VfGH vom 12.12.2019, E2128/2019
Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung eines Antrags auf subsidiären Schutz hinsichtlich eines minderjährigen Staatsangehörigen von Nigeria; Verkennung der Rechtslage durch Prüfung der Verletzung der von Art 3 EMRK geschützten Rechte eingeschränkt auf Akteure oder einen bewaffneten Konflikt
Spruch
Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit sein Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach § 57 AsylG 2005 nicht erteilt und ausgesprochen wurde, dass eine Rückkehrentscheidung vorübergehend unzulässig sei, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.
2.Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
II.Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1.Der minderjährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Nigeria und wurde im Jahr 2016 in Österreich geboren. Seine Mutter, die zu jenem Zeitpunkt in Österreich als Asylwerberin aufhältig war, stellte für ihren Sohn einen Antrag auf internationalen Schutz, brachte für ihn jedoch keine eigenen Fluchtgründe vor. Der Antrag des Beschwerdeführers wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) im Familienverfahren nach § 34 AsylG 2005 gemeinsam mit dem Antrag seiner Mutter rechtskräftig sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Hinblick auf den Herkunftsstaat Nigeria abgewiesen und ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers (und seiner Mutter) nach Nigeria zulässig sei. Die dagegen erhobenen Beschwerden wurden mit am mündlich verkündetem und am schriftlich ausgefertigtem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes abgewiesen.
2.Nach den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes in der angefochtenen Entscheidung wurde die Obsorge über den Beschwerdeführer mit Beschluss des Bezirksgerichtes Donaustadt vom der Mutter entzogen und dem Wiener Kinder- und Jugendhilfeträger übertragen. Am stellte der Wiener Kinder- und Jugendhilfeträger einen Antrag auf internationalen Schutz für den Beschwerdeführer und führte dazu aus, die Mutter des Beschwerdeführers sei auf Grund ihres gesundheitlichen Zustandes nicht in der Lage, für den Beschwerdeführer zu sorgen. Im Falle einer Rückkehr nach Nigeria laufe der Beschwerdeführer Gefahr, keine entsprechende Aufsicht zu erhalten. Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Donaustadt vom wurde dem Wiener Kinder- und Jugendhilfeträger die alleinige Obsorge für den Beschwerdeführer übertragen. Ein Antrag seines Vaters, ihn mit der Obsorge zu betrauen, wurde abgewiesen.
3.Mit Bescheid des BFA vom wurde der neuerliche Antrag auf internationalen Schutz abgewiesen und dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) ebenso wie der Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) nicht zuerkannt. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 9 Abs 3 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung vorübergehend für unzulässig erklärt (Spruchpunkt IV.).
4.Mit der nunmehr angefochtenen Entscheidung wurde die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde abgewiesen. Begründend führt das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, die Anträge auf internationalen Schutz sowohl der Mutter als auch des Vaters, ebenfalls nigerianischer Staatsangehöriger, seien rechtskräftig abgewiesen worden. Die Mutter des Beschwerdeführers sei auf Grund einer psychischen Erkrankung nicht in der Lage, diesen adäquat zu versorgen. Der Vater habe den Beschwerdeführer zu keinem Zeitpunkt alleine im Alltag versorgt und zu keinem Zeitpunkt mit ihm im gemeinsamen Haushalt gelebt. Der Vater sei aktuell nicht in der Lage, die Verantwortung für den Beschwerdeführer zu übernehmen und habe dessen Unterbringung in einer Dauerpflegefamilie zugestimmt.
Es könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Nigeria auf Grund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung verfolgt werde. Eine solche Verfolgung sei nicht vorgebracht worden und gehe aus dem Akt auch nicht hervor. Das Vorbringen, dass die Mutter des Beschwerdeführers nicht für ihn sorgen könne und dass er Gefahr laufe, im Falle seiner Rückkehr nach Nigeria keine entsprechende Aufsicht zu erhalten, stelle keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention dar. Das Beschwerdevorbringen, dass eine alleinstehende Rückkehr des minderjährigen Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat geradezu denkunlogisch sei, da ihm ein Überleben ohne eine erwachsene Person, welche die Fürsorge für ihn übernehme, nicht möglich sei, gehe insofern ins Leere, als das BFA, eben aus diesen Erwägungen, eine Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer ohnedies vorübergehend für unzulässig erklärt habe. Jedoch lägen dadurch keineswegs die Voraussetzungen dafür vor, dem Beschwerdeführer den Status eines Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen.
Im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung führt das Bundesverwaltungsgericht aus, die Voraussetzungen für die Erteilung von Asyl seien nicht gegeben, weil keinerlei asylrelevante Bedrohungssituation vorgebracht worden sei. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes sei es für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des Art 15 der Statusrichtlinie erforderlich, dass der ernsthafte Schaden durch das Verhalten von Dritten (Akteuren) verursacht werde oder von einer Bedrohung in einem bewaffneten Konflikt ausgehe. Nicht umfasst sei dagegen die reale Gefahr jeglicher etwa auf allgemeine Unzulänglichkeiten im Heimatland zurückzuführende Verletzung von Art 3 EMRK. Eine Gefahr einer Verletzung von Art 3 EMRK durch das konkrete Handeln (auch im Sinne von Unterlassungshandlungen) dritter Personen könne nicht festgestellt werden. Auch die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 seien nicht gegeben.
5.Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.
Begründend wird dazu im Wesentlichen ausgeführt, dem angefochtenen Erkenntnis sei eine konkrete Auseinandersetzung mit der Situation des minderjährigen Beschwerdeführers im Falle seiner Rückkehr nach Nigeria nicht zu entnehmen. Feststellungen dazu, wer allenfalls den Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Nigeria aufnehmen und weiter betreuen könne, fehlten vollständig. Das Bundesverwaltungsgericht habe sich auch nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob der Beschwerdeführer in Ermangelung einer solchen Aufnahme und Betreuung eine Lebensgrundlage vorfinden würde oder die Gefahr bestünde, dass er in eine ausweglose Situation gerate, die einer Verletzung des Art 3 EMRK gleichkommen würde.
Der Verwaltungsgerichtshof habe in seinem Erkenntnis vom zu Ro 2019/19/0006 mit ausführlicher und überzeugender Begründung dargetan, dass in Fällen, in denen aus Gründen des Art 3 EMRK eine Abschiebung nicht zulässig ist, der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen sei. Der Verwaltungsgerichtshof halte dabei ausdrücklich an seiner Rechtsprechung fest, wonach eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 und 3 EMRK durch eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat – auch wenn diese Gefahr nicht durch das Verhalten eines Dritten (Akteurs) bzw die Bedrohungen in einem bewaffneten Konflikt verursacht wird – die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 8 Abs 1 AsylG 2005 begründen könne.
Das Bundesverwaltungsgericht sei in seinem Erkenntnis davon ausgegangen, dass die Mutter des Beschwerdeführers auf Grund einer psychischen Erkrankung nicht in der Lage sei, diesen adäquat zu versorgen und der Vater des Beschwerdeführers aktuell nicht in der Lage sei, die Verantwortung für ihn zu übernehmen. Der Beschwerdeführer sei nach den Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis in dauernder Obsorge des Wiener Kinder- und Jugendhilfeträgers und lebe in einer Dauerpflegefamilie. Feststellungen dazu, wer den unmündigen mj. Beschwerdeführer in Nigeria in Betreuung bzw Pflege nehmen würde, habe das Bundesverwaltungsgericht nicht getroffen. Es scheine aber offensichtlich, dass ein unbetreutes dreijähriges Kind schon durch seine Abschiebung alleine (insbesondere nach Nigeria) Gefahr liefe, einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung seines Gesundheitszustandes, welche zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung seiner Lebenserwartung führen würde, wenn nicht überhaupt einem qualvollen Tod ausgesetzt zu sein. Damit lägen aber jene exzeptionellen Umstände im Einzelfall vor, die auch nach der aktuellen, strengen Rechtsprechung des EGMR und der österreichischen Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts Voraussetzung für die Gewährung eines subsidiären Schutzes nach § 8 Abs 1 AsylG 2005 seien. Der Beschwerdeführer sei daher durch das angefochtene Erkenntnis in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht nach Art 3 EMRK verletzt worden.
Entgegen der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts habe zum Zeitpunkt der Entscheidung der maßgebliche Sachverhalt nicht festgestanden: Dem angefochtenen Erkenntnis fehlten jegliche Feststellungen dazu, welche Situation den Beschwerdeführer konkret im Fall einer Abschiebung nach Nigeria erwarten würde. Diese Feststellungen seien aber maßgeblich, da auf Grund des Alters des Beschwerdeführers, dessen dauerhafter Bedarf nach Obsorge, Pflege, Wohnung, Nahrung etc. unzweifelhaft scheine bzw im Falle der Abwesenheit all dieser Faktoren zwingend davon ausgegangen werden müsse, dass der Beschwerdeführer als dreijähriges Kind eine rasche, qualvolle Verschlechterung seines Gesundheitszustandes und einen qualvollen Tod erleiden würde. Der Beschwerdeführer sehe sich aus diesen Gründen daher auch im Recht auf Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung über seine Sache verletzt.
Die Obsorge für den Beschwerdeführer sei dauerhaft dem örtlich zuständigen Kinder- und Jugendhilfeträger übertragen worden. Der Beschwerdeführer lebe in einer Dauerpflegefamilie. Es scheine aber schlichtweg ausgeschlossen, unter den von der belangten Behörde und dem Bundesverwaltungsgericht geschaffenen rechtlichen Voraussetzungen – dem Beschwerdeführer komme in Österreich kein Aufenthaltsrecht zu, eine Rückkehrentscheidung gegen ihn sei lediglich für vorübergehend unzulässig erklärt worden – dem Beschwerdeführer jenes tatsächliche und rechtliche Umfeld zu schaffen, dass notwendige Voraussetzung dafür wäre, ein Privat- und Familienleben überhaupt erst zu entfalten: Obsorge und Pflege gerade von Kleinkindern beinhalteten nicht nur die Schaffung der Mindestvoraussetzungen dafür, dass ein Kind halbwegs gesund am Leben bleibe, sondern auch die Schaffung von Mindestvoraussetzungen für die Entwicklung dieses Kindes. Sie benötigten ein Mindestmaß an Rechtssicherheit und Perspektive. Eben dieses Mindestmaß an Rechtssicherheit und Lebensperspektive sei dem Beschwerdeführer aber durch die angefochtene Entscheidung verwehrt worden, ohne dass dies in den in Art 8 Abs 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen in irgendeiner Weise begründet wäre. Das Bundesverwaltungsgericht habe vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen gleichzeitig das Kindeswohl (BVG über die Rechte von Kindern, BGBl I 4/2011) völlig unbeachtet gelassen. Dem Bundesverwaltungsgericht sei im Übrigen auch in diesem Zusammenhang vorzuhalten, dass der maßgebliche Sachverhalt eben nicht geklärt gewesen sei: Auf Grund der Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes und des vorliegenden Sachverhaltes seien nämlich weitere Fragen offensichtlich indiziert gewesen, wie etwa, ob und wieweit der fehlende aufenthaltsrechtliche Status des Beschwerdeführers nicht nur diesen selbst, sondern auch seine Pflegefamilie und den Obsorgeträger daran hinderten, dem Beschwerdeführer die notwendige Unterstützung und Pflege zukommen zu lassen, für seine weitere, seiner Situation adäquaten Entwicklung Sorge zu tragen, seine Gesundheitsversorgung, seine Elementarbildung uvm. sicherzustellen. Das Bundesverwaltungsgericht hätte aber zumindest ermitteln und danach feststellen müssen, dass die prekäre aufenthaltsrechtliche Situation alle diese genannten Hindernisse nicht mit sich bringe; das geringe Alter des Beschwerdeführers werfe diese Fragestellungen aber derart offensichtlich auf, dass die Annahme der ausreichenden Klärung des maßgeblichen Sachverhaltes geradezu unverständlich erscheine. Im Übrigen könne dem Beschwerdeführer selbst nicht einmal der Vorhalt gemacht werden, durch sein Verhalten oder seinen rechtswidrigen Verbleib im Bundesgebiet Fakten geschaffen zu haben oder sich einen Aufenthalt im Bundesgebiet quasi ertrotzen oder gar erschleichen zu wollen. Ihm könne mit drei Jahren keinerlei Vorwurf daraus gemacht werden, das Kind von zwei Elternteilen zu sein, die beide zugleich nicht in der Lage seien, seine Obsorge oder auch nur sonst Verantwortung für ihn zu übernehmen.
4. Das BFA hat die Verwaltungsakten, das Bundesverwaltungsgericht seine Gerichtsakten übermittelt, von der Erstattung einer Gegenschrift wurde jedoch abgesehen.
II. Erwägungen
Die Beschwerde ist zulässig.
A. Soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen sowie gegen den Ausspruch, dass eine Rückkehrentscheidung vorübergehend unzulässig sei, richtet, ist sie auch begründet.
1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtspre-chung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
2.1. Bei dem Beschwerdeführer handelt es sich um ein im Jahr 2016 geborenes Kleinkind, dessen Mutter und Vater selbst im Falle ihrer gleichzeitigen Rückkehr nach Nigeria nach den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes bzw des für die Frage der Obsorge zuständigen Bezirksgerichtes Döbling nicht in der Lage sind, für das Kind zu sorgen. Das Bundesverwaltungsgericht stellt in seiner Entscheidung zunächst fest, eine asylrelevante Verfolgung des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat sei nicht vorgebracht worden und gehe aus dem Akteninhalt auch nicht hervor. Das Beschwerdevorbringen, dass eine alleinstehende Rückkehr des minderjährigen Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat nicht möglich sei, gehe insofern ins Leere, als das BFA eine Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer ohnedies vorübergehend für unzulässig erklärt habe. Jedoch lägen dadurch keineswegs die Voraussetzungen dafür vor, dem Beschwerdeführer den Status eines Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen. Das Bundesverwaltungsgericht stützt seine Entscheidung auf Länderberichte zur Situation in Nigeria, die keine Informationen zur Situation alleinstehender Minderjähriger enthalten.
2.2. Damit hat es das Bundesverwaltungsgericht aber gerade unterlassen, die nach § 8 Abs 1 AsylG 2005 gebotene Prüfung, ob eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, vorzunehmen. Dass diese Prüfung unterbleiben könnte, wenn sich nach § 9 Abs 3 BFA-VG herausstellt, dass eine Rückkehrentscheidung (vorübergehend) unzulässig ist, geht aus § 8 AsylG 2005 nicht hervor.
2.3. Im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung führt das Bundesverwaltungsgericht weiter aus, die Voraussetzungen für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz seien nicht gegeben, weil es für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des Art 15 der Statusrichtlinie erforderlich sei, dass der ernsthafte Schaden durch das Verhalten von Dritten (Akteuren) verursacht werde oder von einer Bedrohung in einem bewaffneten Konflikt ausgehe. Eine solche Gefahr einer Verletzung von Art 3 EMRK durch das konkrete Handeln dritter Personen habe nicht festgestellt werden können.
Das Bundesverwaltungsgericht hat die Rechtslage verkannt, indem es im Rahmen von § 8 AsylG 2005 eine Verletzung der von Art 3 EMRK geschützten Rechte nur eingeschränkt im Hinblick auf eine Verletzung, die durch Akteure oder durch einen bewaffneten Konflikt droht, prüft (vgl ).
2.4. Da das Bundesverwaltungsgericht es unterlassen hat, eine Auseinandersetzung mit dem Vorbringen, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Nigeria als alleinstehendes Kind in Rechten nach Art 3 EMRK verletzt würde, vorzunehmen und zu diesem Zweck Ermittlungen hinsichtlich der Lage alleinstehender Kleinkinder in Nigeria anzustellen, ist die Entscheidung insoweit mit Willkür belastet.
B. Im Übrigen, also soweit mit der angefochtenen Entscheidung der Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:
Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs 2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
Die Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob der Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zu Recht abgewiesen wurde, nicht anzustellen.
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit sein Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen und ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach § 57 AsylG 2005 nicht erteilt und ausgesprochen wurde, dass eine Rückkehrentscheidung vorübergehend unzulässig sei, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere (diesen Spruchpunkt betreffende) Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen und diese gemäß Art 144 Abs 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 bzw § 19 Abs 3 Z 1 iVm § 31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.
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ECLI: | ECLI:AT:VFGH:2019:E2128.2019 |
Schlagworte: | Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Kinder, Asylrecht / Vulnerabilität, Rückkehrentscheidung |
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