OGH vom 28.03.2012, 15Os17/12g
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Dr. Michel Kwapinski und Mag. Fürnkranz als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters MMag. Krasa als Schriftführer in der Strafsache gegen Ivana K***** und weitere Angeklagte wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Boban S***** sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft in Betreff dieses Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom , GZ 41 Hv 59/11m 109, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch der Angeklagten Ivana K***** (A./I./), demzufolge auch der jeweils diese Angeklagte betreffende Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung), das Verfalls- und das Einziehungserkenntnis aufgehoben und dem Landesgericht für Strafsachen Wien in diesem Umfang die neuerliche Verhandlung und Entscheidung aufgetragen.
Zur Entscheidung über die Berufungen des Angeklagten Boban S***** und der Staatsanwaltschaft werden die Akten vorerst dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten Boban S***** fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil, welches auch rechtskräftige Schuld- bzw Freisprüche von Mitangeklagten enthält, wurde Boban S***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 3 SMG (A./VI./) schuldig erkannt, weil er am in Wien vorschriftswidrig Suchtgift in einer das 15-fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge einem anderen überlassen hat, indem er 5.464,9 Gramm Marihuana mit zumindest 396 Gramm Reinsubstanz THC an Radovan F***** übergeben hat.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen aus Z 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten S***** verfehlt ihr Ziel.
Der Mängelrüge gelingt es nicht, formale Begründungsfehler aufzuzeigen.
Undeutlichkeit der Entscheidungsbegründung (Z 5 erster Fall) liegt nämlich nur vor, wenn aus objektiver Sicht nicht unzweifelhaft erkennbar ist, ob und aus welchen Gründen entscheidende Tatsachen in den Entscheidungsgründen festgestellt wurden (RIS-Justiz RS0099480). Unvollständig ist ein Urteil, wenn das Gericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene (§ 258 Abs 1 StPO) Verfahrensergebnisse unberücksichtigt lässt (RIS-Justiz RS0118316), offenbar unzureichend (Z 5 vierter Fall) ist eine Begründung, wenn sie den Gesetzen folgerichtigen Denkens oder grundlegenden Erfahrungssätzen widerspricht (RIS Justiz RS0118317, RS0108609). Die Urteilskontrolle anhand der in Z 5 genannten Kriterien gilt den zu den entscheidenden Tatsachen getroffenen Feststellungen, nicht aber nicht vorliegenden Konstatierungen. Das Aufgreifen formaler Mängel muss sich überdies auf entscheidende Tatsachen beziehen (RIS-Justiz RS0106268) und an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe Maß nehmen (RIS-Justiz RS0119370). Die Frage, wer den Angeklagten angewiesen habe, zu einem Treffpunkt bei einem S*****-Parkplatz zu kommen, wohin sich dieser dann auch begab (US 13), berührt keine entscheidende Tatsache (vgl Ratz , WK-StPO § 281 Rz 398 ff). Inwieweit angesichts des aktenkonform festgestellten Treffpunkts (siehe ON 30, S 7) eine Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) vorliegen soll, macht die Beschwerde nicht klar.
Die eingewendete Undeutlichkeit (Z 5 erster Fall) liegt - insofern differenziert die Beschwerde nicht - weder auf Feststellungs- noch auf Begründungsebene vor. Sowohl die Feststellung, dass der Angeklagte vom Suchtgift im Fahrzeug „wusste“ (US 13), als auch jene, dass er „grob“ in den Tatplan eingeweiht war (US 19 Mitte, erster Halbsatz), sind jeweils im Zusammenhang mit der Konstatierung der subjektiven Tatseite (US 15, 19) zu lesen.
Die erstgerichtliche Begründung der subjektiven Tatseite bei Verwerfung der leugnenden Einlassung des Angeklagten genügt den formalen Anforderungen (US 18 f), weil keineswegs erforderlich ist, dass die beweiswürdigend getroffene Schlussfolgerung auch zwingend ist (RIS-Justiz RS0099455). Nicht entscheidungswesentlich ist, ob der Beschwerdeführer nach der Tat mit dem Zweitangeklagten F***** „weiter“ fahren sollte oder mit dem Zeugen C***** Kontakt gehabt hat. Die Behauptung des Fehlens von Beweisen verfehlt die vom Gesetz (§ 285a Abs 2 StPO) geforderte deutliche und bestimmte Bezeichnung des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes.
Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) erschöpft sich mit dem Vorbringen, Feststellungen zur subjektiven Tatseite seien undeutlich, in einer teilweisen Wiederholung der Mängelrüge, und verfehlt solcherart mangels am Urteilssachverhalt orientierter Darlegung, aus welchen aus dem Gesetz abzuleitenden rechtlichen Erwägungen welche weiteren Urteilskonstatierungen für einen Schuldspruch erforderlich gewesen wären (RIS-Justiz RS0117247), die gesetzmäßige Ausführung.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - bereits in nichtöffentlicher Sitzung (§ 285d StPO) zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen des Angeklagten Boban S***** und der Staatsanwaltschaft resultiert (§ 285i StPO).
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof von Amts wegen zu Gunsten der Angeklagten Ivana K***** in Ansehung des Schuldspruchs A./I./ (laut US 6: A.I.a) vom Vorliegen einer diese betreffenden, von ihr jedoch nicht geltend gemachten Nichtigkeit gemäß § 281 Abs 1 Z 10 StPO (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).
Ivana K***** wurde - unter anderem - der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG schuldig erkannt (Schuldspruch A./I./), nämlich vorschriftswidrig anderen Suchtgift überlassen zu haben, und zwar
1./ von Oktober bis November 2010 zirka 30 200 mg Substitolkapseln an Mariana C*****;
2./ von Ende November 2010 bis Ende Jänner 2011 zirka 40 200 mg Substitolkapseln an Michael H*****;
3./ von Anfang Oktober bis Anfang November 2010 zumindest 10 200 mg Substitolkapseln an Sabine R*****;
4./ von Mitte Jänner bis Ende Februar 2011 zirka 60 200 mg Substitolkapseln an Manfred T*****;
5./ von Anfang Dezember 2010 bis Ende Februar 2011 zirka 50 200 mg Substitolkapseln an Stefan Fi*****;
6./ in einem nicht mehr festzustellenden Zeitraum zirka 10 Gramm Cannabiskraut an Milos St*****;
7./ von September 2010 bis zirka 50 200 mg Substitolkapseln an Martin Ri*****;
8./ von September 2010 bis zirka 14 200 mg Substitolkapseln an Anton Ha*****;
10./ am einem verdeckten Ermittler ein Gramm Heroin;
11./ am einem verdeckten Ermittler 0,5 Gramm Heroin;
12./ von Dezember 2010 bis zumindest 150 Gramm Marihuana durch Verkauf an den UT „Dogan“.
Strafrechtlich relevantes Verhalten nach dem Suchtmittelgesetz bezieht sich nur auf konkrete, in der Suchtgiftverordnung oder der Psychotropenverordnung erfasste Wirkstoffe, weshalb Feststellungen zur Beschaffenheit, nämlich der Wirkstoffart (und -menge) tatverfangener Substanzen unabdingbar sind. Dem angefochtenen Urteil sind jedoch keine Konstatierungen zu entnehmen, ob und bejahendenfalls welche in den Anhängen zur Suchtgiftverordnung (BGBl II 1997/374 idgF) und zur Psychotropenverordnung (BGBl II 1997/375 idgF) angeführten Wirkstoffe in den im Urteil genannten Substanzen enthalten waren; darüber hinaus blieb auch der Reinsubstanzgehalt der (allenfalls vorliegenden) Suchtgifte und psychotropen Stoffe, der zur Beurteilung des Vorliegens einer das Einfache, Fünfzehnfache oder Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge unerlässlich ist, unerwähnt. Die schlichte Bezeichnung veräußerter Arzneimittel mit deren Marken- oder Handelsnamen (hier: „Substitol“) samt Bezifferung der Anzahl derartiger (allenfalls ein Suchtgift oder einen psychotropen Stoff enthaltender) Tabletten vermag diesen Feststellungserfordernissen nicht zu genügen (vgl RIS-Justiz RS0114428, RS0111350; Litzka/Matzka/Zeder , SMG 2 § 1 Rz 11 bis 14; Schwaighofer in WK 2 SMG § 28b Rz 9 ff). Dass die Inhaltsstoffe dieser Medikamente allenfalls gerichtsnotorisch sind, ändert daran nichts, zumal es für notorische Tatsachen zwar keiner Beweisaufnahme, wohl aber deren Feststellung bedarf ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 600).
Trotz des konstatierten, auf ein die Grenzmenge übersteigendes Suchtgiftquantum gerichteten Additionsvorsatzes (US 13 unten) wird durch die übrigen Taten (Cannabiskraut und Heroin; Punkte 6./, 10./, 11./, und 12./ des Schuldspruchs A./I./; vgl US 13, 16) im Rahmen einer tatbestandlichen Handlungseinheit (vgl RIS-Justiz RS0122006) angesichts des zu Heroin und Cannabiskraut konstatierten Reinheitsgehalts (US 13) die Grenzmenge nicht überschritten. Urteilsannahmen, die in Ansehung der Angeklagten K***** einen - insoweit nicht erfolgten - Schuldspruch nach § 27 Abs 1 SMG allenfalls zu tragen vermögen, können nicht bestehen bleiben (RIS Justiz RS0115884).
Die vom Erstgericht in Betreff dieser Angeklagten vorgenommene Subsumtion leidet daher an einem Rechtsfehler mangels Feststellungen, der die mit dem Auftrag zur Verfahrenserneuerung verbundene Aufhebung des Schuldspruchs A./I./ und demgemäß des Strafausspruchs erfordert.
Das sich auf den Schuldspruch A./I./ beziehende Verfallserkenntnis (US 7, 22), dem eine tatbestandliche Handlungseinheit, die zeitlich bis in den Geltungsbereich des § 20 StGB idgF hinein reicht (vgl SSt 58/83; RIS Justiz RS0091813 [T1]), zu Grunde liegt, entbehrt somit wie auch das die Angeklagte K***** betreffende Einziehungserkenntnis einer Grundlage.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.