OGH vom 01.02.2017, 15Ns89/16f

OGH vom 01.02.2017, 15Ns89/16f

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in der Strafsache gegen Christian E***** wegen Überwachung von Entscheidungen über Bewährungsmaßnahmen, AZ 196 Ns 10/16y des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über den Zuständigkeitsstreit zwischen diesem Gericht und dem Landesgericht Klagenfurt nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 60 Abs 1 zweiter Satz OGH-Geo. 2005 den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Zur Führung des Verfahrens zur Überwachung der Entscheidungen des Amtsgerichts Zehdenick vom , AZ 41 Ds 3101 Js 9050/14 (41/14), ist das Landesgericht Klagenfurt zuständig.

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Mit einem am beim Landesgericht Klagenfurt eingelangten Schreiben ersucht die Staatsanwaltschaft Neuruppin um „Übernahme der weiteren Strafvollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe“ und (der Sache nach nur) um Überwachung der Entscheidungen des Amtsgerichts Zehdenick (Deutschland) vom , AZ 41 Ds 3101 Js 9050/14 (41/14), mit denen Christian E***** wegen Diebstahls in besonders schwerem Fall und wegen Urkundenfälschung zu einer – für eine Bewährungszeit von fünf Jahren ausgesetzten – Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt wurde und die Anordnung von Bewährungshilfe sowie die Erteilung von Weisungen erfolgten (ON 12).

Das Landesgericht Klagenfurt trat das Verfahren nach einer Melderegisterabfrage – derzufolge der Verurteilte zuletzt am in Klagenfurt gemeldet war und seither keine aufrechte Meldung aufweist (ON 13 S 3) – am „gemäß § 40a Abs 3 EU-JZG iVm § 40a Abs 2 zweiter Satz EU-JZG“ dem Landesgericht für Strafsachen Wien ab, weil Christian E***** „nicht mehr im Sprengel des Landesgerichts Klagenfurt wohnhaft“ sei (ON 1 S 5).

Dieses Gericht legte die Akten dem Obersten Gerichtshof gemäß § 38 StPO (iVm § 1 Abs 2 EU-JZG iVm § 9 Abs 1 ARHG) zur Entscheidung über einen negativen Kompetenzkonflikt vor, weil das Ersuchen der Staatsanwaltschaft Neuruppin nicht die Übernahme der Vollstreckung einer unbedingten Freiheitsstrafe betreffe und zufolge der besonderen Bindung des Verurteilten zu Klagenfurt und aufgrund des letzten Wohnsitzes ebendort „gemäß § 83 Abs 1 und 2 EU-JZG iVm § 1 Abs 2 EU-JZG iVm § 67 Abs 1 ARHG iVm § 9 ARHG iVm § 25 Abs 2 StPO“ das Landesgericht Klagenfurt zuständig sei.

Gemäß § 83 Abs 2 EU-JZG richtet sich die örtliche Zuständigkeit für die Entscheidung über die Überwachung von Bewährungsmaßnahmen und alternativen Sanktionen und für Folgeentscheidungen nach dem Ort, an dem der Verurteilte seinen Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt hat, in den Fällen des § 82 Abs 2 EU-JZG – somit wenn der Verurteilte zwar keinen Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt im Inland hat, jedoch Bindungen des Verurteilten zu Österreich von solcher Intensität bestehen, dass davon auszugehen ist, dass die Überwachung im Inland der Erleichterung seiner Resozialisierung und seiner Wiedereingliederung in die Gesellschaft dient – nach dem Ort, zu dem seine besonderen Bindungen bestehen.

Ein ständiger Aufenthalt in Österreich ist (schon) dann anzunehmen, wenn sich der Verurteilte ständig und langfristig in Österreich aufhält, ohne hier einen Wohnsitz im Sinn des § 1 Abs 6 MeldeG begründet zu haben (EBRV 2379 BlgNR 24. GP 12).

Bestehen Anhaltspunkte dafür, dass (unter anderem) aufgrund des Fehlens eines Wohnsitzes oder ständigen Aufenthalts des Verurteilten im Inland (vgl § 82 Abs 1 Z 1 EU-JZG) ein Grund für die Unzulässigkeit der Überwachung vorliegt, so ist die zuständige Behörde des Ausstellungsstaats um Nachreichung, Vervollständigung oder ergänzende Information zu ersuchen (§ 84 Abs 2 Z 2 EU-JZG), wobei diesfalls auch das in § 82 Abs 2 EU-JZG genannte Ersuchen der zuständigen Behörde des Ausstellungsstaats in Betracht kommt.

Eine Abtretung iSd § 83 Abs 3 EU-JZG ist nur zulässig, wenn ein anderes als das angerufene Gericht als örtlich zuständig auszumachen ist, nicht aber, wenn an der Zuständigkeit des angerufenen Gerichts bloße Zweifel bestehen und den Behörden des Ausstellungsstaats keine Gelegenheit zu ergänzenden Informationen über den Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt des Verurteilten im Inland oder seine besondere Bindung zu Österreich gegeben wurde (§ 84 Abs 2 Z 2 EU-JZG).

Im vorliegenden Fall beruft sich die Staatsanwaltschaft Neuruppin auf einen Wohnort des Verurteilten im Sprengel des Landesgerichts Klagenfurt, weshalb sie ihr Ersuchen an dieses Gericht gerichtet hat. Da Christian E***** im Zeitpunkt des Einlangens des Ersuchens der deutschen Behörden keine aufrechte Meldung in Österreich aufwies und Anhaltspunkte dafür bestehen, dass auch der zuvor ständige Aufenthalt des Verurteilten in Klagenfurt nicht mehr gegeben ist (vgl das Erhebungsergebnis ON 18), hätte das Landesgericht Klagenfurt die Staatsanwaltschaft Neuruppin um Ergänzungen iSd § 84 Abs 2 Z 2 EU-JZG ersuchen müssen. Für eine Verneinung der Zuständigkeit durch dieses Gericht und Übermittlung des Akts an das Landesgericht für Strafsachen Wien besteht nach der Aktenlage und dem Verfahrensstand kein Grund und bietet das Gesetz keinen Raum.

Bleibt anzumerken, dass eine – die Zuständigkeit des Landesgerichts für Strafsachen Wien in analoger Anwendung des § 40a Abs 2 EU-JZG begründende – planwidrige Lücke nicht besteht. Liegt auch nach Durchführung des Ergänzungsverfahrens gemäß § 84 Abs 2 EU-JZG keiner der in § 83 Abs 2 EU-JZG genannten Anknüpfungspunkte vor, hat das von der ersuchenden Behörde als zuständig behauptete angerufene Gericht (hier: das Landesgericht Klagenfurt) die begehrte Überwachung mit Blick auf § 82 Abs 1 und 2 EU-JZG abzulehnen.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2017:0150NS00089.16F.0201.000
Schlagworte:
Strafrecht

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