VfGH vom 11.12.2018, E2025/2018 ua
Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status subsidiär Schutzberechtigter und Erlassung von Rückkehrentscheidungen irakischer Staatsangehöriger mangels Auseinandersetzung mit der aktuellen Lage in der Herkunftsregion sowie mit der Situation von Kindern
Spruch
I.1. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen (§57 Asylgesetz 2005), gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen den Ausspruch, dass die Abschiebung in den Irak zulässig sei und gegen die Festsetzung einer zweiwöchigen Frist zur freiwilligen Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz, BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
II.Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 3.139,20 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren
1. Die Beschwerdeführer sind irakische Staatsangehörige, gehören der arabischen Volksgruppe sowie der muslimischen Religionsgemeinschaft sunnitischer Glaubensrichtung an und lebten vor ihrer Ausreise aus dem Irak überwiegend in der Stadt Al-Muqdadiyya in der Region Diyala. Der Erstbeschwerdeführer ist der Ehegatte der Zweitbeschwerdeführerin. Beide sind die Eltern des am geborenen Drittbeschwerdeführers und des am geborenen Viertbeschwerdeführers.
2.Der Erstbeschwerdeführer stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz. Die Zweitbeschwerdeführerin stellte am für sich und für den Dritt- und Viertbeschwerdeführer einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu den Fluchtgründen gab der Erstbeschwerdeführer an, dass er im Irak von schiitischen Milizen bedroht werde, weil sein Onkel und sein Bruder für das Regime von Saddam Hussein gearbeitet hätten. Die Milizen hätten sein Haus gesprengt. Zudem sei ein Haftbefehl gegen ihn ausgestellt worden. Anfang 2017 sei sein Cousin in seinem Heimatort tot aufgefunden worden und er nehme an, dass die Milizen seinen Cousin getötet hätten. Er sei wegen der Verwandtschaft zu seinem Cousin ebenso gefährdet. Die Zweitbeschwerdeführerin gab an, dass der Erstbeschwerdeführer im Herkunftsstaat bei einem Sicherheitsdienst gearbeitet habe und daher bedroht werde.
3.Mit Bescheiden vom wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG ab. Das BFA erteilte ihnen keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG. Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurden gegen sie Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen und weiters gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer gemäß § 46 FPG in den Irak zulässig sei. Zudem führte das BFA innerhalb des Spruches aus, dass die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführer gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.
4.Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom – nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung – abgewiesen.
5.In den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes finden sich folgende Ausführungen zur Lage von Kindern im Irak im Hinblick auf innerstaatlich Vertriebene:
"1.10. Zur Lage von Kindern im Irak im Hinblick auf innerstaatlich Vertriebene:
Kinder sind als Opfer der kriegerischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre in überproportionaler Weise von der schwierigen humanitären Lage in den Krisengebieten Iraks betroffen. Sehr viele Kinder und Jugendliche sind entweder für sich genommen von Gewalt betroffen oder dadurch, dass ihre Familienmitglieder zu Opfern von Gewalt wurden. Vor allem Kinder und Jugendliche, die mit ihren Familien innerhalb des Iraks flüchten, sind von besonderer Vulnerabilität. Junge Männer laufen in Krisenherden zudem Gefahr, als Soldaten rekrutiert zu werden.
Dennoch kann festgestellt werden, dass immer mehr Binnenflüchtlinge wieder in ihre Heimat zurückkehren, so wird berichtet, dass, obwohl nach wie vor ca. 2,6 Millionen irakische Staatsangehörige nach wie vor Schutz in anderen Teilen des Iraks suchen, Ende des Jahres 2017 ca. 3,2 Millionen Binnenvertriebene wieder in ihre früheren Wohnorte zurückgekehrt sind. Es ist festzustellen, dass sich in Gebieten, die vom IS befreit wurden, das Leben auch für Kinder langsam wieder stabilisiert. Dass Kinder in Regionen, in denen derzeit keine Kriegshandlungen gesetzt werden, zB. in BAGDAD, ERBIL oder BASRA, von einer über die allgemeine angespannte Sicherheitslage hinausgehenden humanitären Kriegs- oder Krisensituation ausgesetzt wären, konnte nicht festgestellt werden.
Quellen:
BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, , https://www.ecoi.net/en/file/local/1416409/5818_1508929404_irak-lib-2017-08-24-ke.doc mwN (Zugriff am )
IOM, Number of Returns Exceeds Number of Displaced Iraqis: UN Migration Agency, , https://www.iom.int/news/number-returns-exceeds-number-displaced-iraqis-un-migration-agency (Zugriff am )
Schwedische Einwanderungsbehörde, The Security Situation in Iraq: July 2016-November 2017, , https://www.ecoi.net/en/file/local/1420556/1226_1514470370_17121801.pdf (Zugriff am )"
6.Zu den innerstaatlichen Fluchtalternativen der beschwerdeführenden Parteien führt das Bundesverwaltungsgericht Folgendes aus:
"1.8. Zu innerstaatlichen Fluchtalternativen der beschwerdeführenden Parteien als arabische Sunniten im Irak:
Laut UNHCR wurden in fast allen Teilen des Landes für Binnenflüchtlinge verschärfte Zugangs- und Aufenthaltsbeschränkungen implementiert. Zu den verschärften Maßnahmen gehören die Notwendigkeit des Vorweisens eines Bürgen, die Registrierung bei den lokalen Behörden, sowie das Durchlaufen von Sicherheitsüberprüfungen durch mehrere verschiedene Sicherheitsbehörden, da die Regionen fürchten, dass sich IS Kämpfer unter den Schutzsuchenden befinden.
Zugangs- und Aufenthaltsberechtigungen variieren von Provinz zu Provinz und beinhalten nicht nur Sicherheits-Screenings, sondern hängen Berichten zufolge auch vom persönlichen Profil der flüchtenden Personen und Familien ab, wie zB. vom ethnisch-konfessionellen Hintergrund, dem Herkunftsort oder der Zusammensetzung der Familie der jeweiligen Person. Eine ID-Karte ist in fast allen Regionen von Nöten, doch besteht nicht in jeder Region die Notwendigkeit eines Bürgen.
Für den Süden des Iraks (BABIL, BASRA, KERBALA, NAJAF, MISSAN, MUTHANNA, QADDISIYA, THI-QAR und WASSIT) liegen generell nur wenige Berichte über Menschenrechtsverletzungen von schiitischen Milizen an Sunniten vor. Im Süden des Iraks leben ca. 400.000 Sunniten sowie Angehörige anderer Minderheiten. Die Region Südirak hat ca. 200.000 flüchtende irakische Staatsangehörige aufgenommen.
Im Regelfall können sich irakische Staatsangehörige mit einer irakischen ID-Karte in den Gebieten des Südiraks frei und ohne Einschränkungen bewegen. BASRA betreffend besteht Berichten zufolge grundsätzlich auch für Binnenflüchtlinge die Möglichkeit zur Inanspruchnahme von Leistungen des staatlichen Gesundheitssystems. Laut eines Berichts der IOM haben in BASRA zudem 80 % der Binnenflüchtlinge die Möglichkeit, am örtlichen Bildungssystem und am Arbeitsmarkt teilzuhaben. In den meisten Gemeinden ist es auch für Frauen möglich, Berufen nachzugehen, allerdings vor allem solche, die von zuhause aus ausgeübt werden können.
Quellen:
[…]
Es ist möglich, ohne Bürgschaft in die AUTONOME REGION KURDISTAN einzureisen. Eine Einreise ist über den Internationalen Flughafen ERBIL als auch auf dem Landweg möglich. Laut Bericht der International Organisation for Immigration (IOM) würden irakische Bürger bei der Ankunft an einem Checkpoint einer Landgrenze zu KURDISTAN oder am Flughafen eine einwöchige Aufenthaltserlaubnis erhalten. Irakische Staatsbürger können sich zB. in ERBIL frei bewegen und von dort aus in alle Provinzen einreisen. Binnenflüchtlinge müssen sich bei der Einreise registrieren und können dann eine dauerhafte Aufenthaltsberechtigung beantragen. Ob eine Person ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht bzw eine verlängerbare Aufenthaltsgenehmigung in der AUTONOMEN REGION KURDISTAN bekommt, hängt dabei oft vom ethischen, religiösen und persönlichen Profil ab. Die Notwendigkeit eines Bürgen zur Erlangung einer Aufenthaltsgenehmigung differiert von Provinz zu Provinz und wird zuweilen auch willkürlich gehandhabt. In manchen Provinzen kann ein Bürge notwendig werden, um sich dort niederzulassen oder dort zu arbeiten.
Arabische Binnenflüchtlinge können in der Region SULAIMANIYYA zunächst eine temporäre Aufenthaltsgenehmigung erhalten und sodann den Daueraufenthalt beantragen. In SULAIMANIYYA ist nach Berichten der UNHCR kein Bürge notwendig, um sich niederzulassen oder eine Arbeitsbewilligung zu erhalten. Berichten der IOM zufolge leben 90 % aller Binnengeflüchteten in SULAIMANIYYA in stabilen sanitären Verhältnissen und haben 83 % Zugang zum staatlichen Gesundheitssystem. Im Regelfall können binnengeflüchtete Menschen in SULAIMANIYYA am Bildungssystem teilhaben. Binnengeflüchtete haben in SULAIMANIYYA die Möglichkeit in den verschiedensten Feldern zu den gleichen Löhnen wie ortsansässige Personen zu arbeiten.
In BAGDAD gibt es sunnitisch geprägte Viertel. Zur Einreise von sunnitischen Arabern in das Stadtgebiet BAGDADS müssen sich diese einem Sicherheitscheck unterziehen, vor allem, wenn sie aus vom IS dominierten Gebieten kommen. Darüber hinaus kann es notwendig werden, einen Bürgen vorzuweisen. Auch um BAGDAD herum gibt es Flüchtlingslager und Aufnahmestationen.
Quellen:
[…]"
7.Zur Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten führt das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass es im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht habe feststellen können, dass die Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat aus in ihren Personen gelegenen Gründen oder auf Grund der allgemeinen Lage vor Ort der realen Gefahr einer Verletzung ihrer durch Art 2, 3 EMRK oder durch die Protokolle Nr 6 oder 13 zur EMRK geschützten Rechte ausgesetzt wären.
Das Bundesverwaltungsgericht verkenne die angespannte allgemeine Sicherheits- und Versorgungslage im Irak, sowie die schwierige und komplexe Situation im kurdischen Autonomiegebiet, in Bagdad und im Südirak, nicht. Jedoch sei die Sicherheitslage innerhalb der Provinzen der kurdischen Autonomieregion des Nordirak, nämlich in Dohuk, in Erbil und in Al-Sulaimaniyya, durch Maßnahmen der regionalen Sicherheitskräfte und Grenzkontrollen und innerregionale Aufenthaltsbestimmungen stabil, ebenso verhalte es sich in Basra und in einigen Gebieten des Südiraks.
Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin seien gesunde, junge Erwachsene, bei denen die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden könne. Insbesondere beim Erstbeschwerdeführer könne auf Grund seiner Ausbildung (Schulabschluss mit Matura) und seiner bisherigen Berufserfahrung (mehrjährige Tätigkeit als selbstständiger Bauunternehmer) davon ausgegangen werden, dass er nach seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat in der Lage sein werde, ein ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften.
Die Beschwerdeführer hätten in Diyala in wirtschaftlich stabilen Verhältnissen gelebt und in einem Haus gewohnt, welches in ihrem Eigentum stehe. Angesichts der nach wie vor im Irak, zB. in Diyala, wohnhaften Verwandten der Erst- und Zweitbeschwerdeführer könnten die Beschwerdeführer nach ihrer Rückkehr auch von familiärer Seite Hilfestellung erwarten, zumal, wenn auch nur lose, Kontakt zu den im Irak lebenden Familienmitgliedern bestehen würde.
Auch in Bezug auf die im Kindesalter befindlichen, minderjährigen Dritt- und Viertbeschwerdeführer könne, angesichts der in der Kernfamilie bestehenden stabilen Verhältnisse, nicht erkannt werden, dass den beschwerdeführenden Parteien im Falle einer Rückkehr in den Irak die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre und die Schwelle des Art 3 EMRK überschritten wäre. So seien die Eltern (namentlich der Erst- und Zweitbeschwerdeführer) sichtlich um das Kindeswohl und deren wirtschaftliche Absicherung bemüht und könne der Erstbeschwerdeführer durch seine berufliche Tätigkeit für eine sichere Lebenssituation der Kinder sorgen. Darüber hinaus würden die Kinder durch zahlreiche Verwandte im Herkunftsstaat auch auf die Hilfe durch einen erweiterten Familienkreis zurückgreifen können. Dies sei auch im Lichte dessen zu sehen, dass weder der Erstbeschwerdeführer noch die Zweitbeschwerdeführerin ein entsprechend substantiiertes Vorbringen dahingehend erstattet hätten, dass ihnen im Falle ihrer Rückführung in den Herkunftsstaat jegliche Existenzgrundlage fehlen würde und die Familie in Ansehung existenzieller Grundbedürfnisse (wie etwa Versorgung mit Lebensmitteln oder einer Unterkunft) einer lebensbedrohlichen Situation ausgesetzt wäre, zumal es für sie bereits einmal möglich gewesen sei, in einer Flüchtlingsunterkunft im Nordirak Schutz zu finden.
Abgesehen davon sei es nach den einschlägigen Länderberichten für Binnenflüchtlinge – wenn auch in schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen und in einer schlechteren sozialen Stellung – in der Autonomen Region Kurdistan oder in südirakischen Provinzen möglich, Unterkunft zu nehmen und am jeweiligen Arbeitsmarkt, wenn auch nur im Rahmen von Gelegenheitsarbeiten, teilzunehmen. Für die Kinder von Binnenflüchtlingen bestehe auch in diesen Regionen grundsätzlich die Möglichkeit, zur Schule zu gehen. Eine die physische Existenz nur unzureichend sichernde Versorgungssituation im Herkunftsstaat, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Art 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen würde, liege nicht vor.
8.Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels und zur Erlassung der Rückkehrentscheidung führt das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus:
Bei der im Anlassfall bestehenden Aufenthaltsdauer des Erstbeschwerdeführers von lediglich zwei Jahren und ca. acht Monaten und bei der Zweit-, dem Dritt- und dem Viertbeschwerdeführer von ca. einem Jahr und acht Monaten könne noch keine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden, zumal der Verwaltungsgerichtshof selbst bei einer Aufenthaltsdauer von dreieinhalb Jahren von einem kurzen Aufenthalt ausgehe ( Zl 2007/01/0479). Während dieses Aufenthalts könnten die beschwerdeführenden Parteien nicht in begründeter Weise von einer zukünftigen dauerhaften Legalisierung ihres Aufenthalts ausgehen.
Mit dem im Bundesgebiet wohnhaften Bruder des Erstbeschwerdeführers (welchem laut Auszug aus dem Zentralen Fremdenregister in Österreich internationaler Schutz zukomme) würden die beschwerdeführenden Parteien in Österreich über kein schützenswertes Familienleben iSd Art 8 EMRK verfügen. Der Erstbeschwerdeführer habe zwar vom bis zum bei seinem Bruder gelebt und bringe vor, dass er bei seinem Bruder zu arbeiten beginnen wolle. Auf Grund dieser Umstände sei ein Element besonderer (finanzieller) Abhängigkeit zwischen den Geschwistern jedoch noch nicht zu erkennen und sei auch kein Beleg dafür erbracht worden, dass der Erstbeschwerdeführer tatsächlich bei seinem Bruder arbeiten könne. Eine über die emotionale Bindung hinausgehende intensive Bindung zu seinem Bruder könne dem Erstbeschwerdeführer nicht konstatiert werden.
9.Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des "verfassungsgesetzlich durch Art 3 EMRK und Art 4 GRC gewährleisteten Recht[es], keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung ausgesetzt zu sein", sowie im "verfassungsgesetzlich durch das BVG zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassistischer Diskriminierung gewährleisteten Recht[es] auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander" behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
10.Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift bzw Äußerung abgesehen.
II.Erwägungen
1.Die – zulässige – Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak richtet, begründet.
2.Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur, weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander. Deren Ungleichbehandlung ist nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungs-sphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechts-lage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
3.Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten unterlaufen:
3.1.Gemäß § 8 Abs 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, dessen Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2, 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
3.2.Die Begründung des Bundesverwaltungsgerichtes hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten erschöpft sich im Wesentlichen darin, dass dieses zusammengefasst ausführt, die Familie würde – angesichts der Erwerbsfähigkeit der Erst- und Zweitbeschwerdeführer, der möglichen Unterstützung durch im Irak aufhältige Verwandte und des Umstandes, dass der Erstbeschwerdeführer bislang in der Lage war, seine Familie allein zu ernähren und mit ihnen in einem Eigenheim zu leben – nach ihrer Rückkehr in keine Notlage geraten. Zur Frage, in welche Region eine Rückkehr der Beschwerdeführer möglich wäre, verweist das Bundesverwaltungsgericht – an verschiedenen Stellen der Entscheidung – pauschal darauf, dass für die Beschwerdeführer im Herkunftsstaat innerstaatliche Fluchtmöglichkeiten bestehen würden (so etwa "sowohl im Nordirak, als auch in BAGDAD und dem schiitisch geprägten Südirak", in der Autonomen Region Kurdistan bzw "in der kurdischen Autonomieregion des Nordiraks, nämlich in DOHUK, in ERBIL und in AL-SULAIMANIYYA", "in BASRA und einigen Gebieten des Südiraks", "in südirakischen Provinzen"). Betreffend die Herkunftsregion der Beschwerdeführer stellt das Bundesverwaltungsgericht fest, dass diese aus der Region Diyala, und der Stadt AL-Muqdadiyya, stammen.
Das Bundesverwaltungsgericht hat es bei seinen Ausführungen hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten unterlassen, sich konkret mit der aktuellen allgemeinen Lage in jener Region auseinanderzusetzen, aus der die Beschwerdeführer stammen bzw die als innerstaatliche Fluchtalternative fungieren soll, und diese in der Begründung des Erkenntnisses mit der individuellen Situation der Beschwerdeführer in Beziehung zu setzen (zu diesen Anforderungen in den Irak betreffenden Fällen vgl zB VfSlg 20.140/2017, 20.141/2017; ; , E566/2017; , E2927/2017; , E4317/2017; , E4387/2017; , E1764-1771/2018). Einer solchen Auseinandersetzung kommt im vorliegenden Fall besondere Bedeutung zu, weil die Sicherheitslage im Irak von Provinz zu Provinz variiert (s VfSlg 20.141/2017) und es sich bei den Beschwerdeführern um eine Familie mit zwei minderjährigen Kindern und somit – betreffend die Minderjährigen – um besonders vulnerable Personen handelt (vgl die Definition schutzbedürftiger Personen in Art 21 der Richtlinie 2013/33/EU zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen [Aufnahmerichtlinie], s. ; vgl auch ).
3.3.Zudem unterlässt das Bundesverwaltungsgericht eine nähere Auseinander-setzung mit den von ihm selbst wiedergegebenen Passagen in den Länderberichten, aus denen unter anderem hervorgeht, dass insbesondere Kinder als Opfer der kriegerischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre in überproportionaler Weise von der schwierigen humanitären Lage in den Krisengebieten des Irak betroffen sind (s zur gebotenen Auseinandersetzung mit den getroffenen Feststellungen ; , E4469/2017 ua mwN).
Auf welche Quellen das Bundesverwaltungsgericht seine Ausführungen stützt, wonach nicht festgestellt werden könne, dass Kinder in Regionen, in denen derzeit keine Kriegshandlungen gesetzt würden (zB in Bagdad, Erbil oder Basra), einer über die allgemeine, angespannte Sicherheitslage hinausgehenden humanitären Kriegs- oder Krisensituation ausgesetzt wären, ist für den Verfassungsgerichtshof – vor dem Hintergrund der zitierten Quellen – nicht nachvollziehbar. Entsprechende Informationen finden sich nicht in den vom Bundesverwaltungsgericht als Quellen zitierten Länderberichten (nämlich dem Länderinformationsblatt der BFA Staatendokumentation, dem IOM-Bericht und dem Bericht der schwedischen Einwanderungsbehörde). Vielmehr weisen diese Berichte auf eine gegenteilige Situation von Kindern im Irak hin. Die beschriebenen Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts zur Lage von Kindern im Irak sind daher aktenwidrig.
3.4.Soweit sich das Erkenntnis auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten an den Dritt- und Viertbeschwerdeführer – und daran anknüpfend – auf die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen sowie die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung bzw der Abschiebung in den Herkunftsstaat Irak unter Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise bezieht, ist es somit mit Willkür behaftet und insoweit aufzuheben. Dieser Mangel schlägt gemäß § 34 Abs 4 AsylG 2005 auf die Entscheidung betreffend den Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin durch (VfSlg 19.855/2014, ua) und belastet auch diese mit (objektiver) Willkür (etwa VfSlg 19.401/2011 mwN). Daher ist das Erkenntnis auch betreffend den Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin – im selben Umfang wie hinsichtlich des Dritt- und Viertbeschwerdeführers – aufzuheben.
4.Im Übrigen (hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtig-ten) wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:
4.1.Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs 2 BVG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
4.2.Die Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.
III.Ergebnis
1.Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit ihre Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung sowie die Festsetzung der Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2.Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
3.Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 bzw § 19 Abs 3 Z 1 iVm § 31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4.Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 523,20 enthalten. Da die Beschwerdeführer gemeinsam durch einen Rechtsanwalt vertreten sind, ist der einfache Pauschalsatz, erhöht um einen entsprechenden Streitgenossenzuschlag, zuzusprechen.
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ECLI: | ECLI:AT:VFGH:2018:E2025.2018 |
Schlagworte: | Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, Kinder |
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