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VfGH vom 11.03.2015, E1264/2014

VfGH vom 11.03.2015, E1264/2014

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch Versagung der bedarfsorientierten Mindestsicherung mangels gewöhnlichen Aufenthalts in Oberösterreich angesichts eines Rehabilitationsaufenthalts in Niederösterreich; vertrags- und verfassungskonforme Interpretation der Regelung des Oö MindestsicherungsG über den gewöhnlichen Aufenthalt als Anspruchsvoraussetzung geboten

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Das Land Oberösterreich ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer wohnt seit Jahren im Bezirk Kirchdorf an der Krems in Oberösterreich und hatte seinen Hauptwohnsitz zunächst in der Ortsgemeinde Kirchdorf gemeldet. Nachdem er mit Beschluss des Landesgerichtes Steyr vom zur Absolvierung einer stationären Entwöhnungsbehandlung verpflichtet worden war, meldete er seinen Hauptwohnsitz ab bei seiner Großmutter in der Ortsgemeinde Grünburg, ebenso im Bezirk Kirchdorf an der Krems, an.

1.1. Mit trat der Beschwerdeführer sodann die gerichtlich vorgeschriebene Entwöhnungsbehandlung tatsächlich an, und zwar in einer stationären Einrichtung, die in Krumbach im Bezirk Wiener Neustadt in Niederösterreich gelegen ist. Er hat diese Einrichtung – unter Beibehaltung seines Hauptwohnsitzes in Grünburg – ab auch als Nebenwohnsitz gemeldet. Wie den Verwaltungsakten entnommen werden kann, darf der Beschwerdeführer die stationäre Einrichtung nur jedes zweite Wochenende verlassen, wobei er diese Zeiten an seinem Hauptwohnsitz in Oberösterreich verbringt. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers in der Rehabilitationseinrichtung ist nach der Aktenlage auf etwa ein Jahr angelegt.

1.2. Am beantragte der Beschwerdeführer bei der Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf die Zuerkennung von Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach den Vorschriften des Oö. Mindestsicherungsgesetzes (Oö. BMSG), da er eigenen Angaben zufolge eine ärztliche Behandlung benötigte, jedoch nicht sozialversichert gewesen sei. Wie die Verwaltungsakten erkennen lassen, stellte sich das Bundesministerium für Justiz gegenüber dem Verein, der die stationäre Einrichtung betreibt, nämlich auf den Standpunkt, dass der Bund nur Kosten für Behandlungen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der angeordneten Therapiemaßnahme stehen, zu tragen hat. Für davon unabhängige Nebenleistungen – wie die hier vom Beschwerdeführer gewünschte ärztliche Behandlung – hätten hingegen die zuständige Krankenversicherung oder Sozialhilfe aufzukommen.

1.3. Diesen Antrag des Beschwerdeführers wies die Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf mit Bescheid vom gestützt auf § 4 Abs 1 Z 1 Oö. BMSG ab. Begründend führte sie aus, dass nach der genannten Bestimmung bedarfsorientierte Mindestsicherung nur an Personen zu leisten sei, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Land Oberösterreich haben. Gerade dies sei beim Beschwerdeführer jedoch nicht der Fall, da sein gewöhnlicher Aufenthalt seit in einem anderen Bundesland, nämlich in Niederösterreich, liege.

1.4. Zwischenzeitig, nämlich am , beantragte der Beschwerdeführer Gleiches bei der Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt. Auch sie wies den Antrag am mit einer ähnlich lautenden Begründung ab: Leistungen der bedarfsorientierten Mindestsicherung seien nach § 5 Abs 1 Z 2 des Nö. Mindestsicherungsgesetzes (Nö. MSG) nur Personen zu gewähren, die ihren Hauptwohnsitz oder mangels eines solchen ihren Aufenthalt in Niederösterreich haben. Im Falle des Beschwerdeführers sei diese persönliche Voraussetzung deshalb nicht erfüllt, da er nach wie vor mit seinem Hauptwohnsitz in Oberösterreich gemeldet sei. Zuständig für die Behandlung seines Antrages sei demnach die örtlich zuständige Sozialhilfebehörde in Oberösterreich.

1.5. Gegen den erstgenannten Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf erhob der Beschwerdeführer am Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich. Dieses wies die Beschwerde mit Erkenntnis vom – gestützt auf die Materialien zu § 4 Oö. BMSG, die nähere Ausführungen zum Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts enthalten – als unbegründet ab. Da sich der Beschwerdeführer seit in der stationären Einrichtung in Krumbach aufhalte, liege sein Lebensmittelpunkt seitdem in Niederösterreich. Auch die im Intervall von zwei Wochen stattfindenden Besuche bei seiner Großmutter in Oberösterreich könnten angesichts ihrer kurzen Dauer einen gewöhnlichen Aufenthalt in Oberösterreich nicht begründen. Damit sei die Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf aber zu Recht davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer die persönlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Mindestsicherung nicht erfüllt.

2. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B VG gestützte Beschwerde, in der eine Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf ein faires Verfahren, sowie in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, nämlich des § 4 Abs 1 Z 1 Oö. BMSG und des § 5 Abs 1 Z 2 Nö. MSG, behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird. Nach Ansicht des Beschwerdeführers seien die genannten Vorschriften verfassungswidrig, da die unterschiedlichen Formulierungen in den Landesgesetzen eine Abweisung eines Antrages in beiden Bundesländern ermöglichten. Auf Vollzugsebene werde zudem übersehen, dass sich der Beschwerdeführer weder in Krumbach niedergelassen noch beabsichtigt habe, den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in Niederösterreich zu begründen. Vielmehr habe der Beschwerdeführer seinen Hauptwohnsitz in Oberösterreich gemeldet und verbringe auch jedes zweite Wochenende dort.

3. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor, sah von der Erstattung einer Äußerung jedoch ab.

II. Rechtslage

1. § 4 Abs 1 des Oö. Mindestsicherungsgesetzes (Oö. BMSG), LGBl für Oberösterreich 74/2011, lautet wie folgt:

"§4

Persönliche Voraussetzungen für die Leistung bedarfsorientierter Mindestsicherung

(1) Bedarfsorientierte Mindestsicherung kann, sofern dieses Landesgesetz nicht anderes bestimmt, nur Personen geleistet werden, die

1. ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Land Oberösterreich haben und die Voraussetzungen des § 19 oder des § 19a Meldegesetz, BGBl Nr 9/1992, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 135/2009, erfüllen und

2. a) österreichische Staatsbürgerinnen und -bürger oder deren Familienangehörige,

b) Asylberechtigte oder subsidiär Schutzberechtigte,

c) EU-/EWR-Bürgerinnen oder -Bürger, Schweizer Staatsangehörige oder deren Familienangehörige, jeweils soweit sie durch den Bezug dieser Leistungen nicht ihr Aufenthaltsrecht verlieren würden,

d) Personen mit einem Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt - EG' oder 'Daueraufenthalt - Familienangehörige' oder mit einem Niederlassungsnachweis oder einer unbefristeten Niederlassungsbewilligung,

e) Personen mit einem sonstigen dauernden Aufenthaltsrecht im Inland, soweit sie durch den Bezug dieser Leistungen nicht ihr Aufenthaltsrecht verlieren würden, sind."

2. Die in § 4 Abs 1 Z 1 Oö. BMSG verwiesenen §§19 und 19a des Meldegesetzes, BGBl 9/1992 idF BGBl I 135/2009, lauten:

"Meldebestätigung

§19. (1) Die Meldebehörde hat auf Grund der im Melderegister enthaltenen Meldedaten auf Antrag zu bestätigen, daß, seit wann und wo der Antragsteller oder ein Mensch, für den ihn die Meldepflicht trifft, angemeldet ist (Meldebestätigung).

(2) Auf begründeten Antrag hat sich eine Meldebestätigung auf frühere Anmeldungen einschließlich der zugehörigen Abmeldungen innerhalb einer Ortsgemeinde zu beziehen. Meldebestätigungen auf Grund der im Zentralen Melderegister enthaltenen Daten beziehen sich stets auf alle aufrechten Anmeldungen im Bundesgebiet oder die letzte Abmeldung; die dafür zu entrichtenden Verwaltungsabgaben sind in der gemäß § 16a Abs 8 zu erlassenden Verordnung festzusetzen.

Hauptwohnsitzbestätigung

§19a. (1) Die Meldebehörde hat einem Obdachlosen auf Antrag nach dem Muster der Anlage D in zwei Ausfertigungen zu bestätigen, dass er den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in dieser Gemeinde hat (Hauptwohnsitzbestätigung), wenn er

1. glaubhaft macht, dass er seit mindestens einem Monat den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen ausschließlich im Gebiet dieser Gemeinde hat, und

2. im Gebiet dieser Gemeinde eine Stelle bezeichnen kann, die er regelmäßig aufsucht (Kontaktstelle).

(2) Die Kontaktstelle gilt als Abgabestelle im Sinne des Zustellgesetzes, BGBl Nr 200/1982, sofern der Obdachlose hiezu die Zustimmung des für diese Stelle Verfügungsberechtigten nachweist.

(3) Die Hauptwohnsitzbestätigung wird ungültig, wenn der Betroffene gemäß §§3 oder 5 bei einer Meldebehörde angemeldet wird oder wenn von einer anderen Meldebehörde eine Bestätigung gemäß Abs 1 ausgestellt wird. § 4 Abs 4 gilt mit der Maßgabe, dass anstelle der Abmeldung die Ungültigkeit zu bestätigen ist.

(4) Für Zwecke des 2. Abschnittes sind Bestätigungen gemäß Abs 1 Anmeldungen und die Ungültigkeitserklärung gemäß Abs 3 Abmeldungen gleichzuhalten.

(5) § 9 gilt für Hauptwohnsitzbestätigungen entsprechend."

Die "Voraussetzungen des § 19 oder des § 19a Meldegesetz", BGBl 9/1992 idF BGBl I 135/2009, sind also dann erfüllt, wenn alternativ entweder eine Meldebestätigung oder eine Hauptwohnsitzbestätigung für Obdachlose in Oberösterreich vorliegt.

3. In den Materialien zu § 4 Oö. BMSG, AB 434 BlgLT (Oö.) 27. GP, wird zu § 4 Abs 1 des Oö. BMSG ausgeführt:

"Die persönlichen Voraussetzungen für die Leistung bedarfsorientierter Mindestsicherung (vgl. Art 4 Abs 1 und 3 der Art 15a B VG-Vereinbarung) entsprechen im Wesentlichen jenen nach § 6 Abs 1 Z 1 sowie Abs 2 und 3 Oö. Sozialhilfegesetz 1998. Allerdings wird zur Erleichterung des Vollzuges eine nähere Umschreibung des rechtmäßigen Aufenthalts vorgenommen. Die konkreten Antragserfordernisse bestimmen sich nach § 28 und den darin zitierten melderechtlichen Vorschriften.

Mit dem Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts (vgl. ) im Abs 1 Z 1 ist nicht bloß ein vorübergehender Aufenthalt gemeint. [Als] Aufenthaltsort wird sohin der Ort anzusehen sein, wo sich jemand die meiste Zeit aufhält. Die Absicht, sich dauernd an diesem Ort niederzulassen, ist nicht erforderlich. Ein bloß kurzfristiger Aufenthalt an einem Ort ohne die Absicht, dort Wohnung zu nehmen oder längere Zeit zu bleiben, wie z. B. ein Aufenthalt während einer Reise oder zu Besuchszwecken, reicht zur Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts im Regelfall nicht aus."

4. Die Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern gemäß Art 15a B VG über eine bundesweite Bedarfsorientierte Mindestsicherung, BGBl I 96/2010, lautet auszugsweise wie folgt:

"Artikel 1

Ziele

Die Vertragsparteien kommen überein, auf der Grundlage der bundesstaatlichen Struktur Österreichs eine bundesweite Bedarfsorientierte Mindestsicherung zur verstärkten Bekämpfung und Vermeidung von Armut und sozialer Ausschließung zu schaffen. Die Bedarfsorientierte Mindestsicherung soll eine dauerhafte (Wieder-)Eingliederung ihrer BezieherInnen in das Erwerbsleben weitest möglich fördern."

"3. Abschnitt

Verpflichtungen der Länder

Artikel 9

Zuständigkeit der Länder

(1) Für alle Personen, bei denen Bedarfe nach Art 3 durch Leistungen nach dem 2. Abschnitt dieser Vereinbarung nicht gedeckt sind, gewährleisten die Länder die erforderlichen Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Abschnittes.

(2) Die Verpflichtung nach Abs 1 trifft jenes Land, in dem die Person, die Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung geltend macht, ihren Hauptwohnsitz oder in Ermangelung eines solchen ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Die Vereinbarung nach Art 15a B VG zwischen den Ländern über den Kostenersatz in der Sozialhilfe bleibt unberührt."

5. Die Materialien dazu (RV 677 BlgNR 24. GP, 14) lauten wie folgt:

"Welches Land dafür zuständig ist, soll sich nach Art 9 Abs 2 wie bisher nach dem Hauptwohnsitz, in Ermangelung eines solchen aus dem gewöhnlichen Aufenthalt der Person ergeben, die Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung geltend macht. Im Falle von Wohnsitz- oder Aufenthaltsverlegungen in ein anderes Bundesland bestehende Ersatzansprüche zwischen den Ländern untereinander richten sich nach der bestehenden Kostenersatzvereinbarung nach Art 15a B VG."

III. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

1.1. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998 und 16.488/2002) nur vorliegen, wenn das angefochtene Erkenntnis auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn das Verwaltungsgericht der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

1.2. Es sind beim Verfassungsgerichtshof aus Anlass des vorliegenden Falles keine Bedenken gegen die hier präjudizielle Vorschrift des § 4 Abs 1 Z 1 Oö. BMSG entstanden, wonach bedarfsorientierte Mindestsicherung nur Personen geleistet werden darf, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Land Oberösterreich haben und die Voraussetzungen des § 19 oder des § 19a Meldegesetz (in einer bestimmten Fassung) erfüllen.

1.2.1. Soweit der Beschwerdeführer nämlich unter dem Blickwinkel des Art 7 Abs 1 B VG vorbringt, dass diese Vorschrift anders als jene in Niederösterreich formuliert sei, ist ihm entgegenzuhalten, dass es im Wesen des Bundesstaates liegt, ähnliche Staatsaufgaben im Rahmen der den Bundesländern verfassungsrechtlich zugemessenen Kompetenzen verschieden zu regeln (vgl. etwa VfSlg 12.949/1991, 14.644/1996, 14.783/1997). Aus diesem Grund schließt nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes das bundesstaatliche Prinzip auch die Anwendung des Gleichheitssatzes auf das Verhältnis der Regelungen verschiedener Gesetzgeber zueinander aus (vgl. etwa VfSlg 13.235/1992, 14.846/1997, 16.843/2003, 18.338/2008, 19.202/2010).

1.2.2. Dass der Gesetzgeber durch das Abstellen auf den gewöhnlichen Aufenthalt einen unbestimmten Gesetzesbegriff verwendet, dadurch zwangsläufig Unschärfen in Kauf nimmt und von einer exakten Determinierung des Behördenhandelns Abstand nimmt, steht grundsätzlich auch in Einklang mit Art 18 Abs 1 B VG (vgl. zB VfSlg 13.785/1994, 12.393/1990, 19.749/2013). Im vorliegenden Fall bestehen unter diesem Gesichtspunkt auch bereits deshalb keine Bedenken gegen die als verfassungswidrig gerügte Norm, da nicht nur die Materialien Aufschluss über den Begriffsinhalt geben, sondern die Rechtsordnung selbst den Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts an mehreren anderen Stellen definiert (vgl. etwa § 66 Abs 2 JN), weshalb von einem weitgehend fest umrissenen Inhalt dieses Begriffes ausgegangen werden kann.

1.2.3. Selbst ein allfälliger Verstoß gegen die Vorschriften der Vereinbarung nach Art 15a B VG über eine bundesweite bedarfsorientierte Mindestsicherung könnte schließlich eine Verfassungswidrigkeit des § 4 Abs 1 Z 1 Oö. BMSG nicht begründen. Wie der Verfassungsgerichtshof nämlich in ständiger Rechtsprechung dargetan hat, verpflichten Vereinbarungen nach Art 15a B VG nur die Vertragsparteien und bedürfen – um die durch sie intendierten Rechtswirkungen über die Bindung der Vertragspartner untereinander hinaus zu aktualisieren – der Transformation. Sie stellen aus diesem Grund auch keine höherrangige Norm dar, an der etwa landesrechtliche Vorschriften gemessen werden könnten (vgl. dazu mwN etwa VfSlg 9886/1983, 14.146/1995 sowie zuletzt 19.747/2013).

2. Angesichts der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsvorschrift könnte der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nur verletzt worden sein, wenn das Verwaltungsgericht dieser Vorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder Willkür geübt hätte.

Ein willkürliches Verhalten kann dem Verwaltungsgericht unter anderem dann vorgeworfen werden, wenn es den Beschwerdeführer aus unsachlichen Gründen benachteiligt hat oder aber, wenn die angefochtene Entscheidung wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht (zB VfSlg 10.065/1984, 14.776/1997, 16.273/2001).

2.1. Ein solcher Fehler ist dem Verwaltungsgericht Oberösterreich unterlaufen:

2.1.1. Gemäß Art 9 Abs 2 der Vereinbarung über eine bundesweite bedarfsorientierte Mindestsicherung trifft die Verpflichtung, Mindestsicherung zu gewähren, jenes Land, in dem die antragstellende Person ihren Hauptwohnsitz oder in Ermangelung eines solchen ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Welches Land für die Leistung zuständig ist, soll sich deshalb – wie auch die Materialien zu Art 9 Abs 2 leg.cit. ausführen – primär nach dem Hauptwohnsitz einer Person und nur subsidiär nach deren gewöhnlichen Aufenthalt richten.

2.1.2. Der Begriff des Hauptwohnsitzes wird in der Rechtsordnung an mehreren Stellen definiert. Gemäß Art 6 Abs 3 B VG ist er dort begründet, wo sich eine Person in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, hier den Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen zu schaffen. Trifft diese sachliche Voraussetzung bei einer Gesamtbetrachtung der beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensbeziehungen einer Person auf mehrere Wohnsitze zu, so hat sie jenen als Hauptwohnsitz zu bezeichnen, zu dem sie das überwiegende Naheverhältnis hat (vgl. ebenso § 1 Abs 7 MeldeG). Nach hL entfaltet eine Hauptwohnsitzmeldung Tatbestandswirkung für die Frage, welcher Ort als Hauptwohnsitz einer Person gilt, sodass von einem Hauptwohnsitz auch dann auszugehen ist, wenn die Bezeichnung zu Unrecht erfolgt ist (s. dazu mwN Thienel , Art 6 B VG, in Korinek/Holoubek [Hrsg.], Österreichisches Bundesverfassungsrecht, 1. Lfg. 1999 Rz 87 ff.).

2.1.3. Demgegenüber sind für die Frage, ob ein Aufenthalt als gewöhnlicher anzusehen ist, dessen Dauer und Beständigkeit sowie andere Umstände persönlicher oder beruflicher Art zu berücksichtigen, die dauerhafte Beziehungen zwischen einer Person und ihrem Aufenthalt anzeigen. Der Aufenthalt einer Person bestimmt sich aber ausschließlich nach tatsächlichen Umständen und hängt weder von der Erlaubtheit noch von der Freiwilligkeit ab (vgl. etwa § 66 Abs 2 JN).

2.2. Das Verwaltungsgericht Oberösterreich stützt seine Entscheidung auf § 4 Abs 1 Z 1 Oö. BMSG, wonach Mindestsicherung nur Personen gewährt werden kann, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Land Oberösterreich haben und die Voraussetzungen des § 19 oder des § 19a Meldegesetz in einer bestimmten Fassung erfüllen, also eine Meldebestätigung oder eine Hauptwohnsitzbestätigung für Obdachlose, vorweisen können.

2.2.1. Unter Verweis auf die oben wiedergegebenen Materialien zu dieser Bestimmung nimmt das Verwaltungsgericht Oberösterreich an, dass der Beschwerdeführer seit seiner Unterbringung in der stationären Einrichtung seinen Lebensmittelpunkt nicht mehr in Oberösterreich, sondern nunmehr in Niederösterreich habe und deshalb auch sein gewöhnlicher Aufenthalt dort liege. Keinesfalls könnten die in einem Intervall von zwei Wochen stattfindenden Besuche bei seiner Großmutter in Oberösterreich einen gewöhnlichen Aufenthalt in eben diesem Bundesland "begründen".

2.2.2. Da sich der gewöhnliche Aufenthaltsort des Beschwerdeführers vor Beginn der Rehabilitationsmaßnahme nach der Aktenlage aber unstrittig in Oberösterreich am Wohnort seiner Großmutter befunden hat und an deren Anschrift auch eine Hauptwohnsitzmeldung des Beschwerdeführers besteht, war das Verwaltungsgericht richtigerweise vor die Frage gestellt, ob der Beschwerdeführer trotz regelmäßiger Besuche bei seiner Großmutter während seines Rehabilitationsaufenthaltes seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort bzw. ob er aus besonderen Gründen auch den von ihm gewählten Hauptwohnsitz in Oberösterreich verloren hat.

2.2.3. Denn gemäß Art 9 Abs 2 der Vereinbarung über eine bundesweite bedarfsorientierte Mindestsicherung trifft die Verpflichtung, Leistungen der bedarfsorientierten Mindestsicherung zu gewähren, jenes Land, in dem die Person, die Leistungen der bedarfsorientierten Mindestsicherung geltend macht, "ihren Hauptwohnsitz oder in Ermangelung eines solchen ihren gewöhnlichen Aufenthalt" hat.

2.2.4. Der Oö. Landesgesetzgeber lässt in § 4 Abs 1 Z 1 Oö. BMSG als Anspruchsvoraussetzung zwar das Vorliegen eines gewöhnlichen Aufenthaltsortes genügen, woraus aber vor dem Hintergrund des Art 9 Abs 2 der Art 15a-Vereinbarung nicht der Umkehrschluss gezogen werden kann, dass der Hauptwohnsitz unbeachtlich wäre, wie auch der generelle Verweis in § 4 Abs 1 Z 1 Oö. BMSG auf § 19 des Meldegesetzes (welcher der Sache nach wieder an § 3 des Meldegesetzes anknüpft, wonach jegliche Art von Unterkunftnahme innerhalb von drei Tagen zu melden ist, wobei sich § 3 Abs 3 leg. cit. ausdrücklich auch auf den Hauptwohnsitz bezieht) sowie – wenngleich für Obdachlose – die Verweisung auf § 19a des Meldegesetzes erkennen lassen. Wird also die Vorschrift des § 4 Abs 1 Z 1 Oö. BMSG im Lichte des Art 9 Abs 2 der Vereinbarung nach Art 15a B VG vertragskonform, aber auch im Lichte des Sachlichkeitsgebotes des Gleichheitssatzes verfassungskonform interpretiert, so verbietet sich eine Auslegung in dem Sinn, dass bei Zweifeln über das Vorliegen eines gewöhnlichen Aufenthaltsortes auch das Bestehen eines Hauptwohnsitzes für die Anspruchsgewährung nicht ausreichend ist.

3. Das Verwaltungsgericht Oberösterreich hat daher – abgesehen von der Verkennung der Fragestellung – § 4 Abs 1 Z 1 Oö. BMSG einen unsachlichen und damit gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt. Es hat daher auch unterlassen zu prüfen, ob allenfalls besondere Gründe dafür sprechen, dass der Beschwerdeführer trotz des wegen der Zweckbindung nur vorübergehenden Charakters des Rehabilitationsaufenthaltes in Krumbach gleichzeitig auch seinen Hauptwohnsitz nach Niederösterreich verlegen wollte.

4. Damit hat das Verwaltungsgericht Oberösterreich nach dem Gesagten gehäuft die Rechtslage verkannt und dadurch Willkür geübt.

IV. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

2. Das angefochtene Erkenntnis ist daher aufzuheben.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie der Ersatz der Eingabengebühr in Höhe von € 240,– enthalten.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VFGH:2015:E1264.2014