TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
VfGH vom 22.09.2017, E1965/2017

VfGH vom 22.09.2017, E1965/2017

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung des Asylantrags eines staatenlosen Palästinensers wegen objektiver Willkür infolge Verkennung der auf die Judikatur des EuGH gestützten Rechtsanschauung des VfGH betreffend den "ipso facto"-Schutz infolge Wegfalls des Beistands der UNRWA

Spruch

I.Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II.Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, angefochtene Entscheidung und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist ein aus Gaza stammender staatenloser Palästinenser. Ausweislich einer im Akt befindlichen Registrierungskarte ist er bei der United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East (im Folgenden: UNRWA) als palästinensischer Flüchtling in Gaza/Rimal registriert. Nach seiner Einreise in das österreichische Bundesgebiet stellte der Beschwerdeführer am einen Antrag auf internationalen Schutz. Als Fluchtgrund gab er an, er sei im Medienbereich der Fatah aktiv gewesen und auf Grund seiner Beteiligung an Vorbereitungen für Feste der Fatah von Hamas-Anhängern mehrmals in Haft genommen und gefoltert worden. Über seinen Vater habe er erfahren, dass sein Name auf einer schwarzen Liste stehe. Daher habe er Gaza schließlich im Juli 2014 verlassen.

2.Mit Bescheid vom wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Der Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs 1 AsylG 2005 jedoch zuerkannt (Spruchpunkt II.). Das BFA erteilte gemäß § 8 Abs 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum (Spruchpunkt III.). Die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten begründet das BFA damit, dass es im Fall der Rückkehr in das Herkunftsgebiet nicht ausgeschlossen werden könne, dass der Beschwerdeführer durch die herrschende prekäre wirtschaftliche Lage in eine ausweglose Situation geraten würde sowie einer konkreten Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bzw. internationalen Konfliktes ausgesetzt wäre. Auf Grund der bestehenden Versorgungs- und Gefahrenlage drohe praktisch jedem die konkrete Gefahr einer Verletzung der durch Art 2 und Art 3 EMRK gewährleisteten Rechte.

3.Das Bundesverwaltungsgericht wies die gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhobene Beschwerde mit der Maßgabe ab, dass der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 6 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 abgewiesen wird. Begründend führt das Bundesverwaltungsgericht unter Berücksichtigung einschlägiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes und des Gerichtshofes der Europäischen Union zunächst aus, dass dem Beschwerdeführer angesichts seiner Registrierung bei der UNRWA in Gaza als staatenloser palästinensischer Flüchtling deren Beistand zukomme. Es sei daher zu prüfen, ob dieser Schutz "aus irgendeinem Grund nicht oder nicht länger gewährt wird", wobei es sich nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union um einen vom Beschwerdeführer nicht zu kontrollierenden und von seinem Willen unabhängigen Grund handeln müsse. Bejahendenfalls komme dem Beschwerdeführer "ipso facto" der Flüchtlingsstatus zu.

Dem Fluchtvorbringen im Hinblick auf die behauptete Verfolgung durch die Hamas sei jedoch "mangels glaubhafter Angaben dazu nicht zu folgen und damit schon diesbezüglich das Vorliegen von 'nicht (vom Beschwerdeführer) zu kontrollierenden und von seinem Willen unabhängigen Gründen' nicht festzustellen." Anderweitige außerhalb des Einflussbereichs des Beschwerdeführers liegende Gründe für die Unmöglichkeit einer Inanspruchnahme des Beistandes der UNRWA "wurden weder behauptet noch waren sie von Amts wegen festzustellen, zumal auch die länderkundlichen Informationen zur Herkunftsregion des Beschwerdeführers nicht aufzeigen, dass eine Ausreise dorthin grundsätzlich unmöglich wäre oder die UNRWA dort ihre Aktivitäten eingestellt hätte." Es sei daher festzustellen gewesen, "dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in die Herkunftsregion den Beistand der UNRWA in Anspruch nehmen kann und er damit auch nicht den privilegierten Schutz von Art 1 Abschnitt D GFK bzw. Art 12 Abs 1 Buchst. a Satz 1 der Status-RL genießt". Im Hinblick auf den dem Beschwerdeführer bereits zuerkannten Status des subsidiär Schutzberechtigten sei anzumerken, "dass derartige Gründe, die zur Gewährung von subsidiärem Schutz führen, nicht als Ursache für den Wegfall des Beistandes von UNRWA angesehen werden können". Eine Interpretation in diesem Sinne würde nämlich "im Ergebnis dazu führen, dass es zu einer Asylgewährung aus Gründen kommt, die aber in Wahrheit lediglich die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen". Die Gründe für die Gewährung des subsidiären Schutzes seien gesondert zu prüfen. In diesem Sinne verweise auch § 6 Abs 2 letzter Satz AsylG 2005 auf die Geltung des § 8 AsylG 2005.

4.Gegen diese Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander behauptet wird.

5.Das BFA und das Bundesverwaltungsgericht haben von der Erstattung einer Äußerung bzw. Gegenschrift abgesehen.

II.Rechtslage

1.Die §§3, 6 und 8 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005AsylG 2005), BGBl I 100/2005 idF. BGBl I 24/2016, lauten wie folgt:

"Status des Asylberechtigten

§3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§2 Abs 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.

(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn

1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§11) offen steht oder

2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§6) gesetzt hat.

(4) Einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, kommt eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu. Die Aufenthaltsberechtigung gilt drei Jahre und verlängert sich um eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird. Bis zur rechtskräftigen Aberkennung des Status des Asylberechtigten gilt die Aufenthaltsberechtigung weiter. Mit Rechtskraft der Aberkennung des Status des Asylberechtigten erlischt die Aufenthaltsberechtigung.

(4a) Im Rahmen der Staatendokumentation (§5 BFA-G) hat das Bundesamt zumindest einmal im Kalenderjahr eine Analyse zu erstellen, inwieweit es in jenen Herkunftsstaaten, denen im Hinblick auf die Anzahl der in den letzten fünf Kalenderjahren erfolgten Zuerkennungen des Status des Asylberechtigten eine besondere Bedeutung zukommt, zu einer wesentlichen, dauerhaften Veränderung der spezifischen, insbesondere politischen, Verhältnisse, die für die Furcht vor Verfolgung maßgeblich sind, gekommen ist.

(4b) In einem Familienverfahren gemäß § 34 Abs 1 Z 1 gilt Abs 4 mit der Maßgabe, dass sich die Gültigkeitsdauer der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach der Gültigkeitsdauer der Aufenthaltsberechtigung des Familienangehörigen, von dem das Recht abgeleitet wird, richtet.

(5) Die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrags auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, ist mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

[…]

Ausschluss von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten

§6. (1) Ein Fremder ist von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen, wenn

1. und so lange er Schutz gemäß Art 1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention genießt;

2. einer der in Art 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Ausschlussgründe vorliegt;

3. aus stichhaltigen Gründen angenommen werden kann, dass der Fremde eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt, oder

4. er von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist und wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutet. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl Nr 60/1974, entspricht.

(2) Wenn ein Ausschlussgrund nach Abs 1 vorliegt, kann der Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ohne weitere Prüfung abgewiesen werden. § 8 gilt.

[…]

Status des subsidiär Schutzberechtigten

§8. (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,

1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder

2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,

wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(2) Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs 1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

(3) Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§11) offen steht.

(3a) Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs 1 oder aus den Gründen des Abs 3 oder 6 abzuweisen, so hat eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs 2 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.

(4) Einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, ist vom Bundesamt oder vom Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom Bundesamt für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.

(5) In einem Familienverfahren gemäß § 34 Abs 1 Z 2 gilt Abs 4 mit der Maßgabe, dass die zu erteilende Aufenthaltsberechtigung gleichzeitig mit der des Familienangehörigen, von dem das Recht abgeleitet wird, endet.

(6) Kann der Herkunftsstaat des Asylwerbers nicht festgestellt werden, ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen. Diesfalls ist eine Rückkehrentscheidung zu verfügen, wenn diese gemäß § 9 Abs 1 und 2 BFA-VG nicht unzulässig ist.

(7) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten erlischt, wenn dem Fremden der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird."

2.Art1 Abschnitt D und Art 5 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl 55/1955 idF BGBl 78/1974 (im Folgenden: GFK), lauten wie folgt:

"Artikel 1

Definition des Ausdruckes 'Flüchtling'

[…]

D. Dieses Abkommen wird auf Personen keine Anwendung finden, die derzeit von anderen Organen oder Organisationen der Vereinten Nationen als dem Hochkommissär der Vereinten Nationen für Flüchtlinge Schutz oder Hilfe erhalten.

Wenn dieser Schutz oder diese Hilfe aus irgendeinem Grunde wegfällt, ohne daß die Stellung dieser Personen gemäß den bezüglichen Beschlüssen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig geregelt ist, so werden diese Personen ipso facto der Vorteile dieses Abkommens teilhaftig.

[…]

Artikel 5

Rechte außerhalb des Abkommens

Dieses Abkommen soll keinerlei Rechte oder Vorteile, die von einem vertragschließenden Staat vor oder neben diesem Abkommen gewährt wurden, beeinträchtigen."

3.Die Art 2 und 12 der Richtlinie 2011/95/EU über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Neufassung), ABl. 2011 L 337, 9 ff. (im Folgenden: Status-RL) lauten wie folgt:

"Artikel 2

Begriffsbestimmungen

Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

[…]

c) 'Genfer Flüchtlingskonvention' das in Genf abgeschlossene Abkommen vom über die Rechtsstellung der Flüchtlinge in der durch das New Yorker Protokoll vom geänderten Fassung;

d) 'Flüchtling' einen Drittstaatsangehörigen, der aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder einen Staatenlosen, der sich aus denselben vorgenannten Gründen außerhalb des Landes seines vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts befindet und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht dorthin zurückkehren will und auf den Artikel 12 keine Anwendung findet;

[…]

Artikel 12

Ausschluss

(1) Ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser ist von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen, wenn er

a) den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Institution der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge gemäß Artikel 1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention genießt. Wird ein solcher Schutz oder Beistand aus irgendeinem Grund nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig geklärt worden ist, genießt er ipso facto den Schutz dieser Richtlinie;

[…]"

III.Erwägungen

Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:

1.Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001)oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2.Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1. Bereits in VfSlg 19.777/2013 und in der Folge neuerlich in seiner Entscheidung vom , U73/2014, hat der Verfassungsgerichtshof dargelegt, wie sich die Rechtsstellung von Asylwerbern, die grundsätzlich unter dem Schutz oder Beistand einer von Art 1 Abschnitt D GFK erfassten Organisation der Vereinten Nationen stehen, von jener anderer Asylwerber unterscheidet. Nachweislich seiner UNRWA-Registrierungskarte stand der nunmehrige Beschwerdeführer unter dem Schutz einer solchen Organisation.

Gemäß § 6 Abs 1 AsylG 2005 (in Umsetzung des Art 12 Abs 1 lita erster Satz Status-RL und dieser wiederum in Entsprechung des Art 1 Abschnitt D erster Satz GFK) sind diese Personen von der Anerkennung als Flüchtling zunächst ausgeschlossen. Sie genießen aber – nach der in diesem Punkt im innerstaatlichen Recht nicht umgesetzten und sohin unmittelbar anwendbaren Bestimmung des zweiten Satzes des Art 12 Abs 1 lita Status-RL – dann "ipso facto" den Schutz der Status-RL bzw. der GFK, wenn der Schutz oder Beistand einer solchen Organisation "aus irgendeinem Grund" nicht länger gewährt wird. Dieser "ipso facto"-Schutz bewirkt insofern eine Privilegierung, als für die Zuerkennung des Status von Asylberechtigten keine Verfolgung aus den in Art 1 Abschnitt A GFK genannten Gründen glaubhaft zu machen ist, sondern nur, dass sie erstens unter dem Schutz der UNRWA gestanden sind und zweitens, dass dieser Beistand aus "irgendeinem Grund" weggefallen ist. Die erste Voraussetzung ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union mit der Vorlage einer UNRWA-Registrierungskarte erfüllt (, Bolbol, Rz 52). Die zweite Voraussetzung erfordert eine Prüfung, "ob der Wegzug des Betroffenen durch nicht von ihm zu kontrollierende und von seinem Willen unabhängige Gründe gerechtfertigt ist, die ihn zum Verlassen dieses Gebiets zwingen und somit daran hindern, den vom UNRWA gewährten Beistand zu genießen" (, El Kott, Rz 61). Ein Zwang zum Verlassen des Einsatzgebietes einer Organisation iSd Art 12 Abs 1 lita zweiter Satz Status-RL liegt nach den Ausführungen des Gerichtshofes der Europäischen Union in der Rechtssache El Kott dann vor, wenn sich die betroffene Person in einer sehr unsicheren persönlichen Lage befand und es der betreffenden Organisation oder Institution unmöglich war, ihr in diesem Gebiet Lebensverhältnisse zu gewährleisten, die mit der dieser Organisation oder Institution obliegenden Aufgabe im Einklang stehen (EuGH, El Kott, Rz 65). In der Unterscheidung dieser Umstände von individuellen Verfolgungsgründen iSd Art 1 Abschnitt A GFK liegt geradezu das Wesen des "ipso facto"-Schutzes nach Art 1 Abschnitt D GFK bzw. Art 12 Abs 1 lita Status-RL ().

2.2. Das Bundesverwaltungsgericht folgt der in VfSlg 19.777/2013 geäußerten, auf die Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Union gestützten Rechtsanschauung des Verfassungsgerichtshofes insoweit, als es auf Basis der vom Beschwerdeführer im Verfahren vorgelegten Registrierungskarte der UNRWA die tatsächliche Inanspruchnahme der Unterstützung dieser Organisation iSd Art 1 Abschnitt D Abs 1 GFK bzw. Art 12 Abs 1 lita erster Satz der Status-RL bejaht.

Indem das Bundesverwaltungsgericht im nächsten Schritt das Vorliegen von nicht vom Beschwerdeführer zu kontrollierenden und von seinem Willen unabhängigen Gründen schon wegen der nicht glaubhaft vorgebrachten individuellen Verfolgung ausschließt, missachtet es die vom Verfassungsgerichtshof in Anschluss an den Gerichtshof der Europäischen Union zum Ausdruck gebrachte Rechtsansicht. Mit dem Nachsatz, dass die Länderinformationen nicht aufzeigen würden, dass eine Ausreise nach Gaza "grundsätzlich unmöglich wäre oder die UNRWA dort ihre Aktivitäten eingestellt hätte", greift das Bundesverwaltungsgericht zudem auf einen Textbaustein zurück, den der Verfassungsgerichtshof als Begründung einer gleichgelagerten Entscheidung des Asylgerichtshofes vom , E3 421.668-1/2011-30E, nicht genügen ließ. In seinem Erkenntnis vom , U73/2014, bemängelte der Verfassungsgerichtshof insbesondere die fehlende Auseinandersetzung des Asylgerichtshofes mit der Zumutbarkeit der Rückkehr des Beschwerdeführers in das Einsatzgebiet der UNRWA vor dem Hintergrund der Tatsache, dass dem Beschwerdeführer subsidiärer Schutz zuerkannt worden war.

Die nunmehrige Auseinandersetzung des Bundesverwaltungsgerichtes mit dieser Frage beschränkt sich im Wesentlichen auf die Aussage, dass es zu keiner Asylgewährung aus Gründen kommen könne, die lediglich die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden. Diese Erwägungen stehen in Widerspruch zu dem soeben dargelegten völker- und unionsrechtlichen System, in dem Personen, die dem Schutz der UNRWA (nicht mehr) unterstehen, einen Sonderstatus einnehmen. Isoliert betrachtet kommt ihnen daher kein Begründungswert zu.

2.3. Das Bundesverwaltungsgericht hat demnach die vom Verfassungsgerichtshof in VfSlg 19.777/2013 und in seiner Entscheidung vom , U73/2014, in Anschluss an die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union in der Rechtssache El Kott zum Ausdruck gebrachte Rechtsanschauung und damit die Rechtslage in einer Weise verkannt, die das angefochtene Erkenntnis mit Willkür belastet.

IV.Ergebnis

1.Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben.

2.Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3.Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe (auch) im Umfang des § 64 Abs 1 Z 1 lita ZPO genießt.

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
ECLI:
ECLI:AT:VFGH:2017:E1965.2017
Schlagworte:
Asylrecht, EU-Recht Richtlinie, Auslegung gemeinschaftsrechtskonforme, Bindung (der Verwaltungsgerichte an VfGH), Entscheidungsbegründung

Dieses Dokument entstammt dem Rechtsinformationssystem des Bundes.