VfGH vom 09.06.2017, E1885/2017
Leitsatz
Entzug des gesetzlichen Richters durch einen Beschluss eines Landesverwaltungsgerichtes über die Zurückweisung der Beschwerde einer Mitbewerberin um die Leiterstelle an einer Volksschule; Parteistellung der in einen verbindlichen Besetzungsvorschlag aufgenommenen Bewerber; keine Änderung dieser Auffassung nach Einführung der zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit
Spruch
I.Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Beschluss im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Der Beschluss wird aufgehoben.
II.Das Land Niederösterreich ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt und Beschwerde
1.Der Beschwerdeführer steht als Lehrer in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Land Niederösterreich. Er bewarb sich – als Einziger – um die im Verordnungsblatt des Landesschulrates für Niederösterreich vom , Stück 2/2016, ausgeschriebene Leiterstelle an der NNÖMS Stift Zwettl. Im Verordnungsblatt des Landesschulrates für Niederösterreich vom , Stück 7/2016, wurde die Leiterstelle weiterhin zur Bewerbung ausgeschrieben und wurde dazu im Verordnungsblatt angemerkt, dass Bewerbungen, die bereits auf Grund der erstmaligen Ausschreibung eingebracht wurden, aufrecht bleiben. In der Folge bewarb sich eine weitere Person um die ausgeschriebene Leiterstelle. In den vom Kollegium des Landesschulrates für Niederösterreich erstatteten Besetzungsvorschlag wurden beide Bewerber aufgenommen. Mit Bescheid der Leitungsauswahlkommission für allgemein bildende und berufsbildende Pflichtschulen am Sitz des Landesschulrates für Niederösterreich vom wurde die Leiterstelle an den Mitbewerber des Beschwerdeführers verliehen und die Bewerbung des Beschwerdeführers abgewiesen.
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich wies die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde des Beschwerdeführers mit Beschluss vom mit der Begründung als unzulässig zurück, dass dem Beschwerdeführer nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. , , Ro 2015/12/0012) keine Parteistellung im Verfahren auf Verleihung einer Leiterstelle zukomme.
2.In seiner gegen diese Entscheidung gerichteten, auf Art 144 B-VG gestützten Beschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.
II.Rechtslage
1.§26 des Bundesgesetzes vom über das Dienstrecht der Landeslehrer (Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz – LDG 1984), BGBl 302 idF BGBl I 55/2012, lautet wie folgt:
"Schulleiter
§26. (1) Leiterstellen der Volksschulen, der Neuen Mittelschulen, der Hauptschulen und der als selbstständige Schulen geführten Sonderschulen und Polytechnischen Schulen sowie der Berufsschulen sind – ausgenommen im Falle des Diensttausches (§20) von Inhabern solcher Stellen oder im Falle von Betrauungen gemäß § 27 Abs 2 letzter Satz – im Ausschreibungs- und Bewerbungsverfahren zu besetzen.
(2) Die freigewordenen Leiterstellen, ausgenommen die durch Betrauungen gemäß § 27 Abs 2 letzter Satz gebundenen, sind ehestens, längstens jedoch innerhalb von sechs Monaten nach Freiwerden, in den zur Veröffentlichung amtlicher Mitteilungen der ausschreibenden Behörde bestimmten Verlautbarungsblättern auszuschreiben.
(3) Leiterstellen, die durch Übertritt ihres Inhabers in den Ruhestand (§11) oder wegen Versetzung in den Ruhestand (§§12 bis 13b) frei werden, sind, außer es soll eine Betrauung gemäß § 27 Abs 2 letzter Satz erfolgen, so zeitgerecht auszuschreiben, dass sie nach Möglichkeit im Zeitpunkt des Freiwerdens besetzt werden können.
(4) Die Bewerbungsgesuche sind innerhalb der Bewerbungsfrist, die nicht kürzer als zwei Wochen sein darf, im Dienstweg einzureichen. Die Zeit der Hauptferien ist in diese Frist nicht einzurechnen. Nicht rechtzeitig eingereichte Bewerbungsgesuche gelten als nicht eingebracht.
(5) Für jede einzelne ausgeschriebene Stelle sind von den landesgesetzlich hiezu berufenen Organen aus den Bewerbungsgesuchen Besetzungsvorschläge zu erstatten.
(6) In jeden Besetzungsvorschlag sind bei mehr als drei Bewerbern drei, bei drei oder weniger solchen Bewerbern alle diese Bewerber aufzunehmen und zu reihen. Bei der Auswahl und Reihung ist zunächst auf die in der Ausschreibung allenfalls angeführten zusätzlichen fachspezifischen Kenntnisse und Fähigkeiten, dann auf die Leistungsfeststellung und auf die in dieser Schulart zurückgelegte Verwendungszeit Bedacht zu nehmen. Die Landesgesetzgebung kann hiezu nähere Bestimmungen erlassen, wobei zusätzliche Auswahlkriterien festgelegt werden können. Weiters können die vorschlagsberechtigten Kollegien der Schulbehörden des Bundes in den Ländern nähere Bestimmungen sowie zusätzliche Auswahlkriterien durch Richtlinien für die Erstellung ihrer Besetzungsvorschläge festlegen, wobei allfällige landesgesetzliche Vorschriften zu beachten sind. Bei weniger als drei geeigneten Bewerbern kann die neuerliche Ausschreibung der Stelle vorgeschlagen werden.
(7) Die Leiterstelle kann von der zur Verleihung zuständigen Behörde nur einem in den Besetzungsvorschlag, sofern jedoch mehrere Besetzungsvorschläge landesgesetzlich vorgesehen sind, in alle Besetzungsvorschläge aufgenommenen Bewerber verliehen werden.
(8) Die Verleihung hat erforderlichenfalls unter gleichzeitiger Ernennung oder unter gleichzeitiger Zuweisung an die betreffende Schule oder unter gleichzeitiger Ernennung und Zuweisung zu erfolgen.
(9) Unterbleibt die Verleihung der ausgeschriebenen Stelle, so ist diese bis zur ordnungsgemäßen Besetzung im Bewerbungsverfahren weiterhin auszuschreiben.
(10) Das Besetzungsverfahren ist unverzüglich durchzuführen."
2.§§5 und 9 des NÖ Landeslehrpersonen-Diensthoheitsgesetz 2014 (NÖ L-DHG 2014), LGBl 2600-0, lauten – auszugsweise – wie folgt:
"§5
Zuständigkeit der Leitungsauswahlkommission
Der am Sitz des Landesschulrates einzurichtenden Leitungsauswahlkommission obliegt die im Rahmen der Verleihung von Leitungsstellen an Pflichtschulen (§26 LDG 1984, § 2 Abs 3 LVG) zu treffende Auswahlentscheidung.
§9
Verfahren
[(1) – (6) …]
(7) Vor einer Auswahlentscheidung ist ein Vorschlag des Landesschulrates (Kollegium) einzuholen. Die Abgabe eines Vorschlages ist an eine Frist zu binden. Diese darf nicht kürzer als drei und nicht länger als sechs Wochen sein.
(8) Die Leitungsauswahlkommission kann die Auswahlentscheidung nur aus dem Kreis der Bewerber oder Bewerberinnen vornehmen, die im Vorschlag des Landesschulrates enthalten sind. Wird innerhalb der Frist kein Vorschlag erstattet, so kann die Leitungsauswahlkommission ihre Entscheidung ohne Mitwirkung des Landesschulrates treffen. Das Auswahlverfahren ist auch gegenüber den im Vorschlag enthaltenen, in einem vertraglichen Dienstverhältnis zum Land stehenden Bewerbern und Bewerberinnen mit Bescheid abzuschließen."
3.Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über das Dienst- und Besoldungsrecht der Vertragslehrpersonen der Länder für Volksschulen, Neue Mittelschulen, Hauptschulen, Sonderschulen und Polytechnische Schulen sowie für Berufsschulen mit Ausnahme der land- und forstwirtschaftlichen Berufsschulen (Landesvertragslehrpersonengesetz 1966 – LVG), BGBl 172 idF BGBl I 119/2016, lauten – auszugsweise – wie folgt:
"2. Abschnitt
Pädagogischer Dienst
Anwendungsbereich
§2. [(1) - (2a) …]
(3) Personen, die vor dem Beginn des Schuljahres 2014/2015 schon einmal in einem öffentlich-rechtlichen oder in einem vertraglichen Dienstverhältnis zum Bund oder zu einem Land als Lehrperson gestanden sind, unterliegen den Bestimmungen des 3. Abschnittes.
[…]
3. Abschnitt
Übergangsbestimmungen
§26. [(1) - (2) …]
(3) Bei der Besetzung von Leiterstellen ist das in den §§26 und 26a des Landeslehrer-Dienstrechtsgesetzes 1984 vorgesehene Auswahl- und Besetzungsverfahren auf Landesvertragslehrpersonen mit der Maßgabe anzuwenden, dass Bewerbungen von Landesvertragslehrpersonen, die die Ernennungserfordernisse für die betreffende Stelle erfüllen, zulässig sind. An die Stelle des Reihungskriteriums 'Leistungsfeststellung' tritt für Landesvertragslehrpersonen die bisherige Bewährung bei der Erfüllung pädagogischer Aufgaben (Erfolge im Unterricht und in der Erziehung) und administrativer Aufgaben an Schulen."
III.Erwägungen
1.Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
2.Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch die Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes verletzt, wenn das Verwaltungsgericht eine ihm gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002) oder wenn es in gesetzwidriger Weise seine Zuständigkeit ablehnt, etwa indem es zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002).
3.Wie der Verfassungsgerichtshof in zahlreichen Erkenntnissen (vgl. zB VfSlg 12.782/1991, 15.926/2000, 19.061/2010; ; , E458/2015) ausgesprochen hat, kommt Bewerbern im Verfahren zur Verleihung einer Schulleiterstelle – ungeachtet der Rechtsnatur ihres Dienstverhältnisses (vgl. VfSlg 19.670/2012) – Parteistellung iSd § 3 des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG) bzw. § 8 AVG zu, wenn sie in einen verbindlichen Besetzungsvorschlag aufgenommen wurden. Die in einen Besetzungsvorschlag aufgenommenen Bewerber bilden eine Verwaltungsverfahrensgemeinschaft; sie haben ein Recht auf Teilnahme an dem durch den Besetzungsvorschlag konkretisierten Verwaltungsverfahren. Aus rechtsstaatlicher Sicht kann die Verwaltungsbehörde nicht als befugt angesehen werden, durch einen der Rechtskontrolle nicht unterworfenen Verleihungsakt unter den in den gesetzlich vorgesehenen Besetzungsvorschlag aufgenommenen Bewerbern eine Auswahl zu treffen (vgl. zB VfSlg 12.782/1991).
4.Der Beschwerdeführer war in den (verbindlichen) Besetzungsvorschlag des Kollegiums des Landesschulrates für Niederösterreich aufgenommen. Daher kam ihm im Verfahren zur Verleihung der Schulleiterstelle Parteistellung zu.
5.Da das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich mit der bekämpften Entscheidung die Parteistellung verneinte und seine Beschwerde als unzulässig zurückwies, verweigerte es dem Beschwerdeführer gegenüber zu Unrecht eine Sachentscheidung.
IV.Ergebnis
1.Der Beschwerdeführer ist somit durch den angefochtenen Beschluss im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
2.Der Beschluss ist daher aufzuheben.
3.Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 3 Z 4 VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4.Die Kostenentscheidung beruht auf § 88a Abs 1 iVm § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß § 17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:VFGH:2017:E1885.2017 |
Schlagworte: | Anwendbarkeit eines Gesetzes, Anwendbarkeit AVG, Landesverwaltungsgericht, Verwaltungsgericht, Verwaltungsgerichtsverfahren, Besetzungsvorschlag, Dienstrechtsverfahren, Parteistellung Dienstrecht, Landeslehrer, Lehrer |
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