OGH vom 30.01.2018, 15Os5/18a
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Ettel als Schriftführerin in der Strafsache gegen Michael P***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 erster Fall, Abs 4 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 24 HR 118/17i des Landesgerichts für Strafsachen Graz, über die Grundrechtsbeschwerde des Genannten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom , AZ 1 Bs 151/17s (ON 42 des HR-Aktes), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Michael P***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.
Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.
Text
Gründe:
In dem von der Staatsanwaltschaft Graz zu AZ 28 St 126/17k geführten Ermittlungsverfahren gegen Michael P***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 erster Fall, Abs 4 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen wurde die über den Beschuldigten am verhängte (ON 9) Untersuchungshaft mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a und b StPO fortgesetzt (ON 35).
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen erhobenen Beschwerde des Beschuldigten (ON 36) gab das Oberlandesgericht Graz mit Beschluss vom , AZ 1 Bs 151/17s, nicht Folge und setzte die Haft aus demselben Haftgrund fort (ON 42).
Nach den Sachverhaltsannahmen des Beschwerdegerichts ist Michael P***** – soweit hafttragend – dringend verdächtig, in G***** und anderen Orten des Bundesgebiets vorschriftswidrig Suchtgift
I. „in einer das 25fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge erzeugt zu haben, indem er seit August 2015
1. zumindest 1.000 Gramm Amphetamin mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 46,5 % (341,31 Gramm AmphetaminBase) in seinem eigenen Labor herstellte,
2. 81 Cannabispflanzen in einer Indoorplantage anpflanzte, bis zur Erntereife kultivierte, sodann Pflanzenteile abschnitt, trocknete und daraus insgesamt mindestens 1.000 Gramm Cannabiskraut mit einem Reinheitsgehalt von durchschnittlich zumindest 7 % (70 Gramm Delta9THC in Reinsubstanz) gewann,
wobei sein Vorsatz jeweils auf eine Tatbildverwirklichung in Teilmengen gerichtet war und auch den daran geknüpften Additionseffekt sowie die Tatbegehung über einen längeren Tatzeitraum und die Überschreitung des 25fachen der Grenzmenge mitumfasste;
II. in einer das 15fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen überlassen zu haben, indem er seit Herbst 2015 zumindest 500 Gramm Amphetamin in Form einer Paste mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 46,5 % (170,65 Gramm AmphetaminBase) und zumindest 20 Gramm Kokain an Dominik E*****, zumindest 150 Gramm Cannabiskraut an unbekannte Abnehmer und 20 Gramm Cannabiskraut an Carina M***** weitergab bzw teils gegen andere Substanzen tauschte, sowie weitere unbekannte Mengen an Amphetamin, Kokain und Cannabiskraut an unbekannte Abnehmer verkaufte, wobei sein Vorsatz auf eine Tatbildverwirklichung in Teilmengen gerichtet war und auch den daran geknüpften Additionseffekt sowie die Tatbegehung über einen längeren Zeitraum und die Überschreitung des 15fachen der Grenzmenge mitumfasste“ (BS 2).
Diese als sehr wahrscheinlich angenommenen Sachverhalte subsumierte das Beschwerdegericht den Tatbeständen des § 28a Abs 1 erster Fall, Abs 4 Z 3 SMG sowie des § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 3 SMG.
Gegen diesen Beschluss des Oberlandesgerichts richtet sich die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten, der keine Berechtigung zukommt.
Im Rahmen des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens überprüft der Oberste Gerichtshof die rechtliche Annahme der in § 173 Abs 2 StPO genannten Gefahr darauf, ob sich diese angesichts der zugrunde gelegten bestimmten Tatsachen als willkürlich, mit anderen Worten als nicht oder nur offenbar unzureichend begründet darstellt. Bestimmte Tatsachen können sowohl äußere als auch innere – wie Charaktereigenschaften und Wesenszüge des Beschuldigten – Umstände sein, wobei sie sich jedenfalls aus dem aktuellen Einzelfall ergeben müssen und nicht bloß allgemeine Erfahrungstatsachen darstellen dürfen (RISJustiz RS0117806 [T15]).
Das Oberlandesgericht gründete seine Annahmen zum Vorliegen von Tatbegehungsgefahr auf die Suchtgiftgewöhnung des Beschuldigten, den zielgerichteten Erwerb von theoretischem und praktischem Wissen und die Einrichtung eines Labors zur Suchtgiftproduktion unter erheblichem persönlichen und finanziellen Einsatz, die Vermögenslosigkeit (bei einem monatlichen Einkommen von lediglich 600 Euro) und die Tatbegehung trotz eines vorläufigen Rücktritts der Staatsanwaltschaft von der Verfolgung mehrerer Vergehen nach dem Suchtmittelgesetz (§ 35 Abs 9 SMG). Weiters berücksichtigte es die professionelle Vorgangsweise, die „erhebliche kriminelle Energie“ des Beschuldigten, den langen Deliktszeitraum und dessen auf die Erzeugung und Überlassung von Suchtgift ausgerichtete Lebensführung, sodass trotz der bisherigen Unbescholtenheit und der knapp viereinhalb Monate dauernden Untersuchungshaft nicht von einer nachhaltigen Einstellungsumkehr ausgegangen werden könne (BS 6 f).
Mit dem allgemeinen Einwand, dass „vor allem auf unbescholtene Täter das Strafverfahren einen tiefen Eindruck hinterlässt und die Wahrscheinlichkeit, dass sich solche Täter noch während des Strafverfahrens zu weiteren Delikten hinreißen lassen, als gering anzusetzen ist“, vermag die Beschwerde eine willkürliche Annahme des Haftgrundes durch das Oberlandesgericht nicht darzutun. Einzelne aus Sicht des Beschwerdeführers erörterungsbedürftige Umstände bei dieser Prognose nicht ausdrücklich erwähnt zu haben, kann der angefochtenen Entscheidung nicht als Grundrechtsverletzung vorgeworfen werden (RIS-Justiz RS0117806 [T1]). Eine sinngemäße Anwendung der Nichtigkeitsgründe (hier Z 5 des § 281 Abs 1 StPO) ist bei Bekämpfung der Annahmen zu den Haftgründen nicht vorgesehen (RISJustiz RS0120458; Kier in WK2 GRBG § 2 Rz 49).
Mit dem Hinweis auf die Möglichkeit einer stationären Therapie und der Behauptung, die Erwägungen des Beschwerdegerichts zur Nichtanwendbarkeit gelinderer Mittel (§ 173 Abs 5 StPO) seien unplausibel und rein spekulativ, zeigt die Beschwerde keinen Beurteilungsfehler des Oberlandesgerichts auf, das seine Einschätzung zur Nichtsubstituierbarkeit der Haft einerseits auf die Intensität des Haftgrundes und die erhebliche kriminelle Energie des Beschuldigten und andererseits auf die Einschätzung, dass die Sucht des Beschuldigten nur Wurzel seiner Delinquenz sei, stützte.
Der bloße Einwand, die Verhängung der Untersuchungshaft löse die besondere Beschleunigungspflicht der Behörden aus, der „der Ermittlungsstand derzeit nicht gerecht“ werde, zeigt keine Verletzung des besonderen Beschleunigungsgebots (§ 177 Abs 1 StPO) auf. Mit den detaillierten Erwägungen des Oberlandesgerichts zu den Ermittlungsschritten (ua Befassung von Experten des Bundeskriminalamts; „Abklärungen in Deutschland“), den mehrfachen Urgenzen der Staatsanwaltschaft zum abschließenden Untersuchungsbericht sowie den durch Beweisanträge des Beschuldigten erforderlich gewordenen weiteren Ermittlungen (BS 8 f) setzt sich die Beschwerde nämlich nicht auseinander, sodass sie dem Begründungsgebot des § 3 Abs 1 GRBG nicht gerecht wird (RISJustiz RS0120790 [T1]).
Michael P***** wurde daher im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt. Die Grundrechtsbeschwerde war ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2018:0150OS00005.18A.0130.000 |
Schlagworte: | Strafrecht;Grundrechtsbeschwerden; |
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