VfGH vom 11.10.2017, E1803/2017 ua

VfGH vom 11.10.2017, E1803/2017 ua

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten mangels nachvollziehbarer Begründung der Entscheidung im Hinblick auf die fehlende Berücksichtigung der Minderjährigkeit des Zweit- und Drittbeschwerdeführers im Rahmen der Beurteilung der Sicherheitslage in Afghanistan und Kabul; Ablehnung der Beschwerden hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status von Asylberechtigten

Spruch

I.1. Die beschwerdeführenden Parteien sind durch die angefochtenen Erkenntnisse, soweit damit ihre Beschwerden gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten, gegen die erlassenen Rückkehrentscheidungen und die Aussprüche der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan unter Setzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen werden, in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden (ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973).

Die Erkenntnisse werden insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerden abgelehnt.

II.Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den beschwerdeführenden Parteien zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 3.008,40,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1.Der Erstbeschwerdeführer ist Onkel und gesetzlicher Vertreter des minderjährigen Zweitbeschwerdeführers sowie Vater des minderjährigen Drittbeschwerdeführers. Nach ihrer Einreise in das Bundesgebiet im Februar 2013 stellten die Beschwerdeführer, alle Staatsangehörige Afghanistans, Anträge auf internationalen Schutz. Zu ihren Fluchtgründen brachten sie im Verfahren vor, die Schwester des Erstbeschwerdeführers und Mutter des Zweitbeschwerdeführers hätte mit dem einflussreichen Bruder ihres verstorbenen Mannes zwangsverheiratet werden sollen, weshalb die Familie des Erstbeschwerdeführers gemeinsam mit der Familie der Schwester ausgereist sei. An der Grenze zum Iran sei man aber getrennt worden. Während die Beschwerdeführer Österreich erreicht hätten, sei der Verbleib der übrigen Familienmitglieder unbekannt.

2.Am wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) die Anträge der Beschwerdeführer ab. Diese Bescheide wurden mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom behoben und zur Erlassung neuer Bescheide an das BFA zurückverwiesen. Das Bundesverwaltungsgericht begründete dies damit, dass der entscheidungsrelevante Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt worden sei. Die Bescheide hätten unterschiedliche Aussagen zur Glaubhaftigkeit des Vorbringens enthalten und das BFA habe keine Länderfeststellungen zu den angesprochenen Problemen, wie zB Zwangsverheiratungen in Afghanistan oder die Schutzfähigkeit der afghanischen Sicherheitsbehörden, getroffen.

3.In einer erneuten Einvernahme vor dem BFA am gab der Erstbeschwerdeführer an, er habe inzwischen erfahren, dass seine Ehegattin, die beiden gemeinsamen Töchter sowie seine Schwester, deren zwei Söhne und eine Tochter zwei Jahre lang bei Schleppern untergebracht gewesen seien. Inzwischen würden sie wieder in Kabul leben, im Haus des Bruders seiner Gattin. Die Bedrohung durch den Schwager seiner Schwester bestehe weiterhin. Daher bleibe diese im Haus oder verlasse es nur vollverschleiert, damit niemand sie erkenne. Ihre beiden Söhne würden keine Schule besuchen, sondern zuhause unterrichtet. Von der erneuten Einvernahme des Zweit- und des Drittbeschwerdeführers wurde Abstand genommen.

4.Mit Bescheiden vom wies das BFA die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG (jeweils Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.). Es erteilte ihnen keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG, erließ gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen sie Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG und stellte gemäß § 52 Abs 9 FPG fest, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG gewährte das BFA eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt IV.).

Die dagegen erhobenen Beschwerden, in denen unter Verweis auf Art 24 GRC insbesondere auch das zu berücksichtigende Wohl der minderjährigen Beschwerdeführer betont wurde, wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnissen vom ab.

Im Rahmen der Schilderung des Verfahrensgangs gibt das Bundesverwaltungsgericht die bereits vom BFA herangezogenen Länderberichte wieder und erhebt sie in der Folge auch zu seinen eigenen Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat.

Begründend führt das Bundesverwaltungsgericht aus, das Fluchtvorbringen der Beschwerdeführer sei hinsichtlich der behaupteten, aus der Verweigerung einer Eheschließung resultierenden Gefährdung sämtlicher Familienmitglieder nicht glaubhaft. Es sei insbesondere unplausibel, dass gerade jene Person, die von der behaupteten Zwangsverheiratung unmittelbar betroffen wäre, nach Afghanistan zurückkehren und dort bereits über zwei Jahre unbehelligt leben könnte, wenn ihr Derartiges tatsächlich drohen würde.

Der Status von subsidiär Schutzberechtigten sei den Beschwerdeführern nicht zuzuerkennen. Sie seien gesund und stammten aus Kabul bzw. der Zweitbeschwerdeführer aus einem nur 40 Minuten von der Stadt entfernten Dorf. Der Erstbeschwerdeführer sei erwerbsfähig und Eigentümer eines in Kabul befindlichen und nur vermieteten Hauses sowie eines Geschäftes und könne bei seiner Rückkehr auch für seinen minderjährigen Sohn und seinen minderjährigen Neffen sorgen. Dass die Beschwerdeführer über ein starkes soziales Netz in Kabul verfügen würden und ihre Existenz gesichert sei, ergebe sich zudem bereits daraus, dass der Schwager des Erstbeschwerdeführers die zurückgekehrten Familienmitglieder aufgenommen habe und seit mehr als zwei Jahren versorge. Der Zweit- und der Drittbeschwerdeführer hätten ihre Kindheit in Afghanistan verbracht, seien mit den dortigen Gegebenheiten und kulturellen Gepflogenheiten vertraut und könnten in Kabul weiter die Schule besuchen bzw. ihre Ausbildung fortsetzen. Kabul sei eine für Normalbürger, die nicht mit Ausländern zusammenarbeiten, vergleichsweise sichere und über den Flughafen gut erreichbare Stadt. Selbst wenn es zu vereinzelten Anschlägen mit zivilen Opfern käme, würden sich Anschläge hauptsächlich im Nahebereich staatlicher Einrichtungen ereignen und seien diese Gefährdungsquellen daher in reinen Wohngebieten nicht anzunehmen. Auch die beiden minderjährigen Beschwerdeführer hätten im Verfahren keine individuellen Umstände glaubhaft gemacht, die im Fall der Rückkehr nach Afghanistan eine reale Gefahr der Verletzung des Art 3 EMRK für wahrscheinlich erscheinen ließe. Auf Grund ihrer konkreten Lebensbedingungen sei den Beschwerdeführern eine Rückkehr in ihren Familienverband in der Stadt Kabul, die für den Zweitbeschwerdeführer eine innerstaatliche Fluchtalternative darstelle, möglich und zumutbar.

Die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung und der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan stützt das Bundesverwaltungsgericht insbesondere darauf, dass keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine außergewöhnliche Integration der Beschwerdeführer während ihres zum Entscheidungszeitpunkt gut vierjährigen Aufenthaltes hervorgekommen seien. Zwar hätten der Zweit- und Drittbeschwerdeführer die Schule bzw. auch weiterführende Kurse am Berufsförderungsinstitut besucht, sich im Schulverband gut integriert, an sportlichen Aktivitäten beteiligt und hätten gute Deutschkenntnisse. Dennoch würden die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung im vorliegenden Fall schwerer als die Interessen der Beschwerdeführer am Verbleib in Österreich wiegen. Soweit Kinder von der Rückkehrentscheidung betroffen seien, seien die besten Interessen und das Wohlergehen dieser Kinder, insbesondere das Maß an Schwierigkeiten, denen sie im Heimatstaat begegnen, sowie die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen sowohl zum Aufenthaltsstaat als auch zum Heimatstaat zu berücksichtigen. Die Minderjährigen seien zwar nicht mehr im anpassungsfähigen Alter, hätten Afghanistan aber erst im Alter von etwa neun bzw. etwa elf bis zwölf Jahren verlassen. Ihre erstmalige sprachliche und kulturelle Sozialisation habe in Afghanistan stattgefunden. Angesichts des in Kabul vorhandenen tragfähigen Netzes und des Umstandes, dass sie im Familienverband abgesichert seien und Bildungsmöglichkeiten hätten, würden sie in der hinreichend sicheren Stadt Kabul wieder Fuß fassen können.

5.Gegen diese Entscheidungen richten sich die vorliegenden, auf Art 144 B-VG gestützten Beschwerden, in denen die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Erkenntnisse beantragt wird.

6.Das BFA und das Bundesverwaltungsgericht haben von der Erstattung einer Gegenschrift bzw. Äußerung abgesehen.

II.Erwägungen

Die – in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm § 35 Abs 1 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen – Beschwerden sind zulässig.

A. Soweit sich die Beschwerden gegen die Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten, die erlassenen Rückkehrentscheidungen und die Aussprüche der Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan richten, sind sie auch begründet.

1.Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001)oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2.Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1. Nachdem das Bundesverwaltungsgericht im ersten Verfahrensgang selbst die weder aktuellen noch einschlägigen Länderfeststellungen des BFA bemängelt hatte, legt es seinen nunmehrigen Entscheidungen keine eigenen Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat zugrunde, sondern gibt die nur in dem Bescheid betreffend den Erstbeschwerdeführer abgedruckten Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA wieder.

Darin enthalten sind Abschnitte zur allgemeinen Sicherheitslage in Afghanistan und in Kabul, zur Behandlung von Rückkehrern und ihrer Lebenssituation, zur politischen Lage, zu Wehrdienst und Wehrdienstverweigerung, zur allgemeinen Menschenrechtslage, zur Religionsfreiheit, zu ethnischen Minderheiten, zur Bewegungsfreiheit sowie zu Grundversorgung und wirtschaftlicher Lage. Nicht enthalten sind kinderspezifische Ausführungen. Erwähnung finden Minderjährige in den herangezogenen Berichten zur Lage in Afghanistan lediglich mit der Aussage, dass sich unter den zivilen Opfern des anhaltenden Konflikts ein erheblicher Anteil an Kindern befinde:

"Konfliktbedingte Gewalt hatte in der ersten Hälfte 2015 Auswirkungen auf Frauen und Kinder. UNAMA verzeichnete 1.270 minderjährige Opfer (320 Kinder starben und 950 wurden verletzt). Das ist ein Anstieg von 23% im Vergleich zu den ersten sechs Monaten 2014."

2.2. Bei der Behandlung der Anträge auf internationalen Schutz von Minderjährigen sind, unabhängig davon, ob diese unbegleitet sind oder gemeinsam mit ihren Eltern oder anderen Angehörigen leben, zur Beurteilung der Sicherheitslage einschlägige Herkunftsländerinformationen, in die auch die Erfahrungen der Kinder Eingang finden, bei entsprechend schlechter allgemeiner Sicherheitslage jedenfalls erforderlich (vgl. UNHCR, Richtlinien zum Internationalen Schutz: Asylanträge von Kindern im Zusammenhang mit Artikel 1 (A) 2 und 1 (F) des Abkommens von 1951 bzw. des Protokolls von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, , Rz 74). Dementsprechend hat der Verfassungsgerichtshof wiederholt die Bedeutung der Länderfeststellungen im Hinblick auf Minderjährige als besonders vulnerable Antragsteller hervorgehoben (zB ua. mwN). Dieses Verständnis steht im Einklang mit Art 24 Abs 2 GRC bzw. ArtI zweiter Satz des Bundesverfassungsgesetzes über die Rechte von Kindern, BGBl I 4/2011, wonach bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher Stellen das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein muss ( mit Verweis auf , MA ua., Rz 56 und 57).

2.3. Die Minderjährigkeit des Zweit- und des Drittbeschwerdeführers berücksichtigt das Bundesverwaltungsgericht zwar bei seiner Abwägung der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen im Aufenthaltsstaat und im Herkunftsstaat, also im Hinblick auf eine Versorgung der Kinder, nicht aber bei der Beurteilung der Sicherheitslage in Afghanistan und Kabul. In diesem Punkt lässt das Bundesverwaltungsgericht vollkommen außer Acht, dass es sich bei den beschwerdeführenden Parteien u.a. um Minderjährige handelt (vgl. jüngst auch , zur gebotenen Auseinandersetzung mit dem spezifischen Aspekt der Minderjährigkeit bei Entscheidung über subsidiären Schutz, vor allem bei entsprechender Indikation auf Grund einer allgemein schlechten Sicherheitslage). So unterbleibt eine Auseinandersetzung mit den vom Bundesverwaltungsgericht selbst wiedergegebenen Passagen in Länderberichten, die eine hohe Zahl minderjähriger ziviler Opfer durch konfliktbedingte Gewalt ausweisen (in einer, in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit dem hier bekämpften Erkenntnis stehenden Entscheidung vom , W193 2132457-1 ua., hat das Bundesverwaltungsgericht Feststellungen zur Lebenssituation von Kindern in Afghanistan getroffen, denen zu Folge Hauptursache für den Anstieg der Anzahl an Kindern unter den zivilen Opfern Munitionsrückstände seien. Außerdem wird in diesen Länderinformationen auf körperliche Übergriffe im familiären Umfeld, in Schulen oder durch die afghanische Polizei und darauf hingewiesen, dass sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen nach wie vor ein großes Problem darstelle. Siehe zu dieser – mangels gebotener Auseinandersetzung mit den getroffenen Feststellungen durch den Verfassungsgerichtshof aufgehobenen – Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes ua.). Dennoch – und ohne dies insbesondere durch einschlägige (Passagen in) Länderberichte(n) in tatsächlicher Hinsicht zu erheben – kommt das Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis, dass auch die minderjährigen Beschwerdeführer "in der hinreichend sicheren" Stadt Kabul wieder Fuß fassen könnten. Aus der Begründung der Erkenntnisse gehen damit aber maßgebliche Erwägungen, die dem Verfassungsgerichtshof die rechtsstaatlich gebotene Kontrolle ermöglichen würden, nicht hervor (VfSlg 17.901/2006, 18.000/2006 sowie jüngst ).

3.Die Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichtes erweisen sich daher im Hinblick auf die Beurteilung einer den minderjährigen Beschwerdeführern im Falle der Rückkehr drohenden Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten gemäß Art 2 und 3 EMRK als nicht ausreichend nachvollziehbar. Soweit sie sich auf die Nichtzuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten an den Zweit- und Drittbeschwerdeführer und – daran anknüpfend – auf die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidungen bzw. der Abschiebungen in den Herkunftsstaat Afghanistan unter Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise beziehen, sind sie somit mit Willkür behaftet und insoweit aufzuheben. Dieser Mangel schlägt gemäß § 34 Abs 4 AsylG 2005 auf die Entscheidung betreffend den Erstbeschwerdeführer durch (s. VfSlg 19.855/2014; ua.) und belastet auch diese mit (objektiver) Willkür (s. etwa VfSlg 19401/2011 mwN). Daher ist auch das durch den Erstbeschwerdeführer angefochtene Erkenntnis im selben Umfang – wie jenes betreffend den Drittbeschwerdeführer – aufzuheben.

B. Im Übrigen – soweit sich die Beschwerden gegen die durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigte Nichtzuerkennung des Status von Asylberechtigten richten – wird die Behandlung der Beschwerden abgelehnt:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs 2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die Beschwerden behaupten die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerden, soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten richten, abzusehen.

III.Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1.Die Beschwerdeführer sind somit durch die angefochtenen Erkenntnisse, soweit damit ihre Beschwerden gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten, gegen die erlassenen Rückkehrentscheidungen und die Aussprüche der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan unter Setzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen werden, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die Entscheidungen sind daher insoweit aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2.Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerden abgelehnt.

3.Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4.Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. Da die gegen gleichartige Entscheidungen gerichteten Beschwerden im Zuge einer gemeinsamen Rechtsvertretung eingebracht wurden, ist insgesamt nur der einfache Pauschalsatz, erhöht um einen entsprechenden Streitgenossenzuschlag von 15 vH des Pauschalsatzes, zuzusprechen (zB VfSlg 17.317/2004, 17.482/2005, 19.404/2011, 19.709/2012). In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 501,40,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil die beschwerdeführenden Parteien Verfahrenshilfe im Umfang des § 64 Abs 1 Z 1 lita ZPO genießen.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VFGH:2017:E1803.2017
Schlagworte:
Asylrecht, Rückkehrentscheidung, Ermittlungsverfahren, Entscheidungsbegründung

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