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VfGH vom 23.09.2019, E1809/2019

VfGH vom 23.09.2019, E1809/2019

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und Erlassung einer Rückkehrentscheidung betreffend einen Staatsangehörigen des Iraks; mangelhafte Auseinandersetzung mit der Versorgungs- und Sicherheitslage in der Herkunftsregion und dem Bestehen einer konkreten innerstaatlichen Fluchtalternative

Spruch

I.1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und gegen die Festsetzung einer vierzehntägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

II.Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.640,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger des Irak und stammt aus Mossul. Am stellte er einen Antrag auf internationalen Schutz.

2.Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom wurde der Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen, ein Aufenthaltstitel nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak nach einer vierzehntägigen Frist für die freiwillige Ausreise zulässig ist.

3.Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom wurde die dagegen erhobene Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgewiesen:

Der Beschwerdeführer habe ausschließlich eine – im Übrigen nicht glaubhafte – Privatverfolgung geltend gemacht, sodass ihm keine Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung drohe. Auch bestehe keine reale Gefahr, dass er im Falle seiner Rückkehr entgegen Art 2 oder 3 EMRK behandelt werde. Die Sicherheitslage und die humanitäre und wirtschaftliche Lage im Irak sei auf Grund einer deutlichen Entspannung und eines Konsolidierungsprozesses nicht so angespannt, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in den Irak alleine durch seine Anwesenheit im Gebiet des Irak tatsächlich Gefahr laufe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein.

Auch habe der Beschwerdeführer nicht schlüssig aufzeigen können, weshalb ihm keine innerstaatliche Fluchtalternative offen gestanden sei.

4.Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, der Sache nach auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.

5.Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der es den Beschwerdebehauptungen entgegentritt und die Ablehnung der Behandlung der Beschwerde, in eventu die Abweisung der Beschwerde, beantragt. Insbesondere führt das Bundesverwaltungsgericht mit näherer Begründung erneut aus, der Beschwerdeführer habe nicht ansatzweise darzulegen vermocht, weshalb für ihn keine innerstaatliche Fluchtalternative im Irak bestehen sollte.

II.Erwägungen

Die Beschwerde ist zulässig.

A. Soweit sich die Beschwerde gegen die Abweisung der Beschwerde durch das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, der Nichterteilung eines Aufenthaltstitels, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung und der Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung unter Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise richtet, ist sie auch begründet:

1.Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001)oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2.Ein derartiger in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1.Das Bundesverwaltungsgericht hält zunächst zwar fest, dass der Beschwerdeführer aus Mossul stamme, diese Stadt im Juni 2014 von radikalen Islamisten, organisiert unter dem Dach des IS, erobert und Anfang Juli 2017 für vom IS befreit erklärt worden sei. Darin erschöpfen sich aber die Feststellungen zur und die Auseinandersetzung mit der Herkunftsregion des Beschwerdeführers. Die weitere Prüfung einer mit Blick auf Art 2 und 3 EMRK gegebenenfalls bestehenden Gefährdungslage erfolgt ausschließlich pauschal für den Fall einer Rückkehr "in den Irak". Eine solche pauschale Beurteilung der Sicherheits- und Versorgungslage im Irak wird aber den Anforderungen an eine am Maßstab der Art 2 und 3 EMRK vorzunehmende Beurteilung der Rückkehrsituation in solchen Staaten, in denen die Sicherheits- und Versorgungslage instabil ist und von Provinz zu Provinz variiert (siehe dazu bezogen auf den Irak VfSlg 20.141/2017), nicht gerecht (vgl zB ; , E4387/2017; , E4766/2018). Eine nähere Begründung dafür, dass sich die Verhältnisse im Irak und bezogen auf das gesamte Staatsgebiet derart stabilisiert hätten, wie es das Bundesverwaltungsgericht als entscheidungserheblich vorauszusetzen scheint, bleibt das Bundesverwaltungsgericht aber ebenso schuldig. Ein solcher Befund über die Verhältnisse im Irak ergibt sich, mit Blick etwa auf die im Mai 2019 veröffentlichte Position des UNHCR zum Irak, auch nicht ohne Weiteres. Für die Verfügbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative stellt UNHCR grundsätzlich auf die Verfügbarkeit eines sozialen Netzwerkes ab und nimmt von diesem Erfordernis – abhängig vom Einzelfall – nur alleinstehende, gesunde Männer und verheiratete, kinderlose Paare im erwerbsfähigen Alter in Bezug auf einzelne urbane Regionen aus (UNHCR, International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq, Mai 2019, 122). In bestimmten Regionen besteht nach Ansicht des UNHCR überhaupt keine innerstaatliche Fluchtalternative (ebenda 117 und 126). Schließlich hält UNHCR die Staaten im Lichte weitgehender Zerstörung und anhaltender Spannungen an, von zwangsweisen Rückführungen von Personen, die ua aus vormals vom IS kontrollierten Gebieten stammen, abzusehen (ebenda 128).

2.2.Ein allfälliges Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative schließt das Bundesverwaltungsgericht ausschließlich mit Hinweis darauf aus, dass der Beschwerdeführer nicht schlüssig aufzeigen habe können, weshalb ihm keine solche innerstaatliche Fluchtalternative offen gestanden wäre. Da, wie oben dargelegt, das Bundesverwaltungsgericht auch nicht begründet, dass in Bezug auf den Irak davon ausgegangen werden kann, dass im gesamten Staatsgebiet derart stabile Verhältnisse herrschen, die durchgängig gewährleisten, dass eine Gefährdungslage mit Blick auf Art 2 und 3 EMRK nicht besteht, reichen diese Ausführungen zur Begründung des Bestehens einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht aus.

2.3.Indem sich das Bundesverwaltungsgericht einer näheren Auseinandersetzung mit der Versorgungs- und Sicherheitslage in der konkreten Herkunftsregion des Beschwerdeführers bzw einer eingehenden Begründung, warum (nunmehr) im gesamten Staatsgebiet des Irak die Versorgungs- und Sicherheitslage entsprechend gewährleistet ist, sowie einer eigenständigen Prüfung des Bestehens einer konkreten innerstaatlichen Fluchtalternative verschließt, belastet es seine Entscheidung mit Willkür. Das angefochtene Erkenntnis ist daher, soweit es auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und – daran anknüpfend – auf die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung bzw der Abschiebung in den Herkunftsstaat Irak unter Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise gerichtet ist, wegen Verletzung des durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander aufzuheben.

B. Im Übrigen, soweit sich die Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet, wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:

3.Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs 2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

4.Die vorliegende Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Nach den Beschwerdebehauptungen wären diese Rechtsverletzungen aber zum erheblichen Teil nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

III.Ergebnis

1.Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit seine Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und gegen die Festsetzung einer vierzehn-tägigen Frist zur freiwilligen Ausreise, abgewiesen wird, in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

2.Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3.Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen und diese gemäß Art 144 Abs 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten.

4.Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 bzw § 19 Abs 3 Z 1 iVm § 31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

5.Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,– sowie der Ersatz der Eingabengebühr in der Höhe von € 240,– enthalten.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VFGH:2019:E1809.2019
Schlagworte:
Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Rückkehrentscheidung

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