OGH vom 12.04.2018, 15Os26/18i

OGH vom 12.04.2018, 15Os26/18i

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Albu als Schriftführer in der Medienrechtssache des Antragstellers Dr. Dieter Z***** gegen den Antragsgegner Karl Ö***** wegen § 6 MedienG, AZ 111 Hv 118/16k des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , AZ 18 Bs 94/17f, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Holzleithner, des Antragstellervertreters Dr. Scherbaum und der Antragsgegnervertreterin, Dr. Windhager zu Recht erkannt:

Spruch

In der Medienrechtssache des Antragstellers Dr. Dieter Z***** gegen den Antragsgegner Karl Ö***** wegen § 6 MedienG, AZ 111 Hv 118/16k des Landesgerichts für Strafsachen Wien, verletzt das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , AZ 18 Bs 94/17f, in der Annahme des Ausschlussgrundes des § 6 Abs 2 Z 3a MedienG diese Bestimmung.

Text

Gründe:

In der Medienrechtssache des Antragstellers Dr. Dieter Z***** gegen den Antragsgegner Karl Ö***** wegen § 6 MedienG erkannte der Einzelrichter des Landesgerichts für Strafsachen Wien mit Urteil vom , GZ 111 Hv 118/16k-7, dahin, dass „durch die auf der Website www.facebook.com/***** vom 17. bis unter der Rubrik Kommentar von anderen verbreiteten Behauptungen, der Antragsteller sei ein Monster, mache dasselbe wie Mengele, und zwar untertauchen, sowie der Antragsteller sei eine Person mit sehr kranker Persönlichkeitsstruktur und womöglich von diversen Rauschmitteln abhängig“, in einem Medium der objektive Tatbestand der Beschimpfung und der üblen Nachrede verwirklicht wurde. Der Antragsgegner wurde nach § 6 Abs 1 MedienG zur Zahlung einer Entschädigung, nach § 8a Abs 6 MedienG iVm § 34 Abs 1 MedienG zur Urteilsveröffentlichung sowie zum Verfahrenskostenersatz verpflichtet.

Das Erstgericht stellte – soweit für die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes von Relevanz – Folgendes fest (US 3 ff):

Der Antragsgegner ist Abgeordneter der Grünen zum Nationalrat und betreibt auf der Website www.facebook.com ein Facebook-Profil, dessen Medieninhaber er ist. Auf dieser Website verfasst der Antragsgegner selbst Beiträge und kommuniziert mit anderen Usern. Sie ist für alle Internetnutzer abrufbar.

Am verfasste der Antragsgegner anlässlich eines Artikels im „Kurier“ über den Antragsteller mit der Überschrift „Berufsverbot für umstrittenen Tankstellen-Arzt“ sowie der Subüberschrift „Mediziner, der Krebskranken verhöhnt haben soll, darf in Österreich nicht mehr praktizieren“ eine Nachricht.

Daraufhin veröffentlichte die Userin Berghild H***** am auf dem Facebook-Profil des Antragsgegners in der Rubrik Kommentare folgende Mitteilung: „... beruhigend, aber was macht dieses Monster in Papua Neuguinea?“

Unmittelbar darauf antwortete der User Marcus Michael S***** mit der Mitteilung: „Das selbe wie Mengele in Südamerika. Untertauchen.“ Der Leser aus dem angesprochenen Leserkreis versteht diese Mitteilung derart, dass der Antragsteller mit einer Person gleichgestellt wird, die als Arzt im Konzentrationslager Auschwitz schwerste Kriegsverbrechen und Massenmord beging und nach dem zweiten Weltkrieg nach Südamerika floh, um sich der Strafverfolgung zu entziehen. Der Leser versteht die Veröffentlichung weiters auch derart, dass der Antragsteller dieselbe Mentalität wie der Kriegsverbrecher Mengele habe.

Schließlich veröffentlichte der User Manfred B***** am selben Tag ebenfalls in der Rubrik Kommentare eine Mitteilung unter anderem mit dem Inhalt: „Nun gut, Hetzer ist er keiner, sondern eine Person mit sehr kranker Persönlichkeitsstruktur und womöglich von diversen Rauschmitteln abhängig.“ Der Leser aus dem genannten Leserkreis versteht diese Mitteilung derart, dass der Antragsteller an einer Persönlichkeitsstörung leide und möglicherweise rauschmittelabhängig sei.

Ein weiterer User mit dem Namen Peter M. W***** „machte den Antragsgegner mit einem Posting noch am darauf aufmerksam, dass jeglicher Vergleich mit einem grausamen Massenmörder wie Mengele völlig inakzeptabel sei“.

Der Antragsgegner erlangte am Kenntnis von den Mitteilungen der User H*****, S***** und B***** und hielt diese bereits an diesem Tag für rechtlich bedenklich.

Am erhielt der Antragsgegner vom Antragstellervertreter ein E-Mail, in dem unter anderem auf die Rechtswidrigkeit der Mitteilungen der genannten User hingewiesen wurde. Aufgrund dieses E-Mails löschte der Antragsgegner die oben geschilderten Mitteilungen der User H***** und S***** noch am selben Tag (im Spruch irrig: ).

Nach Einholung eines juristischen Rats löschte der Antragsgegner schließlich auch die oben beschriebene Mitteilung des Users B*****, wobei nicht festgestellt werden konnte, ob dies am 28., 29. oder passierte (im Spruch irrig: ).

In rechtlicher Hinsicht erachtete das Erstgericht
– soweit hier von Relevanz –, dass sowohl durch die Behauptung, jemandsei wahrscheinlich von diversen Rauschmitteln abhängig, als auch durch den Vergleich des Antragstellers mit dem Kriegsverbrecher und Massenmörder Mengele der objektive Tatbestand der üblen Nachrede erfüllt worden sei.

In Bezug auf (auch) konkret diese beiden Äußerungen verneinte der Erstrichter das Vorliegen des Ausschlussgrundes nach § 6 Abs 2 Z 3a MedienG und führte dazu aus, der Antragsgegner habe bereits am Kenntnis von den inkriminierten Mitteilungen der User H*****, S***** und B***** gehabt und habe diese schon zu diesem Zeitpunkt für rechtlich bedenklich gehalten. Dennoch sei der Antragsgegner von sich aus nicht tätig geworden, sondern habe die inkriminierten Beiträge erst gelöscht, nachdem er vom Antragstellervertreter am dazu aufgefordert worden war. Dem Antragsgegner hätte bewusst sein müssen, dass er bei für ihn rechtlich bedenklichen Mitteilungen unverzüglich juristischen Rat einholen bzw dies zumindest veranlassen müsse, weshalb die gebotene Sorgfalt aufgrund des Tätigwerdens erst nach zehn Tagen bzw sogar noch später nicht mehr gewahrt worden sei (US 7 ff).

Der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung des Antragsgegners (ua) wegen Nichtigkeit gab das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht mitUrteil vom , AZ 18 Bs 94/17f(ON 15 des Hv-Akts), Folge, hob das angefochtene Urteil in seinem antragsstattgebenden Teil auf und wies die Anträge auf Zuerkennung einer Entschädigung und Urteilsveröffentlichung ab.

Das Berufungsgericht kam – soweit hier von Interesse – zu dem Ergebnis, dass das Erstgericht den in der Berufung geltend gemachten Ausschlussgrund des § 6 Abs 2 Z 3a MedienG in Ansehung der beiden Äußerungen, dass der Antragsteller dasselbe mache wie Mengele (dh, dass er fliehe, um sich der Strafverfolgung zu entziehen, und zudem dieselbe Mentalität wie der Kriegsverbrecher Mengele habe) und dass er von diversen Rauschmitteln abhängig sei, zu Unrecht verneint habe (§ 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO iVm § 489 Abs 1 StPO und § 41 Abs 1 MedienG).

Bei diesen letztlich als tatbestandsmäßig und nicht von anderen Ausschlussgründen umfasst eingestuften Vorwürfen („Mengele“ und „Rauschmittel“) handle es sich
– beachte man den durch Art 10 MRK und die Rechtsprechung des EGMR eröffneten weiten Raum zulässiger Äußerungen – um nicht von vornherein für jeden Beliebigen erkennbare, derart offenkundige Rechtsverletzungen; vielmehr sei auch hier denkbar, dass es sich um noch zulässige Kritik auf Basis eines wahren Sachverhaltssubstrats handle, die nicht tatbestandsmäßig iSd § 111 StGB wäre, oder um einen Verhaltensvorwurf, der im Kern wahr ist oder zumindest berechtigt für wahr gehalten werden konnte, sodass allenfalls ein Ausschlussgrund des § 6 Abs 2 Z 2 MedienG hätte erfüllt sein können.

„Bei solcherart nicht offenkundigen Rechtsverletzungen beginnt die Frist zur Löschung aber erst mit der Kenntnis der Rechtswidrigkeit zu laufen, die in derartigen Fallkonstellationen nach der Judikatur des Obersten Gerichtshofs erst dann besteht, wenn die Rechtswidrigkeit gegenüber dem Medieninhaber in tatsächlicher und rechtlicher Weise substantiiert behauptet wird. Eine solche Beanstandung seitens des in seinen Persönlichkeitsrechten verletzten Antragstellers erfolgte aber erst am . Indem der Antragsgegner als Reaktion auf diese Mitteilung des Antragstellers sogleich die Postings der User H***** und S***** und innerhalb von längstens drei Tagen auch jenes des Users B*****
– letzteres nach Einholung eines juristischen Rates – entfernte, erfolgte die Löschung ohne schuldhafte Verzögerung, weshalb er die nach § 6 Abs 2 Z 3a MedienG gebotene Sorgfalt eingehalten hat. Denn die Obliegenheit zur Entfernung der inkriminierten Mitteilungen lag hier erst ab dem Zeitpunkt der Auskunftserteilung vor“ (US 22 f).

Rechtliche Beurteilung

Das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht steht – wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt – mit dem Gesetz nicht in Einklang.

Nach der Bestimmung des § 6 Abs 2 Z 3a MedienG besteht ein Entschädigungsanspruch nach Abs 1 leg cit nicht, wenn es sich um die Abrufbarkeit auf einer Website handelt, ohne dass der Medieninhaber oder einer seiner Mitarbeiter oder Beauftragten die gebotene Sorgfalt außer Acht gelassen hat.

Im Fall eines an den Medieninhaber ergangenen Hinweises auf einen persönlichkeitsrechtsverletzenden Inhalt in seinem Medium ist die Einhaltung der gebotenen Sorgfalt am Kriterium des Zeitpunkts der Kenntnis vom rechtswidrigen Inhalt und daran anschließend an der Unverzüglichkeit der Löschung desselben durch den Medieninhaber zu prüfen.

Bezugspunkt dieser Kenntnis ist zum einen in tatsächlicher Hinsicht die Existenz des entsprechenden Inhalts der Website – wofür Wissentlichkeit iSd § 5 Abs 3 StGB gefordert wird –, zum anderen aber dessen Rechtswidrigkeit. Kenntnis von der Rechtswidrigkeit des Inhalts ist nicht erst bei aktuellem Unrechtsbewusstsein des (hier) Medieninhabers, sondern schon dann anzunehmen, wenn die Rechtsverletzung auch für einen juristischen Laien ohne weitere Nachforschungen offenkundig ist, also die Rechtswidrigkeit – im Sinn des normativen Beurteilungsmaßstabs nach § 9 Abs 2 erster Halbsatz StGB – für den Medieninhaber wie für jedermann leicht erkennbar ist.

Ist die Rechtsverletzung (etwa § 6 Abs 1 MedienG) hingegen nicht offenkundig, wird dies gegenüber dem Medieninhaber aber in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht substantiiert beanstandet, so trifft den Medieninhaber (zur Verwirklichung des Ausschlussgrundes nach § 6 Abs 2 Z 3a MedienG) die Obliegenheit zu weiterem Tätigwerden, nämlich zur – unverzüglichen – (Veranlassung einer) juristischen Überprüfung der behaupteten Rechtsverletzung (vgl 15 Os 14/15w mwN).

In casu erlangte der Antragsgegner festgestelltermaßen am Kenntnis von den Mitteilungen der User S***** und B***** und hielt diese bereits an diesem Tag für rechtlich bedenklich.

Dem Berufungsgericht ist zuzugeben, dass aufgrund des Hegens von „rechtlichen Bedenken“ gegen die Zulässigkeit der – dem Antragsgegner bekannten – Postings noch nicht (zwingend) auf dessen Kenntnis von der konkreten Rechtswidrigkeit der Mitteilungen zu schließen ist (US 21 f); solcherart war die Rechtsverletzung (hier: § 6 Abs 1 MedienG) für den Antragsgegner (als juristischen Laien) nicht offenkundig im oben beschriebenen Sinn.

Jedoch hätte der Antragsgegner (auch) im Hinblick auf den – vom Berufungsgericht argumentativ unberücksichtigt gelassenen – Umstand, dass ein – nicht anonymer – User (zumindest) das Posting des Users S***** konkret und substantiell beanstandete (nämlich dahin, dass jeglicher Vergleich mit einem grausamen Massenmörder wie Mengele völlig inakzeptabel sei), im Zusammenhalt mit seinen eigenen Bedenken gegen die rechtliche Zulässigkeit der in Rede stehenden Postings unverzüglich eine juristische Überprüfung veranlassen müssen. Denn mit Blick auch darauf, dass der Antragsgegner mit der gegenständlichen Problematik schon anlässlich des Verfahrens AZ 113 Hv 55/13f des Landesgerichts für Strafsachen Wien befasst und ihm die Rechtslage durch die in diesem Verfahren ergangene Entscheidung des Obersten Gerichtshofs AZ 15 Os 14/15w bekannt war, wiegen schon vorhandene eigene, zusätzlich durch Dritte substantiiert geäußerte Zweifel an der (Nicht-)Tatbestandsmäßigkeit von Inhalten auf einer Website so schwer, dass dadurch die Obliegenheit des Medieninhabers zur unverzüglichen (Veranlassung einer) juristischen Überprüfung der fragwürdigen Nachrichten ausgelöst wird. Dafür, dass nur ein von dem in seinen Persönlichkeitsrechten Verletzten oder dessen Rechtsvertreter gegebener Hinweis auf die Rechtswidrigkeit des Inhalts einer Website die Obliegenheit des Medieninhabers zur juristischen Überprüfung auslösen sollte – wie dies das Oberlandesgericht der Sache nach offenbar vertritt –, besteht kein sachlicher Grund (vgl zu § 16 ECG Kainz/Trappitsch, Praxisrelevante Fragen der Haftungsfreistellungen des ECG,ecolex 2002, 737).

Unter einer unverzüglichen Reaktion ist nicht sofortiges, sondern Handeln ohne schuldhafte Verzögerung zu verstehen (EBRV 784 BlgNR 22. GP 9; EBRV zum ECG 817 BlgNR 21. GP 35; Berka in Berka/Heindl/Höhne/Noll, MedienG³ § 6 Rz 43). Die Konkretisierung dieses unbestimmten Gesetzesbegriffs hat unter Anlegung eines realistischen Maßstabs ohne unzumutbare Überspannung der Pflichten des Medieninhabers zu erfolgen. Dabei ist einerseits auf die Schwere der Rechtsverletzung und die Dringlichkeit der Reaktion abzustellen, andererseits sind Umstände aus der Sphäre des Medieninhabers zu berücksichtigen, etwa ob es sich um eine professionell und auf kommerzieller Basis betriebene Website handelt, ob der Medieninhaber durch Art und Präsentation eigener Inhalte ein besonderes Risiko einer Rechtsverletzung gesetzt hat oder er sonst (etwa aufgrund früherer Vorkommnisse) damit rechnen musste (vgl erneut AZ 15 Os 14/15w).

Bei Anwendung dieser Kriterien und unter Zugrundelegung der – vom Berufungsgericht übernommenen – Ausführungen des Erstgerichts, wonach der Antragsgegner als Nationalratsabgeordneter ein „Politiker-Facebook-Profil“ betreibt, selbst den Antragsteller in einem Posting als „Hetzer“ und „eine Variante von Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ bezeichnete und bereits aufgrund eines medienrechtlichen Verfahrens mit der vorliegenden Thematik befasst war (US 3 und 9), hat der Antragsgegner als Medieninhaber die nach § 6 Abs 2 Z 3a MedienG gebotene Sorgfalt deswegen nicht eingehalten, weil er erst nach zehn Tagen (nachdem er vom Antragstellervertreter am dazu aufgefordert worden war) die in Rede stehenden Mitteilungen löschte.

Das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht hat somit das Vorliegen des Ausschlussgrundes des § 6 Abs 2 Z 3a MedienG in Ansehung der hier relevanten Äußerungen
zu Unrecht bejaht.

Da sich diese Gesetzesverletzung nicht zum Nachteil des Antragsgegners, dem als Medieninhaber die Rechte des Angeklagten zukommen (§ 41 Abs 6 zweiter Satz MedienG), auswirkt, hat es mit der Feststellung des Gesetzesverstoßes sein Bewenden.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2018:0150OS00026.18I.0412.000
Schlagworte:
Posting‑Löschung II,

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