OGH vom 26.05.2010, 15Os8/10f
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schmucker als Vorsitzende sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek, Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Gotsmy als Schriftführer in der Medienrechtssache des Antragstellers Mag. Martin K***** gegen den Antragsgegner P***** wegen § 6 MedienG, AZ 95 Hv 44/08y des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über den Antrag des Antragsgegners auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Text
Gründe:
In der Medienrechtssache des Antragstellers Mag. Martin K***** gegen den Antragsgegner P***** sprach das Landesgericht für Strafsachen Wien mit Urteil vom , GZ 95 Hv 44/08y 19, aus, dass durch die am erfolgte Veröffentlichung der (ziffernmäßig näher bezeichneten) APA OTS Aussendung mit der Überschrift „W*****: Schluss mit der Polizistenhatz!“ in einem Medium mit Beziehung auf den Antragsteller Mag. K***** der objektive Tatbestand der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 und Abs 2 StGB hergestellt wurde, und verpflichtete demgemäß den Antragsgegner P***** als Medieninhaber der bezeichneten APA OTS Aussendung gemäß § 6 Abs 1 MedienG zur Zahlung einer Entschädigung (von 7.000 Euro) sowie gemäß § (§ 8a Abs 6 und) 34 Abs 1 MedienG zur Urteilsveröffentlichung.
Der dagegen erhobenen Berufung des Antragsgegners wegen Nichtigkeit und Schuld gab das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht mit Urteil vom , AZ 18 Bs 149/09g (ON 27 des Hv Akts), nicht Folge.
Gegen die Urteile des Landesgerichts für Strafsachen Wien und des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht richtet sich, gestützt auf die Behauptung einer Verletzung in den Grundrechten auf Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 MRK und auf Schutz des Eigentums nach Art 1 1. ZPMRK, der Antrag des Antragsgegners P***** nach § 363a StPO per analogiam (RIS Justiz RS0122228) iVm § 41 Abs 1 MedienG. Dazu wird das Fehlen einer gesetzlichen Grundlage für die dem Antragsgegner urteilsmäßig auferlegten Verpflichtungen behauptet, nämlich vorgebracht, dass der Antragsgegner hinsichtlich der geltend gemachten medienrechtlichen Ansprüche nicht passiv legitimiert sei.
APA OTS Aussendungen würden nämlich wie allgemein bekannt sei über die Website www.ots.at verbreitet werden. Der Antragsgegner sei aber im Verfahren unbestritten nicht Medieninhaber dieser Website und damit nicht Medieninhaber im Sinn des Mediengesetzes (§ 1 Abs 1 Z 8 MedienG); denn dies sei nur derjenige, dem die inhaltliche und redaktionelle Letztverantwortung für den Inhalt des gesamten Mediums (eben der Website [§ 1 Abs 1 Z 5a lit b MedienG]) zukommt. Dies ergäbe sich auch aus der Bestimmung des § 36a Abs 1 MedienG, wonach im Fall eines Erkenntnisses auf Löschung der die strafbare Handlung begründenden Stellen einer Website oder einer Anordnung der Löschung derselben der Medieninhaber aufzufordern ist, dem gerichtlichen Auftrag zu entsprechen, wozu nur derjenige im Stande sei, dem die Verfügungsgewalt über das gesamte Medium zukomme, eben der Inhaber der (gesamten) Website.
Rechtliche Beurteilung
§ 363a StPO ermöglicht die Erneuerung eines Strafverfahrens, wenn in einem Urteil des EGMR eine Verletzung der MRK oder eines ihrer Zusatzprotokolle durch eine Entscheidung oder Verfügung eines Strafgerichts festgestellt wird. Das Verfahren ist auf Antrag zu erneuern, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Verletzung einen für den hievon Betroffenen nachteiligen Einfluss auf den Inhalt einer strafgerichtlichen Entscheidung ausüben konnte.
In gefestigter Rechtssprechung bejaht der Oberste Gerichtshof die Möglichkeit der Erneuerung eines Verfahrens auch dann, wenn er selbst aufgrund eines Antrags eine Verletzung der MRK oder eines ihrer Zusatzprotokolle durch eine Entscheidung oder Verfügung eins untergeordneten Strafgerichts feststellt (RIS Justiz RS0122228). Das Vorliegen einer Entscheidung des EGMR ist daher nicht zwingend Voraussetzung für einen Antrag nach § 363a StPO.
Der rechtzeitig (innerhalb von sechs Monaten nach der endgültigen innerstaatlichen Entscheidung; Art 35 MRK) erhobene Antrag ist daher zulässig.
Er ist aber offenbar unbegründet.
Im Wege des APA OTS Originaltext Service publizierte Aussendungen können zum einen durch elektronische Übermittlung an Abonnenten und zum anderen durch deren Abrufbarkeit über das Internet auf der Website www.ots.at verbreitet werden (vgl Rami MR 2001, 155 [Entscheidungsanmerkung]). Elektronisch übermittelte APA OTS Aussendungen des Pressediensts einer politischen Partei (oder hier: eines Parlamentsklubs) sind periodische elektronische Medien (§ 1 Abs 1 Z 5a lit c MedienG; vgl zur der Sache nach im Wesentlichen unveränderten Rechtslage vor der Mediengesetznovelle 2005 MR 1996, 142; 2001, 155). Medieninhaber ist solcherart der die inhaltliche Gestaltung des Mediums besorgende (§ 1 Abs 1 Z 8 lit d MedienG) oder (im Fall des Pressediensts einer politischen Partei; vgl neuerlich MR 1996, 142) einen Mediendienst betreibende (§ 1 Abs 1 Z 8 lit a zweiter Fall MedienG) Aussender.
Da weder nach den Urteilsfeststellungen des Landesgerichts für Strafsachen Wien noch nach dem Akteninhalt Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die in Rede stehende APA OTS Aussendung des P***** nicht im Wege elektronischer Übermittlung an Abonnenten verbreitet oder deren inhaltliche Gestaltung nicht durch diesen besorgt wurde, war der P***** schon mit Beziehung auf die in Rede stehende Publikationsform (§ 1 Abs 1 Z 5a lit c MedienG) Medieninhaber und damit für die gegen ihn geltend gemachten medienrechtlichen Ansprüche passiv legitimiert.
Dem P***** kam jedoch auch in Betreff einer Verbreitung der Aussendung durch Abrufbarkeit über die zuvor bezeichnete Website die Stellung eines Medieninhabers zu:
Nach der (hier in Betracht kommenden) mit der Mediengesetznovelle 2005 (BGBl I 2005/49) geschaffenen Begriffsbestimmung des (Auffangtatbestands des) § 1 Abs 1 Z 8 lit d MedienG ist Medieninhaber, wer (sonst) die inhaltliche Gestaltung eines Mediums zum Zweck der nachfolgenden Ausstrahlung, Abrufbarkeit oder Verbreitung besorgt. Mit dieser Begriffsbestimmung sollte gerade für den Bereich der neu geregelten elektronischen Medien, insbesondere die Veröffentlichung über Websites klargestellt werden, dass die Eigenschaft des Medieninhabers bei einer Person „dann begründet wird, wenn diese Person die inhaltliche Gestaltung für das jeweilige Angebot vornimmt“, sie solcherart (als sogenannter „Content Provider“) die inhaltliche Verantwortung für den „Content“ trägt (EBRV zur Mediengesetznovelle 2005, 784 BlgNR 22. GP 6; Noll in Berka/Höhne/Noll/Polley MedienG² § 1 Rz 30; Litzka/Strebinger MedienG 5 [2005] § 1 Rz 17; Höhne , MR 2004, 228; Anderl , ecolex 2005, 701). Aus der Anknüpfung an die „Besorgung“ der inhaltlichen Gestaltung des Mediums folgt, dass Medieninhaber stets nur jene Person ist, die die Letztverantwortung für das gesamte Medium trägt (EBRV zur Mediengesetznovelle 2005, ebenda; Litzka/Strebinger aaO § 1 Rz 19; Rami in WK² § 1 MedienG Rz 47). Damit wird aber zugleich für die hier vorliegende Fragestellung entscheidend der Gegenstand und Umfang des mit der vorliegend untersuchten Begriffsbestimmung gemeinten Begriffs „Medium“ erst definiert: Denn „Medium“ für das ein durch das Mediengesetz ausnahmslos präsumierter (vgl die abschließende Regelung in § 1 Abs 1 Z 8 lit a bis d MedienG) Medieninhaber haftet ist demnach jene (iSd § 1 Abs 1 Z 1 MedienG) „publizistische“ Einheit, für die es überhaupt einen Letztverantwortlichen gibt.
Für Veröffentlichungen auf Websites (§ 1 Abs 1 Z 5a lit b MedienG) folgt daraus:
Der für die inhaltliche Gestaltung einer Website Letztverantwortliche ist (jedenfalls nach § 1 Abs 1 Z 8 lit d MedienG) deren Medieninhaber. Gibt es dagegen keinen für die inhaltliche Gestaltung einer Website Letztverantwortlichen, so sind Medieninhaber jene (im Regelfall voneinander verschiedenen) Personen, die für die auf der Website abrufbaren publizistischen „Untereinheiten“ (letzt )verantwortlich sind. Als solche bei Fehlen eines Letztverantwortlichen für die Website die Stellung des (der) deren inhaltliche Gestaltung Besorgenden als Medieninhaber begründende „Untereinheiten“ (§ 1 Abs 1 Z 1 MedienG) können einzelne Web-Seiten oder Webpages (i.e. die Homepage als Eingangsseite oder eine Unterseite der Website) begriffen werden (vgl dazu Noll aaO § 1 Rz 50 aE; Ciresa in: Ciresa/Orou , Rechtsberatung Internet [2002], Register 5 Kapitel 1 S 2; Thiele MR 2001, 163 [Entscheidungsanmerkung]), weil und soweit sie wesentlich bestimmt durch das Moment selbstständiger Verbreitung (nämlich einheitlicher Abrufbarkeit; § 1 Abs 1 Z 5a lit b MedienG) (nach der Verkehrsauffassung) als einheitliches Ganzes in Erscheinung treten (vgl dazu und zum Folgenden Kassai , Mediengesetz und Internetdienste, in: Forgó/Feldner/Witzmann/Dieplinger [Hrsg], Probleme des Informationsrechts [2003] 186 f; MRA 1984 H 1, 5, zur Abgrenzung hinsichtlich des Begriffs des „Druckwerks“). Dabei kommen neben dem bereits erwähnten Moment der (bei Druckwerken durch die feste Einbindung der einzelnen Teile vermittelten) einheitlichen Verbreitung (hier: Abrufbarkeit) vor allem formelle Abgrenzungskriterien (etwa einheitliche Aufmachung, eindeutige Unterordnung, Verhältnis des Umfangs der Teile) sowie ein gesondertes „Impressum“ (Hinweis auf den medienrechtlich Verantwortlichen) in Betracht. Welche auf einer (nicht ohnedies von einem Letztverantwortlichen inhaltlich gestalteten) Website abrufbaren „Angebote“ solcherart eine Einheit darstellen, ist stets einzelfallbezogen zu beurteilen.
Dieses durch Auslegung der Begriffsbestimmung des § 1 Abs 1 Z 8 (lit d) MedienG gewonnene Interpretationsergebnis steht mit der zugleich neu geschaffenen Begriffsbestimmung (eines periodischen elektronischen Mediums) in § 1 Abs 1 Z 5a lit b MedienG, die als ein auf elektronischem Wege abrufbares „Medium“ (im Klammervermerk bloß) die „Website“ bezeichnet, nicht im Widerspruch. Denn damit wurde wie die Ausführungen zur zentralen Anknüpfung der Stellung als Medieninhaber an die Letztverantwortung für das gesamte Medium in den EBRV zur Mediengesetznovelle 2005 verdeutlichen (neuerlich 784 BlgNR 22. GP 6) (eben nur) auf den Regelfall abgestellt, dass es für Websites einen jeweils Letztverantwortlichen gibt.
Nach den einer generalisierenden Betrachtung zugänglichen Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) der APA OTS Originaltext Service GmbH werden die eingegangenen Texte von APA OTS in keiner Form inhaltlich geändert oder redigiert, sondern Wort für Wort übernommen. Die Aussendung von Inhalten erfolgt worauf in der OTS Aussendung ausdrücklich hingewiesen wird unter der ausschließlichen inhaltlichen Verantwortung des Aussenders. Selbst im Fall gesetzwidriger oder (sonst) diffamierender Aussendungsinhalte wird eine tatsächliche Änderung immer nur auf ausdrückliches Verlangen des Vertragspartners (Aussenders) vorgenommen (Punkte 2.1., 2.3. sowie 3.2.). Für den Fall eines gerichtlichen Auftrags an einen Dritten zur Löschung von OTS Aussendungen (aus der Datenbank) wird bestimmt (Punkt 3.5.), dass APA OTS dies dem Vertragspartner (Aussender) mitteilt, der über eine Löschung bzw Nichtlöschung unverzüglich zu entscheiden hat.
Daraus ergibt sich klar, dass die inhaltliche Gestaltung der auf der Website der APA OTS (www.ots.at) selbstständig unter gesonderter Bezeichnung der Beiträge nach Stichwortzeile und Aussender (mit dem expliziten Hinweis auf dessen ausschließliche inhaltliche Verantwortung) abrufbaren Aussendungen vom jeweiligen Aussender (ohne Letztverantwortung der APA OTS als Betreiberin der Website) besorgt wird. Sohin folgt nach dem zuvor Gesagten, dass der P***** auch hinsichtlich der Verbreitung über die Website Medieninhaber der hier in Rede stehenden APA OTS-Aussendung ist (§ 1 Abs 1 Z 8 lit d MedienG).
Der Argumentation des Erneuerungswerbers zuwider folgt aus der Bestimmung des § 36a MedienG wonach im Fall eines gerichtlichen Erkenntnisses auf Löschung der die strafbare Handlung begründenden Stellen der Website oder einer gerichtlichen Anordnung der Löschung derselben der Medieninhaber aufzufordern ist, (innerhalb einer ihm zu setzenden angemessenen Frist) dem gerichtlichen Auftrag zu entsprechen keineswegs, dass Medieninhaber stets nur „derjenige ist, dem die Verfügungsgewalt über das gesamte Medium zukommt“. Dies wird vom Erneuerungswerber aus der genannten Bestimmung nicht abgeleitet, sondern als argumentativer Fehlschluss bloß unterstellt. Die in der in Rede stehenden Vorschrift vorausgesetzte Fähigkeit, eine Löschung der „die strafbare Handlung begründenden Stellen“ der Website herbeizuführen, korrespondiert vielmehr mit der für die Stellung als Medieninhaber konstitutiven Besorgung der inhaltlichen Gestaltung des „Mediums“ (hier: § 1 Abs 1 Z 8 lit d MedienG) im voraufgezeigten Sinn. Im Übrigen setzt § 36a Abs 1 MedienG nicht voraus, dass dem Medieninhaber zur von ihm geschuldeten Entsprechung des gerichtlichen Auftrags die Löschung unmittelbar selbst technisch möglich sein muss; dafür reicht vielmehr die nach der vorliegenden Vertragsgestaltung in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der APA OTS Originaltext Service GmbH durch das bereits erwähnte implementierte Weisungsrecht des Aussenders gegenüber der APA OTS auf Löschung von OTS Aussendungen begründete rechtliche Möglichkeit zur Entfernung von Inhalten auf der Website hin (vgl zu § 1330 Abs 2 ABGB 6 Ob 307/00s, MR 2001, 161).
Das Landesgericht für Strafsachen Wien und das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht haben daher die Passivlegitimation des P***** als Medieninhaber der in Rede stehenden APA OTS Aussendung rechtsrichtig (§ 1 Abs 1 Z 8 lit d MedienG) und somit ohne Verletzung der Grundrechte auf Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 MRK und auf Schutz des Eigentums nach Art 1 1. ZPMRK bejaht.
Der Antrag war daher schon in nichtöffentlicher Beratung gemäß § 363b Abs 1 und Abs 2 Z 3 StPO in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der hiezu erstatteten Äußerung der Erneuerungswerberin zurückzuweisen.