VfGH vom 11.06.2018, E1660/2018
Leitsatz
Entzug des gesetzlichen Richters durch einen Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes über die Zurückweisung der Beschwerde einer Mitbewerberin um die Stelle eines Schulinspektors für allgemein bildende Pflichtschulen im Bereich des Landesschulrates für Tirol; Parteistellung der in einen verbindlichen Besetzungsvorschlag aufgenommenen Bewerber
Spruch
I.Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Beschluss im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Der Beschluss wird aufgehoben.
II.Der Bund (Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I.Sachverhalt und Beschwerde
1.Die Beschwerdeführerin bewarb sich – neben anderen Personen – um die im Amtsblatt zur Wiener Zeitung vom ausgeschriebene Stelle eines Schulinspektors für allgemein bildende Pflichtschulen der Verwendungsgruppe SI 2 für die Bildungsregion Innsbruck-Stadt im Bereich des Landesschulrates für Tirol. In den vom Kollegium des Landesschulrates für Tirol erstatteten Besetzungsvorschlag wurden drei Bewerber aufgenommen, darunter auch die Beschwerdeführerin. Mit Bescheid der damaligen Bundesministerin für Bildung vom wurde ein Mitbewerber der Beschwerdeführerin auf diese Stelle ernannt.
2.Das Bundesverwaltungsgericht wies die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde der Beschwerdeführerin mit Beschluss vom im Wesentlichen mit der Begründung als unzulässig zurück, dass der Beschwerdeführerin als in den Besetzungsvorschlag aufgenommene Bewerberin im Lichte des Art 81b B-VG zwar das Recht zukomme, dass nur einer der in den Besetzungsvorschlag aufgenommenen Bewerber ernannt wird. Da dies geschehen sei, sei eine Rechtsverletzungsmöglichkeit der Beschwerdeführerin auszuschließen.
3.In ihrer gegen diese Entscheidung gerichteten, auf Art 144 B-VG gestützten Beschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung im verfassungsgesetz-lich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof.
4.Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen. Die belangte Behörde hat von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen. Ein am Verfahren beteiligter Mitbewerber der Beschwerdeführerin hat eine Äußerung erstattet.
II.Rechtslage
1.Art81b Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl 1/1930 (WV) idF BGBl I 164/2013, lautet:
"Artikel 81b. (1) Die Landesschulräte haben gereihte Dreiervorschläge zu erstatten
a) für die Besetzung der Dienstposten des Bundes für Schulleiter, sonstige Lehrer und Erzieher an den den Landesschulräten unterstehenden Schulen und Schülerheimen,
b) für die Besetzung der Dienstposten des Bundes für die bei den Landesschulräten tätigen Schulaufsichtsbeamten sowie für die Betrauung von Lehrern mit Schulaufsichtsfunktionen.
(2) Die Vorschläge nach Abs 1 sind an den gemäß Art 66 Abs 1 oder Art 67 Abs 1 oder auf Grund sonstiger Bestimmungen zuständigen Bundesminister zu erstatten. Die Auswahl unter den vorgeschlagenen Personen obliegt dem Bundesminister.
(3) Bei jedem Landesschulrat sind Qualifikations- und Disziplinarkommissionen für Schulleiter und sonstige Lehrer sowie für Erzieher einzurichten, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund stehen und an einer dem Landesschulrat unterstehenden Schule (Schülerheim) verwendet werden. Das Nähere ist durch Bundesgesetz zu regeln."
2.§225 des Bundesgesetzes vom über das Dienstrecht der Beamten (Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 – BDG 1979), BGBl 333 idF BGBl I 127/1999, lautet:
"Anwendungsbereich und Einteilung
§225. (1) Dieser Abschnitt ist auf Schulaufsichtsbeamte anzuwenden, das sind
1. Schulinspektoren und
2. Beamte, die ausschließlich als Fachinspektoren verwendet werden.
(2) Die Besoldungsgruppe 'Schul- und Fachinspektoren' umfaßt die Verwendungsgruppen SI 1 und SI 2 für die Schulinspektoren und die Verwendungsgruppen FI 1 und FI 2 für die Fachinspektoren.
(3) Der Besetzung einer freien Planstelle eines Schul- oder Fachinspektors hat ein Ausschreibungs- und Bewerbungsverfahren voranzugehen."
III.Erwägungen
1.Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
2.Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch die Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes verletzt, wenn das Verwaltungsgericht eine ihm gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002) oder wenn es in gesetzwidriger Weise seine Zuständigkeit ablehnt, etwa indem es zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002).
3.Wie der Verfassungsgerichtshof in zahlreichen Erkenntnissen betreffend Verfahren zur Verleihung einer Schulleiterstelle (vgl. zB VfSlg 12.782/1991, 15.926/2000, 19.061/2010; ; , E458/2015; , E1476/2017), aber auch zur Ernennung von Schulaufsichtsbeamten (s. bereits VfSlg 6806/1972, 7843/1976; vgl. auch VfSlg 17.246/2004; ) ausgesprochen hat, kommt Bewerbern in diesen Verfahren – ungeachtet der Rechtsnatur ihres Dienstverhältnisses (vgl. VfSlg 19.670/2012; ) – Parteistellung iSd § 3 des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG) bzw. § 8 AVG zu, wenn sie in einen verbindlichen Besetzungsvorschlag aufgenommen wurden. Die in einen Besetzungsvorschlag aufgenommenen Bewerber bilden eine Verwaltungsverfahrensgemeinschaft; sie haben ein Recht auf Teilnahme an dem durch den Besetzungsvorschlag konkretisierten Verwaltungsverfahren. Aus rechtsstaatlicher Sicht ist die Verwaltungsbehörde nicht befugt, durch einen der Rechtskontrolle nicht unterworfenen Verleihungsakt unter den in den gesetzlich vorgesehenen Besetzungsvorschlag aufgenommenen Bewerbern eine Auswahl zu treffen (vgl. zB VfSlg 12.782/1991).
4.Die Beschwerdeführerin wurde in den (verbindlichen) Besetzungsvorschlag des Kollegiums des Landesschulrates für Tirol aufgenommen. Daher kam ihr im Verfahren betreffend die Ernennung zum Schulinspektor Parteistellung zu.
5.Da das Bundesverwaltungsgericht mit der bekämpften Entscheidung die Parteistellung verneinte und ihre Beschwerde als unzulässig zurückwies, verweigerte es der Beschwerdeführerin gegenüber zu Unrecht eine Sachentscheidung.
IV.Ergebnis
1.Die Beschwerdeführerin ist somit durch den angefochtenen Beschluss im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
2.Der Beschluss ist daher aufzuheben.
3.Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4.Die Kostenentscheidung beruht auf § 88a Abs 1 iVm § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß § 17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten. Die als "ERV-Zuschlag" geltend gemachten Kosten iHv € 4,10 sind schon deshalb nicht zuzusprechen, weil diese bereits mit dem Pauschalsatz abgegolten sind (vgl. zB ).
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:VFGH:2018:E1660.2018 |
Schlagworte: | Schulen, Schulaufsicht, Parteistellung, Besetzungsvorschlag, Verwaltungsverfahrensgemeinschaft, Dienstrecht |
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