OGH vom 14.03.2018, 15Os28/18h
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Ettel als Schriftführerin in der Strafsache des Privatanklägers DI Dr. Gerhard S***** gegen den Angeklagten Reinhard B***** wegen Vergehen der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 StGB, AZ 7 U 6/16w des Bezirksgerichts Bezau, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Berufungsgericht vom , AZ 25 Bl 30/17a, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Holzleithner, zu Recht erkannt:
Spruch
In der Strafsache des Privatanklägers DI Dr. Gerhard S***** gegen Reinhard B*****, AZ 7 U 6/16w des Bezirksgerichts Bezau, verletzt das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Berufungsgericht vom , AZ 25 Bl 30/17a, im freisprechenden Teil § 258 Abs 1 StPO iVm § 474 StPO.
Text
Gründe:
In der Strafsache des Privatanklägers DI Dr. Gerhard S***** gegen Reinhard B*****, AZ 7 U 6/16w des Bezirksgerichts Bezau, wurde der Angeklagte mit Urteil dieses Gerichts vom (ON 17) zweier Vergehen der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer (zum Teil bedingt nachgesehenen) Geldstrafe verurteilt.
Danach hat Reinhard B*****
1./ am in B***** und
2./ am in A*****
jeweils durch die Äußerung, die Alporgane der Agrargemeinschaft Alpinteressentschaft W***** würden die Satzung fälschen, DI Dr. Gerhard S***** als Alpmeisterstellvertreter, Schriftführer und Mitglied des Alpausschusses in einer für einen Dritten wahrnehmbaren Weise eines unehrenhaften Verhaltens beschuldigt, das geeignet war, ihn in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen und herabzusetzen.
Soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes von Bedeutung ging die Erstrichterin (zu 1./) im Wesentlichen von folgenden Urteilsannahmen aus:
Der Angeklagte ist der Sohn von Ignaz B*****, der Mitglied der Agrargemeinschaft Alpinteressentschaft W***** und als solches Inhaber von sechs von insgesamt 54 Weiderechten der Alpinteressentschaft ist. Der Privatankläger war erstmals am Schriftführer im Alpausschuss und ist zudem Alpmeisterstellvertreter.
In dieser Eigenschaft verschickte der Privatankläger am gleichzeitig mit der Einladung zur außerordentlichen Vollversammlung eine von ihm erstellte Version der Satzung an die Mitglieder der Alpinteressentschaft W*****, ohne dass ihm bewusst war, dass sie Formulierungen und Abschnitte enthielt, die nicht beschlossen und genehmigt worden waren.
Als er den Irrtum bemerkte, erstellte er eine zweite Version, bei der er in den (ursprünglichen) Satzungstext von 1975 nur noch die beschlossenen Änderungen einarbeitete. Diesen Text verschickte er erneut an die Mitglieder.
Am fand am Bezirksgericht Bezau eine Zivilverhandlung statt, in der es um die Räumung der ursprünglich von der Alpinteressentschaft W***** an Ignaz B***** verpachteten Alpe ging, auf die inzwischen der Angeklagte mit seinem Vieh aufgezogen war. Im Zuge dieser Verhandlung erklärte der Angeklagte unter anderem in Anwesenheit des die Verhandlung leitenden Richters, des nunmehrigen Vertreters des Privatanklägers und des nunmehrigen Verteidigers, die Alporgane würden die Satzung fälschen.
Dabei war dem Angeklagten bewusst und fand er sich damit ab, dass Dritte seine Anschuldigung hörten und er mit dem Vorwurf der Fälschung von Satzungen ein unehrenhaftes Verhalten behauptete, das geeignet war, die betreffenden Personen in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen.
Ob der Angeklagte bei seinen Äußerungen daran glaubte, dass die Anschuldigungen wahr waren, sei nicht feststellbar (US 2 ff).
Aus Anlass der Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit und wegen der Aussprüche über Schuld und Strafe hob das Landesgericht Feldkirch als Berufungsgericht mit Urteil vom , AZ 25 Bl 30/17a (ON 28 des U-Aktes), das angefochtene Urteil in amtswegiger Wahrnehmung des Nichtigkeitsgrundes des § 281 Abs 1 Z 9 lit bStPO (iVm § 468 Abs 1 Z 4 StPO) im Schuldspruch zu 1./ auf und erkannte in der Sache selbst dahin, dass der Angeklagte in diesem Umfang von der Privatanklage „aus dem Grunde des § 114 Abs 1 StGB gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen“ wird.
Begründend führte das Berufungsgericht dazu aus, das Erstgericht habe bei seinen Konstatierungen zu 1./ das Verfahren des Bezirksgerichts Bezau zu 5 C 143/15s, mit welchem die Agrargemeinschaft Alpe W***** (Klagende Partei) ua die Räumung und die ordnungsgemäße Übergabe durch den Angeklagten (Beklagte Partei) beantragt habe, angesprochen.
„Am fand nach den Feststellungen des Ersturteils die besagte Zivilverhandlung statt. In dieser tätigte der Angeklagte in seiner Parteirolle als beklagte Partei die inkriminierte Äußerung, und zwar im unmittelbaren Anschluss an ein umfangreiches, wechselseitiges Vorbringen der Parteienvertreter zur Frage des Rechtsgrundes seiner Benützung, wobei wiederholt auf die Satzungen Bezug genommen wurde (siehe hiezu das in der Hauptverhandlung vom referierte Protokoll vom zu AZ 5 C 143/15s des Bezirksgerichtes Bezau).“
Vor diesem Hintergrund liege der – amtswegig wahrzunehmende – Rechtfertigungsgrund des § 114 Abs 1 StGB vor, schütze diese Bestimmung doch ua das Recht zur Rechtsverfolgung oder -verteidigung, vor allem als Partei in einem behördlichen Verfahren.
Ausgehend vom Rechtsstandpunkt, dass Reinhard B***** im Zivilprozess durch die inkriminierte Äußerung ein Recht ausgeübt habe, der Privatankläger aber weder behauptet noch unter Beweis gestellt habe, dass der Angeklagte die Behauptung „wider besseres Wissen“ erhoben hatte, sei dieser freizusprechen gewesen (s US 13 f).
Das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Berufungsgericht steht – wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt – mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Rechtliche Beurteilung
Der im Zivilverfahren Beklagte (wie auch der im Strafverfahren Angeklagte) handelt grundsätzlich, aber nicht unter allen Umständen in Ausübung eines Rechts iSd § 114 StGB, wenn er zur Abwehr gegen ihn erhobener zivilrechtlicher Forderungen (oder strafrechtlich relevanter Vorwürfe) im entsprechenden Verfahren schriftlich oder mündlich zur Sache Stellung bezieht. Darunter fällt bei grundrechtsbewusstem Verständnis (Art 6 Abs 1 MRK) nicht nur ein zur entsprechenden Rechtsverfolgung „notwendiges“, sondern jedes Vorbringen, das – ohne Anlegen eines strengen Maßstabs – aus der Sicht eines verständigen Beobachters in der Rolle der Prozesspartei der Aufklärung der Sache (vgl § 232 Abs 2 StPO) dienlich und zur Durchsetzung des eigenen Rechtsstandpunktes zweckmäßig sein kann, sofern es nicht bewusst wahrheitswidrig erstattet wird. In diesem Rahmen ist es auch legitim, über ein Bestreiten der gegen den Äußernden im Zivil- oder Strafverfahren erhobenen Vorwürfe hinausgehende ehrenrührige Anschuldigungen gegen den Prozessgegner oder einen Zeugen zu erheben, die dessen Glaubwürdigkeit erschüttern sollen (vgl zum Ganzen RIS-Justiz RS0122921 = 15 Os 85/07z [= SSt 2007/67] sowie zu § 1330 ABGB 6 Ob 196/12k; RIS-Justiz RS0022784; RS0114015).
Ein Vorbringen hingegen, das diesen Kriterien nicht entspricht, ist von der Ausübung eines Rechts iSd § 114 Abs 1 StGB nicht erfasst.
Fallaktuell hat das Landesgericht Feldkirch als Berufungsgericht die erstrichterlichen Feststellungen dahin ergänzt, dass der Angeklagte die inkriminierte Äußerung als beklagte Partei im unmittelbaren Anschluss an ein umfangreiches, wechselseitiges Vorbringen der Parteienvertreter zur Frage des Rechtsgrundes seiner Benützung [der ursprünglich an Ignaz B***** verpachteten Alpe], wobei wiederholt auf die Satzungen Bezug genommen worden war, getätigt habe (US 13). Diese Konstatierungen traf es ohne Beweisverfahren in der Berufungsverhandlung (vgl ON 27), nämlich ohne Verlesung des bezughabenden Protokolls über die mündliche Streitverhandlung vom im Verfahren AZ 5 C 143/15s des Bezirksgerichts Bezau (auf welches das Berufungsgericht auch ausdrücklich Bezug genommen hat; vgl US 13), sodass es durch diese Vorgangsweise § 258 Abs 1 iVm § 474 StPO verletzt hat. Denn in erster Instanz unterlassene Feststellungen können vom Berufungsgericht nur nach Maßgabe des vierten und fünften Abschnitts des 14. Hauptstückes der StPO nachgeholt werden (RIS-Justiz RS0124362; Ratz, WK-StPO § 473 Rz 13, 15, 17).
Abweichend von der Meinung der Generalprokuratur war aber für den Obersten Gerichtshof der für die Bejahung des Rechtfertigungsgrundes erforderliche sachliche Zusammenhang der ehrverletzenden Äußerung mit dem Verfahrensgegenstand aus den Konstatierungen des Berufungsgerichts, der Angeklagte habe sie in seiner Parteirolle als beklagte Partei getätigt, im unmittelbaren Anschluss an ein umfangreiches, wechselseitiges Vorbringen der Parteienvertreter zur Frage des Rechtsgrundes seiner Benützung, wobei wiederholt auf die Satzungen Bezug genommen wurde (US 13), hinreichend deutlich erkennbar (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 19).
Die dem Angeklagten nicht zum Nachteil gereichende Gesetzesverletzung war festzustellen.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2018:0150OS00028.18H.0314.000 |
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