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OGH vom 19.02.2021, 15Os9/21v

OGH vom 19.02.2021, 15Os9/21v

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in der Strafsache gegen G***** B***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom , GZ 20 Hv 24/20m-97, nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH-Geo 2019) den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde G***** B***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (A./1./), der Verbrechen der schweren Erpressung nach § 144 Abs 1, 145 Abs 1 Z 1 StGB (A./2./), des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 3 WaffG (B./), des Vergehens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 StGB (C./) und der Vergehen der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 StGB (D./) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er – soweit für die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung – in G*****

A./ am

1./ R***** S***** durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben zur Duldung des Beischlafs genötigt, indem er die zu Punkt B./ näher beschriebene Waffe aus einer Kommode nahm, auf sie richtete, dann auf dem Nachtkästchen neben dem Bett ablegte und ihr gegenüber erklärte, er wolle – entgegen der zuvor getroffenen Vereinbarung – auch ungeschützten vaginalen Geschlechtsverkehr vollziehen, und in der Folge von der angesichts dieser Drohgebärde eingeschüchterten R***** S***** zunächst Oralverkehr an sich vornehmen ließ und schließlich gegen ihren erklärten Willen ungeschützten vaginalen Geschlechtsverkehr an ihr vollzog;

2./ R***** S***** und C***** D***** durch gefährliche Drohung mit dem Tod zur Abstandnahme von der weiteren Einforderung des restlichen Lohns von 50 Euro, mithin zu einer Unterlassung genötigt, die R***** S***** am Vermögen schädigte, indem er die zu Punkt B./ genannte Waffe gegen R***** S***** und C***** D***** richtete, wobei er mit dem Vorsatz handelte, durch das Verhalten der Genötigten sich unrechtmäßig zu bereichern;

B./ über einen nicht näher bekannten Zeitraum bis zum eine Gas-Alarmpistole der Marke Perfecta, Modell 0, Kal 6 mm Knall, Nr 270, demnach eine Schreckschusswaffe im Sinne des § 3b WaffG besessen, obwohl ihm dies gemäß § 12 WaffG verboten war;

C./ von 2012 bis Dezember 2017 gegenüber seiner Ex-Ehefrau P***** M***** fortgesetzt Gewalt (§ 107b Abs 2 StGB) ausgeübt, und zwar durch

1./ fortdauernde Misshandlungen (§ 83 Abs 2 StGB), indem er sie vorsätzlich am Körper misshandelte und dadurch fahrlässig am Körper verletzte sowie indem er sie in zumindest fünf Angriffen gegen Gegenstände (Heizkörper, Kästen) stieß, wobei die Taten zum Teil Hämatome zur Folge hatten;

2./ fortdauernde Nötigungen (§ 105 Abs 1 StGB), indem er

a./ sie in zumindest fünf Angriffen mit Gewalt, nämlich durch Drücken ihres Körpers auf den Boden, zu einer Unterlassung, nämlich zur Abstandnahme vom Verlassen der Örtlichkeit, nötigte;

b./ sie in zumindest acht Angriffen durch gefährliche Drohungen mit zumindest einer Verletzung am Körper, nämlich durch die Äußerung, er werde sie beide eingraben, wenn er sie mit einem anderen Mann sehe, zur Abstandnahme von der Kontaktaufnahme mit anderen Männern nötigte;

3./ fortdauernde gefährliche Drohungen (§ 107 Abs 1 und teils Abs 2 erster Fall StGB), indem er sie mit zumindest einer Verletzung am Körper sowie dem Tod gefährlich bedrohte, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, und zwar

a/. durch Ansetzen einer Gaspistole an ihre Schläfe, wobei der Bedeutungsinhalt seiner Geste darin lag, dass er sie töten werde;

b./ in zumindest fünf Angriffen, indem er mit der Faust einen Schlag in ihre Richtung andeutete, wobei der Bedeutungsinhalt seiner Geste darin lag, dass er ihr zumindest eine Verletzung am Körper zufügen werde;

c./ durch Anzünden einer Bettdecke, als sie im Bett lag, wobei der Bedeutungsinhalt seiner Geste darin lag, dass er ihr zumindest eine Verletzung am Körper zufügen werde;

d./ in einer Vielzahl an Angriffen, indem er ihr gegenüber äußerte: „I grab di ein“.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf Z 3, 4 und 5a des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, die ihr Ziel verfehlt.

[4] Aus Z 3 rügt die Beschwerde die gemäß § 252 Abs 1 Z 1 StPO vorgenommene Verlesung der Angaben der Zeugin C***** D***** in der Hauptverhandlung am (ON 96 S 11).

[5] Ein unbekannter Aufenthalt iSd § 252 Abs 1 Z 1 StPO ist im Hinblick darauf, dass bei bloßer Verlesung einer Aussage das grundrechtlich geschützte Fragerecht des Angeklagten (Art 6 Abs 3 lit d EMRK) nicht ausgeübt werden kann, erst dann anzunehmen, wenn die aus dem Akt nachvollziehbaren Möglichkeiten der Ausforschung des Zeugen ausgeschöpft wurden. Dies kann immer nur nach Lage des konkreten Einzelfalls beurteilt werden. Die Bemühungen müssen umso nachhaltiger sein, je wichtiger der fragliche Zeugenbeweis für die Wahrheitsfindung ist und je schwerer der Anklagevorwurf wiegt (Kirchbacher, WK-StPO § 252 Rz 61; RIS-Justiz RS0108361).

[6] Vorliegend war zweimal eine (Vorführung und) Vernehmung per Videokonferenz in Rumänien versucht worden (ON 78 S 2, ON 96 S 8), eine fernmündliche Kontaktaufnahme durch die Polizei mittels Dolmetscher (ON 85 S 3) blieb ebenso erfolglos wie die (europaweite) Ausschreibung der Zeugin zur Aufenthaltsermittlung (ON 81). Zuletzt wurde die Zeugin in Dänemark angehalten, wobei sie angab, ohne ständigen Aufenthalt dort als Prostituierte zu arbeiten (ON 91).

[7] In Anbetracht der gesetzten Maßnahmen konnte das Gericht zu Recht von einer Unerreichbarkeit der Zeugin ausgehen und die Aussage der Zeugin aus dem Ermittlungsverfahren (ON 9 S 53 ff) verlesen.

[8] Entgegen der Kritik der Mängelrüge (Z 4) wurden durch die Abweisung mehrerer in der Hauptverhandlung am gestellter Beweisanträge (ON 96 S 3 ff) Verteidigungsrechte nicht verletzt.

[9] Der Antrag auf Vernehmung von E***** K***** und M***** R***** zum Beweis dafür, dass – zusammengefasst – der Angeklagte, wenn er mit ihnen verkehrte, keine Waffe gehabt habe und nie aggressiv gewesen sei, sowie dazu, „wie es im Milieu so zugeht“ (ON 96 S 4 iVm ON 90), ließ nicht erkennen, inwiefern er geeignet sein sollte, eine erhebliche Tatsache zu beweisen (§ 55 Abs 2 Z 2 StPO).

[10] Der Antrag auf ergänzende Vernehmung der R***** S***** (ON 96 S 5) konnte schon deshalb abgelehnt werden, weil die Zeugin anlässlich ihrer kontradiktorischen Vernehmung angegeben hatte, zu einer weiteren Aussage nicht bereit zu sein (ON 18 S 16; RIS-Justiz RS0117928). Dass sie sich nunmehr zur Aussage bereit finden werde, wurde im Antrag nicht einmal behauptet.

[11] Im Hinblick auf die vergeblichen, oben dargestellten Versuche, eine gerichtliche Vernehmung der C***** D***** zu bewerkstelligen, konnte auch der Antrag auf weitere Ausforschung und Vernehmung dieser Zeugin abgewiesen werden (ON 96 S 11).

[12] Zu C./ wurde die zeugenschaftliche Vernehmung der J***** F*****, des H***** H***** sowie der G***** K***** zum Beweis dafür beantragt, dass P***** M***** „die treibende Kraft in den Streitereien war“ (ON 93, 94 iVm ON 96 S 3 f). Da das Gericht ohnehin davon ausging, dass M***** „der lautere Part“ gewesen sei (ON 96 S 6; § 55 Abs 2 Z 3 StPO), und unmittelbare Wahrnehmungen dieser Zeugen zu einem konkreten, von der Anklage erfassten Vorfall nicht behauptet wurden, verfiel er zu Recht der Abweisung.

[13] Der den Angeklagten behandelnde Psychologe, Mag. M***** L*****, der als Zeuge dafür beantragt wurde, dass der Angeklagte mit ihm über das Krankheitsbild seiner Frau gesprochen habe, wurde der Kritik der Rüge zuwider zu Recht nicht geladen, weil nicht ersichtlich ist, weshalb das Beweisthema für die Beurteilung des Tatverdachts von Bedeutung sein sollte.

[14] Die in der Beschwerde nachgetragenen Gründe sind angesichts der auf Überprüfung der erstgerichtlichen Vorgangsweise angelegten Konzeption dieses Nichtigkeitsgrundes und des damit verbundenen Neuerungsverbots unbeachtlich (RIS-Justiz RS0099618).

[15] Der Nichtigkeitsgrund nach Z 5a greift seinem Wesen nach erst dann, wenn Beweismittel, die in der Hauptverhandlung vorkamen oder vorkommen hätten können und dürfen, nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der bekämpften Urteilsannahmen aufkommen lassen. Eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen – wie sie die Berufung wegen Schuld des Einzelrichterverfahrens einräumt – wird dadurch nicht ermöglicht (RIS-Justiz RS0119583).

[16] Mit dem Verweis auf – vom Beschwerdeführer geortete – Widersprüche in der Aussage der Zeugin S***** zu ihrer Angst vor Hunden (vgl die Erwägungen der Tatrichter US 25) und zur Verwendung einer (weiteren) Waffe durch den Angeklagten als Drohmittel und auf eine Divergenz zu den Angaben der Zeugin D***** (betreffend einen Telefonkontakt während des Treffens mit dem Angeklagten; vgl auch US 15 f) sowie darauf aufbauenden eigenständigen beweiswürdigenden Erwägungen gelingt es der Beschwerde nicht, beim Obersten Gerichtshof erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen zu wecken.

[17] Dies gilt auch für die Ausführungen der Rüge, wonach die Aussagen der Frauen „im krassen Widerspruch zum objektivierten Videobeweis“ stünden (vgl dazu die Bewertung des Erstgerichts, die Aufnahmen aus der Videoüberwachung des Parkplatzes seien „für die Rekonstruktion des Tathergangs leider unbrauchbar“; US 17).

[18] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Auf den vom Angeklagten selbst verfassten „Zusatz“ zur Nichtigkeitsbeschwerde (ON 120) war wegen des Grundsatzes der Einmaligkeit des Rechtsmittels nicht einzugehen (RIS-Justiz RS0100170, RS0100216).

[19] Daraus ergibt sich die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung (§ 285i StPO).

[20] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2021:0150OS00009.21V.0219.000

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