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OGH vom 25.01.2012, 15Os3/12y

OGH vom 25.01.2012, 15Os3/12y

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Brandstetter als Schriftführer in der Strafsache gegen Ioan B***** und andere Beschuldigte wegen des Verbrechens der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1 und Abs 4 erster Fall FPG, AZ 42 HR 23/09z des Landesgerichts Eisenstadt, über die Grundrechtsbeschwerde der Beschuldigten Perihan A***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom , AZ 19 Bs 411/11x, 19 Bs 432/11k (ON 1011 der Ermittlungsakten) nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Perihan A***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Das Landesgericht Eisenstadt verhängte mit Beschluss vom (ON 930) über Perihan A***** die Untersuchungshaft aus den Gründen der Flucht , Verdunkelungs und Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1, Z 2, Z 3 lit a und b StPO und setzte diese am (ON 973) unter Annahme derselben Haftgründe fort.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom gab das Oberlandesgericht Wien den Beschwerden der genannten Beschuldigten gegen die bezeichneten Beschlüsse des Landesgerichts Eisenstadt nicht Folge und ordnete die Haftfortsetzung aus dem Grund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a und b StPO an (AZ 19 Bs 411/11x, 19 Bs 432/11k; ON 1011 der Ermittlungsakten).

Dabei erachtete das Beschwerdegericht Perihan A***** dringend verdächtig, gewerbsmäßig (§ 70 StGB) und als Mitglied einer kriminellen Vereinigung, die großteils türkische Staatsangehörige gegen Entgelt von der Türkei über Österreich in diverse Zielländer schleppte, die rechtswidrige Einreise oder Durchreise von Fremden in oder durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder Nachbarstaat Österreichs mit dem Vorsatz gefördert zu haben, sich durch ein dafür geleistetes Entgelt unrechtmäßig zu bereichern, wobei sie von anderen Mitgliedern der Vereinigung geschleppte Personen teils nach Abholung von verschiedenen Orten bis zur Weiterschleppung insbesondere nach Deutschland in ihrer Mietwohnung in *****, untergebracht und sie von den „Illegalen“ für die Unterbringung Vermögensvorteile in Höhe von 50 Euro bis 150 Euro bezogen habe, und zwar zumindest

1. am sechs männliche Fremde, die an diesem Tag von zwei Fahrern abgeholt und nach Deutschland befördert und dort aufgegriffen wurden,

2. vor dem eine syrische Fremde,

3. um den 16./ zwei Fremde (ua „Ad*****“), die in der Nacht zum von Gökhan K***** abgeholt wurden,

4. jedenfalls am eine Familie mit zwei Kindern sowie in der Zeit vom bis einen Fremden namens „E*****“ bis zu seiner Abreise nach Italien,

5. am zwei Fremde namens „U*****“ und „O*****“, die nach Deutschland oder Belgien weiterreisen sollten, sowie einen Fremden namens „M*****“,

6. am einen Fremden,

7. am zwei Fremde, die nach Frankreich weiterreisen sollten,

8. am zwei Fremde,

9. am einen Fremden namens „C*****“, der nach Berlin weiterreisen sollte,

10. am zumindest einen Fremden,

11. am drei Fremde,

12. am vier Fremde,

13. am vier Fremde.

In rechtlicher Hinsicht bejahte das Oberlandesgericht den dringenden Verdacht des Verbrechens der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1 und Abs 4 erster Fall FPG.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Grundrechtsbeschwerde schlägt fehl.

Die Begründung des dringenden Tatverdachts kann im Grundrechtsbeschwerdeverfahren in sinngemäßer Anwendung der Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO angefochten werden; eine am Gesetz orientierte Beschwerde hat einen formalen Darstellungs oder Begründungsmangel aufzuzeigen bzw anhand deutlich und bestimmt bezeichneter Aktenbestandteile erhebliche Bedenken gegen die vorläufige Beweiswürdigung des Oberlandesgerichts zu erwecken (RIS Justiz RS0110146).

Indem die Beschwerde substratlos behauptet, das Oberlandesgericht habe sich auf „unbrauchbare“ Telefonüberwachungsprotokolle gestützt, der beigezogene Dolmetscher wäre vielleicht in der Lage, Türkisch zu übersetzen, nicht aber die von der Beschuldigten, die kurdischer Abstammung sei, häufig verwendete Sprache Zaza, ihr Motiv für die Beherbergung der Fremden wäre „politisch humanitär“ gewesen, wird sie den gesetzlichen Anfechtungskriterien nicht gerecht.

Der erhobene Vorwurf fehlender oder offenbar unzureichender Begründung (§ 10 GRBG iVm § 281 Abs 1 Z 5 vierter Fall StPO) des angenommenen Bereicherungsvorsatzes trifft nicht zu, weil das Beschwerdegericht gerade in Erwiderung der diesen in Abrede stellenden Verantwortung der Beschuldigten, sie habe von den Fremden weder Geld verlangt noch bekommen, auf Telefonüberwachungsprotokolle hinweist, wonach sie in einem Gespräch mit „Me*****“ geäußert habe, Geld zu benötigen, weshalb er „ihr Leute schicken müsse“ (BS 6 f).

Weshalb es „grundrechtlich verfehlt“ sei, den „Tatverdacht auf polizeiliche Behauptungen zu stützen, ohne dass die Beschuldigte dazu vernommen worden wäre“, präzisiert die Grundrechtsbeschwerde nicht. Zu den vom Beschwerdegericht zur Begründung des Tatverdachts herangezogenen Auswertungen bei W***** hat die Beschwerdeführerin im Übrigen mit Äußerung vom Stellung bezogen (BS 8), weshalb von einer Verletzung des Rechts auf angemessenes rechtliches Gehör (§ 6 Abs 2 StPO) nicht die Rede sein kann.

Die rechtliche Annahme der in § 173 Abs 2 StPO genannten Gefahren überprüft der Oberste Gerichtshof im Rahmen des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens darauf, ob sich diese angesichts der zu Grunde gelegten bestimmten Tatsachen als willkürlich, mit anderen Worten als nicht oder nur offenbar unzureichend begründet darstellt (RIS Justiz RS0117806).

Das Oberlandesgericht leitete den Haftgrund mängelfrei aus der nach der Verdachtslage fortgesetzten Tatbegehung ab. Damit wurde die Annahme der Gefahr, A***** werde auf freiem Fuß ungeachtet des gegen sie geführten Strafverfahrens weitere strafbare Handlungen mit schweren und nicht bloß leichten Folgen begehen, die gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet sind wie die ihr angelasteten fortgesetzten Handlungen, gesetzmäßig begründet. Sofern die Beschwerdeführerin vorbringt, die kriminelle Vereinigung, als deren Mitglied sie die ihr angelastete strafbare Handlung begangen haben soll, wäre „offensichtlich zerschlagen“ worden, weshalb auszuschließen sei, dass sie die ihr vorgeworfenen Taten wiederholen könne, verkennt sie, dass der Haftgrund der Tatbegehungsgefahr lediglich auf die Begehung (irgend )einer gegen dasselbe Rechtsgut gerichteten strafbaren Handlung mit schweren bzw nicht bloß leichten Folgen und nicht auf die Vorhersage konkreter Taten abstellt (RIS Justiz RS0113445). Durch Hinweis auf die qualifizierte Vermutung der gewerbsmäßig verwirklichten Schleppung als Mitglied einer kriminellen Vereinigung über einen Zeitraum von zumindest zweieinhalb Monaten, aber auch auf das Avisieren von vierzehn aus Serbien kommenden Personen zur Aufnahme am Tag ihrer Festnahme sowie die guten Auslandskontakte der Beschuldigten im Zusammenhalt mit ihrer finanziell angespannten Situation, ihre Kontakte zu zahlreichen, noch auf freiem Fuß befindlichen türkischen Schleppern und Organisatoren von Schleppereien (BS 10) hat das Oberlandesgericht den angenommenen Haftgrund konkret und ohne willkürliche Annahmen auf ausreichend bestimmte Tatsachen gestützt.

Weshalb die vom Beschwerdegericht angenommene Prognosetat weder schwere noch nicht bloß leichte Folgen haben sollte, legt die Beschwerdeführerin nicht verständlich dar. Ausgehend von dem Vorwurf, wonach die Beschuldigte gewerbsmäßig und als Mitglied einer kriminellen Vereinigung die rechtswidrige Ein oder Durchreise von Fremden in oder durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder Nachbarstaat Österreichs von zumindest 35 Fremden förderte, sowie unter weiterer Berücksichtigung der durch die illegale Einreise der Fremden ohne Sicherung der Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse hervorgerufenen Gefahr für die öffentliche Sicherheit sind die Folgen dieser Straftat nach Lage des Falls jedenfalls als nicht bloß leicht zu bewerten (vgl 14 Os 134/97). Mit den Beschwerdeargumenten, die Geschleppten könnten als Asylwerber eine Grundversorgung erhalten, und es wäre eher anzunehmen, sie wollten als Flüchtlinge durch die Flucht ihre existentiellen Probleme „loswerden“, wird nicht dargelegt, dass die der Prognoseentscheidung des Oberlandesgerichts zugrundeliegende Ermessensentscheidung als willkürlich oder unvertretbar angesehen werden müsste (RIS Justiz RS0117806, RS0120458).

Angesichts der vom Oberlandesgericht zutreffend dargestellten Bedeutung der Sache und des gegebenen Strafrahmens von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe lag auch eine Unverhältnismäßigkeit der seit dauernden Haft nicht vor.

Perihan A***** wurde daher im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt, weshalb die Beschwerde ohne Kostenzuspruch abzuweisen war (§ 8 GRBG).