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VfGH vom 23.02.2017, E1814/2016

VfGH vom 23.02.2017, E1814/2016

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch Verhängung einer Verwaltungsstrafe wegen Übertretung einer bereits außer Kraft getretenen Verordnung über den Nationalpark Nockberge infolge grober Verkennung der Rechtslage

Spruch

I.Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art 2 StGG und Art 7 B-VG verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II.Das Land Kärnten ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt und Beschwerde

1. Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Spittal an der Drau vom wurde der Beschwerdeführer für schuldig befunden, erstmalig am und letztmalig am in der Außenzone des Nationalparks Nockberge bauliche Maßnahmen durchgeführt zu haben, die über eine Sanierung des Gebäudes hinausgingen. Konkret habe der Beschwerdeführer ein Gebäude in seiner Länge um ca. 25 Prozent ausgebaut, das bestehende Dach abgebrochen und ein zusätzliches Geschoß errichtet, eine Gaupe eingebaut und das Erscheinungsbild des Bauwerks verändert, indem das obere Stockwerk mit einer senkrechten Holzverschalung ausgestaltet worden sei. Der Beschwerdeführer habe dadurch § 40 Abs 1 iVm § 8 Abs 2 des Kärntner Nationalpark- und Biosphärenparkgesetzes ("K-NBG") – unter Hinweis auf § 10 Abs 1 lita der Verordnung über den Nationalpark Nockberge, LGBl 79/1986 – verletzt. Auf Grund dieser Verwaltungsübertretung verhängte die Behörde über den Beschwerdeführer eine Geldstrafe in Höhe von € 900,– sowie eine näher bestimmte Ersatzfreiheitsstrafe.

2. Mit Erkenntnis vom wies das Landesverwaltungsgericht Kärnten die gegen das genannte Straferkenntnis erhobene Beschwerde als unbegründet ab und korrigierte Teile des Spruches. Das Landesverwaltungsgericht stellte hiezu fest, der Beschwerdeführer habe am als Pächter jener Grundstücke, auf denen sich das Gebäude befinde, einen Antrag zur Vornahme bestimmter Arbeiten gestellt. Die Behörde habe daraufhin mit Bescheid vom die Bewilligung zur Durchführung bestimmter Sanierungsmaßnahmen unter Vorschreibung von Auflagen erteilt. Die vom Beschwerdeführer vorgenommenen Arbeiten gingen jedoch über bloße Sanierungsmaßnahmen hinaus, weshalb ein Verstoß gegen § 40 Abs 1 iVm § 8 Abs 2 K-NBG iVm § 10 Abs 1 lita der Verordnung über den Nationalpark Nockberge vorliege.

3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der die Verletzung in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art 2 StGG, Art 7 B-VG und "Art14 EMRK", ein Verstoß gegen das "Gesetzlichkeitsprinzip: keine Strafe ohne Gesetz" gemäß Art 7 EMRK bzw. "Art4 StGG", gegen den "Bestimmtheitsgrundsatz" bzw. das "Determinierungsgebot" gemäß Art 18 B-VG sowie gegen das "Klarheitsgebot" gemäß Art 7 EMRK behauptet wird.

Begründend führt der Beschwerdeführer hiezu im Wesentlichen aus, die Verordnung über die Einrichtung des Nationalparks Nockberge sei am außer Kraft getreten. Demnach hätte die Bestrafung ab diesem Zeitpunkt nicht mehr auf diese Grundlage gestützt werden dürfen. Aber auch davor habe keine Grundlage für die Bestrafung des Beschwerdeführers bestanden: Entgegen der Rechtsansicht des Landesverwaltungsgerichtes Kärnten habe die naturschutzbehördliche Bewilligung zumindest einen Großteil der vom Beschwerdeführer durchgeführten Sanierungsmaßnahmen abgedeckt. Schließlich widersprächen sowohl § 8 Abs 2 K-NBG wie auch die Verordnung über den Nationalpark Nockberge dem Determinierungsgebot.

4. Das Landesverwaltungsgericht Kärnten hat die Akten des Verwaltungs- und Gerichtsverfahrens vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.

II.Rechtslage

1. Die wesentlichen Bestimmungen des Kärntner Nationalpark- und Biosphärenparkgesetzes ("K-NBG "), LGBl 55/1983, idF LGBl 85/2013, lauten:

"1. Hauptstück

Nationalparks

I. Abschnitt

§1

Voraussetzungen

Ein Gebiet, das

a) besonders eindrucksvolle und formenreiche, für Österreich charakteristische oder historisch bedeutsame Landschaftsteile umfaßt,

b) im überwiegenden Teil vom Menschen in seiner völligen oder weitgehenden Ursprünglichkeit nicht oder nicht nachhaltig beeinträchtigt wurde,

c) Ökosysteme von besonderer Eigenart, wissenschaftlicher oder landschaftsprägender Bedeutung beherbergt und

d) eine den Zielen (§2) entsprechende flächenmäßige Ausdehnung aufweist, kann von der Landesregierung durch Verordnung zum Nationalpark erklärt werden.

[…]

§8

Außenzone

(1) Gebiete eines Nationalparks, die weder Kernzonen noch Sonderschutzgebiete sind, bilden die Außenzonen.

(2) Die Landesregierung hat in den Verordnungen nach § 1 für die Außenzonen jene Maßnahmen zu verbieten oder zu bewilligungspflichtigen Maßnahmen zu erklären, die eine nachhaltige Beeinträchtigung der landschaftlichen Eigenart oder Schönheit, des Erholungswertes oder des Naturhaushaltes solcher Gebiete zur Folge hätten.

[…]

§40

Strafbestimmungen

(1) Wer die §§6 Abs 2, 3 und 5, 7 Abs 2 und 35 sowie die auf Grund der §§7 Abs 2, 8 Abs 2 und 19 erlassenen Verordnungen übertritt, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe bis zu Euro 3.630,-, im Falle wiederholter und schwerwiegender Übertretungen der §§6 Abs 2 und 3 und 7 Abs 2 bis zu Euro 7260,- zu bestrafen.

Eine Verwaltungsübertretung, die mit einer Geldstrafe bis zu Euro 3630,- bestraft werden kann, begeht auch, wer

a) eine Arbeitseinstellung nach § 12a missachtet,

b) in Bewilligungen vorgeschriebene Auflagen nicht einhält oder

c) einen Wiederherstellungsauftrag nicht erfüllt.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) Bildet die unzulässige Herstellung einer Anlage oder die unzulässige Durch-führung einer sonstigen Maßnahme den Gegenstand einer Verwaltungsübertre-tung, so endet das strafbare Verhalten erst mit der Beseitigung der Anlage bzw. der Behebung der Maßnahme oder mit der Rechtskraft der nachträglich erteilten Bewilligung."

2. § 10 der Verordnung der Kärntner Landesregierung, mit der der „Nationalpark Nockberge“ eingerichtet wird, LGBl 79/1986, idF LGBl 120/1991, lautete bis zu seiner mit wirksamen Aufhebung durch die Verordnung der Kärntner Landesregierung vom , 08-NATP-1/2010 (015/2012), LGBl 125/2012:

"§10

Bewilligungspflicht

(1) In der Außenzone des Nationalparks Nockberge bedürfen nachstehende Vorhaben einer Bewilligung durch die Bezirksverwaltungsbehörde:

a) Die Errichtung und jede nach außen sichtbare Änderung von Gebäuden sowie die Errichtung und wesentliche Änderung von sonstigen baulichen Anlagen;

b) die Errichtung und Änderung von Freileitungen;

c) die Errichtung von Materialseilbahnen, ausgenommen solche, die nur einem vorübergehenden Bedarf dienen;

d) das Abgraben und Anschütten des Geländes, ausgenommen zur Befestigung oder Ausbesserung bestehender Wege;

e) jeder Eingriff in stehende oder fließende Gewässer, Moore oder sonstige Feuchtgebiete;

f) die Errichtung und wesentliche Änderung von Einfriedungen, soweit sie nicht Weidezwecken oder zum Schutz forstlicher Kulturen dienen;

g) die Anlage von Ablagerungsplätzen, Materiallagerplätzen u.ä.

(2) Eine Bewilligung nach Abs 1 ist zu erteilen, wenn durch die beantragte Maßnahme die mit der Festlegung des Gebietes als Außenzone verfolgten Ziele (§8 Abs 2 Kärntner Nationalparkgesetz) weder abträglich beeinflußt oder gefährdet werden."

III.Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

1. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998 und 16.488/2002) nur vorliegen, wenn die angefochtene Entscheidung auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn das Verwaltungsgericht der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten kann dem Verwaltungsgericht unter anderem dann vorgeworfen werden, wenn es den Beschwerdeführer aus unsachlichen Gründen benachteiligt hat oder aber, wenn die angefochtene Entscheidung wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht (zB VfSlg 10.065/1984, 14.776/1997, 16.273/2001).

2. Solche Fehler sind dem Landesverwaltungsgericht Kärnten im konkreten Fall unterlaufen:

Gemäß § 1 Abs 1 VStG kann eine Tat nur dann als Verwaltungsübertretung bestraft werden, wenn sie vor ihrer Begehung mit Strafe bedroht war. Gemäß § 44a Z 2 VStG hat der Spruch eines Straferkenntnisses unter anderem die Verwaltungsvorschrift zu enthalten, die durch die Tat verletzt worden ist. Die solcherart als verletzt angesehene Verwaltungsvorschrift muss während des gesamten inkriminierten Tatzeitraumes in Geltung gestanden sein (vgl. ua. ).

Das Landesverwaltungsgericht Kärnten bestätigte das in Beschwerde gezogene Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Spittal an der Drau sowohl hinsichtlich des mit bis festgestellten Tatzeitraumes als auch in Bezug auf die dort genannten verletzten Rechtsvorschriften. Dabei ließ das Landesverwaltungsgericht Kärnten unbeachtet, dass die Verordnung über den Nationalpark Nockberge mit außer Kraft getreten ist und die Bestrafung ab diesem Zeitpunkt nicht mehr auf § 40 Abs 1 iVm § 8 Abs 2 K-NBG iVm § 10 Abs 1 lita der Verordnung über den Nationalpark Nockberge gestützt werden konnte. Ob und inwieweit die Strafbarkeit auf Grund des – gleichzeitig mit der Aufhebung der Verordnung über den Nationalpark Nockberge beschlossenen – Gesetzes mit dem der Biosphärenpark Nockberge errichtet wird (Biosphärenpark-Nockberge-Gesetz – K-BPNG), LGBl 124/2012, weiter besteht, lässt das Landesverwaltungsgericht Kärnten gänzlich unberücksichtigt.

Dadurch, dass das Landesverwaltungsgericht Kärnten die Bestrafung auf eine bereits außer Kraft getretene Rechtsvorschrift gestützt hat, ohne sich damit zu befassen, ob die Strafbarkeit auf Grund einer anderen Rechtsgrundlage weiter besteht, hat es die Rechtslage grob verkannt.

IV.Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art 2 StGG und Art 7 B-VG verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VFGH:2017:E1814.2016
Schlagworte:
Nationalpark, Strafe (Verwaltungsstrafrecht), Geltungsbereich (zeitlicher) einer Verordnung, Geltungsbereich Anwendbarkeit

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