OGH vom 20.01.2022, 15Os3/22p
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in der Strafsache gegen * As* und andere Angeklagte wegen des Verbrechens der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 und 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 602 Hv 12/20b des Landesgerichts Korneuburg, über die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten G* A* gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom , AZ 20 Bs 341/21z (ON 217 der HvAkten) nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGHGeo 2019 zu Recht erkannt:
Spruch
G* A* wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.
Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.
Text
Gründe:
[1] G* A* wurde am auf Grund einer über Antrag der Staatsanwaltschaft Korneuburg am erlassenen Festnahmeanordnung des Landesgerichts Korneuburg festgenommen (ON 187, 188). Mit Beschluss vom , GZ 602 Hv 12/20b-192, verhängte das Landesgericht Korneuburg sodann die Untersuchungshaft über den Genannten aus den Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 1, Z 3 lit a und b StPO. Der dagegen erhobenen Beschwerde des G* A* gab das Oberlandesgericht Wien als Beschwerdegericht mit Beschluss vom , AZ 20 Bs 341/21z (ON 217), nicht Folge und setzte die Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 3 lit a und b StPO fort.
[2] Dabei erachtete das Beschwerdegericht G* A* als dringend verdächtig,
I./ gewerbsmäßig in einer Vielzahl von Angriffen und in Bezug auf eine größere Zahl von Personen
- die Anmeldung von Personen zur Sozialversicherung in dem Wissen, dass die in Folge der Anmeldung auflaufenden Sozialversicherungsbeiträge nicht vollständig geleistet werden sollen, wobei diese sodann tatsächlich nicht vollständig geleistet wurden; sowie
- die Meldungen von Personen zur Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskassa in dem Wissen, dass die in Folge der Meldung auflaufenden Zuschläge nach dem Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz nicht vollständig geleistet werden sollen, wobei diese sodann tatsächlich nicht vollständig geleistet wurden;
vorgenommen oder in Auftrag gegeben zu haben, indem die angeführten faktischen Geschäftsführer im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit den jeweils angeführten vorgeschobenen Geschäftsführern eine Vielzahl von Dienstnehmern anmeldeten oder von der willenlos agierenden Sekretärin anmelden ließen, und die anfallenden Beiträge nicht oder nur zum Teil entrichteten, und zwar
A./ im Zeitraum März 2018 bis 2019 in * G* und andernorts als faktischer Geschäftsführer im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit dem vorgeschobenen Geschäftsführer * As* als Verfügungsbefugte der C* GmbH (fortan: C*), die Anmeldung von zumindest 100 Dienstnehmern, wobei Sozialversicherungsbeiträge von 108.184,80 Euro und Zuschläge von 309.046,32 Euro betrügerisch nicht entrichtet wurden;
B./ im Zeitraum 2013 bis 2014 mit N* A* in W* und andernorts jeweils als faktischer Geschäftsführer im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit dem vorgeschobenen Geschäftsführer * G* als Verfügungsbefugter der CO* GmbH (fortan: CO*), die Anmeldung einer noch festzustellenden größeren Anzahl von Dienstnehmern, wobei Sozialversicherungsbeiträge von 35.700,63 Euro und Zuschläge von 560.474,59 Euro betrügerisch nicht entrichtet wurden;
C./ in den Jahren 2015 bis 2016 in W* und andernorts mit N* A* jeweils als faktischer Geschäftsführer im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit dem vorgeschobenen Geschäftsführer * D* als Verfügungsbefugte der A* GmbH (fortan: A*), die Anmeldung einer noch festzustellenden größeren Anzahl von Dienstnehmern, wobei Sozialversicherungsbeiträge von 18.655,84 Euro und Zuschläge von 232.414,42 Euro betrügerisch nicht entrichtet wurden;
D./ in den Jahren 2016 bis 2017 in W* und andernorts mit N* A* jeweils als faktischer Geschäftsführer im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit dem vorgeschobenen Geschäftsführer * M* als Verfügungsbefugte der G* GmbH (fortan: G*), die Anmeldung von zumindest 244 Dienstnehmern, wobei Sozialversicherungsbeiträge von 541.334,81 Euro und Zuschläge von 904.808,41 Euro betrügerisch nicht entrichtet wurden;
E./ im Zeitraum April 2018 bis Juni 2018 in G* und andernorts * As* als vorgeschobener handelsrechtlicher Geschäftsführer der C* GmbH, G* A*als faktischer Geschäftsführer dieses Unternehmens und N* A* als Geschäftsführer der L*), indem sie 30 Arbeiter der L* GmbH zum Schein auf die C* GmbH anmeldeten;
II./ im Zeitraum 2017 bis 2019 in * G* und andernorts G* A*als faktischer Geschäftsführer im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit dem vorgeschobenen Geschäftsführer * As* als Mittäter als Verfügungsbefugte der C* GmbH Bestandteile des Vermögens dieses Unternehmens beiseite geschafft zu haben, indem sie Scheinrechnungen von vorgeblichen Subunternehmen „beglichen“ und sich das Geld zu zwei Drittel selbst zueigneten, und dadurch Vermögen der C* GmbH „ausleiteten“ und die Befriedigung der Gläubiger der C* GmbH schmälerten, wobei sie einen 300.000 Euro übersteigenden Schaden herbeiführten, indem sie Scheinrechnungen im Umfang von zumindest 1.494.824,92 Euro an Scheinunternehmen oder zumindest für Scheinrechnungen „ausleiteten“, und zwar Rechnungen von im Beschluss näher genannten Unternehmen und 24 Barbehebungen über gesamt 141.750 Euro „durchführten“, wodurch in der Insolvenz des Unternehmens Forderungen in Höhe von 911.775,76 Euro angemeldet und anerkannt wurden, welche aufgrund von Masseunzulänglichkeit zur Gänze unbefriedigt blieben;
IV./ * As* als Scheingeschäftsführer der C*, im Zeitraum bis in * W* mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, Verfügungsbefugte des Unternehmens m* durch Täuschung über Tatsachen, und zwar seine Zahlungsfähigkeit und -willigkeit, zu dieses und andere Unternehmen in einem 5.000 Euro übersteigenden Betrag am Vermögen schädigenden Handlungen verleitet zu haben, und zwar zum Abschluss von Mobilfunkverträgen, zur Ausfolgung von fünf Mobiltelefonen und Bereitstellung von Mobilfunkdienstleistungen im Gesamtwert von 8.971,30 Euro;
V./ G* A*den * As* zur Begehung der unter IV./ beschriebenen Handlungen bestimmt zu haben, indem er ihm als Machthaber und faktischer Geschäftsführer den Auftrag dazu erteilt hatte und in weiterer Folge auch zwei Mobiltelefone für sich verwendete.
Rechtliche Beurteilung
[3] In rechtlicher Hinsicht subsumierte das Oberlandesgericht die Verdachtslage zu diesem (als hafttragend erachteten) Verhalten den Verbrechen des betrügerischen Anmeldens zur Sozialversicherung oder Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskassa nach § 153d Abs 1, Abs 2 und Abs 3 erster und zweiter Fall StGB (I./), dem Verbrechen der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 und 2 StGB (II./) und dem Vergehen des schweren Betrugs nach §§ 12 zweiter Fall, 146, 147 Abs 2 StGB (V./ iVm IV./).
[4] Der dagegen gerichteten Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten G* A* (ON 238) kommt keine Berechtigung zu:
[5] Die rechtliche Annahme der in § 173 Abs 2 StPO genannten Gefahren überprüft der Oberste Gerichtshof im Rahmen des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens darauf, ob sich diese angesichts der zugrunde gelegten bestimmten Tatsachen als willkürlich, mit anderen Worten als nicht oder nur offenbar unzureichend begründet darstellt (RIS-Justiz RS0117806).
[6] Das Beschwerdegericht gründete seine Einschätzung, der Angeklagte G* A* werde auf freiem Fuß ungeachtet des gegen ihn geführten Strafverfahrens weiterhin strafbare Handlungen (mit nicht bloß leichten oder schweren Folgen) gegen fremdes Vermögen begehen, auf die im Jahr 2016 erfolgte einschlägige Verurteilung (betreffend einen mehrmonatigen Tatzeitraum von Juni 2008 bis Jänner 2009; vgl 15 Os 86/16k), auf die ungeachtet des damaligen Strafverfahrens und der daran anschließenden Probezeit (mutmaßlich) erneute Tatbegehung während eines längeren Tatzeitraums (2013 bis 2019), auf die nach der Verdachtslage führende Rolle des Beschwerdeführers als und der involvierten Unternehmen sowie weiters auf seine abermalige Involvierung in ein von seinem Sohn als handelsrechtlicher Geschäftsführer propagiertes Bauprojekt ab Oktober 2019 bis zur Abmeldung des dazu (formell) eingegangenen Angestelltenverhältnisses am (also nach Verhängung der Untersuchungshaft).
[7] Damit hat es bestimmte Tatsachen angeführt, die nach den Kriterien folgerichtigen Denkens und allgemeinen Erfahrungssätzen geeignet sind, die daraus abgeleitete (aktuelle) Tatbegehungsgefahr (jedenfalls) nach § 173 Abs 2 Z 3 lit b StPO zu tragen.
[8] Mit der Berufung auf die bereits erwähnte Auflösung des (bis aufrechten) Arbeitsvertrags und eine damit nach Dafürhalten des Beschwerdeführers einhergehende „faktische Unmöglichkeit“ weiterer Tatbegehung in der Baubranche sowie auf das längere Zurückliegen der vom Tatvorwurf umfassten Handlungen vermag die Beschwerde keine Grundrechtsverletzung durch die Entscheidung des Oberlandesgerichts aufzuzeigen, welches angesichts der (mutmaßlich) wiederholten und mehrjährigen Delinquenz () trotz einschlägiger Verurteilung keine (substantielle) Änderung jener Verhältnisse erkennen konnte, unter welchen die angelasteten Taten begangen worden sein sollen.
[9] Da bei gegebenem (von der Beschwerde nicht bestrittenem) dringenden Tatverdacht bereits ein Haftgrund die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft rechtfertigt, erübrigt es sich, auf die Beschwerdeeinwände gegen den weiteren Haftgrund (hier nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a StPO) einzugehen (RIS-Justiz RS0061196).
[10] G* A* wurde somit in seinem Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt, weshalb die Beschwerde ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen war.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2022:0150OS00003.22P.0120.000 |
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