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OGH vom 14.03.2016, 15Os16/16s

OGH vom 14.03.2016, 15Os16/16s

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Fritsche als Schriftführerin in der Strafsache gegen Khusein S***** wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über dessen Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Schöffengericht vom , GZ 13 Hv 85/15k 96, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Khusein S***** des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB (A./) und in echter Indealkonkurrenz (RIS Justiz RS0130391) des Verbrechens der kriminellen Organisation nach § 278a Z 1, 2 und 3 StGB (B./) schuldig erkannt.

Danach hat er

A./ sich als Mitglied (§ 278 Abs 3 StGB) an einer terroristischen Vereinigung, „nämlich an der in der UN Sanktionenliste aufscheinenden Terrororganisation 'Islamischer Staat'“, deren Ziel die Begehung terroristischer Straftaten (§ 278c StGB) ist, beteiligt, indem er im Wissen, dadurch die Vereinigung oder deren strafbare Handlungen zu fördern,

1./ „ab Februar bis zumindest Anfang Mai 2013 nach Syrien reiste und dort an bewaffneten Kampfhandlungen teilnahm“;

2./ am via „Telegram“ seinem in Syrien auf Seiten des „Islamischen Staates“ kämpfenden Verwandten Yusup D***** die Vermittlung von Kontakten zu hochrangigen Anhängern des „Islamischen Staates“ in der IS Hochburg Rakka in Syrien in Aussicht stellte;

B./ sich durch die zu A./ genannten Handlungen an einer auf längere Zeit angelegten unternehmensähnlichen Verbindung einer größeren Zahl von Personen, die, wenn auch nicht ausschließlich, auf die wiederkehrende und geplante Begehung schwerwiegender strafbarer Handlungen, die das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit oder das Vermögen bedrohen, oder schwerwiegender strafbarer Handlungen im Bereich der sexuellen Ausbeutung von Menschen, der Schlepperei oder des unerlaubten Verkehrs mit Kampfmitteln oder Suchtmitteln ausgerichtet ist, die dadurch eine Bereicherung im großen Umfang anstrebt und die andere zu korrumpieren oder einzuschüchtern oder sich auf besondere Weise gegen Strafverfolgungsmaßnahmen abzuschirmen sucht, als Mitglied beteiligt (§ 278 Abs 3 StGB).

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen aus § 281 Abs 1 Z 3, 4, 5, 5a und 9 lit a StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt keine Berechtigung zu.

Die Verfahrensrüge (Z 3) richtet sich gegen den in der Hauptverhandlung am (von Amts wegen) vorgenommenen Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 229 Abs 1 Z 3 StPO für die Dauer der Vernehmung einer anonymen Zeugin (ON 92 S 25) und behauptet einen Verstoß gegen § 228 Abs 1 StPO. Indem sie die Begründung des Schöffengerichts, wonach der Schutz der Identität der Zeugin erforderlich war, weil „durch die Kenntniserlangung der Person sich diese einer ernsten Gefahr für Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit oder Freiheit aussetzen würde“, als „nicht nachvollziehbar“ kritisiert, da eine solche ernste Gefahr „wie die Zeugin selbst eingeräumt“ habe nicht vorgelegen sei, übt sie weder prozessordnungskonform nach den Kriterien der Z 5 oder 5a des § 281 Abs 1 StPO Kritik an der vom Erstgericht herangezogenen Sachverhaltsgrundlage der prozessleitenden Verfügung, noch zeigt sie auf, dass letztere auf Basis ersterer rechtlich verfehlt und demnach der Ausschluss der Öffentlichkeit sachlich nicht gerechtfertigt war (RIS-Justiz RS0118016, RS0118977; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 40 f und 49 f).

Im Übrigen übersieht der Beschwerdeführer mit dem Hinweis auf die unrichtig wiedergegebenen (vgl ON 92 S 28 f) - Angaben der anonymen Zeugin in ihrer Vernehmung nach Ausschluss der Öffentlichkeit, dass (auch) für die Beurteilung der aus § 228 Abs 1 StPO abgeleiteten Nichtigkeit nach Z 3 nur der Zeitpunkt der prozessleitenden Verfügung maßgeblich ist ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 256; RIS Justiz RS0098875).

Indem der Beschwerdeführer vermeint, die Identität der Zeugin sei ohnehin bekannt gewesen, weil sein Verteidiger im Eingangsplädoyer dargelegt habe, dass sich die Anklage auf die Aussage einer anonymen Zeugin stütze, bei der es sich um ***** handle (ON 92 S 4), zeigt er ebenfalls nicht auf, dass der Ausschluss der Öffentlichkeit angesichts der tatsächlichen Lage im Verfügungszeitpunkt rechtlich verfehlt war, können doch bloße Behauptungen oder Spekulationen des Verteidigers über die Person der Zeugin und ihr Verhältnis zum Angeklagten deren Identitätsschutz iSd § 229 Abs 1 Z 3 StPO nicht beeinflussen.

Soweit die Rüge

in diesem Zusammenhang auch die Vernehmung der Zeugin in Form der anonymen Aussage nach § 162 StPO kritisiert, macht sie keine Verletzung einer der in § 281 Abs 1 Z 3 StPO taxativ aufgezählten oder in (

nach Inkrafttreten der StPO erlassenen) Nebengesetzen enthaltenen, ausdrücklich bei sonstiger Nichtigkeit zu beobachtenden Bestimmungen geltend, die (ausschließlich) den in Anspruch genommenen Nichtigkeitsgrund darstellen würde (RIS Justiz RS0099118, RS0099088; Ratz , WK StPO § 281 Rz 193). Die Bekämpfung aus Z 4 scheitert wiederum schon am Unterlassen einer entsprechenden, gegen das Vorgehen des Gerichts gerichteten Antragstellung in der Hauptverhandlung (RIS Justiz RS0099112).

Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wurden durch die Abweisung des Antrags auf zeugenschaftliche Vernehmung des Khawazh I***** Verteidigungsrechte nicht verletzt. Der Zeuge wurde aufgrund eines schriftlich gestellten Beweisantrags des Angeklagten mit internationalem Rückschein für die Hauptverhandlung am geladen, ist zu dieser jedoch nicht erschienen. Indem der Verteidiger „den Beweisantrag auf Einvernahme des Zeugen I*****“ ohne weiteres antragsbezogenes Vorbringen nur „wiederholt“ hat (ON 95 S 40), ließ der Antrag schon nicht erkennen, zu welchem Beweisthema der Zeuge zu vernehmen wäre und warum die beantragte Beweisaufnahme das vom Antragsteller zu behauptende Ergebnis erwarten lasse (vgl Ratz , WK-StPO § 281 Rz 327, 330 f; RIS-Justiz RS0099099, RS0099353 ).

Das den Beweisantrag ergänzende Rechtsmittelvorbringen ist mit Blick auf das Neuerungsverbot unbeachtlich (RIS-Justiz RS0099618).

Die Mängelrüge (Z 5 erster Fall) nimmt mit den Behauptungen, der Angeklagte könne nicht ab Februar 2013 Mitglied des „Islamischen Staats“ gewesen sein, weil diese Vereinigung erst im April 2013 gegründet worden sei, und „die Feststellung, ob der Angeklagte Mitglied einer Vorläuferorganisation war oder nicht“ sei undeutlich, nicht die Gesamtheit der Entscheidungsgründe in den Blick (RIS Justiz RS0119370). Diesen zufolge tritt sowohl in Syrien als auch im Irak seit mehr als zehn Jahren eine sunnitisch geprägte Terrorgruppe auf, „die sich nach zahlreichen Umstrukturierungen und Namensänderungen heute als IS bezeichnet“ (US 6) wobei das Schöffengericht ausführlich die Entstehungsgeschichte und die von der Beschwerde vermissten terroristischen Tätigkeiten mehrerer „Vororganisationen“ des „Islamischen Staats“ darstellt (US 6 bis 11) , und hielt es der Angeklagte ernstlich für möglich und fand sich damit ab, dass er sich durch „die Teilnahme an Kampfhandlungen von Februar bis Mai 2013 sowie durch das In Aussicht Stellen der Vermittlung von Kontakten zu hochrangigen Anhängern des Islamischen Staates (…) an der Organisation Islamischer Staat im Irak und Syrien/Islamischer Staat im Irak und der Levante (ISIS/ISIL) bzw. dem Islamischen Staat beteiligte“ (US 17 f). Welche Bedeutung der Nennung der Organisationen IS, ISIS und ISIL in der Terrorliste der UNO zukommen soll, lässt die Rüge im Übrigen unter Vernachlässigung der Konstatierungen zur Organisationsstruktur und Tätigkeit der Gruppierungen sowie zur darauf bezogenen subjektiven Tatseite (US 10 f und 18) offen. Indem die Beschwerde in diesem Zusammenhang eine einzelne Urteilspassage zur subjektiven Tatseite unter Hinweis auf die zur Tatzeit noch nicht erfolgte Anführung des „Islamischen Staats“ in der Terrorliste der UNO als „falsch“ bezeichnet, bekämpft sie die Beweiswürdigung des Schöffengerichts nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung. Beim Hinweis auf den Ausruf des Kalifats (erst) am , von dem der Angeklagte daher Anfang 2013 noch nicht wissen habe können, wird übersehen, dass sich die Konstatierungen zur subjektiven Tatseite auch auf die Übersendung der „Telegram“-Nachrichten an Yusup D***** am (A./2./) beziehen.

Bloß in unzulässiger Form Beweiswürdigungskritik übt die eine Scheinbegründung behauptende Beschwerde (Z 5 vierter Fall) mit dem Hinweis, der Angeklagte hätte aus einer im „relevanten Zeitraum“ nicht existierenden Medienberichterstattung nicht erkennen können, dass Vorläuferorganisationen des „Islamischen Staats“ terroristisch gewesen seien. Im Übrigen hat das Erstgericht „das Wissen um das Wesen und den Gegenstand der Tätigkeit der Organisationen“ nicht nur aus der „umfangreichen Berichterstattung über Kriegsverbrechen und andere terroristische Aktivitäten des IS bzw. auch dessen Vorgängerorganisation ISIS im Fernsehen, in Zeitungen und im Internet“, sondern auch aus den Angaben des Angeklagten und seiner Verantwortung abgeleitet (US 31).

Kein Begründungsdefizit im Sinn der Z 5 zeigt die Beschwerde auf, indem sie die Dauer des konstatierten Syrienaufenthalts und die Rückkehr des Angeklagten nach Österreich als gegen die Kampftätigkeit des Angeklagten sprechende Umstände ansieht, die Konstatierungen nicht als „das Ergebnis der Würdigung von Beweisen, sondern fabuliert“ erachtet, die Unschuldsvermutung ins Treffen führt und spekuliert, dass die am Mobiltelefon des Angeklagten gespeicherten Fotos aus denen aus Sicht des Erstgerichts folgt, dass der Angeklagte „auf der Seite des IS steht“ (US 29 f) „überall aufgenommen worden sein“ könnten.

Die von der Rüge (Z 5 vierter Fall) vermisste Begründung für die Konstatierungen zum Syrienaufenthalt des Angeklagten befindet sich auf US 21 ff. Warum aus dem vom Schöffengericht berücksichtigten (US 23 f) - Umstand, dass die anonyme Zeugin bezüglich der zeitlichen Einordnung des Auslandsaufenthalts „keine eindeutigen Angaben machen konnte“, folgen sollte, dass diese Zeugenaussage „keine Grundlage für die bekämpfte Feststellung“ sein könne, erklärt die Beschwerde nicht.

Soweit der Beschwerdeführer die Begründung, aus der „Telegram“-Nachricht vom lasse sich nicht nur ableiten, dass der Angeklagte in Syrien, sondern konkret in Rakka war, als aktenwidrig und unvollständig bezeichnet, weil Rakka im Februar 2013 noch nicht vom „Islamischen Staat“ erobert gewesen sei, bezieht er sich auf keine entscheidende Tatsache

(RIS Justiz

RS0117264).

Die Tatsachenrüge (Z 5a) zu A./ und B./ weckt mit dem Vorbringen, „den Akten“ (vgl aber RIS Justiz RS0124172 [T3 und T 7]) sei entnehmbar, dass der „Islamische Staat“ im Februar 2013 nicht bestanden habe und nicht auf der Terrorliste der UNO aufgeschienen sei, keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen

(RIS Justiz RS0118780). Soweit sie (nur) die Feststellungen als „völlig unplausibel“ bezeichnet, die Beweiswürdigung kritisiert, eigene Beweiswerterwägungen zum Inhalt der „Telegram“-Nachrichten anstellt und auf die Angaben der anonymen Zeugin in einem gegen einen anderen Angeklagten geführten Verfahren verweist, verlässt sie den Anfechtungsrahmen des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes (RIS Justiz

RS0119424, RS0117516).

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) legt mit dem Einwand, es würden zum „IS als kriminelle Organisation im Feber 2013 (…) sämtliche Feststellungen über Aufbau, Organisationsgrad usw.“ fehlen, nicht prozessordnungskonform dar, dass die getroffenen Urteilsannahmen für die Subsumtion nach § 278a Z 1, 2 und 3 StGB nicht ausreichen (RIS Justiz RS0119884 [T1 und T 2]).

Warum es für die Verwirklichung der objektiven Tatbestände nach § 278a Z 1, 2 und 3 und § 278b Abs 2 StGB erforderlich sein soll, dass der „Islamische Staat“ im Zeitpunkt der Tathandlungen bereits in der Terrorliste der UNO gelistet war, und weshalb die Übermittlung der gegenständlichen Nachricht an den „als IS Kämpfer“ in Syrien befindlichen Yusup D***** mit Blick auf die Feststellungen (US 18) und die gesetzliche Definition für die Beteiligung als Mitglied (§ 278 Abs 3 StGB) nicht als Beteiligung an den Aktivitäten einer terroristischen Vereinigung mit wissentlicher Förderung der Vereinigung oder deren strafbarer Handlungen gewertet werden könne, erklärt die Rüge nicht (RIS Justiz RS0116565).

Die Behauptung, der „Islamische Staat“ habe im Februar 2013 noch gar nicht bestanden, sodass er keine kriminelle Organisation gewesen sein könne, vernachlässigt die Urteilskonstatierungen, die sich auch auf die Vorläuferorganisationen des „Islamischen Staats“ beziehen (US 10 f). Dass diese Konstatierungen wiederum auf einer ex-post-Betrachtung basieren, stellt keinen Nichtigkeitsgrund dar.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2016:0150OS00016.16S.0314.000