VfGH vom 11.10.2017, E1913/2015

VfGH vom 11.10.2017, E1913/2015

Leitsatz

Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses im Anlassfall

Spruch

I.Die Beschwerdeführerin ist durch das angefochtene Erkenntnis wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II.Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

1.Die Beschwerdeführerin, eine (im Entscheidungszeitpunkt des Bundesverwaltungsgerichtes) 46-jährige chinesische Staatsangehörige, absolvierte in ihrem Herkunftsstaat eine Ausbildung in der Gesundheits- und Krankenpflege, die in Österreich mit Bescheid der Stadt Wien vom nostrifiziert wurde. Die in diesem Bescheid als Bedingung seiner Wirksamkeit vorgeschriebene Ergänzungsausbildung hat die Beschwerdeführerin – der diesbezüglichen Beurkundung des Landeshauptmannes von Wien zufolge – mit erfolgreich absolviert. Sie verfügt nach den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes ferner über Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1 und hat in Österreich drei volle Jahre in einem ausbildungsadäquaten Beruf bei der Caritas der Erzdiözese Wien gearbeitet.

1.1.Mit Schriftsatz vom beantragte die Beschwerdeführerin bei der nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (im Folgenden: NAG) zuständigen Behörde, dass ihr gemäß § 12a AuslBG eine "Rot-Weiß-Rot—Karte" für eine Fachkraft im Unternehmen der Caritas der Erzdiözese Wien ausgestellt werde. Diese leitete den Antrag gemäß § 20d NAG an das Arbeitsmarktservice Wien-Esteplatz (im Folgenden: AMS) weiter. Mit Bescheid vom wies das AMS den Antrag ab. Begründend führte es aus, dass die Beschwerdeführerin bei den Zulassungskriterien für Fachkräfte in Mangelberufen gemäß § 12a AuslBG (Qualifikation, ausbildungsadäquate Berufserfahrung, Sprachkenntnisse, Alter) die in der Anlage B des AuslBG normierte Mindestpunkteanzahl von 50 Punkten nicht erreicht habe.

1.2.Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und brachte vor, dass die vom AMS vorgenommene Punkteberechnung unrichtig sei. Das AMS wies die Beschwerde mittels Beschwerdevorentscheidung vom ab. Daraufhin stellte die Beschwerdeführerin einen Vorlageantrag an das Bundesverwaltungsgericht. Dieses führte ein ergänzendes Ermittlungsverfahren durch und wies die Beschwerde in einem gemäß § 20f AuslBG gebildeten Senat mit Erkenntnis vom als unbegründet ab.

2.Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander und eine Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet wird. Begründend wird im Wesentlichen vorgebracht, dass die Punkteregelung in der Kategorie "Alter" in Anlage B zu § 12a AuslBG dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander und Art 21 GRC iVm der Gleichbehandlungsrichtlinie widerspreche. Unter einem wird beantragt, die Beschwerde im Falle ihrer Abweisung oder Ablehnung an den Verwaltungsgerichtshof abzutreten.

3.Aus Anlass dieser Beschwerde leitete der Verfassungsgerichtshof gemäß Art 140 Abs 1 Z 1 litb B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 12a Z 2 sowie der Anlage B "Zulassungskriterien für Fachkräfte in Mangelberufen gemäß § 12a" AuslBG ein. Mit Erkenntnis vom , G56/2017, G199/2017, sprach der Verfassungsgerichtshof aus, dass § 12a Z 2 des Bundesgesetzes vom , mit dem die Beschäftigung von Ausländern geregelt wird, BGBl 218/1975 idF des Bundesgesetzes, mit dem das Ausländerbeschäftigungsgesetz und das Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 geändert werden, BGBl I 25/2011, bis zum verfassungswidrig war und die Anlage B dieses Gesetzes idF BGBl I 25/2011 verfassungswidrig war.

4.Die Beschwerde ist begründet.

Das Bundesverwaltungsgericht hat eine verfassungswidrige Gesetzesbestimmung angewendet. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, dass ihre Anwendung für die Rechtsstellung der Beschwerdeführerin nachteilig war.

Die Beschwerdeführerin wurde also durch das angefochtene Erkenntnis wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in ihren Rechten verletzt (zB VfSlg 10.404/1985).

5.Das Erkenntnis ist daher aufzuheben.

6.Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

7.Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß § 17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten. Die als "ERV-Kosten" geltend gemachten Kosten iHv € 1,80 sind schon deshalb nicht zuzusprechen, da diese bereits mit dem Pauschalsatz abgegolten sind ().

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ECLI:
ECLI:AT:VFGH:2017:E1913.2015
Schlagworte:
VfGH / Anlassfall

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