OGH vom 19.10.2021, 13Os95/21a
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz-Hummel LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Richteramtsanwärter Mag. Lampret in der Strafsache gegen ***** K***** und andere Angeklagte wegen Verbrechen nach § 3g VG über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten ***** P***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Geschworenengericht vom , GZ 26 Hv 26/21a-97, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Dem Angeklagten ***** P***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde ***** P***** mehrerer Verbrechen nach § 3g VG schuldig erkannt.
[2] Danach hat er in G*****, indem er mit seinem Mobiltelefon über den Nachrichtendienst Facebook Messenger an ***** K***** Nachrichten und Bilder versandte, und zwar
A) „am replizierend auf die Nachricht des ***** K***** 'Wie du ja weißt bin ich am vor einer Woche Vater einer arischen Tochter geworden. Ich bin der glücklichste Vater der Welt.' die Nachricht 'Natürlich weiß ich das! Nochmal herzlichen Glückwunsch! Freue mich auch über das arische Kind.', wodurch er den Nationalsozialismus mit seiner spezifischen Zielsetzung zumindest des Rassismus propagierte und als eine auf die gegenwärtigen politischen Verhältnisse anwendbare politische Ideologie aktualisierte,
B) am replizierend auf ein von ***** K***** übermitteltes Bild, zeigend einen Soldaten, der eine Handgranate wirft mit dem Schriftzug 'Einen guten Rutsch ins neue Jahr und immer daran denken, die Böller weit genug wegwerfen' samt der Nachricht 'Guten Rutsch Kamerad' die Nachricht 'Wir rutschen nicht!' samt dem Text 'Guten Rutsch'- NEIN DANKE! Es ist mittlerweile schon zur Gewohnheit geworden, dass man seinen Freunden, Arbeitskollegen und Bekannten einen 'guten Rutsch', zwischen den Jahren wünscht! Manch Einer glaubt vielleicht, dass ein guter Rutsch etwas mit der Jahreszeit Winter, in der es glatt und kalt ist, zu tun hat. Weit gefehlt! Was die Meisten nicht wissen ist, dass der 'gute Rutsch' aus dem jüdischen stammt und nichts mit dem deutschen Kulturwesen zu tun hat! Es ist gerade zu eine Schande, dass wir Deutschen dies als 'Glückwunsch' benutzen. Auch in nationalen Kreisen wird dies durch Unwissenheit viel zu oft verwendet. Dies muss endlich ein Ende haben! Woher stammt der 'Gute Rutsch' nun? Der erste Jahrestag im jüdischen Kalender ist der 'Rosh' allmählich in 'Rutsch', was heute missverstanden wird. Mit dem jüdischen Neujahrsfest wird eine Zeit der Reue und Umkehr eingeleitet, die am Yom Kippur, dem Versöhnungstag, endet. Während eine Vielzahl jüdischer Feiertage ihren Ursprung aus historischen Ereignissen haben, sind 'Rosh haShana' und 'Yom Kippur' religiöse Feste. Nach der Tradition wird am RoshhaShana (=Beginn des Jahres) das Buch des Lebens aufgeschlagen und ein Urteil über den Lebenswandel der Menschen geschrieben. Die darauf folgenden zehn Tage dienen der Reue, Umkehr und Versöhnung. Streitigkeiten und Unfrieden sollen beseitigt und schlechte Gedanken bereut werden. Der 'Yom Kipuur', ist das höchste religiöse Fest im Judentum. An ihm wird das Urteil besiegelt und das Buch geschlossen. Als Erkennungsmerkmal dieser 'heiligen, jüdischen Zeit', werden während dieser Dauer die Synagogen in weißer Farbe gehalten. Am Tat der 'Yom Kippur' wird aus dem Buch Jona gelesen: 'Der Prophet Jona sprach vor den Bewohnern der Stadt Ninive vom göttlichen Strafgericht. Die Menschen bereuten ihre Sünden und wurden gerettet'. Was bedeutet dies nun für uns? Wer an Silvester einen guten Rutsch wünscht, wünscht dem Anderen nicht anderes als einen guten, reuevollen und jüdischen Jahresbeginn. Sollen wir unseren Kameradinnen und Kameraden wirklich einen jüdischen Gruß zum Jahresbeginn entgegen bringen???' samt einem Bild von marschierenden Soldaten samt Schriftzug 'Der Deutsche rutscht nicht. Er marschiert ins neue Jahr', wodurch er den Nationalsozialismus mit seinen spezifischen Zielsetzungen zumindest des Antijudaismus und extremen Deutsch-Nationalismus propagierte und als eine auf die gegenwärtigen politischen Verhältnisse anwendbare politische Ideologie aktualisierte.“
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 7, 10a und 12 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ***** P*****.
[4] Soweit die Rüge den Vorwurf der Anklageüberschreitung (Z 7) auf einen offensichtlichen Schreibfehler ( in der Hauptfrage 105, statt wie in der Anklage zu IV B [ON 73 S 23] und im Schuldspruch B [US 60] richtig: ) bezieht, verfehlt sie den Bezugspunkt des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes, weil sie den insoweit gebotenen Vergleich des angeklagten Lebenssachverhalts mit dem von der angesprochenen Frage an die Geschworenen umfassten Lebenssachverhalt in der jeweiligen Gesamtheit unterlässt (vgl RISJustiz RS0113142 und RS0102147 [T2]). Hinzugefügt sei, dass Schreibfehler in der schriftlichen Fassung der Fragen an die Geschworenen unter dem Aspekt des § 345 Abs 1 Z 7 StPO per se ebenso irrelevant sind wie Abweichungen in der Tatzeit (RISJustiz RS0113142 [T15] und RS0098905 [T3]).
[5] Durch die Behauptung des Fehlens „objektiver Beweismittel“ gelangt die Tatsachenrüge (Z 10a) nicht zu prozessförmiger Darstellung (RISJustiz RS0128874 [T1]).
[6] Mit dem Hinweis auf die leugnende Verantwortung des Beschwerdeführers (ON 96 S 31 ff), Angaben des Erstangeklagten K***** (ON 96 S 11) und die Ausführungen des Sachverständigen DI Dr. F***** (ON 96 S 43 ff) weckt sie keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen.
[7] Indem die Tatsachenrüge aus Verfahrensergebnissen anhand eigener Beweiswerterwägungen für den Beschwerdeführer günstige Schlüsse ableitet und sich auf den „Zweifelsgrundsatz“ beruft, übt sie bloß unzulässig Kritik an der Beweiswürdigung der Geschworenen nach Art einer im geschworenengerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung (§ 283 Abs 1 StPO iVm § 344 StPO).
[8] Soweit die Beschwerde (nominell Z 12, der Sache nach Z 11 lit a) behauptet, der im Wahrspruch der Geschworenen jeweils festgestellte Nachrichteninhalt sei zu Unrecht als Betätigung im nationalsozialistischen Sinn inkriminiert worden, übersieht sie, dass die Beurteilung der Sachverhaltsgrundlagen des normativen Tatbestandsmerkmals „nationalsozialistisch“ (einschließlich des Bedeutungsinhalts einer Äußerung oder eines Verhaltens) auf der Feststellungsebene angesiedelt und somit den Geschworenen vorbehalten ist. Bejahen diese – wie hier – die Schuldfragen, ist davon auszugehen, dass sie eben jene Voraussetzungen als erwiesen angenommen haben, aufgrund derer das zu beurteilende Sachverhaltselement dem normativen Tatbestandsmerkmal „nationalsozialistisch“ entspricht. Dessen Bejahung ist daher einer Anfechtung mit Rechtsrüge entzogen (RISJustiz RS0119234 [insbesondere T 2]; Lässig in WK² VG § 3g Rz 17).
[9] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 344, 285d Abs 1 StPO).
[10] Über die Berufung hat das Oberlandesgericht zu entscheiden (§§ 344, 285i StPO).
[11] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2021:0130OS00095.21A.1019.000 |
Dieses Dokument entstammt dem Rechtsinformationssystem des Bundes.