OGH vom 05.06.2020, 15Os24/20y
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Walter, LL.M., LL.M., BA als Schriftführerin in der Strafsache gegen Ercan C***** und weitere Angeklagte wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Ercan C*****, Hatime Az***** und Erdogan I***** sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom , GZ 85 Hv 51/18v-166, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurden Ercan C*****, Hatime Az***** und Erdogan I***** des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB schuldig erkannt.
Danach haben sie sich in ihrer Funktion als organschaftliche Vertreter des registrierten Vereins „A*****“ in W***** als Mitglieder (§ 278 Abs 3 StGB) an einer terroristischen Vereinigung (§ 278b Abs 3 StGB), nämlich der im Anhang der EU-Verordnung (EG) 2580/2001 vom als terroristische Gruppe gelisteten DHKP/C beteiligt, indem sie in dem Wissen (§ 5 Abs 3 StGB), dadurch die Vereinigung DHKP/C in ihrem Ziel, die Staatsordnung in der Türkei zu zerschlagen und terroristische Attentate vorwiegend in der Türkei zu verüben, sowie deren strafbare Handlungen, insbesondere terroristische Straftaten nach § 278c Abs 1 StGB zur Erreichung dieses Ziels zu fördern, nachfolgend beschriebene und für die Öffentlichkeit wahrnehmbare Propagandahandlungen setzten, und zwar
Ercan C*****, Hatime Az***** und Erdogan I***** am durch die Organisation und Teilnahme an einer Kundgebung mit ca 150 Aktivisten und Sympathisanten der DHKP/C, wobei sie unter dem Dachverein der „A*****“ in Erscheinung traten, indem sie als eigener Block in militanter Art und Weise, im typischen Einheitskleidungsstil der DHKP/C zahlreiche Transparente mit Abbildungen von getöteten türkischen Attentätern, insbesondere von Safak Y*****, Bahtiyar D***** und Elif Sultan K*****, mit sich führten und einer Vielzahl von Passanten zur Schau stellten,
Hatime Az***** am 12. April und dadurch, dass sie für Vereinsmitglieder und DHKP/C-Sympathisanten Veranstaltungen zur Ehrung der genannten Attentäter abhielt,
Ercan C*****, Hatime Az***** und Erdogan I***** jedenfalls seit dem 1. Mai bis zumindest , indem sie die türkische Wochenzeitschrift „YÜ*****“, die einschlägige terroristische Inhalte aufweist, unter ihren Vereinsmitgliedern und DHKP/C-Sympathisanten vertrieben.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richten sich die von den Angeklagten C***** und I***** auf Z 5, von der Angeklagten Az***** auf Z 5 und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden. Die Rechtsmittel verfehlen ihr Ziel.
Entgegen dem Vorbringen der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) blieb der Tatsacheninhalt der Urteilsaussage, dass die türkische Wochenzeitschrift „YÜ*****“ terroristische Inhalte aufweise (US 13), nicht offenbar unzureichend begründet. Er wurde von den Tatrichtern vielmehr – ohne Verstoß gegen die Kriterien logischen Denkens und allgemeine Erfahrungssätze (vgl RIS-Justiz RS0116732) – auf die Verbotsverfügung des (deutschen) Bundesministeriums des Innern (ON 2 S 93 ff) sowie auf die – im Urteil beschriebenen – Titelseiten der Zeitschrift gegründet (US 23). Dass dies dem Beschwerdeführer nicht überzeugend erscheint, stellt den Nichtigkeitsgrund nicht dar (RIS-Justiz RS0099455). Soweit die Rüge behauptet, die Ausrichtung der Zeitschrift sei dem Angeklagten nicht bekannt gewesen (der Sache nach Z 9 lit a), orientiert sie sich nicht an den gegenteiligen Festellungen (US 14, 24).
Dem Einwand der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zuwider hat das Erstgericht die Verantwortung des Angeklagten, er habe nichts über die Bedeutung der bei der Demonstration getragenen Uniformen gewusst (ON 151 S 5), nicht übergangen, sie wurde jedoch von den Tatrichtern – mit Blick auf seine Funktion als Obmann des Vereins A*****, den Vertrieb der DHKP/C nahen Zeitschrift YÜ***** und seinen persönlichen Einsatz für die Einreise eines „Attentäters“ nach Österreich – für unglaubwürdig erachtet (US 20, 28 f).
Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten Az*****:
Die Feststellungen zur Organisation der Kundgebung am und zur Teilnahme der Angeklagten daran gründeten die Tatrichter – im Einklang mit den Grundsätzen logischen Denkens und allgemeinen Erfahrungssätzen – auf den Ermittlungsbericht des BVT (ON 2 und 36), die führende Rolle der Angeklagten im Verein A***** sowie auf die Aussagen der Zeugen Si***** und Sa***** vor der Polizei (US 18 ff). Auf das davon abweichende Aussageverhalten dieser Zeugen in der Hauptverhandlung ist das Erstgericht dezidiert eingegangen (US 19; Z 5 zweiter Fall).
Mit der Behauptung des Zeugen A*****, er sei während seiner Vernehmung „ständig bedroht und unter Druck gesetzt“ worden, setzten sich die Tatrichter ebenso auseinander wie mit den Angaben des vernehmenden Polizeibeamten dazu (US 30 f).
Welche – eine erhebliche Tatsache betreffende – Aussage des Zeugen G***** (ON 159 S 23 ff) zu erörtern gewesen wäre (Z 5 zweiter Fall), legt die Beschwerde nicht dar.
Mit weiteren Beweiswerterwägungen sowie Spekulationen über die „Vernehmungssituation“ und eine mögliche Druckausübung durch die Polizei kritisiert die Beschwerde lediglich die Beweiswürdigung des Erstgerichts nach Art einer – im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen – Berufung wegen Schuld, ohne einen Begründungsmangel aufzeigen zu können.
Die Subsumtionsrüge (Z 10) strebt eine Unterstellung der Tathandlungen unter § 282a Abs 2 StGB („Vergehen der Aufforderung zu terroristischen Straftaten und Gutheißung terroristischer Straftaten“) an, verfehlt jedoch mangels Orientierung an den Urteilsfeststellungen zu den Beteiligungshandlungen (Veranstaltung einer Kundgebung und von Gedenkveranstaltungen „zur Verherrlichung von DHKP/C-Attentätern“, Verbreitung von Propagandamaterial; US 12 ff, 36) sowie der dazu konstatierten subjektiven Tatseite (US 10 ff, 16 f) die für die gesetzmäßige Ausführung eines materiell-rechtlichen Nichtigkeitsgrundes gebotene Ausrichtung am Urteilssachverhalt (RIS-Justiz RS0099810).
Dass zur Erfüllung des Tatbestands des § 278b Abs 2 (iVm § 278 Abs 3) StGB Feststellungen erforderlich sein sollten, dass „die kriminelle Vereinigung der DHKP/C selbst Aktivitäten gesetzt hat“ (an denen sich die Angeklagte beteiligte), wird von der Subsumtionsrüge nicht argumentativ aus dem Gesetz entwickelt (RISJustiz RS0116565; zur Förderung einer Vereinigung durch psychische Unterstützung und Verbreitung von Propagandamaterial vgl Plöchl in WK2 StGB § 278 Rz 39; 14 Os 76/17h, 15 Os 5/19b).
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten I*****:
Soweit die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) das Vorbringen der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten C***** zu einer – nach Ansicht der Beschwerdeführer – unzureichenden Begründung des Tatsachengehalts der Urteilsaussagen zur (terroristischen) Ausrichtung der Wochenzeitschrift YÜ***** (US 13) wiederholt, kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.
Der Vorsatz des Angeklagten I*****, sich durch den Vertrieb der Zeitschrift als Mitglied an einer terroristischen Vereinigung zu beteiligen, indem er diese wissentlich (§ 5 Abs 3 StGB) „zumindest propagandistisch“ förderte (US 14), wurde vom Erstgericht – logisch und empirisch mängelfrei (Z 5 vierter Fall) – auf den äußeren Geschehensablauf im Zusammenhalt mit den Angaben des Angeklagten zu seiner Funktion als Kassier des Vereins und zum Inhalt der Zeitschrift sowie auf den Umstand gegründet, dass bei einer Hausdurchsuchung eine Person mit Naheverhältnis zur terroristischen Organisation in seiner Wohnung anwesend war (US 24 f, 29 f).
Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sogleich zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus sich die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen ergibt (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2020:0150OS00024.20Y.0605.000 |
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