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VfGH vom 21.09.2017, E1323/2017

VfGH vom 21.09.2017, E1323/2017

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia mangels hinreichend aktueller Feststellungen zur Lage in Somalia

Spruch

I.Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia, die Nichtzuerkennung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung sowie die Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI BVG zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

II.Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

III.Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Somalias und stellte nach seiner illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet am einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Zuge der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gab der Beschwerdeführer an, er gehöre der Volksgruppe der Ashraf und dem moslemischen Glauben an. Er sei in Mogadishu, Somalia, geboren worden, jedoch im Alter von zwei Jahren mit seiner Familie nach Jig-Jiga, Äthiopien, gezogen, wo er bis zu seiner Ausreise gelebt habe. Lediglich sein Onkel sei in Mogadishu geblieben. Als Fluchtgrund gab er an, er sei von der äthiopischen Regierung verdächtigt worden, Mitglied der Ogaden National Liberation Front (ONLF) zu sein, welche gegen die Regierung kämpfe. Auf Grund dessen sei er in Untersuchungshaft genommen und gefoltert worden.

2.Mit Bescheid vom wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia ab. Es wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§57 oder 55 AsylG 2005 erteilt. Zudem wurden gegen den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG 2005 erlassen und gemäß § 52 Abs 9 FPG 2005 festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Somalia gemäß § 46 FPG 2005 zulässig ist. Die Frist zur freiwilligen Ausreise wurde gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG 2005 mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt.

Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Wesentlichen aus, das Fluchtvorbringen werde nicht als glaubhaft erachtet und es seien keine Umstände ersichtlich, auf Grund derer der Beschwerdeführer nach seiner Rückkehr nicht ein existenzgesichertes Leben aufnehmen könne.

3.Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom als unbegründet ab und begründete dies insbesondere damit, das Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich seiner Fluchtgründe habe gravierende Widersprüche aufgewiesen und sei damit unglaubhaft. Im Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl habe der Beschwerdeführer keine mögliche individuelle Gefährdung im Gebiet Somalias und zu keinem Zeitpunkt Rückkehrbefürchtungen in Zusammenhang mit seiner Clanzugehörigkeit, seiner Religion oder anderen nach der Genfer Flüchtlingskonvention relevanten Fluchtgründen vorgebracht.

Der Beschwerdeführer sei ein junger, gesunder und arbeitsfähiger Mann. Er stamme aus Mogadishu, verfüge durch seinen dort lebenden Onkel über familiäre Anknüpfungspunkte und habe auch vor seiner Ausreise mit diesem in Kontakt gestanden. Der Lebensunterhalt des Beschwerdeführers sei daher weitgehend gesichert. Aus den herangezogenen Länderberichten sei abzuleiten, dass sich die Lage in Mogadishu verbessert habe und kein generelles Risiko einer Art 3 EMRK widersprechenden Behandlung bestehe. Auch aus der langjährigen Ortsabwesenheit lasse sich kein entsprechendes Risikopotential ableiten.

Der Beschwerdeführer verfüge über keine verwandtschaftlichen oder sozialen Bezugspunkte im österreichischen Bundesgebiet und es läge, auch wenn sich der Beschwerdeführer bemüht gezeigt habe, keine berücksichtigungswürdige Integration vor.

4.Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird.

Begründend führt der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, ihm drohe im Falle seiner Rückkehr Verfolgung, Somalia befinde sich im Ausnahmezustand, es gebe regelmäßig Nachrichten über Proteste, Anschläge, Schießereien, wesentliche Ermittlungen seien unterlassen worden und es sei nicht nachvollziehbar, weshalb eine Verbesserung der Lebenssituation angenommen werden könne.

5.Das Bundesverwaltungsgericht legte die Gerichtsakten vor und nahm von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.

6.Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl legte die Verwaltungsakten vor und nahm von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.

II.Erwägungen

1.Die Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht betreffend die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia, die Nichtzuerkennung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und die Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise richtet, begründet:

1.1.Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001)oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

1.2.Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

Gemäß § 8 Abs 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, dessen Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Der Verfassungsgerichtshof hat bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass die im Asylverfahren herangezogenen Länderberichte hinreichend aktuell sein müssen; dies betrifft insbesondere Staaten mit sich rasch ändernder Sicherheitslage (vgl. etwa VfSlg 19.466/2011, 19.642/2012; ; , U1032/12; , U2557/2012; , U1159/2012; , U36/2013; , E1542/2014, , E1641/2016 ua.). Betreffend Somalia hat der Verfassungsgerichtshof bereits ausgesprochen, dass drei Jahre alten Länderberichten keine ausreichende Aktualität zukommt ().

Das angefochtene Erkenntnis enthält keine hinreichend aktuellen Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers. Länderberichte zu Somalia finden sich zwar im Erkenntnis, doch stammen diese aus dem Jahr 2014 und waren daher im Zeitpunkt des Erkenntnisses bereits drei Jahre alt.

Das Bundesverwaltungsgericht stützt sich in seiner Beurteilung der Fragen, wie die derzeitige Lage in Mogadishu ist und ob der Beschwerdeführer, der seit seinem zweiten Lebensjahr in Äthiopien gelebt hat, in Mogadishu mit schwerwiegenden Problemen konfrontiert wäre, auf diese – im Hinblick auf die volatile Lage in Somalia – veralteten Länderberichte.

Vor diesem Hintergrund ist dem Verfassungsgerichtshof eine nachprüfende Kontrolle des angefochtenen Erkenntnisses in den relevanten Fragen betreffend die Entscheidung über die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia und die Nichtzuerkennung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht möglich.

Folglich ist das angefochtene Erkenntnis in den genannten Punkten mit Willkür belastet.

1.3.Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 (vgl. auch § 52 Abs 2 FPG) ist eine Entscheidung nach dem AsylG 2005 mit einer Rückkehrentscheidung zu verbinden, wenn der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird sowie kein Fall der §§8 Abs 3a oder 9 Abs 2 AsylG 2005 vorliegt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige. Gemäß § 52 Abs 9 FPG ist mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei. Gemäß § 55 Abs 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Durch die Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten liegen die genannten Voraussetzungen nicht länger vor. Da die Aufhebung des entsprechenden Spruchpunktes auf den Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Entscheidung zurückwirkt, entbehren auch die Erlassung der Rückkehrentscheidung, die Nichtzuerkennung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung sowie die Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise ihrer Rechtsgrundlage. Diese Spruchpunkte sind daher auch aufzuheben (vgl. VfSlg 19.898/2014; ; , E1641/2016 ua.).

2.Die Behandlung der Beschwerden wird, soweit damit die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten bekämpft wird, aus folgenden Gründen abgelehnt:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs 2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

III.Ergebnis

1.Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia, die Nichtzuerkennung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung von Rückkehrentscheidungen, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung sowie die Festsetzung der Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI BVG zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2.Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und diese gemäß Art 144 Abs 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten.

3.Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4.Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß § 17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VFGH:2017:E1323.2017
Schlagworte:
Asylrecht, Fremdenrecht, Rückkehrentscheidung, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren

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