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OGH vom 15.09.2021, 15Os31/21d

OGH vom 15.09.2021, 15Os31/21d

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. MichelKwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Lampret als Schriftführer in der Strafsache gegen M***** S***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Schöffengericht vom , GZ 9 Hv 12/19z65, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch D./, demgemäß auch im Strafausspruch und im Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Eisenstadt verwiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde im Übrigen und die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld werden zurückgewiesen.

Mit seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe und die privatrechtlichen Ansprüche wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde M***** S***** des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (A./), mehrerer Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (B./), des Vergehens der sittlichen Gefährdung von Personen unter 16 Jahren nach § 208 Abs 1 StGB (C./), des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (D./) sowie mehrerer Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (E./) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er „in einem näher festzustellenden Zeitraum von September 2014 bis Ende September 2016“ in O*****

A./ mit der am geborenen V***** L*****, sohin einer unmündigen Person, eine dem Beischlaf gleichzusetzende Handlung unternommen, indem er seinen Finger in ihre Scheide einführte;

B./„in einer noch festzustellenden Anzahl, jedoch jedenfalls mehrfach wiederholten Tatangriffen“ außer dem Fall des § 206 StGB eine geschlechtliche Handlung an einer unmündigen Person vorgenommen, indem er die Scheide der am geborenen V***** L***** betastete;

C./eine Handlung, die geeignet ist, die sittliche, seelische oder gesundheitliche Entwicklung von Personen unter 16 Jahren zu gefährden, vor einer unmündigen Person vorgenommen, um sich dadurch geschlechtlich zu erregen oder zu befriedigen, indem er sich entblößt vor die am geborene V***** L***** hinstellte und sich mit der Hand befriedigte;

D./V***** L***** durch gefährliche Drohung zu einer Unterlassung genötigt, und zwar dazu, ihrem Bruder P***** nichts von den zu A./ bis C./ dargestellten Handlungen zu erzählen, indem er ihr drohte, sie sonst zu schlagen;

E./durch die zu A./ und B./ dargestellten Handlungen an einer minderjährigen Person, nämlich der am geborenen V***** L*****, „die seiner Erziehung, Ausbildung oder Aufsicht unterstand, indem er sich bei Absenz der Kindesmutter um schulische und seelische Belange kümmerte“, unter Ausnützung seiner Stellung geschlechtliche Handlungen vorgenommen.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf Z 3, 4, 5, 5a, 8, 9 lit a und lit b sowie 11 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten; sie verfehlt ihr Ziel.

[4] Die Verfahrensrüge (Z 3) macht eine Verletzung des § 260 StPO geltend, weil die Vorsitzende bei der Urteilsverkündung (lediglich) auf die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft verwiesen habe („Schuldspruch im Sinne der heute rechtlich modifizierten Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Eisenstadt“; ON 64 S 30). Weshalb dies dem Individualisierungsgebot des § 260 Abs 1 Z 1 StPO nicht genügen sollte, legt die Rüge nicht dar (vgl RISJustiz RS0132282; Danek/Mann, WK-StPO § 268 Rz 7). Der eindeutige Verweis auf einen Text stellt nämlich methodisch dessen Wiedergabe dar (RIS-Justiz RS0124017).

[5] Auch mit der Annahme eines Tatzeitraums „von September 2014 bis Ende September 2016“ (US 1) sowie von „jedenfalls mehrfach wiederholten Tatangriffen“ (zu B./; US 2) wurde dem Individualisierungsgebot (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) hinreichend Rechnung getragen.

[6] Entgegen der Kritik der Verfahrensrüge (Z 4) wurden durch die Abweisung des Antrags auf Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens zum Beweis dafür, dass „psychische Vortraumata bei V***** vorliegen, die dazu geführt haben, dass sie jetzt so falsche Angaben macht“ (ON 41 S 54), Verteidigungsrechte nicht verletzt.

[7] Denn im Hinblick darauf, dass bereits ein psychologisches Gutachten zur Aussagefähigkeit und -tüchtigkeit der Zeugin eingeholt worden war (ON 21), dieses in der Hauptverhandlung vorgetragen wurde und die Sachverständige dazu befragt werden konnte (ON 64 S 15 ff), zielte der – ohne die Behauptung von Mängeln des Gutachtens (§ 127 Abs 3 StPO) oder konkreter Hinweise auf eine Falschbezichtigungstendenz der Zeugin gestellte – Antrag auf eine im Hauptverfahren unzulässige Erkundungsbeweisführung (RIS-Justiz RS0099841, RS0099353).

[8] Die in der Beschwerde nachgetragenen Gründe sind angesichts der auf Nachprüfung der erstgerichtlichen Vorgangsweise angelegten Konzeption des Nichtigkeitsverfahrens und des sich aus dem Wesen des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes ergebenden Neuerungsverbots unbeachtlich (RIS-Justiz RS0099618).

[9] Soweit der Beschwerdeführer meint, das Erstgericht wäre auch ohne Beweisantrag von Amts wegen verpflichtet gewesen, ein psychiatrisches Gutachten einzuholen, wird ein Nichtigkeitsgrund nicht angesprochen.

[10] Dass der Tatzeitraum („in einem näher festzustellenden Zeitraum von September 2014 bis Ende September 2016“) nicht näher zeitlich eingegrenzt und zu B./ die Anzahl der Angriffe nicht konkretisiert wurde (vgl aber US 4; „beinahe täglich“), stellt dem Einwand der Mängelrüge (der Sache nach Z 5 erster Fall) zuwider keine Undeutlichkeit der Urteilsgründe dar. Eine solche läge nämlich nur vor, wenn nicht unzweifelhaft erkennbar wäre, ob eine entscheidende Tatsache (zum Begriff s RIS-Justiz RS0117264) in den Entscheidungsgründen festgestellt wurde oder aus welchen Gründen die Feststellung entscheidender Tatsachen erfolgt ist oder überhaupt, wenn nicht zu erkennen ist, was das Urteil feststellen wollte (RIS-Justiz RS0117995).

[11] Mit dem Verweis auf ein Aktenkonvolut (ON 48), das Vermerke und Berichte verschiedener Institutionen (Volkshilfe B*****, Kinderschutzzentrum, Jugendamt) zu V***** L***** enthält, gelingt es der Tatsachenrüge (Z 5a) nicht, erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen zu erwecken. Im Übrigen haben sich die Tatrichter mit diesen Berichten auseinandergesetzt (US 7), aber auch nach Vernehmung der betreffenden Zeuginnen Mag. J*****, Mag. D***** und W***** keine Bestätigung für das vom Beschwerdeführer zur Begründung der mangelnden Gefährdungseignung behauptete „auffällig sexualisierte Verhalten“ des Tatopfers gefunden.

[12] In der Hauptverhandlung am führte die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft aus, dass hinsichtlich der Vorwürfe zu A./ und B./ „auch rechtlicherseits § 212 Abs 1 Z 2 StGB“ vorliege (ON 64 S 4). Eine von der Beschwerde behauptete Anklageüberschreitung (Z 8) durch den Schuldspruch auch wegen der (mit den Verbrechen nach § 206 Abs 1 StGB und § 207 Abs 1 StGB) idealkonkurrierenden strafbaren Handlungen der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB liegt nicht vor, weil das Gericht dadurch nicht von dem der Anklage (als Gesamtheit) zugrunde liegenden Sachverhalt abgegangen ist, handelte es sich doch um dieselbe Tat im prozessualen Sinn (RIS-Justiz RS0099697).

[13] Welche Beweisergebnisse konkret die von der Rechtsrüge (Z 9 lit a) zu C./ vermissten Feststellungen „zum Vorliegen und zum Zeitpunkt“ eines „sexualisierten Verhaltens“ der V***** L***** indizieren würden, legt die Beschwerde nicht dar. Sie macht auch nicht klar, weshalb bei Feststellung eines solchen die Gefährdung der sittlichen, seelischen oder gesundheitlichen Entwicklung des Kindes ausgeschlossen sein sollte (vgl RIS-Justiz RS0095371).

[14] Mit dem Vorbringen, die Tatrichter hätten bei der Strafbemessung den „langen Tatzeitraum“ „in unvertretbarer Weise“ als erschwerend angenommen (Z 11), wird bloß ein Berufungsvorbringen erstattet.

[15] In diesem Umfang waren die Nichtigkeitsbeschwerde und die im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehene Berufung wegen Schuld (§§ 280, 283 Abs 1 StPO) bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

[16] Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof allerdings davon (§ 290 Abs 1 zweiter Satz StPO), dass dem Urteil zu D./ von Amts wegen wahrzunehmende Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO anhaftet.

[17] Denn mangels Feststellungen zum Bedeutungsinhalt der inkriminierten Äußerung (US 4: „…, da er sie sonst schlagen werde“) lässt sich nicht verlässlich beurteilen, ob diese Formulierung als (tatbildliche) Drohung mit einer Verletzung am Körper oder bloß als Ankündigung von Misshandlungen aufzufassen ist (vgl RIS-Justiz RS0092373). Dieses Feststellungsdefizit zwang zur Aufhebung im spruchgemäßen Umfang und zur Verweisung an das Erstgericht. Das auf diesen Schuldspruch bezogene Vorbringen der Nichtigkeitsbeschwerde kann demnach auf sich beruhen.

[18] Mit seiner Berufung (wegen Strafe und privatrechtlicher Ansprüche) war der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

[19] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2021:0150OS00031.21D.0915.000

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