TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
OGH vom 16.11.2016, 15Os9/16m

OGH vom 16.11.2016, 15Os9/16m

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Beran als Schriftführer in der Strafsache gegen Dr. Harald S***** wegen Verbrechen nach § 3g VG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Geschworenengericht vom , GZ 608 Hv 4/15y 30, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruht, wurde Dr. Harald S***** mehrerer Verbrechen nach § 3g VG (I.) und zweier Verbrechen nach § 3h VG (II.) schuldig erkannt.

Danach hat er in Wien

I.) sich auf andere als die in den §§ 3a bis 3f VG bezeichnete Weise im nationalsozialistischen Sinn betätigt, indem er als User „D*****“ im öffentlich zugänglichen T***** (http//f*****) im Urteil wiedergegebene Beiträge verfasste, und zwar

1.) am zum Thema „Das wahre Gesicht unserer Kulturbereiche“,

2.) am zum Thema „Nationale Opposition zu Sarrazin Co“,

3.) am zum Thema „Per Mausklick Moscheen und Muezzine jagen“,

4.) am zum Thema „Abtreibung: Mord oder Recht?“,

5.) am zum Thema „Abtreibung: Mord oder Recht?“,

II.) öffentlich auf eine Weise, dass es vielen Menschen zugänglich wurde, den nationalsozialistischen Völkermord geleugnet bzw gröblich verharmlost bzw zu rechtfertigen gesucht, indem er als User „D*****“ im öffentlich zugänglichen T*****, im Urteil wiedergegebene Beiträge verfasste, und zwar

1.) am zum Thema „New World Order“;

2.) am zum Thema „Holocaust: Betrug des 20. Jahrhunderts“.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 6, 8 und 11 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, die ihr Ziel verfehlt.

Gesetzeskonforme Ausführung einer Fragenrüge (Z 6) verlangt vom Beschwerdeführer deutliche und bestimmte Bezeichnung der vermissten Fragen und jenes Sachverhalts, auf den die Rechtsbegriffe der §§ 312 ff StPO abstellen (RIS Justiz RS0117447).

Indem der Beschwerdeführer behauptet, zu jeder Hauptfrage hätte eine Zusatzfrage dahingehend gestellt werden sollen, „ob im konkreten Fall Form und Inhalt der inkriminierten Beiträge unter den gegebenen Umständen die Tatbestände der §§ 3g und 3h VG verwirklicht hätten“, wird nicht klar, inwiefern hier – wie vorgebracht – eine Verletzung des § 313 StPO vorliegen könnte, stellen doch auf die Verwirklichung des jeweiligen Tatbestands ausschließlich die Hauptfragen ab, während gemäß § 313 StPO Zusatzfragen nach Strafausschließungs und Strafaufhebungsgründen, welche auch Rechtfertigungs und Entschuldigungsgründe umfassen, zu stellen sind (vgl Schindler , WK-StPO § 313 Rz 1).

Soweit die Fragenrüge weiters ausführt, die Bestimmung des § 313 StPO wurde verletzt, „weil die Frage nach der Tatbildmäßigkeit des Verhaltens unter den Umständen des Einzelfalls eine Rechtfertigung des Verhaltens oder einen Schuldausschließungsgrund ergeben könnte“, wird sie den dargelegten Voraussetzungen nicht gerecht. Es bleibt offen, welche Zusatzfragen konkret nach der Ansicht des Angeklagten hätten gestellt werden sollen und welches Tatsachensubstrat diese Fragestellungen indiziert hätte, weshalb sich das Vorbringen einer meritorischen Erwiderung entzieht.

Weiters moniert die Fragenrüge, es hätte eine Zusatzfrage „in Richtung Rechtsirrtum“ (gemeint nach § 9 StGB) gestellt werden müssen, weil „nicht als bekannt vorauszusetzen“ wäre, dass „das bloße Erwähnen einer denkbaren Verurteilung einer Steinigung im Nationalsozialismus tatbildmäßig“ iSd § 3g VG ist. Indem der Angeklagte auf seine Aussage in der Hauptverhandlung verweist, wonach „eine Steinigung sowohl unter Stalin als auch unter Hitler“ bestraft worden wäre, verweist er auf kein Tatsachenvorbringen, das indizieren könnte, dass er nicht erkannte, dass sein Verhalten rechtlich verboten und ihm diese Unkenntnis auch nicht vorzuwerfen sei (vgl Schindler , WK StPO § 313 Rz 6). Somit verfehlt der Rechtsmittelwerber die am Gesetz orientierte Darstellung einer Fragenrüge.

Das gilt auch für die Hinweise auf die Verantwortung des Angeklagten in der Hauptverhandlung auf von ihm gelesene Literatur über „die genetische Zusammensetzung des türkischen Volkes“ sowie dessen Verhalten bei den Türkenbelagerungen Wiens sowie Bücher mit den Titeln „Kampf der Kulturen“ und „Deutschland schafft sich ab“.

Im Übrigen schließt ein Irrtum des Täters über die Strafbarkeit seines Verhaltens das Verschulden nicht aus (RIS-Justiz RS0089684,

RS0102148,

RS0087951).

Auch die Instruktionsrüge (Z 8) lässt eine deutliche und bestimmte Bezeichnung angeblich Nichtigkeit bewirkender Umstände nicht erkennen.

Gegenstand dieses Nichtigkeitsgrundes ist der auf die Darlegung der gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlung, auf die die Haupt oder Eventualfrage gerichtet ist, die Auslegung der in den einzelnen Fragen vorkommenden Ausdrücke des Gesetzes, das Verhältnis der einzelnen Fragen zueinander und die Folgen der Bejahung oder Verneinung jeder Frage (Schuldspruch, Freispruch und Subsumtion, nicht aber die Sanktionsfrage) bezogene Inhalt der von §§ 321, 323 Abs 1 und 327 Abs 1 StPO genannten Belehrungen (RIS Justiz RS0125434; Ratz , WK StPO § 345 Rz 53).

Indem der Angeklagte ausführt, es wäre nach der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte „die Verhängung einer Zusatzstrafe bei Äußerungsdelikten, wenn es schon eine Verurteilung gab, unverhältnismäßig“, wird lediglich die Sanktionsfrage angesprochen (§ 40 zweiter Satz StGB).

Schließlich spricht auch die auf höchstgerichtliche Judikatur zu § 1330 Abs 2 ABGB (4 Ob 104/92, 6 Ob 321/04f) und zu § 111 Abs 1 und 2 StGB (12 Os 24, 25/92) und auf Art 10 MRK gestützte Kritik, die Rechtsbelehrung verschweige, dass die Geschworenen berechtigt und verpflichtet wären, im Einzelfall zu prüfen, ob die Voraussetzungen, unter denen die MRK eine Strafverfolgung gestatte, vorliegen, keinen der bezeichneten Inhalte deutlich und bestimmt an.

Soweit damit der Sache nach (Z 11 lit a) Straflosigkeit wegen der Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung (Art 10

MRK) behauptet werden sollte, legt das Vorbringen nicht aus der – hier einschlägigen – im Verfassungsrang stehenden und ausdrücklich einen

Gesetzesvorbehalt vorsehenden Bestimmung des Art 10 Abs 2

MRK abgeleitet dar, weshalb Einschränkungen der Meinungsäußerungsfreiheit – wie durch §§ 3g und 3h VG angeordnet – nicht zum Schutz der in Art 10 Abs 2

MRK angeführten Interessen in einer demokratischen Gesellschaft zulässig sein sollten (vgl 15 Os 40/15v; Lässig in WK² VerbotsG § 3g Rz 2, § 3h Rz 4).

Weshalb die Rechtsbelehrung Ausführungen zum Wesen eines Gesetzesvorbehalts (Art 10 Abs 2 MRK) enthalten hätte müssen, bleibt offen.

Die Rechtsrüge (Z 11 lit a) erschöpft sich in der Behauptung, die Geschworenen hätten „eine Beurteilung nach den Umständen des Einzelfalls und nach den Bestimmungen der MRK durchführen“ und „demnach ergänzende Feststellungen darüber treffen müssen, ob im konkreten Fall Form und Inhalt der inkriminierten Beiträge unter den gegebenen Umständen die Tatbestände der §§ 3g und 3h VerbotsG verwirklicht hätten“ und wonach es „denkbar“ wäre, dass „die ergänzenden Feststellungen Schlussfolgerungen dahin zugelassen hätten, dass die Verhängung einer Zusatzstrafe unverhältnismäßig wäre“.

Da die Geltendmachung materieller Nichtigkeit im geschworenengerichtlichen Verfahren jedoch den Vergleich der im Wahrspruch der Geschworenen (§§ 330 bis 333 StPO) festgestellten Tatsachen mit der im Schuldspruch (§§ 260 Abs 1 Z 2, 270 Abs 2 Z 4 StPO iVm § 342 StPO) vorgenommenen Subsumtion verlangt (RIS Justiz RS0101148, RS0101403), sind diese Ausführungen einer inhaltlichen Erwiderung nicht zugänglich.

Der Rechtsmittelwerber verkennt zudem, dass die zu § 281 Abs 1 Z 9 lit a, b und Z 10 StPO entwickelte Judikatur über den sogenannten

Feststellungsmangel auf die Rechtsrügen nach § 345 Abs 1 StPO nicht übertragbar ist, weil eine Verpflichtung der

Geschworenen zur Feststellung eines konkreten Sachverhalts, der die umfassende rechtliche Beurteilung ermöglicht, nach dem Gesetz nicht besteht. Die Erörterung aller aus den Verfahrensergebnissen resultierenden Rechtsfragen ist vielmehr durch die Vorschriften über die Fragestellung (§§ 312 bis 316 StPO) sichergestellt; diesbezügliche Verfahrensfehler stehen unter der Nichtigkeitssanktion der Z 6 des § 345 Abs 1 StPO (RIS Justiz RS0099909).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der Äußerung des Angeklagten – gemäß §§ 285d Abs 1, 344 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen. Die Entscheidung über die Berufungen kommt somit dem Oberlandesgericht zu (§§ 285i, 344 StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2016:0150OS00009.16M.1116.000