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VfGH vom 27.11.2019, E1273/2019

VfGH vom 27.11.2019, E1273/2019

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung von Anträgen auf Leistungen nach dem Nö MindestsicherungsG; keine Prüfung der Gleichstellung von Staatenlosen mit Anspruchsberechtigten im Fall der Unmöglichkeit einer Rückkehr in den Herkunftsstaat

Spruch

I.1. Die Erstbeschwerdeführerin ist durch das angefochtene Erkenntnis in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Das Erkenntnis wird hinsichtlich der Erstbeschwerdeführerin aufgehoben.

2. Die Beschwerde wird hinsichtlich des Zweitbeschwerdeführers zurückgewiesen.

II.Das Land Niederösterreich ist schuldig, der Erstbeschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.Die Erstbeschwerdeführerin ist Staatenlose. Sie beantragte für sich und ihre drei minderjährigen Kinder Leistungen zur Deckung des notwendigen Lebensunterhaltes und Wohnbedarfes nach dem Niederösterreichischen Mindestsicherungsgesetz (im Folgenden: NÖ MSG). Dieser Antrag wurde mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Amstetten vom hinsichtlich des Antrages der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers, ihres minderjährigen Sohnes, abgewiesen. Hinsichtlich des Antrages ihrer minderjährigen Töchter wurden Leistungen zur Deckung des notwendigen Lebensunterhaltes und Wohnbedarfes gewährt. Der Erstbeschwerdeführerin und dem Zweitbeschwerdeführer wurden gemäß § 5 Abs 4 NÖ MSG bis jeweils Geldleistungen im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung gewährt.

2.Die dagegen erhobene Beschwerde betreffend die Abweisung der Anträge wies das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich mit Erkenntnis vom ab. Begründend führt das Landesverwaltungsgericht aus, die belangte Behörde habe festgestellt, dass die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer über eine "Rot-Weiß-Rot-Karte plus" als Aufenthaltstitel verfügten. Gemäß § 5 Abs 1 Z 3 iVm Abs 2 NÖ MSG gehörten zum Kreis der anspruchsberechtigten Personen nur zum dauernden Aufenthalt im Inland berechtigte Personen. Mit der Anknüpfung an die Berechtigung zum dauernden Aufenthalt im Inland solle ua klargestellt werden, dass die Geldleistung nicht ins Ausland exportiert werden könne. Ein Anspruch auf Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung komme daher nur für Personen in Betracht, die zum unbefristeten Aufenthalt in Österreich berechtigt seien. Da die erteilten Aufenthaltstitel nur zu einem befristeten Aufenthalt in Österreich berechtigten, seien die Anträge zu Recht abgewiesen worden.

3.Mit Schriftsatz vom stellte die Erstbeschwerdeführerin einen Antrag auf Verfahrenshilfe zur Erhebung einer Beschwerde gegen dieses Erkenntnis. Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom , E1273/2019, wurde der Erstbeschwerdeführerin Verfahrenshilfe im beantragten Umfang gewährt.

4.Gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes richtet sich die vorliegende auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde in der die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

5.Die Verwaltungsbehörde hat die Verwaltungsakten und das Landesverwaltungsgericht die Gerichtsakten vorgelegt; von der Erstattung einer Gegenschrift wurde abgesehen.

II.Rechtslage

1.§5 NÖ MSG idF LGBl 24/2016 lautet wie folgt:

"2. Abschnitt

Voraussetzungen für die Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung

§5

Anspruchsberechtigte Personen

(1) Anspruch auf Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung haben nach Maßgabe dieses Abschnittes Personen, die

1. hilfsbedürftig sind,

2. ihren Hauptwohnsitz oder mangels eines solchen ihren Aufenthalt in Niederösterreich haben und

3. zu einem dauernden Aufenthalt im Inland berechtigt sind.

(2) Zum Personenkreis nach Abs 1 Z 3 gehören jedenfalls:

1. österreichische Staatsbürger und Staatsbürgerinnen sowie deren Familienangehörige, die über einen Aufenthaltstitel 'Familienangehöriger' gemäß § 47 Abs 2 NAG verfügen;

2. Staatsangehörige eines anderen Vertragsstaates des Europäischen Wirtschaftsraumes oder der Schweiz sowie deren Familienangehörige im Sinne der Richtlinie 2004/38/EG, jeweils soweit sie durch den Bezug dieser Leistungen nicht ihr Aufenthaltsrecht verlieren würden oder die Einreise nicht zum Zweck des Bezuges von Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung erfolgt ist;

3. Asylberechtigte gemäß § 3 AsylG 2005;

4. Drittstaatsangehörige mit einem Aufenthaltstitel

a) 'Daueraufenthalt-EU' gemäß § 45 NAG oder

b) 'Daueraufenthalt-EU' eines anderen Mitgliedstaates und einem Aufenthaltstitel gemäß § 49 NAG.

(3) Keinen Anspruch auf Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung des Landes haben insbesondere:

1. Personen nach Abs 2 Z 2 während der ersten drei Monate ihres Aufenthaltes im Inland und auch danach, wenn ihnen keine Arbeitnehmer- oder Selbständigeneigenschaft zukommt;

2. Personen während ihres sichtvermerksfreien oder sichtvermerkspflichtigen Aufenthaltes im Inland, soweit nicht Z 1 anwendbar ist;

3. Asylwerber gemäß § 13 AsylG 2005;

4. Subsidiär Schutzberechtigte gemäß § 8 AsylG 2005.

(4) Bedarfsorientierte Mindestsicherung kann auf Grundlage des Privatrechts auch an andere als die in Abs 2 genannte Personen, die sich für einen Zeitraum von mehr als drei Monaten rechtmäßig in Niederösterreich aufhalten, geleistet werden, wenn dies auf Grund der persönlichen, familiären oder wirtschaftlichen Verhältnisse zur Vermeidung einer sozialen Härte geboten ist und eine vergleichbare Leistung nicht auf Grund einer anderen Rechtsgrundlage geltend gemacht werden kann."

2.Das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz idF BGBl I 56/2018 lautet auszugsweise wie folgt:

"3. Hauptstück

Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigungen

Arten und Form der Aufenthaltstitel

§8.

(1) Aufenthaltstitel werden erteilt als:

1. Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot – Karte', der zur befristeten Niederlassung und zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit, für die eine schriftliche Mitteilung oder ein Gutachten gemäß § 20d Abs 1 Z 1 bis 4 oder 24 AuslBG erstellt wurde, berechtigt;

2. Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot – Karte plus', der zur befristeten Niederlassung und zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit gemäß § 17 AuslBG berechtigt;

3. Aufenthaltstitel 'Blaue Karte EU', der zur befristeten Niederlassung und zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit, für die eine schriftliche Mitteilung gemäß § 20d Abs 1 Z 5 AuslBG erstellt wurde, berechtigt;

4. 'Niederlassungsbewilligung', die zur befristeten Niederlassung und zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit berechtigt;

5. 'Niederlassungsbewilligung – ausgenommen Erwerbstätigkeit', die zur befristeten Niederlassung ohne Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt;

6. 'Niederlassungsbewilligung – Angehöriger', die zur befristeten Niederlassung ohne Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt; die Ausübung einer Erwerbstätigkeit ist nur auf Grund einer nachträglichen quotenpflichtigen Zweckänderung erlaubt;

7. Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt – EU' für die Dokumentation des unbefristeten Niederlassungsrechts, unbeschadet der Gültigkeitsdauer des Dokuments;

8. Aufenthaltstitel 'Familienangehöriger' für die befristete Niederlassung mit der Möglichkeit, anschließend einen Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt – EU' (Z7) zu erhalten;

9. Aufenthaltstitel 'Niederlassungsbewilligung – Künstler', der zur befristeten Niederlassung und zur Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, für die eine schriftliche Mitteilung gemäß § 20d Abs 1 Z 6 AuslBG erstellt wurde, oder einer selbständigen Erwerbstätigkeit berechtigt;

10. Aufenthaltstitel 'Niederlassungsbewilligung – Sonderfälle unselbständiger Erwerbstätigkeit', der zur befristeten Niederlassung und zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit, die gemäß § 1 Abs 2 litb, c, d, f, g oder i AuslBG oder § 1 Z 1, 2, 4, 7, 8, 9 oder 12 Ausländerbeschäftigungsverordnung (AuslBVO), BGBl Nr 609/1990, vom Anwendungsbereich des AuslBG ausgenommen ist, berechtigt;

11. Aufenthaltstitel 'Niederlassungsbewilligung – Forscher', der zur befristeten Niederlassung und zur Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit für eine Forschungseinrichtung berechtigt;

12. 'Aufenthaltsbewilligung' für einen vorübergehenden befristeten Aufenthalt im Bundesgebiet zu einem bestimmten Zweck (§§58 bis 69).

(2) Der Bundesminister für Inneres legt das Aussehen und den Inhalt der Aufenthaltstitel nach Abs 1 durch Verordnung fest. Die Aufenthaltstitel haben insbesondere Name, Vorname, Geburtsdatum, Lichtbild, ausstellende Behörde und Gültigkeitsdauer zu enthalten; sie gelten als Identitätsdokumente.

(3) Die Aufenthaltsbewilligung (Abs1 Z 12) von Ehegatten, eingetragenen Partnern und minderjährigen ledigen Kindern hängt vom Bestehen der Aufenthaltsbewilligung des Zusammenführenden ab (§69).

(4) Unbeschadet der § 32 und 33 ergibt sich der Berechtigungsumfang eines Aufenthaltstitels aus dem 2. Teil.

[…]

Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot – Karte plus'

§41a.

(1) Drittstaatsangehörigen kann in einem Verfahren gemäß § 24 Abs 4 oder § 26 ein Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot – Karte plus' erteilt werden, wenn

1. sie bereits zwei Jahre einen Aufenthaltstitel gemäß § 41 Abs 1 oder 2 Z 1 bis 3 besitzen,

2. sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und

3. eine Mitteilung gemäß § 20e Abs 1 Z 2 AuslBG vorliegt.

(2) Drittstaatsangehörigen kann in einem Verfahren gemäß § 24 Abs 4 oder § 26 ein Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot – Karte plus' erteilt werden, wenn

1. sie bereits zwei Jahre einen Aufenthaltstitel gemäß § 42 besitzen,

2. sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und

3. eine Mitteilung gemäß § 20e Abs 1 Z 3 AuslBG vorliegt.

(3) Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen ein Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot – Karte plus' zu erteilen, wenn eine Mitteilung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 59 Abs 4 AsylG 2005 vorliegt. Der Aufenthaltstitel ist unverzüglich, längstens jedoch binnen acht Wochen ab Zustellung der Mitteilung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, zu erteilen. § 20 Abs 2 gilt sinngemäß.

(4) Drittstaatsangehörigen kann in einem Verfahren gemäß § 24 Abs 4 oder § 26 ein Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot – Karte plus' erteilt werden, wenn sie

1. die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und

2. mindestens zwei Jahre über eine Niederlassungsbewilligung gemäß § 43c verfügt haben.

(5) Der Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot – Karte plus' ist an Drittstaatsangehörige im Fall der Rückstufung gemäß § 28 zu erteilen, wenn die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllt sind.

(6) Drittstaatsangehörigen kann ein Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot – Karte plus' erteilt werden, wenn sie

1. die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und

2. über einen Aufenthaltstitel gemäß § 45 verfügt haben und dieser gemäß § 20 Abs 4 oder 4a erloschen ist oder gemäß § 10 Abs 3 Z 3 oder Z 4 gegenstandslos wurde.

(7) Drittstaatsangehörigen kann in einem Verfahren gemäß § 24 Abs 4 oder § 26 ein Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot – Karte plus' erteilt werden, wenn

1. sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen,

2. sie über eine 'Niederlassungsbewilligung' verfügen und

3. eine schriftliche Mitteilung der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice gemäß § 20e Abs 1 Z 1 AuslBG vorliegt.

(7a) Drittstaatsangehörigen kann in einem Verfahren gemäß § 24 Abs 4 oder § 26 ein Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot – Karte plus' erteilt werden, wenn

1. sie bereits zwei Jahre einen Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot – Karte' gemäß § 41 Abs 2 Z 5 besitzen,

2. sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und

3. eine schriftliche Mitteilung der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice gemäß § 24 Abs 4 AuslBG vorliegt.

(8) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist auf Antrag ohne weiteres ein Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot – Karte plus' zu erteilen, wenn ein Fall des § 59 Abs 2 StbG vorliegt und ein Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt – EU' (§45 Abs 10) nicht zu erteilen ist.

(9) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist ein Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot – Karte plus' zu erteilen, wenn sie

1. für einen Zeitraum von zwölf Monaten über eine 'Aufenthaltsberechtigung plus' gemäß § 55 Abs 1 oder 56 Abs 1 AsylG 2005,

2. für einen Zeitraum von zwölf Monaten über eine 'Aufenthaltsberechtigung' gemäß § 55 Abs 2 oder 56 Abs 2 AsylG 2005 oder

3. über eine Niederlassungsbewilligung gemäß § 43 Abs 3

verfügen und das Modul 1 der Integrationsvereinbarung (§9 IntG) erfüllt haben oder zum Entscheidungszeitpunkt eine Erwerbstätigkeit ausüben, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§5 Abs 2 Allgemeines SozialversicherungsgesetzASVG BGBl Nr 189/1955 erreicht wird.

(10) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses gemäß § 11 Abs 1 Z 4 bis 6 sowie trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß § 11 Abs 2 von Amts wegen oder auf begründeten Antrag, der bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen ist, ein Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot – Karte plus' zu erteilen, wenn es sich um einen unbegleiteten minderjährigen Fremden handelt und sich der Minderjährige auf Grund eines Gerichtsbeschlusses, kraft Gesetzes oder einer Vereinbarung der leiblichen Eltern mit dem Kinder- und Jugendhilfeträger zum Schutz des Kindeswohles nicht bloß vorübergehend in Obhut von Pflegeeltern oder des Kinder- und Jugendhilfeträgers befindet. Die Pflegeeltern gelten diesfalls als gesetzliche Vertreter im Sinne des § 19. Dieser Aufenthaltstitel ist gebührenfrei zu erteilen. (11) In den Fällen der Abs 1, 2, 7 und 7a ist von der Einholung einer schriftlichen Mitteilung der regionalen Geschäftsstelle oder eines Gutachtens der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice abzusehen, wenn der Antrag

1. wegen eines Formmangels oder Fehlens einer Voraussetzung gemäß § 19 bis 24 zurück- oder abzuweisen ist oder

2. wegen zwingender Erteilungshindernisse gemäß § 11 Abs 1 abzuweisen ist.

Erwächst die negative Entscheidung der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice über die Zulassung in den Fällen des § 20e Abs 1 AuslBG in Rechtskraft, ist das Verfahren ohne weiteres einzustellen."

III.Erwägungen

A. Die – zulässige – Beschwerde der Erstbeschwerdeführerin ist begründet:

1.Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2.Ein solcher Fehler ist dem Landesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1.Gemäß § 5 Abs 1 Z 3 NÖ MSG sind unter anderem jene Personen anspruchsberechtigt, die zu einem dauernden Aufenthalt im Inland berechtigt sind. § 5 Abs 2 NÖ MSG enthält eine Aufzählung von Personen, die jedenfalls zu diesem Personenkreis zählen. Das sind österreichische Staatsbürger und Staatsbürgerinnen sowie deren Familienangehörige, die über einen Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" gemäß § 47 Abs 2 NAG verfügen, Staatsangehörige eines anderen Vertragsstaates des Europäischen Wirtschaftsraumes oder der Schweiz sowie deren Familienangehörige im Sinne der Richtlinie 2004/38/EG, jeweils soweit sie durch den Bezug dieser Leistungen nicht ihr Aufenthaltsrecht verlieren würden oder die Einreise nicht zum Zweck des Bezuges von Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung erfolgt ist, Asylberechtigte gemäß § 3 AsylG 2005 und Drittstaatsangehörige mit einem Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt-EU" gemäß § 45 NAG oder "Daueraufenthalt-EU" eines anderen Mitgliedstaates und einem Aufenthaltstitel gemäß § 49 NAG.

2.2.Der Verfassungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass nach dem NÖ MSG der Kreis der anspruchsberechtigten ausländischen Staatsangehörigen auf Fremde begrenzt ist, die über ein nicht bloß provisorisches Aufenthaltsrecht verfügen (vgl § 5 Abs 1 Z 3 NÖ MSG, VfSlg 20.244/2018). Damit verhindert das NÖ MSG, dass Personen ausschließlich zur Inanspruchnahme von Sozialleistungen nach Österreich migrieren. Ein Ausschluss solcher Personen ist – auch im Hinblick auf Unionsbürger – unbedenklich, da es Unionsbürgern und Drittstaatsangehörigen grundsätzlich freisteht, in ihren Herkunftsstaat zurückzukehren, um Sozialleistungen ihres Herkunftsstaats, nach den dort geltenden Vorgaben, in Anspruch zu nehmen. Im Unterschied zu dieser Personengruppe haben Asylberechtigte ihr Herkunftsland nicht aus freiem Entschluss verlassen und ihren Wohnsitz in Österreich nicht frei gewählt. Asylberechtigte können auch (derzeit) nicht dorthin zurückkehren (vgl auch mwN).

Das gilt insofern auch für Staatenlose, als sie ebenso wenig in ihren Herkunftsstaat zurückkehren können und ein Export von Geldleistungen ins Ausland ausscheidet. Das Landesverwaltungsgericht hätte daher im konkreten Fall prüfen müssen, ob die Erstbeschwerdeführerin vor dem Hintergrund ihrer Staatenlosigkeit und der daraus resultierenden Unmöglichkeit einer Rückkehr in den Herkunftsstaat den in § 5 Abs 2 NÖ MSG genannten Personen, die jedenfalls im Sinne des Gesetzes als rechtmäßig dauerhaft aufhältig gelten, gleichzuhalten ist.

2.3.Das Landesverwaltungsgericht hat § 5 NÖ MSG einen denkunmöglichen Inhalt unterstellt, indem es Personen als nicht von § 5 Abs 1 Z 3 iVm Abs 2 NÖ MSG erfasst erachtet, die auf Grund ihrer Staatenlosigkeit und der daraus resultierenden Unmöglichkeit einer Rückkehr in den Herkunftsstaat den in § 5 Abs 2 NÖ MSG genannten Personen gleichzuhalten sind. Damit hat das Landesverwaltungsgericht die Erstbeschwerdeführerin in ihrem Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt, weshalb das Erkenntnis hinsichtlich der Erstbeschwerdeführerin aufzuheben ist.

B. Die Beschwerde des Zweitbeschwerdeführers ist hingegen zurückzuweisen:

Das Erkenntnis des wurde am zugestellt. Eine auf Art 144 Abs 1 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof kann nur innerhalb einer Frist von sechs Wochen nach Zustellung des Erkenntnisses eines Verwaltungsgerichtes erhoben werden (§82 Abs 1 VfGG).

Im vorliegenden Fall ist die sechswöchige Beschwerdefrist am abgelaufen. Die erst am im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs eingebrachte Beschwerde ist daher hinsichtlich des Zweitbeschwerdeführers als verspätet zurückzuweisen.

IV.Ergebnis

1.Die Erstbeschwerdeführerin ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher hinsichtlich der Erstbeschwerdeführerin, soweit damit die Beschwerde gegen Spruchpunkt I des Bescheides abgewiesen wurde, aufzuheben.

2.Hinsichtlich des Zweitbeschwerdeführers ist die Beschwerde als verspätet zurückzuweisen.

3.Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG bzw gemäß § 19 Abs 3 Z 2 litb VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4.Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

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ECLI:
ECLI:AT:VFGH:2019:E1273.2019
Schlagworte:
Mindestsicherung, Sozialhilfe

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