VfGH vom 09.10.2015, E1595/2015
Leitsatz
Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht durch eine Entscheidung des Landesverwaltungsgerichtes Salzburg über eine Beschwerde betreffend ein Zusammenlegungsverfahren wegen Zweifel an der Unabhängigkeit eines dem Gericht angehörenden fachkundigen Laienrichters aufgrund seiner untergeordneten Stellung gegenüber dem Leiter der erstinstanzlichen Agrarbehörde
Spruch
I. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis in ihrem durch Art 6 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Das Land Salzburg ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihrer Rechtsvertreterin die mit € 2.640,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1.1. Mit Bescheid vom wies die Agrarbehörde Salzburg den Antrag der Beschwerdeführer auf Nichtigerklärung einer Maßnahme des Ausschusses der Agrargemeinschaft Loferer Alpe und Loferer Alpswald (Ablehnung einer Auftriebsmeldung zur Sömmerung von 19 Stück Galtvieh für das Jahr 2014) sowie den Eventualantrag auf Aufhebung dieser Maßnahme als unbegründet ab und zwei weitere Anträge des Inhaltes, "auszusprechen", dass den Beschwerdeführern näher bezeichnete Rechte hinsichtlich der Anmeldung und des Auftriebes von Vieh auf der genannten Agrargemeinschaft gemäß der Wirtschaftsordnung des Regulierungsplanes zustünden, wegen entschiedener Sache als unzulässig zurück.
1.2. Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Salzburg wurde der dagegen erhobenen Beschwerde mit der Maßgabe teilweise Folge gegeben, dass der erstinstanzliche Spruch insoweit ersatzlos behoben wird, als er sich auch auf den Eventualantrag der Aufhebung der Maßnahme des Ausschusses wegen Rechtswidrigkeit erstreckt. Im Übrigen wurde die Beschwerde mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass die erstinstanzliche Bezugnahme auf eine entschiedene Sache und § 68 Abs 1 AVG zu entfallen hat.
1.3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die auf Art 144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.
2. Das Landesverwaltungsgericht Salzburg hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten übermittelt und eine Äußerung erstattet, in der sie einem ausgewählten Beschwerdevorbringen entgegentritt.
3. Die Agrargemeinschaft Loferer Alpe und Loferer Alpswald hat eine Äußerung erstattet, in der sie insbesondere Klarstellungen zum Sachverhalt vornimmt.
II. Rechtslage
Die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:
1. § 108 Salzburger Flurverfassungs-Landesgesetz 1973 (in der Folge: Sbg. FLG 1973), LGBl 1 idF LGBl 80/2014, lautet:
"Senatsentscheidungen des Landesverwaltungsgerichts;
Übermittlungspflicht
§108
(1) Über Beschwerden gegen Bescheide der Agrarbehörde in Zusammenlegungs- und Flurbereinigungsverfahren entscheidet das Landesverwaltungsgericht in Senaten, die aus einem Richter als Vorsitzendem, einem weiteren Richter als Berichterstatter sowie einem fachkundigen Laienrichter (§7 S.LVwGG) bestehen. Zu fachkundigen Laienrichtern sind von der Landesregierung Landesbedienstete mit Erfahrung in Angelegenheiten der Bodenreform in der erforderlichen Anzahl zu bestellen.
(2) Zu fachkundigen Laienrichtern dürfen nur Landesbedienstete des Dienststandes bestellt werden, gegen die, wenn sie Landesbeamte sind, kein Disziplinarverfahren anhängig ist. Sie haben der Bestellung zu fachkundigen Laienrichtern Folge zu leisten.
(3) Die Funktion als fachkundiger Laienrichter ruht:
1. während einer Außerdienststellung;
2. während eines Urlaubes von mehr als drei Monaten;
3. während des Ausbildungs-, Präsenz- und Zivildienstes; oder
4. wenn es sich um einen Landesbeamten handelt, von der Einleitung eines Disziplinarverfahrens bis zu dessen rechtskräftigem Abschluss oder während einer Suspendierung.
(4) Das Landesverwaltungsgericht hat dem Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft schriftliche Ausfertigungen der in den Angelegenheiten dieses Gesetzes ergangenen Erkenntnisse zu übermitteln."
2. § 7 des Gesetzes vom über die Organisation des Landesverwaltungsgerichtes in Salzburg (Salzburger Landesverwaltungsgerichtsgesetz – S.LVwGG), LGBl 16 idF LGBl 101/2013, lautet:
"Fachkundige Laienrichterinnen und -richter
§7
(1) Die nachstehenden Bestimmungen finden Anwendung, soweit in den Verwaltungsvorschriften, die eine Beiziehung von fachkundigen Laienrichterinnen und Laienrichtern in die Senate des Landesverwaltungsgerichtes vorsehen, nicht anderes bestimmt wird.
(2) Zu fachkundigen Laienrichterinnen und Laienrichtern können nur Personen bestellt werden, die die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen und voll handlungsfähig sind. Sie sind von der Landesregierung jeweils auf die Dauer von sechs Jahren zu bestellen und haben vor Antritt ihres Amtes unter sinngemäßer Anwendung des § 3 das Gelöbnis zu leisten. Die Unvereinbarkeitsbestimmungen des § 4 Abs 1 finden sinngemäß Anwendung. Für jede fachkundige Laienrichterin und für jeden fachkundigen Laienrichter ist in gleicher Weise zumindest eine Ersatzrichterin oder ein Ersatzrichter zu bestellen und anzugeloben. Bei der Bestellung mehrerer Ersatzrichterinnen und Ersatzrichter ist gleichzeitig zu bestimmen, in welcher Reihenfolge diese die fachkundige Laienrichterin oder den fachkundigen Laienrichter im Fall der Verhinderung vertreten.
(3) Die fachkundigen Laienrichterinnen und -richter sowie die Ersatzrichterinnen und -richter sind in Ausübung ihrer Funktion an keine Weisungen gebunden.
(4) Das Amt als fachkundige Laienrichterin oder als fachkundiger Laienrichter sowie als Ersatzrichterin oder Ersatzrichter endet:
1. mit Ablauf der Bestellungsdauer, frühestens jedoch mit der Bestellung der nachfolgenden Laienrichterinnen und Laienrichter bzw Ersatzrichterinnen und richter;
2. mit dem schriftlich erklärten Verzicht auf das Amt (Abs5);
3. mit der Amtsenthebung (Abs6). In den Fällen der Z 2 und 3 ist für den Rest der Funktionsdauer eine neue fachkundige Laienrichterin oder ein neuer fachkundiger Laienrichter bzw eine Ersatzrichterin oder ein Ersatzrichter zu bestellen.
(5) Der Verzicht ist der Präsidentin oder dem Präsidenten schriftlich zu erklären. Er wird, sofern in der Verzichtserklärung nicht ein anderer Zeitpunkt angegeben ist, eine Woche nach dem Einlangen wirksam. Die Präsidentin oder der Präsident hat den Verzicht einschließlich des Zeitpunkts des Wirksamwerdens der Landesregierung mitzuteilen.
(6) Eine fachkundige Laienrichterin, ein fachkundiger Laienrichter, eine Ersatzrichterin und ein Ersatzrichter sind vom Personal- und Disziplinarausschuss ihres bzw seines Amtes zu entheben, wenn sie bzw er
1. die volle Handlungsfähigkeit, die österreichische Staatsbürgerschaft oder eine nach den Verwaltungsvorschriften vorgesehene besondere Bestellungsvoraussetzung verliert;
2. aus gesundheitlichen Gründen ihre bzw seine richterlichen Aufgaben nicht mehr erfüllen kann;
3. unentschuldigt ihre bzw seine Pflichten grob verletzt oder vernachlässigt hat oder
4. durch ihr bzw sein Verhalten das Ansehen des Amtes einer fachkundigen Laienrichterin oder eines fachkundigen Laienrichters bzw als Ersatzrichterin oder -richter gefährdet.
(7) Laienrichterinnen und -richter sowie Ersatzrichterinnen und -richter erhalten für die Teilnahme an Verhandlungen des Landesverwaltungsgerichtes einen Aufwandersatz, der unter sinngemäßer Anwendung des Kollegialorgane-Sitzungsentschädigungsgesetzes mit der Maßgabe zu ermitteln ist, dass die Höhe des Sitzungsgeldes 100 % der vollen Tagesgebühr nach den für Landesbedienstete jeweils geltenden reisegebührenrechtlichen Vorschriften beträgt."
3. § 18 des Bundesgesetzes über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – in der Folge: VwGVG), BGBl I 33/2013, lautet:
"Parteien
§18. Partei ist auch die belangte Behörde."
III. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
2. Gemäß Art 6 Abs 1 erster Satz EMRK hat jedermann Anspruch darauf, dass seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht gehört wird, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage zu entscheiden hat.
3. Dem vorliegenden Fall liegt das Recht zum Auftrieb von Vieh auf Agrargemeinschaftsgebiet zugrunde. Dadurch können die privatrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen der Beschwerdeführer berührt werden, weshalb Art 6 EMRK auf das hier zu beurteilende Verfahren anzuwenden ist (vgl. ua.).
4. Nach der mit der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte übereinstimmenden und auf Verwaltungsgerichte übertragbaren Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes haben die Unabhängigen Verwaltungssenate in Bezug auf die "Unparteilichkeit" und "Unabhängigkeit" ihrer Mitglieder den Erfordernissen eines Gerichts im Sinne des Art 6 EMRK zu genügen und daher eine Zusammensetzung aufzuweisen, die keinen berechtigten Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit ihrer Mitglieder entstehen lässt. Dabei ist nicht nur eine allfällige tatsächliche Befangenheit entscheidend, sondern auch der "äußere Anschein der Parteilichkeit" (vgl. VfSlg 19.799/2013 und die dort zitierte Judikatur).
5. Das Landesverwaltungsgericht Salzburg hat im vorliegenden Fall diesen Anforderungen nicht genügt:
6. Der im erkennenden Senat des Landesverwaltungsgerichtes Salzburg an der angefochtenen Entscheidung mitwirkende fachkundige Laienrichter war zu diesem Zeitpunkt Leiter des Referates 4/07 – Agrarwirtschaft, Bodenschutz und Almen in der Abteilung 4 des Amtes der Salzburger Landesregierung ("Lebensgrundlagen und Energie"), in der auch die Agrarbehörde Salzburg sowie das u.a. für Grundzusammenlegungen und Flurbereinigungen zuständige Referat 4/01 – Agrarrecht, Arbeitsinspektion, Jagd und Fischerei eingegliedert waren. Der Leiter dieser Abteilung war zugleich Leiter der Agrarbehörde und unmittelbarer Vorgesetzter des fachkundigen Laienrichters. Die Agrarbehörde Salzburg ist gemäß § 18 VwGVG als belangte Behörde Partei des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens.
7. Zwar stellt der Umstand, dass ein fachkundiger Laienrichter eines Verwaltungsgerichtes Verwaltungsbeamter ist und als solcher in seiner sonstigen Tätigkeit weisungsgebunden ist, für sich allein noch keinen Grund dafür dar, an der Unabhängigkeit des Verwaltungsgerichtes zu zweifeln (vgl. VfSlg 15.668/1999 und EGMR , Fall Ringeisen , Serie A Nr 13).
8. Berechtigt sind allerdings Zweifel an der Unabhängigkeit einer Person, die einem Gericht iSd Art 6 EMRK angehört, wenn sie sich sowohl im Hinblick auf ihre Pflichten als auch auf die Organisation ihres Amtes im Verhältnis zu einer der Parteien in untergeordneter Stellung befindet (vgl. EGMR , Fall Sramek , Serie A Nr 84, und ).
9. Da der fachkundige Laienrichter Referatsleiter in jener Abteilung des Amtes der Salzburger Landesregierung ist, in der auch die als belangte Behörde Parteistellung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren genießende Agrarbehörde Salzburg eingegliedert ist, sodass er sich gegenüber dem Leiter dieser Abteilung – der auch die Agrarbehörde leitet – in einer unmittelbar untergeordneten Stellung befindet, entspricht die Zusammensetzung des Landesverwaltungsgerichtes Salzburg im vorliegenden Fall nicht den Anforderungen des Art 6 EMRK. Dies wiegt umso schwerer, als den Verwaltungsgerichten eine rechtsstaatliche Filterungsfunktion zukommt und die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes im Instanzenzug seit der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl I 51, nur noch bei Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung erfolgt ( G7/2015). Der im Instanzenzug anrufbare Verwaltungsgerichtshof vermag aber nicht mehr im Sinne der bisherigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zur nachprüfenden Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VfSlg 19.320/2011) die möglicherweise mangels Unabhängigkeit fehlende Gerichtsqualität der entscheidenden Verwaltungsgerichte zu ersetzen.
10. Der Beschwerdeführer wurde daher in seinem aus Art 6 EMRK abzuleitenden Recht auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht verletzt (vgl. VfSlg 15.668/1999).
11. Die mangelnde Gerichtsqualität ist aber nicht dem Gesetz anzulasten, weil die – oben wiedergegebenen – gesetzlichen Bestimmungen über die Zusammensetzung des Landesverwaltungsgerichtes Salzburg bei Entscheidungen über Beschwerden gegen Bescheide der – im verwaltungsgerichtlichen Verfahren Parteistellung genießenden – Agrarbehörde Salzburg in Zusammenlegungs- und Flurbereinigungsverfahren eine personelle Besetzung erlauben (und im Hinblick auf Art 6 EMRK auch gebieten), bei der die bedenklich erscheinende Verquickung der Tätigkeit als fachkundiger Laienrichter im Verwaltungsgericht einerseits und die Tätigkeit als Angehöriger jener Abteilung des Amtes der Salzburger Landesregierung, in der auch die Parteirechte im Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht wahrgenommen werden, andererseits vermieden werden könnte.
IV. Ergebnis
1. Die Beschwerdeführer sind somit durch die angefochtene Entscheidung in ihrem durch Art 6 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 400,– sowie der Ersatz der Eingabengebühr in Höhe von € 240,– enthalten.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:VFGH:2015:E1595.2015