von Arbeitnehmerschutzvorschriften betreffend das ärztliche Personal einer Krankenanstalt im Sinne des § 2 des Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetzes, BGBl Nr 1/1957, zuletzt geändert durch BGBl I Nr 65/2002, ist der Österreichischen Ärztekammer eine Ablichtung der Anzeige zu übersenden.

(5) Wenn die Übertretung von einem Organ einer Gebietskörperschaft oder eines Gemeindeverbandes begangen wurde, hat das Arbeitsinspektorat anstelle einer Anzeige gemäß Abs 2 und 3 bei Organen des Bundes oder eines Landes Anzeige an das oberste Organ, dem das der Übertretung verdächtige Organ untersteht (Artikel 20 Abs 1 erster Satz B VG), in allen anderen Fällen Aufsichtsbeschwerde an die Aufsichtsbehörde zu erstatten. Die obersten Organe und die Aufsichtsbehörden haben das Arbeitsinspektorat ohne Verzug über das Veranlaßte in Kenntnis zu setzen."

"Beteiligung der Arbeitsinspektion an Verwaltungsstrafverfahren

§11. (1) In Verwaltungsstrafverfahren wegen der Übertretung von Arbeitnehmerschutzvorschriften ist das zuständige Arbeitsinspektorat (§15 Abs 6) Partei.

(2) Gelangt die Verwaltungsstrafbehörde im Verfahren zu der Ansicht, daß das Strafverfahren einzustellen oder eine niedrigere Strafe zu verhängen ist, als vom Arbeitsinspektorat beantragt wurde, so hat sie vor Erlassung des Bescheides oder einer Strafverfügung dem Arbeitsinspektorat Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

(3) Dem Arbeitsinspektorat steht das Recht der Berufung gegen Bescheide sowie des Einspruches gegen Strafverfügungen zu."

"Arbeitsinspektorate

§14. (1) Das Bundesgebiet wird, sofern nicht Zweckmäßigkeitsgründe entgegenstehen, unter Berücksichtigung der Grenzen der Länder (Stadt Wien) in Aufsichtsbezirke der Arbeitsinspektion eingeteilt. Für jeden Aufsichtsbezirk ist ein allgemeines Arbeitsinspektorat einzurichten. In jedem Land muß mindestens ein solches Arbeitsinspektorat bestehen.

(2) Wenn dies für die Wahrnehmung des Arbeitnehmerschutzes zweckmäßig ist, können einzelne Wirtschaftszweige oder Beschäftigtengruppen oder Teile von solchen unter die Aufsicht von besonderen Arbeitsinspektoraten gestellt werden. Der örtliche Wirkungsbereich solcher Arbeitsinspektorate kann sich über den Bereich mehrerer Länder erstrecken.

(3) Für einzelne Wirtschaftszweige oder Beschäftigtengruppen oder Teile von solchen kann einem allgemeinen Arbeitsinspektorat nach Abs 1 die Wahrnehmung des Arbeitnehmerschutzes auch hinsichtlich der zu anderen Aufsichtsbezirken gehörenden Betriebsstätten und Arbeitsstellen übertragen werden, wenn dies wegen der in diesen Wirtschaftszweigen oder Beschäftigtengruppen bestehenden besonderen Bedingungen für die Wahrnehmung des Arbeitnehmerschutzes zweckmäßig ist.

(4) Durch Verordnung sind nach Anhörung der gesetzlichen Interessenvertretungen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer nähere Vorschriften zu regeln über

1. die Aufsichtsbezirke der allgemeinen Arbeitsinspektorate,

2. die Errichtung von besonderen Arbeitsinspektoraten sowie ihren sachlichen und örtlichen Wirkungsbereich und

3. die Übertragung von Aufgaben gemäß Abs 3 an allgemeine Arbeitsinspektorate.

Örtliche Zuständigkeit

§15. (1) Soweit im folgenden nicht anders bestimmt ist, stehen die Befugnisse nach diesem Bundesgesetz jenem allgemeinen Arbeitsinspektorat (§14 Abs 1) zu, in dessen Aufsichtsbezirk sich die Betriebsstätte oder Arbeitsstelle befindet.

(2) Erstreckt sich eine Betriebsstätte oder Arbeitsstelle über mehrere Aufsichtsbezirke der Arbeitsinspektion, so ist jenes Arbeitsinspektorat zuständig, in dessen Aufsichtsbezirk sich die Leitung dieser Betriebsstätte oder Arbeitsstelle befindet.

(3) – (4) […]

(5) Die Befugnisse nach § 9 stehen hinsichtlich auswärtiger Arbeitsstellen sowohl jenem Arbeitsinspektorat zu, in dessen Aufsichtsbezirk die Arbeitsstelle liegt, als auch jenem Arbeitsinspektorat, in dessen Aufsichtsbezirk die Betriebsstätte liegt, zu der diese Arbeitsstelle gehört.

(6) In Verwaltungsstrafverfahren (§11) ist jenes Arbeitsinspektorat zu beteiligen, das die Strafanzeige (§9) erstattet hat. Wird ein Verwaltungsstrafverfahren ohne Anzeige des Arbeitsinspektorates eingeleitet, ist jenes Arbeitsinspektorat zu beteiligen, in dessen Aufsichtsbezirk sich die Betriebsstätte oder die Arbeitsstelle befindet, auf die sich das Verfahren bezieht. Findet im Berufungsverfahren eine mündliche Verhandlung außerhalb des Aufsichtsbezirkes des nach dem ersten oder zweiten Satz zu beteiligenden Arbeitsinspektorates statt, kann sich das Arbeitsinspektorat durch ein Organ eines Arbeitsinspektorates, das am Verhandlungsort seinen Sitz hat, vertreten lassen.

(7) – (9) […]"

"Bestellung von verantwortlichen Beauftragten

§23. (1) Die Bestellung von verantwortlichen Beauftragten gemäß § 9 Abs 2 und 3 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 VStG, BGBl Nr 52, in der jeweils geltenden Fassung für die Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften und für die Einhaltung dieses Bundesgesetzes wird erst rechtswirksam, nachdem beim zuständigen Arbeitsinspektorat eine schriftliche Mitteilung über die Bestellung samt einem Nachweis der Zustimmung des/der Bestellten eingelangt ist. Dies gilt nicht für die Bestellung von verantwortlichen Beauftragten auf Verlangen der Behörde gemäß § 9 Abs 2 VStG.

(2) Arbeitnehmer/innen können für die Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften und für die Einhaltung dieses Bundesgesetzes zu verantwortlichen Beauftragten gemäß § 9 Abs 2 und 3 VStG rechtswirksam nur bestellt werden, wenn sie leitende Angestellte sind, denen maßgebliche Führungsaufgaben selbstverantwortlich übertragen sind.

(3) Der Arbeitgeber/die Arbeitgeberin hat den Widerruf der Bestellung und das Ausscheiden von verantwortlichen Beauftragten nach Abs 1 dem zuständigen Arbeitsinspektorat unverzüglich schriftlich mitzuteilen."

2. Die Materialien zur Stammfassung des Arbeitsinspektionsgesetzes 1993, BGBl 27/1993, führen zu § 23 ArbIG aus (RV 813 BlgNR 18. GP, 31):

"Zu § 23:

Gemäß § 9 Abs 1 VStG ist für die Einhaltung von Verwaltungsvorschriften durch juristische Personen oder Personengemeinschaften ohne Rechtspersönlichkeit grundsätzlich strafrechtlich verantwortlich, wer zur Vertretung nach außen berufen ist. Die zur Vertretung nach außen Berufenen können gemäß § 9 Abs 2 VStG verantwortliche Beauftragte bestellen. Auch eine physische Person, die Inhaber eines räumlich oder sachlich gegliederten Unternehmens ist, kann gemäß § 9 Abs 3 VStG für bestimmte räumlich oder sachlich abgegrenzte Bereiche ihres Unternehmens verantwortliche Beauftragte bestellen. Für die wirksame Bestellung von verantwortlichen Beauftragten ist gemäß § 9 Abs 4 VStG ua. Voraussetzung, daß die Beauftragten ihrer Bestellung nachweislich zugestimmt haben und ihnen für den ihrer Verantwortung unterliegenden klar abzugrenzenden Bereich eine entsprechende Anordnungsbefugnis zugewiesen ist. Für die Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften werden sowohl von juristischen Personen als auch von physischen Personen zunehmend verantwortliche Beauftragte gemäß § 9 VStG bestellt. Diese Entwicklung hat die Wahrnehmung und Durchsetzung von Arbeitnehmerschutzvorschriften wesentlich erschwert, sodaß die Schaffung von Sonderbestimmungen für den Bereich des Arbeitnehmerschutzes erforderlich erscheint. Ergänzend zu den Allgemeinen Erläuterungen ist dazu folgendes anzumerken:

Zu Abs 1:

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes wirkt die Bestellung von verantwortlichen Beauftragten erst ab dem Zeitpunkt, zu dem der Behörde die Zustimmung der bestellten Person nachgewiesen wird und tritt erst mit Einlangen dieses Zustimmungsnachweises bei der Behörde ihr gegenüber der namhaft gemachte verantwortliche Beauftragte in rechtswirksamer Weise als Adressat der Verwaltungsstrafnorm an die Stelle des Arbeitgebers bzw. des zur Vertretung nach außen Berufenen. Der Arbeitgeber bzw. der zur Vertretung nach außen Berufene kann sich jedoch dann auf einen an seiner Stelle verwaltungsstrafrechtlich verantwortlichen Beauftragten berufen, wenn bei der (Straf)behörde spätestens während des Verwaltungsstrafverfahrens ein – aus der Zeit vor der Begehung stammender – Zustimmungsnachweis eines derartigen verantwortlichen Beauftragten eingelangt ist. Diese Judikatur hat dazu geführt, daß zunehmend erst während des Strafverfahrens – oft auch erst während des Strafverfahrens zweiter Instanz – vom Arbeitgeber bzw. vom zur Vertretung nach außen Berufenen die Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten bekanntgegeben und in weiterer Folge ein mit einem Datum aus der Zeit vor der Begehung der Tat versehener Zustimmungsnachweis vorgelegt wird. Bis zu diesem Zeitpunkt verfügen häufig weder das zuständige Arbeitsinspektorat noch die Verwaltungsstrafbehörde über einen Hinweis auf die Bestellung von verantwortlichen Beauftragten, sodaß sich im Falle einer Übertretung sowohl das Arbeitsinspektorat als auch die Verwaltungsstrafbehörde vorerst an den Arbeitgeber bzw. das zur Vertretung nach außen berufene Organ wenden. Die Bekanntgabe von verantwortlichen Beauftragten erfolgt häufig erst zu einem Zeitpunkt, da dieser wegen Verjährung nicht mehr verfolgt werden kann. Bei Betrieben, in denen regelmäßig die Übertretung von Arbeitnehmerschutzvorschriften festgestellt wird, ist zunehmend zu beobachten, daß für jedes Strafverfahren ein 'neuer' verantwortlicher Beauftragter – während des jeweiligen Strafverfahrens – bekanntgegeben wird. Das VStG setzt voraus, daß die zu verantwortlichen Beauftragten bestellten Personen über eine entsprechende Anordnungsbefugnis verfügen. Für den Bereich des Arbeitnehmerschutzes müßte daher die zum verantwortlichen Beauftragten bestellte Person auch in der Lage sein, für eine Einhaltung der einschlägigen Bestimmungen zu sorgen und sie wäre daher logischerweise Ansprechpartner/in für Aufträge und Aufforderungen durch das Arbeitsinspektorat. Für eine wirksame Durchsetzung des Arbeitnehmerschutzes erscheint es daher unerläßlich, daß einerseits dem Arbeitsinspektorat bekannt ist, wer in einer Betriebsstätte oder auf einer Arbeitsstelle für die Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften verantwortlich ist, und wäre andererseits zu gewährleisten, daß im Falle einer Übertretung von Arbeitnehmerschutzvorschriften Sanktionen nicht durch eine entsprechende Gestaltungsmöglichkeit bei der nachträglichen Bekanntgabe von verantwortlichen Beauftragten verhindert werden können. Diese Zielsetzungen sollen durch die in Abs 1 vorgesehene Regelung erreicht werden, wonach die Bestellung von verantwortlichen Beauftragten für den Bereich des Arbeitnehmerschutzes erst rechtswirksam wird, nachdem beim zuständigen Arbeitsinspektorat eine schriftliche Mitteilung über die Bestellung samt einem Nachweis der Zustimmung des/ der Bestellten eingelangt ist. Welches Arbeitsinspektorat zuständig ist, ergibt sich aus § 15. Dies gilt nicht für jene Fälle, in denen eine rechtswirksame Bestellung eines/einer verantwortlichen Beauftragten nach § 9 Abs 2 VStG auf Verlangen der Strafbehörde zur Sicherstellung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit erfolgt ist. In diesen Fällen ist die Bestellung – sofern die Voraussetzungen gemäß § 9 Abs 4 VStG erfüllt sind – ab dem Einlangen des Zustimmungsnachweises bei der Strafbehörde rechtswirksam.

Zu Abs 2:

Für die Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften werden zunehmend Arbeitnehmer/innen als verantwortliche Beauftragte nach § 9 Abs 2 und 3 VStG bestellt. Häufig handelt es sich dabei um Arbeitnehmer/innen, die innerbetrieblich nicht über ausreichende Befugnisse verfügen, um für eine Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften zu sorgen. Auf Grund der bestehenden persönlichen Abhängigkeit sind diese Arbeitnehmer/innen aber bereit, einer Bestellung zu verantwortlichen Beauftragten zuzustimmen. Außerdem wird häufig in diesem Zusammenhang vereinbart, daß für die verhängten Geldstrafen die Arbeitgeber/innen bzw. die zur Vertretung nach außen Berufenen aufkommen. Normadressat der Arbeitnehmerschutzvorschriften ist der Arbeitgeber/die Arbeitgeberin. Die Arbeitnehmer/innen sind Schutzobjekte dieser Rechtsvorschriften. Mit dem Schutzzweck der Arbeitnehmerschutzvorschriften und mit den Besonderheiten des Arbeitsverhältnisses, insbesondere der persönlichen Abhängigkeit der Arbeitnehmer/innen, erscheint es unvereinbar, wenn die Verantwortlichkeit für die Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften von den Arbeitgeber/ Arbeitgeberinnen auf die Arbeitnehmer/innen überwälzt wird, somit auf jene Personen, zu deren Schutz diese Vorschriften geschaffen wurden. Außerdem ist es einer wirksamen Durchsetzung des Arbeitnehmerschutzes generell abträglich, wenn für die mit einer Übertretung verbundenen nachteiligen Folgen andere Personen (nämlich Arbeitnehmer/innen) haften als jene, denen der durch die Übertretung entstehende wirtschaftliche Erfolg zukommt (nämlich Arbeitgeber/innen).

In Abs 2 wird daher unter Berücksichtigung der besonderen Erfordernisse auf dem Gebiet des Arbeitnehmerschutzes vorgesehen, daß zu verantwortlichen Beauftragten für die Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften nur solche Arbeitnehmer/innen bestellt werden können, die leitende Angestellte sind. Diese Personen sind in der Regel vom Geltungsbereich der Arbeitnehmerschutzvorschriften ausgenommen und im Übrigen auf Grund ihrer innerbetrieblichen Stellung eher in der Lage, für eine Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften zu sorgen.

Zu Abs 3:

Arbeitgeber/innen haben den Widerruf der Bestellung und das Ausscheiden von verantwortlichen Beauftragten dem zuständigen Arbeitsinspektorat unverzüglich schriftlich zu melden. Das Unterlassen einer entsprechenden Meldung stellt nach § 24 Abs 1 Z 1 lite eine Verwaltungsübertretung dar und ist strafbar."

3. § 1 und § 3 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit und Soziales über die Aufsichtsbezirke und den Wirkungsbereich der Arbeitsinspektorate, BGBl 237/1993 in der im vorliegenden Verfahren noch anzuwendenden Fassung der Verordnung BGBl II 451/2011, lauten auszugsweise wie folgt:

"Aufsichtsbezirke der allgemeinen Arbeitsinspektorate

§1. Das Bundesgebiet wird in folgende Aufsichtsbezirke der allgemeinen Arbeitsinspektorate eingeteilt:

1. Aufsichtsbezirk: 1., 2., 3. und 20. Wiener Gemeindebezirk;

2. Aufsichtsbezirk: 4., 5., 6., 10. und 11. Wiener Gemeindebezirk;

3. Aufsichtsbezirk: 8., 9., 16., 17., 18. und 19. Wiener Gemeindebezirk;

4. Aufsichtsbezirk: 7., 12., 13., 14. und 15. Wiener Gemeindebezirk;

5. Aufsichtsbezirk: 23. Wiener Gemeindebezirk; die Verwaltungsbezirke Bruck a.d. Leitha, Mödling und Tulln; das rechts der Donau gelegene Gebiet des Verwaltungsbezirks Wien-Umgebung;

6. Aufsichtsbezirk: 21. und 22. Wiener Gemeindebezirk; die Verwaltungsbezirke Gänserndorf, Hollabrunn, Korneuburg und Mistelbach; das links der Donau gelegene Gebiet des Verwaltungsbezirks Wien-Umgebung;

7. – 19. […]"

"Arbeitsinspektorat für Bauarbeiten

§3. (1) Die Wahrnehmung des Arbeitnehmerschutzes bei Bauarbeiten im Gebiet des 1. bis 6. Aufsichtsbezirkes wird dem Arbeitsinspektorat für Bauarbeiten mit Sitz in Wien übertragen. Dies gilt für Bau-, Erd- und Wasserbauarbeiten einschließlich aller mit diesen Arbeiten verbundenen baugewerblichen Arbeiten, Bauneben- und Bauhilfsarbeiten.

(2) Soweit im folgenden nicht anderes bestimmt ist, stehen die Befugnisse nach dem Arbeitsinspektionsgesetz 1993 dem Arbeitsinspektorat für Bauarbeiten hinsichtlich aller im örtlichen Wirkungsbereich (1. bis 6. Aufsichtsbezirk) gelegenen Arbeitsstellen zu, an denen Bauarbeiten im Sinne des Abs 1 ausgeführt werden (Baustellen).

(3) Erstreckt sich eine Baustelle über diesen örtlichen Wirkungsbereich hinaus auch auf andere Aufsichtsbezirke, so ist für die Wahrnehmung des Arbeitnehmerschutzes auf der gesamten Baustelle das Arbeitsinspektorat für Bauarbeiten zuständig, wenn sich die Leitung der Baustelle in seinem örtlichen Wirkungsbereich befindet. Befindet sich die Leitung der Baustelle außerhalb des örtlichen Wirkungsbereiches, so ist für die Wahrnehmung des Arbeitnehmerschutzes auf der gesamten Baustelle jenes allgemeine Arbeitsinspektorat zuständig, in dessen Aufsichtsbezirk sich die Leitung befindet.

(4) Die Befugnisse nach § 8 Abs 1 und 2 ArbIG (Einsichtnahme in Unterlagen, Anfertigung von Ablichtungen, Abschriften oder Auszügen) stehen dem Arbeitsinspektorat für Bauarbeiten hinsichtlich aller Unterlagen zu, die sich auf den im örtlichen Wirkungsbereich gelegenen Baustellen befinden. Die Befugnisse nach § 8 Abs 3 ArbIG (Anforderung von Unterlagen) stehen dem Arbeitsinspektorat für Bauarbeiten hinsichtlich aller Unterlagen zu, die mit dem Schutz der auf den im örtlichen Wirkungsbereich gelegenen Baustellen beschäftigten Arbeitnehmer/innen im Zusammenhang stehen, unabhängig davon, ob sich diese Unterlagen im örtlichen Wirkungsbereich befinden.

(5) Die Befugnisse nach § 9 ArbIG (Feststellung und Anzeige von Übertretungen) stehen hinsichtlich der im örtlichen Wirkungsbereich gelegenen Baustellen sowohl dem Arbeitsinspektorat für Bauarbeiten als auch jenem allgemeinen Arbeitsinspektorat zu, in dessen Aufsichtsbezirk die Betriebsstätte liegt, der diese Baustelle organisatorisch zuzurechnen ist.

(6) In Verwaltungsstrafverfahren, die ohne Anzeige eines Arbeitsinspektorates eingeleitet wurden, ist im Sinne des § 15 Abs 6 ArbIG das Arbeitsinspektorat für Bauarbeiten zuständig, wenn sich das Verwaltungsstrafverfahren auf Baustellen bezieht, die in seinem örtlichen Wirkungsbereich gelegen sind. Ist in einem Verwaltungsstrafverfahren das Arbeitsinspektorat für Bauarbeiten zu beteiligen und findet im Berufungsverfahren eine mündliche Verhandlung außerhalb seines örtlichen Wirkungsbereiches statt, so kann sich das Arbeitsinspektorat für Bauarbeiten durch ein Organ jenes allgemeinen Arbeitsinspektorates vertreten lassen, das am Verhandlungsort seinen Sitz hat.

(7) Wird ein Verwaltungsverfahren im Sinne des § 12 ArbIG ohne Antrag eines Arbeitsinspektorates eingeleitet, so ist das Arbeitsinspektorat für Bauarbeiten zu beteiligen, wenn sich das Verfahren auch auf eine oder mehrere im örtlichen Wirkungsbereich gelegene Baustelle bezieht.

(8) Für die Durchführung von Verwaltungsverfahren ist das Arbeitsinspektorat für Bauarbeiten nur zuständig, wenn sich das Verfahren auf im örtlichen Wirkungsbereich gelegene Baustellen bezieht und diese Baustellen keiner Betriebsstätte organisatorisch zuzurechnen sind. Die Aufgaben und Befugnisse nach § 10 Abs 3 bis 6 stehen dem Arbeitsinspektorat für Bauarbeiten hinsichtlich aller im örtlichen Wirkungsbereich gelegenen Baustellen unabhängig davon zu, ob diese Baustelle einer Betriebsstätte organisatorisch zuzurechnen sind."

4. § 2 Abs 3 des Bundesgesetzes über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit (ArbeitnehmerInnenschutzgesetzASchG), BGBl 450/1994 idF BGBl I 118/2012, lautet wie folgt:

"(3) Arbeitsstätten im Sinne dieses Bundesgesetzes sind Arbeitsstätten in Gebäuden und Arbeitsstätten im Freien. Mehrere auf einem Betriebsgelände gelegene oder sonst im räumlichen Zusammenhang stehende Gebäude eines Arbeitgebers zählen zusammen als eine Arbeitsstätte. Baustellen im Sinne dieses Bundesgesetzes sind zeitlich begrenzte oder ortsveränderliche Baustellen, an denen Hoch- und Tiefbauarbeiten durchgeführt werden. Dazu zählen insbesondere folgende Arbeiten: Aushub, Erdarbeiten, Bauarbeiten im engeren Sinne, Errichtung und Abbau von Fertigbauelementen, Einrichtung oder Ausstattung, Umbau, Renovierung, Reparatur, Abbauarbeiten, Abbrucharbeiten, Wartung, Instandhaltungs-, Maler- und Reinigungsarbeiten, Sanierung. Auswärtige Arbeitsstellen im Sinne dieses Bundesgesetzes sind alle Orte außerhalb von Arbeitsstätten, an denen andere Arbeiten als Bauarbeiten durchgeführt werden insbesondere auch die Stellen in Verkehrsmitteln, auf denen Arbeiten ausgeführt werden."

III. Erwägungen

1. Der Verfassungsgerichtshof hat über die beiden – gemäß §§187, 404 ZPO iVm § 35 Abs 1 VfGG zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen – zulässigen Beschwerden erwogen:

1.1. Der maßgebende Streitpunkt im verfassungsgerichtlichen Verfahren ist die Frage, ob die Beschwerdeführer als Geschäftsführer und gesetzliche Vertreter der das Reinigungsunternehmen betreibenden GmbH wegen Verstoßes gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften auf einer Baustelle gemäß § 9 Abs 1 VStG verwaltungsstrafrechtlich belangt werden können, obwohl rechtzeitig und formgerecht beim Arbeitsinspektorat des Aufsichtsbezirkes, in dem das Unternehmen seinen Sitz hat, ein Prokurist des Unternehmens als verantwortlicher Beauftragter im Sinne des § 9 Abs 2 VStG namhaft gemacht worden ist. Da sich die Verletzung der Arbeitnehmerschutzvorschriften (die einen Arbeitsunfall zur Folge hatte) bei Reinigungsarbeiten nach Abschluss von Bauarbeiten ereignet hat (weshalb die Reinigungsarbeiten in dieser Konstellation arbeitnehmerschutzrechtlich gemäß § 2 ASchG noch als Bauarbeiten gelten) und das für Bauarbeiten zuständige Arbeitsinspektorat eingeschritten ist (dh. die Anzeige erstattet und im Sinne des § 15 Abs 6 ArbIG am Verwaltungsstrafverfahren als Partei teilgenommen hat), vertritt das Verwaltungsgericht Wien die Auffassung, dass die Mitteilung über die Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten (auch) an das Arbeitsinspektorat für Bauarbeiten als das "zuständige Arbeitsinspektorat" iSd § 23 Abs 1 ArbIG zu richten gewesen wäre. Da bei diesem Arbeitsinspektorat keine solche Meldung erstattet worden sei, seien die gesetzlichen Vertreter verwaltungsstrafrechtlich verantwortlich.

1.2. Der Auffassung des Verwaltungsgerichtes Wien ist aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu folgen:

1.2.1. Das Verwaltungsgericht Wien zieht nicht in Zweifel, dass das in Rede stehende Reinigungsunternehmen im Allgemeinen keine Bauarbeiten verrichtet; die Qualifikation der Reinigungsarbeiten als Bauarbeiten ergibt sich vielmehr aus dem Sachzusammenhang im vorliegenden Fall, der durch § 2 Abs 3 ASchG hergestellt wird: Danach sind als Bauarbeiten im arbeitnehmerschutzrechtlichen Sinn insbesondere auch Reinigungsarbeiten zu verstehen. Gemäß § 3 Abs 1 der Verordnung über die Aufsichtsbezirke ist weiters die Wahrnehmung des Arbeitnehmerschutzes bei Bauarbeiten im Gebiet des 1. bis 6. Aufsichtsbezirkes dem Arbeitsinspektorat für Bauarbeiten mit Sitz in Wien übertragen; dies gilt für alle mit Bau-, Erd- und Wasserbauarbeiten verbundenen baugewerblichen Arbeiten, Bauneben- und Bauhilfsarbeiten. Die vom Verwaltungsgericht Wien angenommene Zuständigkeit des Arbeitsinspektorates für Bauarbeiten kann sich daher nur aus dem Umstand ergeben, dass dieses Arbeitsinspektorat die Aufsicht über Baustellen hat, im konkreten Fall als für die Baustelle zuständiges Arbeitsinspektorat eingeschritten ist, die Anzeige erstattet hat und am Verwaltungsstrafverfahren beteiligt wurde.

1.2.2. Der Magistrat der Stadt Wien vertritt die Auffassung, dass als zuständiges Arbeitsinspektorat im Sinne des § 23 Abs 1 ArbIG jenes des § 15 Abs 1 ArbIG gemeint sei, weil die Abs 2 bis 9 des § 15 leg.cit. nicht anderes bestimmen würden. "Daher" ergebe sich im vorliegenden Fall in Zusammenhalt mit § 3 Abs 2 der Verordnung über die Aufsichtsbezirke die Zuständigkeit des Arbeitsinspektorates für Bauarbeiten.

1.2.3. Gemäß § 14 Abs 1 ArbIG ist das Bundesgebiet, sofern nicht Zweckmäßigkeitsgründe entgegenstehen, in Aufsichtsbezirke der Arbeitsinspektion eingeteilt.

1.2.3.1. Dabei ist für jeden Aufsichtsbezirk ein Arbeitsinspektorat einzurichten. § 14 Abs 2 ArbIG bestimmt zudem, dass einzelne Wirtschaftszweige oder Beschäftigtengruppen oder Teile von solchen unter die Aufsicht von besonderen Arbeitsinspektoraten gestellt werden können, wenn dies für die Wahrnehmung des Arbeitnehmerschutzes zweckmäßig ist. In Durchführung dieser Bestimmungen legt die Verordnung über die Aufsichtsbezirke in ihrem § 1 leg.cit. die Aufsichtsbezirke der Arbeitsinspektorate fest, wobei insbesondere der 1. Aufsichtsbezirk aus dem 1., 2., 3. und 20. Wiener Gemeindebezirk und der 4. Aufsichtsbezirk aus dem 7., 12., 13., 14. und 15. Wiener Gemeindebezirk besteht. Ferner richtet § 3 Abs 1 leg.cit. das besondere Arbeitsinspektorat für Bauarbeiten mit Sitz in Wien ein, dem die Wahrnehmung des Arbeitnehmerschutzes bei Bauarbeiten im Gebiet des 1. bis 6. Aufsichtsbezirkes obliegt.

1.2.3.2. § 15 ArbIG regelt sodann die örtliche Zuständigkeit des allgemeinen Arbeitsinspektorates. Die Vorschrift legt in ihrem Abs 1 als Grundregel fest, dass die Befugnisse nach diesem Bundesgesetz jenem allgemeinen Arbeitsinspektorat zukommen, in dessen Aufsichtsbezirk sich die Betriebsstätte oder Arbeitsstelle befindet. Erstreckt sich eine Betriebsstätte oder Arbeitsstelle hingegen über mehrere Aufsichtsbezirke der Arbeitsinspektion, so ist gemäß § 15 Abs 2 leg.cit. jenes Arbeitsinspektorat zuständig, in dessen Aufsichtsbezirk sich die Leitung dieser Betriebsstätte oder Arbeitsstelle befindet.

1.2.3.3. § 15 Abs 5 ArbIG sieht in Abweichung von § 15 Abs 1 leg.cit. vor, dass "die Befugnisse nach § 9", dh. die Anzeigeerstattung und die Mitwirkung an Verwaltungsstrafverfahren, sowohl jenem Arbeitsinspektorat zustehen, in dessen Aufsichtsbezirk die Arbeitsstelle liegt, als auch jenem Arbeitsinspektorat, in dessen Aufsichtsbezirk die Betriebsstätte liegt, zu der diese Arbeitsstelle gehört. Dem folgt auch die Verordnung: Gemäß § 3 Abs 5 der Verordnung über die Aufsichtsbezirke stehen die Befugnisse nach § 9 ArbIG (Feststellung und Anzeige von Übertretungen) hinsichtlich der im örtlichen Wirkungsbereich gelegenen Baustellen sowohl dem Arbeitsinspektorat für Bauarbeiten als auch jenem allgemeinen Arbeitsinspektorat zu, in dessen Aufsichtsbezirk die Betriebsstätte liegt, der diese Baustelle organisatorisch zuzurechnen ist.

1.2.4. Die potenzielle Konkurrenz zweier Arbeitsinspektorate beim Einschreiten im Falle der Übertretung von Arbeitnehmerschutzvorschriften besteht daher auf Baustellen in Wien zwischen dem allgemeinen Arbeitsinspektorat und dem mit dem gemäß § 14 ArbIG eingerichteten besonderen Arbeitsinspektorat für Bauarbeiten, aber darüber hinaus generell immer dann, wenn ein Unternehmen Arbeitsstellen außerhalb jenes Aufsichtsbezirkes unterhält, in dem sich seine Betriebsstätte bzw. – bei mehreren Betriebsstätten bzw. Arbeitsstellen – die Betriebsleitung befindet.

1.2.5. Die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtes Wien, dass die Meldung des verantwortlichen Beauftragten an das – für das Unternehmen unstrittig zuständige – Arbeitsinspektorat für den 1. Aufsichtsbezirk in Wien nach § 23 Abs 1 ArbIG für das vorliegende Verwaltungsstrafverfahren der Sache nach deshalb unwirksam sei, weil im Verwaltungsstrafverfahren das Arbeitsinspektorat für Bauarbeiten eingeschritten ist, verletzt die Beschwerdeführer in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz:

1.2.5.1. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998 und 16.488/2002) nur vorliegen, wenn die angefochtene Entscheidung auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn das Verwaltungsgericht der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat.

1.2.5.2. Bei Zugrundelegung der genannten Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtes Wien würde es von der Zufälligkeit des (nach dem Gesagten jeweils rechtlich zulässigen) Einschreitens des allgemeinen oder des besonderen Arbeitsinspektorates abhängen, ob eine Bestrafung der gesetzlichen Vertreter nach § 9 Abs 1 VStG oder des verantwortlichen Beauftragten iSd § 9 Abs 2 VStG zu erfolgen hätte.

1.2.6. Daraus folgt aber nicht die Verfassungswidrigkeit des § 15 Abs 5 ArbIG und des § 3 Abs 5 der Verordnung über die Aufsichtsbezirke, die das alternative Einschreiten verschiedener Arbeitsinspektorate zulassen, denn es erweist sich das Auslegungsergebnis des Verwaltungsgerichtes betreffend § 23 ArbIG als verfehlt:

1.2.6.1. § 23 Abs 1 ArbIG sieht für die Bestellung von verantwortlichen Beauftragten vor, dass diese "erst rechtswirksam [wird], nachdem beim zuständigen Arbeitsinspektorat eine schriftliche Mitteilung über die Bestellung samt einem Nachweis der Zustimmung des/der Bestellten eingelangt ist". § 23 Abs 2 leg.cit. normiert, dass für die in Rede stehende Aufgabe nur leitende Angestellte bestellt werden können, denen maßgebliche Führungsaufgaben selbstverantwortlich übertragen sind. Schon die Einzahl im Wortlaut der Norm lässt also "die Meldung" an ein Arbeitsinspektorat (nämlich das "zuständige") genügen.

1.2.6.2. Das zuständige Arbeitsinspektorat ist gemäß § 15 Abs 1 ArbIG jenes, das für die Betriebsstätte oder für die Arbeitsstelle des Unternehmens örtlich zuständig ist. Aus § 15 Abs 2 ArbIG ergibt sich sodann, dass bei einer Tätigkeit des Unternehmens, die die Grenzen eines Aufsichtsbezirkes überschreitet, jedenfalls nur ein Arbeitsinspektorat für ein Unternehmen "örtlich zuständig" sein soll, nämlich jenes, in dessen Aufsichtsbezirk sich die Leitung dieser Betriebsstätte oder Arbeitsstelle befindet, sofern es nicht um spezifische Angelegenheiten geht, die in § 15 Abs 3 ff. ArbIG abweichend geregelt sind.

1.2.6.3. Es ist nicht erkennbar, dass demgegenüber der Begriff des "zuständigen Arbeitsinspektorates" in § 23 Abs 1 ArbIG einen im Falle des Bestehens wechselnder Arbeitsstellen von § 15 Abs 1 und 2 ArbIG abweichenden, jeweils wechselnden Begriffsinhalt hätte, geht es doch bei § 23 ArbIG – wie die Materialien zeigen – nur darum, sicherzustellen, dass die Bestellung nach § 9 Abs 2 VStG für die Behörden nachvollziehbar und manipulationssicher vor allfälligen Straftaten erfolgt. Diesem Anliegen trägt bei Unternehmen mit zahlreichen Arbeitsstellen die (eine) Verständigung an das für den Sitz der Unternehmensleitung zuständige Arbeitsinspektorat auf eine für jedes andere Arbeitsinspektorat – aber auch für jede Strafbehörde – im Nachhinein jederzeit leicht feststellbare und nachvollziehbare Weise Rechnung.

1.3. Nur diese Interpretation stellt aber auch sicher, dass in Konstellationen wie der hier vorliegenden potenzielle Adressaten von Strafnormen des Arbeitnehmerschutzes nicht nach Maßgabe des Verwaltungshandelns der Arbeitsinspektorate jeweils verschiedene sein können; eine Konsequenz, die andernfalls zur Unsachlichkeit der Norm führen würde.

2. Das Verwaltungsgericht Wien hat daher auf Grund einer gegen Art 7 B VG verstoßenden Gesetzesinterpretation die Bestrafung der Beschwerdeführer als gesetzliche Vertreter trotz Vorliegens einer wirksamen Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten gemäß § 9 Abs 2 VStG zu Unrecht bestätigt.

IV. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführer sind somit durch die angefochtenen Erkenntnisse im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

2. Die Erkenntnisse sind daher aufzuheben.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist ein Streitgenossenzuschlag in Höhe von € 218,–, Umsatzsteuer in Höhe von € 479,60 sowie der Ersatz der Eingabengebühren in Höhe von insgesamt € 480,– enthalten.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VFGH:2016:E2176.2015