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VfGH vom 24.02.2017, E1846/2016

VfGH vom 24.02.2017, E1846/2016

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Zurückweisung des Antrags auf internationalen Schutz und Feststellung der Zuständigkeit Italiens sowie Anordnung der Außerlandesbringung infolge Unterlassens eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und Ignorieren des Beschwerdevorbringens

Spruch

I.Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II.Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.Der am geborene Beschwerdeführer ist somalischer Staatsangehöriger und stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich, welcher mit erstinstanzlichem Bescheid vom gemäß § 5 Abs 1 Asylgesetz 2005 als unzulässig zurückgewiesen wurde. Gleichzeitig führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass gemäß Art 13 Abs 1 der Verordnung (EU) Nr 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates Italien für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz zuständig sei, ordnete gemäß § 61 Absatz 1 Ziffer 1 FPG die Außerlandesbringung gegen den Beschwerdeführer an und erklärte die Abschiebung nach Italien für zulässig.

Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde und führte darin aus, dass der Bescheid grob mangelhaft sei, weil er sich auf eine namentlich andere Person, ebenfalls somalischer Herkunft, beziehen würde.

2.Die gegen diesen erstinstanzlichen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung ab. Mit dem Beschwerdevorbringen, dass der Bescheid grob mangelhaft sei, weil sich die beweiswürdigenden Ausführungen auf die Darstellungen einer anderen Person beziehen würden, setzte sich das Bundesverwaltungsgericht nicht aus-einander, sondern begründet wörtlich:

"Grobe Mängel im durchgeführten Ermittlungsverfahren konnten nicht festgestellt werden — insbesondere ist der Beschwerderüge, wonach sich im Bescheid Passagen eines Einvernahmetextes eines anderen Asylwerbers befindet, nicht nachvollziehbar."

Mit zum Teil formelhafter Begründung und unter Wiedergabe an sich unbedenklicher Länderberichte verneinte das Bundesverwaltungsgericht eine Grundrechtsverletzung durch die Überstellung des Beschwerdeführers nach Italien und damit die Verpflichtung Österreichs zum Selbsteintritt nach Art 17 Abs 1 Dublin-III-Verordnung.

3.Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird.

4.Das Bundesverwaltungsgericht hat die Bezug habenden Akten vorgelegt.

II. Erwägungen

5.Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:

Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

6.Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

Der Beschwerdeführer bringt in seiner Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht vor, dass der Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl die Einvernahme einer namentlich genannten anderen Person mit somalischer Staatsangehörigkeit enthält und sich die beweiswürdigenden Ausführungen auf deren Darstellungen beziehen. Das Bundesverwaltungsgericht setzt sich mit diesem Vorbringen, dessen Begründetheit nach der Aktenlage nicht ausgeschlossen werden kann, nicht auseinander, sondern begründet seine Entscheidung lediglich damit, dass grobe Mängel im durchgeführten Ermittlungsverfahren nicht festgestellt hätten werden können — insbesondere sei der Beschwerderüge, wonach sich im Bescheid Passagen eines Einvernahmetextes eines anderen Asylwerbers befindet, nicht nachvollziehbar, wobei das Bundesverwaltungsgericht auf diese Frage gar nicht eingegangen ist.

Das belangte Bundesverwaltungsgericht hat somit in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit – in Verbindung mit einem Ignorieren des Beschwerdevorbringens - unterlassen. Darin liegt eine in die Verfassungssphäre reichende Mangelhaftigkeit des Verfahrens, die das Verhalten des belangten Bundesverwaltungsgerichtes als willkürlich erscheinen lässt.

III. Ergebnis

7.Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

8.Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

9.Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VFGH:2017:E1846.2016
Schlagworte:
Asylrecht, Fremdenpolizei, Außerlandesbringung, Ermittlungsverfahren

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