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VfGH vom 28.11.2019, E1721/2019

VfGH vom 28.11.2019, E1721/2019

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander und im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Abweisung eines Antrags auf Erteilung einer "Rot-Weiß-Rot – Karte plus" eines Staatsangehörigen aus Nigeria; keine Berücksichtigung der konkreten familiären Situation des Beschwerdeführers

Spruch

I.Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs 1 BVG zur Durchführung des Internationalen Abkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung sowie auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art 8 EMRK verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II.Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Nigeria, stellte am einen ersten Antrag auf internationalen Schutz. Dieser wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) vom abgewiesen. Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom wurde die dagegen erhobene Beschwerde abgewiesen; diese Entscheidung erwuchs am in Rechtskraft.

2.Am stellte der Beschwerdeführer erneut einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des BFA vom gemäß § 68 Abs 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt. Ferner wurde gemäß § 52 Abs 9 Fremdenpolizeigesetz (in der Folge: FPG) festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Nigeria zulässig ist, und gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise von zwei Wochen festgesetzt.

3.Am heiratete der Beschwerdeführer eine Staatsangehörige von Ghana, die einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt – EU" besitzt und eine minderjährige Tochter (geb. ) mit in die Ehe brachte. Am wurde der gemeinsame Sohn des Beschwerdeführers und seiner Ehegattin geboren.

4.Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom wurde die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des BFA vom als unbegründet abgewiesen. Diese Entscheidung erwuchs in Rechtskraft.

5.Am stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck "Rot-Weiß-Rot – Karte plus" gemäß § 46 Abs 1 Z 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (in der Folge: NAG). Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien, Magistratsabteilung 35, vom gemäß § 21 Abs 1 und § 11 Abs 2 Z 4 NAG abgewiesen. Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom wurde die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Begründend führte das Verwaltungsgericht Wien das Folgende aus:

"Aufgrund der festgestellten Vorgeschichte des Beschwerdeführers kommt eine Inlandsantragstellung keinesfalls in Betracht. Nicht nur hat der Beschwerdeführer nach seiner illegalen Einreise einen Asylantrag gestellt, ohne ausreichende Asylgründe gehabt zu haben; vielmehr ist er auch nach dessen rechtskräftiger Abweisung zunächst im Inland für zwei Jahre untergetaucht. Erst als er wieder einen Ausweis bzw Aufenthaltstitel benötigte, um mit seiner damaligen Freundin zusammenziehen und sich an ihrer Adresse melden zu können, hat er einen neuerlichen Asylantrag gestellt, dabei aber nur auf seine früheren, bereits als nicht stichhaltig erkannten Asylgründe verwiesen. Er hat sohin das Asylrecht in mehrfacher Hinsicht missbraucht, um sich einen dem äußerlichen Anschein nach legalen Aufenthalt zu erschleichen.

Würde man in seinem Fall die Inlandsantragstellung zulassen, so führte dies ein geordnetes Asyl- und Fremdenwesen gänzlich ab absurdum. In einem solchen Fall hätte das Asylverfahren nur dazu gedient, damit sich der Antragsteller einige Jahre im Inland aufhalten könne, um nach einer geeigneten Ehepartnerin Ausschau zu halten, welche Aufenthaltsstatus genießt. Wenn er diese gefunden hat, könnte er seinen Aufenthaltsstatus ganz einfach ändern. Dabei soll dem Beschwerdeführer nicht unterstellt werden, dass seine Eheschließung lediglich aus Aufenthaltsgründen erfolgt ist, jedoch auch ohne diese Unterstellung wäre bei der vom Beschwerdeführer eingeschlagenen Vorgangsweise jeglichem Asylmissbrauch Tür und Tor geöffnet.

Demgegenüber fällt das zwischenzeitig begründete Familienleben des Beschwerdeführers weit weniger ins Gewicht, war er sich doch seines unsicheren Aufenthaltsstatus bereits kurz nach seiner Erstantragstellung bewusst, da dieser Antrag noch im Jahr seiner Ankunft bzw Erstantragsstellung rechtskräftig abgewiesen worden ist. Dass er danach im Inland untergetaucht war und noch später missbräuchlich einen neuerlichen Asylantrag gestellt hat, kann nicht zu seinem Vorteil ausschlagen. Der belangten Behörde ist beizupflichten, dass es dem Ziel eines geordneten Fremdenwesens und dem geordneten Zuzug von Fremden zuwiderlaufen würde, würde sich ein Fremder in einer Situation wie der des Beschwerdeführers auf das Privat- und Familienleben berufen können. Dies würde auch dazu führen, dass Fremde, die fremdenrechtliche Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen beachten, letztlich schlechter gestellt wären als Fremde, die einen Aufenthalt im Bundesgebiet lediglich durch ihre illegale Einreise und durch die Stellung eines unbegründeten oder sogar rechtsmissbräuchlichen Asylantrages erzwingen. Es steht dem Beschwerdeführer aber frei, nach der Rückkehr in sein Herkunftsland allenfalls legal im Rahmen der niederlassungs- und aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen nach Österreich einzureisen.

Eine neuerliche Prüfung der bereits im Asylverfahren vorgebrachten und verworfenen Asylgründe kommt im Rahmen der Prüfung der Zumutbarkeit gemäß § 21 Abs 3 NAG nicht in Betracht, auch wenn in der Beschwerde versucht wird, das[…] nochmals zu relevieren. Abgesehen davon wären die vom Beschwerdeführer als Asylgrund ins Treffen geführten Verdächtigungen betreffend Homosexualität mit seiner Heirat und Zeugung eines Kindes ohnehin gegenstandslos.

Da aus diesen Gründen bereits eine Inlandsantragstellung keinesfalls in Betracht kommt, braucht auf weitere Versagungsgründe - wie etwa die zu geringen Einkünfte für ein Ehepaar mit zwei Kindern - nicht mehr eingegangen zu werden.

Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden."

6.Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der unter anderem die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs 1 BVG zur Durchführung des internationalen Abkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung sowie auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art 8 EMRK geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird. Begründend wird in der Beschwerde im Wesentlichen das Folgende ausgeführt:

6.1.Die Rechtsmeinung des Verwaltungsgerichtes Wien, dass der Beschwerdeführer auf Grund der unberechtigten Asylantragstellung per se disqualifiziert wäre, einen Antrag auf Inlandsantragstellung zu stellen, sei grob unrichtig und willkürlich. Das Verwaltungsgericht Wien habe diesbezüglich kein einziges unterstützendes Judikat angeführt und habe es überhaupt unterlassen, ein ordentliches und umfassendes Beweisverfahren zur familiären und privaten Situation des Beschwerdeführers in Österreich durchzuführen. Es habe sich insbesondere geweigert, die Ehefrau des Beschwerdeführers einzuvernehmen.

6.2.Das Verwaltungsgericht Wien habe ferner die Bestimmung des § 21 Abs 3 Z 2 NAG in einer denkunmöglichen Art und Weise angewandt, indem sämtliche abgelehnte Asylwerber pauschal von der Anwendbarkeit dieser Bestimmung ausgeschlossen würden, obwohl das Gesetz dies so nicht vorsehe. Der Beschwerdeführer sei gezwungen, das Land zu verlassen und den Kontakt mit seinem dreijährigen Sohn und seiner achtjährigen Stieftochter abzubrechen.

7.Der Landeshauptmann von Wien und das Verwaltungsgericht Wien haben im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof die Verwaltungs- bzw Gerichtsakten vorgelegt, jedoch keine Gegenschrift erstattet.

II.Rechtslage

Die einschlägigen Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Niederlassung und den Aufenthalt in Österreich (Niederlassungs- und AufenthaltsgesetzNAG), BGBl I 100/2005, idF BGBl I 14/2019 lauten:

"Allgemeine Voraussetzungen

Allgemeine Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel

§11. (1) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nicht erteilt werden, wenn

1.gegen ihn ein aufrechtes Einreiseverbot gemäß § 53 FPG oder ein aufrechtes Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG besteht;

2.gegen ihn eine Rückführungsentscheidung eines anderen EWR-Staates oder der Schweiz besteht;

3.gegen ihn eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung erlassen wurde und seit seiner Ausreise nicht bereits achtzehn Monate vergangen sind, sofern er nicht einen Antrag gemäß § 21 Abs 1 eingebracht hat, nachdem er seiner Ausreiseverpflichtung freiwillig nachgekommen ist;

4.eine Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§30 Abs 1 oder 2) vorliegt;

5.eine Überschreitung der Dauer des erlaubten visumfreien oder visum-pflichtigen Aufenthalts im Zusammenhang mit § 21 Abs 6 vorliegt oder

6.er in den letzten zwölf Monaten wegen Umgehung der Grenzkontrolle oder nicht rechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet rechtskräftig bestraft wurde.

(2) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nur erteilt werden, wenn

1.der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet;

2.der Fremde einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft nachweist, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird;

3.der Fremde über einen alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig ist;

4.der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte;

5.durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels die Beziehungen der Republik Österreich zu einem anderen Staat oder einem anderen Völkerrechtssubjekt nicht wesentlich beeinträchtigt werden;

6.der Fremde im Fall eines Verlängerungsantrages (§24) das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl I Nr 68/2017, rechtzeitig erfüllt hat, und

7.in den Fällen der § 58 und 58a seit der Ausreise in einen Drittstaat gemäß § 58 Abs 5 mehr als vier Monate vergangen sind.

(3) Ein Aufenthaltstitel kann trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses gemäß Abs 1 Z 3, 5 oder 6 sowie trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß Abs 2 Z 1 bis 7 erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische MenschenrechtskonventionEMRK), BGBl Nr 210/1958, geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen rechtswidrig war;

2.das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3.die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4.der Grad der Integration;

5.die Bindungen zum Heimatstaat des Drittstaatsangehörigen;

6.die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7.Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8.die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Drittstaatsangehörigen in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren;

9.die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(4) […]

Verfahren bei Erstanträgen

§21. (1) Erstanträge sind vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einzubringen. Die Entscheidung ist im Ausland abzuwarten.

(2) […]

(3) Abweichend von Abs 1 kann die Behörde auf begründeten Antrag die Antragstellung im Inland zulassen, wenn kein Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs 1 Z 1, 2 oder 4 vorliegt und die Ausreise des Fremden aus dem Bundesgebiet zum Zweck der Antragstellung nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar ist:

1.im Fall eines unbegleiteten Minderjährigen (§2 Abs 1 Z 17) zur Wahrung des Kindeswohls oder

2.zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK (§11 Abs 3).

Die Stellung eines solchen Antrages ist nur bis zur Erlassung des Bescheides zulässig. Über diesen Umstand ist der Fremde zu belehren.

(4) […]

(6) Eine Inlandsantragstellung nach Abs 2 Z 1, Z 4 bis 9, Abs 3 und 5 schafft kein über den erlaubten visumfreien oder visumpflichtigen Aufenthalt hinausgehendes Bleiberecht. Ebenso steht sie der Erlassung und Durchführung von Maßnahmen nach dem FPG nicht entgegen und kann daher in Verfahren nach dem FPG keine aufschiebende Wirkung entfalten.

(7) […]

Bestimmungen über die Familienzusammenführung

§46. (1) Familienangehörigen von Drittstaatsangehörigen ist ein Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ zu erteilen, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen, und

1.[…]

2.ein Quotenplatz vorhanden ist und der Zusammenführende

a)einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ innehat,

b)einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“, ausgenommen einen solchen gemäß § 41a Abs 1, 4 oder 7a innehat,

c)Asylberechtigter ist und § 34 Abs 2 AsylG 2005 nicht gilt, oder

d)als unionsrechtlich aufenthaltsberechtigter Drittstaatsangehöriger über eine Aufenthaltskarte gemäß § 54 oder eine Daueraufenthaltskarte gemäß § 54a verfügt.

(2) […]"

III.Erwägungen

1.Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2.Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001)oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

2.1.Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1.1.Gemäß § 21 Abs 3 Z 2 iVm § 11 Abs 3 NAG kann auf begründeten Antrag die Antragstellung auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Inland zugelassen werden, wenn keine näher bestimmten Erteilungshindernisse vorliegen, die Ausreise des Fremden aus dem Bundesgebiet zum Zweck der Antragstellung nachweislich nicht möglich oder zumutbar ist und dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist.

2.1.2.Das Verwaltungsgericht Wien führt in seiner Entscheidung begründend im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer auf Grund der Stellung eines erfolglosen Asyl(folge-)Antrages "das Asylrecht in mehrfacher Hinsicht missbraucht" habe und die Zulassung einer Inlandsantragstellung in einem derartigen Fall "ein geordnetes Asyl- und Fremdenwesen gänzlich ad absurdum" führe bzw "jeglichem Asylmissbrauch Tür und Tor geöffnet" werde. Das zwischenzeitig begründete Familienleben des Beschwerdeführers berücksichtigt das Verwaltungsgericht nur insofern, als es ihm weniger Gewicht beimisst, weil der Beschwerdeführer sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus im Zeitpunkt der Begründung bewusst sein musste, und es ihm freistehe, nach der Rückkehr in sein Herkunftsland allenfalls legal im Rahmen der niederlassungs- und aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen nach Österreich einzureisen. Eine neuerliche Prüfung der bereits im Asylverfahren vorgebrachten Asylgründe komme nicht in Betracht, insbesondere wären die vom Beschwerdeführer als Asylgrund ins Treffen geführten Verdächtigungen betreffend Homosexualität mit seiner Heirat und Zeugung eines Kindes ohnehin gegenstandslos. Diesen Ausführungen des Verwaltungsgerichtes Wien kann angesichts der mangelhaften, zum Teil herabwürdigenden und zynisch anmutenden Argumentation kein hinreichender Begründungswert zugeschrieben werden.

2.1.3.Darüber hinaus verkennt das Verwaltungsgericht Wien, dass gemäß § 11 Abs 3 NAG die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt rechtswidrig war, bzw Verstöße gegen die öffentliche Ordnung als Aspekte im Rahmen einer gesamtheitlichen und umfassenden Beurteilung nach Art 8 EMRK zu prüfen sind; eine vorangegangene erfolglose Antragstellung auf internationalen Schutz macht die Stellung eines Antrages auf Inlandsantragstellung iSd § 21 Abs 3 Z 2 NAG aber nicht von vornherein unzulässig.

2.2.Folglich erweist sich die Begründung als unzureichend und nicht nachvollziehbar, was das angefochtene Erkenntnis insgesamt mit Willkür belastet (vgl ; , E2628/2016; , E3235/2016).

3.Ein Eingriff in das durch Art 8 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte – unter Gesetzesvorbehalt stehende – Recht ist dann verfassungswidrig, wenn die ihn verfügende verwaltungsgerichtliche Entscheidung ohne jede Rechtsgrundlage ergangen ist, auf einer dem Art 8 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruht oder wenn das Verwaltungsgericht bei Erlassung der Entscheidung eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hat; ein solcher Fall liegt nur vor, wenn das Verwaltungsgericht einen so schweren Fehler begangen hat, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre, oder wenn es der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art 8 Abs 1 EMRK widersprechenden und durch Art 8 Abs 2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellt hat (vgl VfSlg 11.638/1988, 15.051/1997, 15.400/1999, 16.657/2002).

3.1.Dem Verwaltungsgericht Wien ist bei der gemäß Art 8 Abs 2 EMRK gebotenen Abwägung ein solcher in die Verfassungssphäre reichender Fehler vorzuwerfen:

3.1.1.Das Verwaltungsgericht Wien berücksichtigt das "zwischenzeitig begründete Familienleben" des Beschwerdeführers nur insofern, als es ihm weniger Gewicht beimisst, weil er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus im Zeitpunkt der Begründung bewusst sein musste, und es ihm freistehe, nach der Rückkehr in sein Herkunftsland allenfalls legal im Rahmen der niederlassungs- und aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen nach Österreich einzureisen.

3.1.2.Das Verwaltungsgericht Wien hat bei der gemäß § 21 Abs 3 Z 2 NAG vorzunehmenden Beurteilung nach Art 8 EMRK keine Gesamtbetrachtung in Form einer – unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles – gewichtenden Abwägung des öffentlichen Interesses an der Versagung eines Aufenthaltstitels mit den gegenläufigen und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 11 Abs 3 NAG genannten Kriterien, vorgenommen (vgl ; , 2013/22/0182; , Ra 2015/22/0119; , Ra 2015/22/0158; , Ra 2017/22/0086).

3.1.3.Im Rahmen einer Beurteilung nach Art 8 EMRK ist unter anderem auf das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, den Grad der Integration und die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, Bedacht zu nehmen. Allerdings hat dies schon vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz, dass der während des unsicheren Aufenthaltes erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen ist und ein solcherart begründetes privates und familiäres Interesse nie zur Erteilung eines Aufenthaltstitels führen könnte (vgl ; , 2013/22/0242). Das Verwaltungsgericht Wien hat eine Auseinandersetzung mit den Folgen, die eine durch die Abweisung des Antrages des Beschwerdeführers drohende Ausreise – wenn auch für die Dauer des Abwartens eines Niederlassungsverfahrens – und die damit verbundene Trennung von seiner Ehefrau und den minderjährigen Kindern mit sich brächte, unterlassen. Das Verwaltungsgericht hätte in dieser Hinsicht ermitteln und bei seiner Abwägungsentscheidung berücksichtigen müssen, welche konkreten Auswirkungen eine Ausreise des Beschwerdeführers auf das Kindeswohl hat.

3.2.Indem das Verwaltungsgericht Wien die konkrete familiäre Situation des Beschwerdeführers nicht berücksichtigt, ist seine Entscheidung – ungeachtet des Umstandes, dass das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich der Beschwerdeführer seines Aufenthaltsstatus bewusst war – im Hinblick auf die gemäß Art 8 Abs 2 EMRK gebotene Abwägung in verfassungsrechtlich relevanter Weise fehlerhaft (vgl ).

IV.Ergebnis

1.Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs 1 BVG zur Durchführung des Internationalen Abkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung sowie auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art 8 EMRK verletzt worden.

2.Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3.Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4.Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe (auch) im Umfang des § 64 Abs 1 Z 1 lita ZPO genießt.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VFGH:2019:E1721.2019
Schlagworte:
Fremdenrecht, Aufenthaltsrecht, Privat- und Familienleben, Entscheidungsbegründung

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