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VfGH vom 25.08.2022, E1720/2022 ua

VfGH vom 25.08.2022, E1720/2022 ua

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Bestätigung einer Rückkehrentscheidung betreffend eine Familie von Staatsangehörigen Aserbaidschans; mangelnde rechtliche Beurteilung durch Prüfung eines anderen Sachverhalts

Spruch

I.1. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit jeweils ihre Beschwerde gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung, die Nichtgewährung einer Frist für die freiwillige Ausreise sowie die Erlassung eines Einreiseverbotes abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl Nr 390/1973, verletzt worden.

Das Erkenntnis wird in diesem Umfang aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

II.Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 3.357,60 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter des im Jahr 2008 geborenen Zweitbeschwerdeführers. Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige von Aserbaidschan, gehören der Volksgruppe der Talyschen an und bekennen sich zum islamischen Glauben schiitischer Ausrichtung. Sie reisten gemeinsam mit dem damaligen Ehemann der Erstbeschwerdeführerin, dem Vater des Zweitbeschwerdeführers, ins Bundesgebiet ein und stellten am erste Anträge auf internationalen Schutz. Diese begründeten sie im Wesentlichen damit, dass der Vater des Zweitbeschwerdeführers im Herkunftsstaat hohe Schulden habe und von der Mafia bedroht werde.

2. Mit Bescheiden vom wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diese Anträge ab, erteilte den Beschwerdeführern (sowie dem Vater des Zweitbeschwerdeführers) keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen und stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Aserbaidschan zulässig ist. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde jeweils mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3. Die dagegen erhobenen Beschwerden wurden nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom als unbegründet abgewiesen.

4. Am bzw am stellten die Beschwerdeführer (ebenso wie der Vater des Zweitbeschwerdeführers) beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 AsylG 2005.

5. Mit Beschluss vom , Ra 2021/14/0370, wies der Verwaltungsgerichtshof die gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom eingebrachten außerordentlichen Revisionen zurück.

6. Im Jänner 2022 wurde die Ehe zwischen der Erstbeschwerdeführerin und dem Vater des Zweitbeschwerdeführers einvernehmlich geschieden.

7. Mit Bescheiden vom wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge der Beschwerdeführer (sowie des Vaters des Zweitbeschwerdeführers) auf Erteilung eines Aufenthaltstitels in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen gemäß § 56 AsylG 2005 ab, erließ gegen sie gemäß § 52 Abs 3 FPG (abermals) eine Rückkehrentscheidung, stellte gemäß § 52 Abs 9 FPG die Zulässigkeit ihrer Abschiebung nach Aserbaidschan gemäß § 46 FPG fest und bestimmte eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

8. Die Beschwerdeführer wurden am in Umsetzung eines vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am erlassenen Festnahmeauftrages festgenommen. Es wurde ihnen mitgeteilt, dass ihre Abschiebung für den anberaumt sei.

9. Am brachten die Beschwerdeführer Folgeanträge auf internationalen Schutz ein. Diese begründete die Erstbeschwerdeführerin im Wesentlichen damit, dass ihr Ex-Ehegatte (der Vater des Zweitbeschwerdeführers) ihr für den Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat Probleme angedroht habe.

10. Mit Mandatsbescheiden vom stellte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl fest, dass die Voraussetzungen des § 12 Abs 4 Z 1 und Z 2 AsylG 2005 nicht vorliegen und den Beschwerdeführern faktischer Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs 4 AsylG 2005 nicht zuerkannt wird.

11. Am wurden die Beschwerdeführer (sowie der Vater des Zweitbeschwerdeführers) nach Aserbaidschan abgeschoben, wo sie sich seither aufhalten.

12. Mit Bescheiden vom wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Folgeanträge der Beschwerdeführer gemäß § 68 Abs 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück, erteilte ihnen keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen sie gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung, stellte gemäß § 52 Abs 9 FPG die Zulässigkeit ihrer Abschiebung in den Herkunftsstaat fest, gewährte keine Frist für die freiwillige Ausreise und verhängte gegen sie gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 2 Z 6 FPG jeweils ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot. Der Folgeantrag des Vaters des Zweitbeschwerdeführers wurde gemäß § 25 Abs 1 AsylG 2005 als gegenstandslos abgelegt.

13. Mit Erkenntnis vom wies das Bundesverwaltungsgericht die im Verfahren über die Abweisung der Anträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln gemäß § 56 AsylG 2005 erhobenen Beschwerden der Beschwerdeführer (sowie des Vaters des Zweitbeschwerdeführers) gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom als unbegründet ab.

14. Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerden gegen die Bescheide vom als unbegründet ab.

14.1. Hinsichtlich der Zurückweisung der (Folge-)Anträge auf internationalen Schutz führt das Bundesverwaltungsgericht begründend aus, dass die rechtskräftige Vorentscheidung vom einer neuerlichen inhaltlichen Entscheidung sowohl hinsichtlich des Status der Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status der subsidiär Schutzberechtigten entgegenstehe. Das von der Erstbeschwerdeführerin zur Begründung ihres Folgeantrages erstattete Vorbringen, wonach sie im Herkunftsstaat durch ihren Ex-Ehemann (den Vater des Zweitbeschwerdeführers) bedroht sei, weise keinen glaubhaften Kern auf, zumal ihre diesbezüglichen Ausführungen keinerlei Konkretisierung erfahren hätten. Auch spreche der Umstand, dass sie während ihres mehrjährigen Aufenthaltes in Österreich – trotz laut ihren Angaben schon vor einigen Jahren erfolgter Drohungen – nie eine Anzeige gegen ihren Ex-Ehemann erstattet, mit ihm bis zur einvernehmlich erfolgten Scheidung im gemeinsamen Haushalt gelebt und den Folgeantrag erst infolge der fremdenpolizeilichen Festnahme und Information über die bevorstehende Abschiebung gestellt habe, dafür, dass der Antrag lediglich zwecks Verzögerung der Abschiebung, nicht jedoch auf Grund eines tatsächlichen Schutzbedürfnisses gestellt worden sei. Auch darüber hinaus habe die individuelle Situation der Beschwerdeführer sowie die allgemeine Lage im Herkunftsstaat seit dem wenige Monate zurückliegenden rechtskräftigen Abschluss des Vorverfahrens keine maßgebliche Änderung erfahren. Den Beschwerdeführern drohe im Fall einer Rückkehr nach Aserbaidschan – auch unter Berücksichtigung der aus der Minderjährigkeit des Zweitbeschwerdeführers resultierenden Vulnerabilität – keine unmenschliche Behandlung oder Strafe, ebensowenig seien sie von Folter, der Todesstrafe oder willkürlicher Gewalt bedroht. Ihre Existenzgrundlage sei im Herkunftsstaat, in dem sie über familiäre Bindungen und eine Unterkunft verfügen würden, gesichert. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sei daher zu Recht davon ausgegangen, dass einer Behandlung der vorliegenden Anträge auf internationalen Schutz das Prozesshindernis der entschiedenen Sache entgegenstehe.

14.2. Im Hinblick auf die familiäre und private Situation der Beschwerdeführer stellt das Bundesverwaltungsgericht fest, dass die Erstbeschwerdeführerin ein Deutschzertifikat auf dem Sprachniveau A2 sowie zwei Einstellungszusagen vorgelegt habe und rund einen Monat in einem Seniorenwohnheim gemeinnützig tätig gewesen sei. Der Zweitbeschwerdeführer besuche die Schule und spiele in einem Verein Tischtennis. Die unbescholtenen, nicht selbsterhaltungsfähigen Beschwerdeführer hätten einen Freundeskreis, jedoch keine verwandtschaftlichen Bindungen in Österreich.

Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung trifft das Bundesverwaltungsgericht zur Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung unter dem Blickwinkel des Art 8 EMRK sowie des Kindeswohles (auszugsweise) folgende Ausführungen:

"[...] Die BF haben in Österreich keine Verwandten und leben auch sonst mit keiner ihnen nahestehenden Person zusammen. Die BF halten sich seit im Bundesgebiet auf und beziehen Grundversorgung. Die BF absolvierten Deutschkurse, vom BF1 und der BF2 wurde ein A1 Zertifikat in Vorlage gebracht. Die BF3 besucht die NMS M[...], der BF4 die VS M[…]. Der BF1 leistet bei der Diakonie ehrenamtliche Tätigkeiten. Die BF sind in keinen Vereinen oder Organisationen Mitglieder. Die BF können keine österreichischen Freunde bekannt geben. Einstellungszusagen wurden nicht vorgelegt. Vorgelegt wurde ein Konvolut an Unterstützungsschreiben. Die BF sind im Bundesgebiet strafrechtlich bislang unbescholten.

Die Rückkehrentscheidung stellt somit keinen Eingriff in das Recht auf Familienleben dar, sondern allenfalls einen solchen in das Privatleben.

[…]

– Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt rechtswidrig war:

Die BF sind seit in Österreich aufhältig. Sie reisten bereits im März in Österreich mit einem Visum-C ein und anschließend nach Deutschland weiter. Am wurden die BF iSd Dublin-III-Verordnung von Deutschland nach Österreich überstellt und konnten sie ihren Aufenthalt lediglich durch die Stellung eines unbegründeten Asylantrages vorübergehend legalisieren. […]

– das tatsächliche Bestehen eines Privatlebens:

Die BF verfügen über keine relevanten privaten Anknüpfungspunkte.

– die Schutzwürdigkeit des Privatlebens

Die BF begründeten ihr Privatleben zu einem Zeitpunkt, als der Aufenthalt lediglich durch die Stellung eines unbegründeten Asylantrages vorübergehend legalisiert war. Auch war der Aufenthalt der BF zum Zeitpunkt der Begründung der Anknüpfungspunkte im Rahmen des Privatlebens ungewiss und nicht dauerhaft, sondern auf die Dauer des Asylverfahrens beschränkt.

Letztlich ist auch festzuhalten, dass die BF nicht gezwungen sind, nach einer Ausreise allenfalls bestehende Bindungen zur Gänze abzubrechen. […]

– Grad der Integration

Die BF sind erst sehr kurz in Österreich aufhältig, haben hier keine qualifizierten Anknüpfungspunkte und waren im Asylverfahren nicht in der Lage, ihren Antrag ohne die Beiziehung eines Dolmetschers zu begründen. Die BF absolvierten Deutschkurse, BF1 und BF2 legten ein ÖSD Zertifikat A1 vor, waren nie legal beschäftigt. Vom BF1 wurden bei der Diakonie ehrenamtliche[…] Tätigkeiten geleistet. Die BF3 besucht die NMS M[…], der BF4 die VS M[…]. Die BF sind keine Mitglieder bei einem Verein oder einer Organisation. Sie pflegen normale soziale Kontakte. […]

– Bindungen zum Herkunftsstaat

Die BF verbrachten annähernd ihr gesamtes Leben in Aserbaidschan, wurde[n] dort sozialisiert, bekennen sich zum dortigen muslimischen Glauben und sprechen die dortige Mehrheitssprache auf muttersprachlichem Niveau. Im Herkunftsstaat leben noch ca. 50 Verwandte des BF1. Darunter seine Eltern, sein Bruder und seine Schwester. Die Eltern beziehen eine staatliche Pension, der Bruder betreibt ein Lebensmittelgeschäft und die Schwester ist Kindergartenpädagogin. Weiters leben noch die Eltern und ein Bruder der BF2 in M[…]. Der Vater ist Arzt, die Mutter Hausfrau. Der Bruder arbeitet in einem Lebensmittelgeschäft, seine Gattin [ist] Volksschullehrerin. Zudem besitzen die BF in M[…] ein Haus und in Baku eine Eigentumswohnung. Es deutet daher nichts darauf hin, dass es den BF im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht möglich wäre, sich in die dortige Gesellschaft erneut zu integrieren.

Die minderjährigen BF befinden sich in einem Alter erhöhter Anpassungsfähigkeit.

[…]

– Kindeswohl

[…]

Im vorliegenden Fall ist daher insbesondere zu berücksichtigen, dass die BF3 und BF4 minderjährige Kinder – somit Angehöriger [sic!] einer besonders vulnerablen und besonders schutzbedürftigen Personengruppe – sind. Daher ist eine konkrete Auseinandersetzung mit der Rückkehrsituation, die die minderjährigen BF bzw die Eltern mit ihren minderjährigen Kindern im Heimatstaat tatsächlich vorfinden würden, erforderlich.

Im gegenständlichen Fall sind die Eltern und die Kinder aserbaidschanische Staatsbürger und sind somit alle vier BF im selben Umfang von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen betroffen. Die BF3 und BF4 teilen somit das sozioökonomische Schicksal der Eltern. Den BF stehen nach der Rückkehr sowohl private, karitative als auch bei Bedarf staatliche Unterstützungsmöglichkeiten zur Verfügung. Es kann davon ausgegangen werden, dass sie Unterkunft finden werden – im konkreten Fall haben die BF zudem ein Haus in M[…] und eine Eigentumswohnung in Baku – und wird auch auf die Beweiswürdigung oben verwiesen. Eine Verletzung des Kindeswohles ist daher nicht ersichtlich.

– Zurechenbarkeit des Verhaltens der Eltern

Das ho. Gericht verkennt zwar nicht, dass sich die Kinder das Verhalten der Eltern im Rahmen der Interessensabwägung gemäß Art 8 EMRK nicht im vollen Umfang subjektiv v[o]rwerfen lassen müssen, doch ist dieses Verhalten dennoch nicht unbeachtlich. […]"

14.3. Das Einreiseverbot wird damit begründet, dass die Beschwerdeführer ihrer Verpflichtung zur Ausreise nicht nachgekommen seien und unmittelbar vor der Abschiebung einen offenbar missbräuchlichen Folgeantrag gestellt hätten. Die Beschwerdeführer seien nicht in der Lage, den Besitz der notwendigen Unterhaltsmittel nachzuweisen, weshalb ein weiterer Aufenthalt die öffentliche Ordnung gefährde.

15. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art 144 Abs 1 B-VG gestützte und mit einem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 85 Abs 2 VfGG verbundene Beschwerde, in der die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

Begründend wird im Wesentlichen ausgeführt, das Bundesverwaltungsgericht lege seiner rechtlichen Beurteilung zur Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung Sachverhaltselemente zugrunde, die offensichtlich nicht das vorliegende Verfahren beträfen. So werde tatsachenwidrig auf vier beschwerdeführende Parteien, ein unrichtiges Einreisedatum, einen Schulbesuch im Ort M., eine Einreise mit einem Visum C und eine Weiterreise nach Deutschland Bezug genommen. Die unter dem Punkt "Bindungen zum Herkunftsstaat" erörterten verwandtschaftlichen Bindungen würden ebenfalls keinen Bezug zu den Beschwerdeführern erkennen lassen. Im Rahmen der Kindeswohlprüfung werde unrichtig von zwei minderjährigen beschwerdeführenden Parteien gesprochen. Diese Mängel seien nur mit der Verwendung unrichtiger Textbausteine aus einer anderen Entscheidung erklärbar. Sie würden jedoch zu einer verfehlten und nicht überprüfbaren Interessenabwägung gemäß Art 8 EMRK sowie einer nicht nachvollziehbaren Kindeswohlprüfung führen, wodurch die Beschwerdeführer in ihren Rechten auf Achtung des Privat- und Familienlebens und auf Gleichbehandlung Fremder untereinander verletzt würden. Zudem habe das Bundesverwaltungsgericht das gegen den minderjährigen Zweitbeschwerdeführer verhängte Einreiseverbot unzureichend begründet.

16. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen und auf die Begründung des angefochtenen Erkenntnisses verwiesen.

II. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

1. Die Beschwerde ist, soweit sie sich jeweils gegen die Abweisung der Beschwerden an das Bundesverwaltungsgericht betreffend die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung, die Nichtgewährung einer Frist für die freiwillige Ausreise sowie die Erlassung eines Einreiseverbotes richtet, begründet:

1.1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

1.1.1. Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

1.1.2. Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

1.1.3. Wie der Verfassungsgerichtshof weiter zu dem aus dem Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander folgenden Willkürverbot in Zusammenhalt mit dem aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Gebot der Begründung gerichtlicher Entscheidungen ausgesprochen hat, müssen die für die angefochtene Entscheidung maßgeblichen Erwägungen aus ihrer Begründung hervorgehen, da nur auf diese Weise die rechtsstaatlich gebotene Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof möglich ist (vgl jeweils mwN VfSlg 20.267/2018; ; , E4376/2020 ua; , E1690/2021).

1.2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

1.2.1. Das angefochtene Erkenntnis enthält im Rahmen der rechtlichen Beurteilung, soweit sie sich auf die Prüfung der Zulässigkeit der Rückkehrentscheidungen bezieht, ausschließlich Ausführungen, die offenbar aus einer Entscheidung übernommen wurden, die eine von den Beschwerdeführern verschiedene Familie betrifft, und die keinen Bezug zu den vom Bundesverwaltungsgericht festgestellten familiären und privaten Umständen der Beschwerdeführer erkennen lassen. Eine zutreffende rechtliche Würdigung des vom Bundesverwaltungsgericht festgestellten Sachverhaltes findet nicht statt (vgl im Übrigen zur Berücksichtigung des Kindeswohles bei der Interessenabwägung nach Art 8 EMRK ua ; EGMR , Fall Rodrigues da Silva ua, Appl 50.435/99). Dadurch entzieht sich das angefochtene Erkenntnis in diesem Umfang einer nachprüfenden Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof.

1.2.2. Das angefochtene Erkenntnis wird damit, soweit mit ihm jeweils die Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung – sowie die an die Erlassung einer Rückkehrentscheidung anknüpfenden Aussprüche – abgewiesen wird, den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Begründung gerichtlicher Entscheidungen nicht gerecht und ist daher mit Willkür belastet (siehe nur mwN).

2. Die Behandlung der Beschwerde wird, soweit damit jeweils die Zurückweisung der Folgeanträge wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs 1 AVG sowie die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 bekämpft wird, aus folgenden Gründen abgelehnt:

2.1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs 2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

2.2. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

III. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführer sind somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit jeweils ihre Beschwerde gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung, die Nichtgewährung einer Frist für die freiwillige Ausreise sowie die Erlassung eines Einreiseverbotes abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Im Übrigen ist die Behandlung der Beschwerde abzulehnen.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. Da die Beschwerdeführer durch einen Rechtsanwalt vertreten sind, ist der einfache Pauschalsatz, erhöht um einen Streitgenossenzuschlag in der Höhe von 10 %, zuzusprechen (vgl ; VfSlg 19.796/2013). In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 479,– sowie der Ersatz der gemäß § 17a VfGG entrichteten Eingabengebühr von € 480,– enthalten.

5. Damit erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VFGH:2022:E1720.2022
Schlagworte:
Asylrecht, res iudicata, Rückkehrentscheidung

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