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OGH vom 18.10.2012, 13Os89/12f

OGH vom 18.10.2012, 13Os89/12f

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Haberreiter als Schriftführerin in der Strafsache gegen Gerhard G***** wegen des Verbrechens der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach §§ 83 Abs 1, 86 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom , GZ 39 Hv 17/12t 82, und die Beschwerde des Angeklagten gegen den unter einem gefassten Beschluss auf Erteilung einer Weisung nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde werden das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch wegen des Verbrechens der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach §§ 83 Abs 1, 86 StGB (I/b) und demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) sowie der unter einem gefasste Beschluss auf Erteilung einer Weisung aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache in diesem Umfang an das Landesgericht Innsbruck verwiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde im Übrigen und die Berufung der Staatsanwaltschaft wegen des Ausspruchs über die Schuld werden zurückgewiesen.

Mit ihren Berufungen wegen des Ausspruchs über die Strafe werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf die Aufhebung des Strafausspruchs, Ersterer mit seiner Beschwerde auf jene des Beschlusses auf Erteilung einer Weisung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch rechtskräftige Freisprüche enthält, wurde Gerhard G***** des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB (I/a) sowie der Verbrechen der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach §§ 83 Abs 1, 86 StGB (I/b) und des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach § 269 Abs 1 zweiter Fall StGB (II) schuldig erkannt.

Danach hat er, soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung (ON 89 S 4),

(I) am in I***** andere vorsätzlich am Körper verletzt, nämlich

a) seine Mutter Josefa G***** durch massive Faustschläge, die einen Bruch der Speiche des linken Unterarms,Weichteilprellungen, Einblutungen am Kopf sowie Prellungen an beiden Händen und Handgelenken, sohin eine an sich schwere Verletzung mit mehr als 24 tägiger Gesundheitsschädigung, zur Folge hatten, und

b) seinen Vater Franz G***** durch massive Faustschläge und Tritte, die den Tod des Genannten zur Folge hatten.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus Z 2, 3 und 4 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist teilweise im Recht.

Die Verfahrensrüge (Z 2) zeigt zutreffend auf, dass ein amtliches Schriftstück über eine nichtige Erkundigung im Ermittlungsverfahren in die Hauptverhandlung eingeflossen ist. Nach dem ungerügten Protokoll über diese trug der Vorsitzende nämlich mit Ausnahme der Aussagen der Josefa G***** den gesamten Akteninhalt vor (ON 81 S 15), womit auch die Angaben des Franz G***** unter dem Aspekt der Z 2 relevant ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 170) im Sinn des § 258 Abs 1 StPO vorkamen.

Franz G***** war der Vater des Beschwerdeführers, aus welchem Grund er hier gemäß § 156 Abs 1 Z 1 StPO von der Pflicht zur Aussage befreit und anlässlich einer Vernehmung (§ 151 Z 2 StPO) als Zeuge über seine Befreiung zu informieren war (§ 159 Abs 1 erster Satz StPO).

Die angeführten Bestimmungen über die Vernehmung durften gemäß § 152 Abs 1 StPO durch Erkundigungen (§ 151 Z 1 StPO) bei sonstiger Nichtigkeit nicht umgangen werden.

Aus dem Amtsvermerk vom (ON 2 S 65 bis 69) folgt, dass für den ermittelnden Polizeibeamten Marco K***** bereits vor der (formlosen) Befragung des Franz G***** klar war, dass dieser der Vater des Beschwerdeführers war (ON 2 S 65, 67 und 69). Da er Franz G***** nicht über den Aussagebefreiungsgrund nach § 156 Abs 1 Z 1 StPO förmlich informierte, war dessen ihm gegenüber getätigte (in dem angeführten Amtsvermerk festgehaltene) Aussage (ON 2 S 69) somit nichtig (§ 152 Abs 1 StPO; Ratz , WK StPO § 281 Rz 187).

Zumal der Beschwerdeführer seiner diesbezüglichen Rügeobliegenheit (mehrfach: ON 69 S 2 und 15, ON 81 S 15) nachgekommen ist, stellt die Verlesung der im Amtsvermerk vom festgehaltenen Angaben des Franz G***** sohin den Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 2 StPO her.

Die Ansicht des Erstgerichts, dass bei Unerreichbarkeit eines Zeugen (§ 252 Abs 1 Z 1 StPO) ein in der Hauptverhandlung aktuelles Aussageverweigerungsrecht die Verlesung von amtlichen Schriftstücken, die von diesem Zeugen vor der Verhandlung abgelegte Aussagen wiedergeben, nicht hindert (ON 81 S 3), trifft zwar zu ( Kirchbacher , WK StPO § 252 Rz 59), trägt aber hier nicht, weil das Verweigerungsrecht des Franz G***** bereits im Zeitpunkt der in Rede stehenden Erkundigung vorlag und die Tatsachengrundlage dieses Rechtes dem verantwortlichen Organwalter bekannt war ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 38), womit eine nichtige Erkundigung Eingang in die Hauptverhandlung fand (§ 281 Abs 1 Z 2 StPO). Demgegenüber betrifft die vom Erstgericht angesprochene Rechtsansicht die Frage, ob eine gesetzeskonform abgelegte Aussage bei nachträglichem Bekanntwerden eines Aussageverweigerungsrechts verlesen werden darf.

Ein dem Beschwerdeführer nachteiliger Einfluss der Formverletzung auf die Entscheidung kann schon deswegen nicht ausgeschlossen werden (§ 281 Abs 3 StPO), weil das Erstgericht die Feststellungen zu den gegenüber Franz G***** gesetzten Tathandlungen ausdrücklich auf dessen vor dem Polizeibeamten Marco K***** getätigte Angaben stützt (US 13).

Der Schuldspruch I/b war daher gemäß § 285e StPO schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort aufzuheben, was die Aufhebung des Strafausspruchs (einschließlich der Vorhaftanrechnung) und des gemeinsam mit dem Urteil gefassten Beschlusses auf Erteilung einer Weisung zur Folge hat.

Das Eingehen auf die übrigen diesen Schuldspruch betreffenden Beschwerdeargumente erübrigt sich daher.

In Bezug auf den Schuldspruch I/a ist die Beschwerde nicht im Recht:

Ein dem Beschwerdeführer nachteiliger Einfluss der Depositionen des Franz G***** ist insoweit auszuschließen (§ 281 Abs 3 StPO), weil dessen Aussage bloß Angaben zu den gegen ihn gesetzten Tathandlungen (I/b) enthält (ON 2 S 69, ON 81 S 6, ON 81 S 7), womit das diesbezüglich (aus Z 2, 3 und 4) erstattete Beschwerdevorbringen auf sich zu beruhen hat.

Soweit die Verfahrensrüge (Z 2) das Vorkommen von Angaben der Josefa G***** gegenüber Ärzten releviert, übersieht sie, dass Erkundigungen oder Beweisaufnahmen nach § 91 Abs 2 StPO nur von der Kriminalpolizei, der Staatsanwaltschaft und dem Gericht vorgenommen werden können, womit Gespräche mit Privatpersonen weder von § 152 Abs 1 StPO noch von § 159 Abs 3 StPO erfasst sind und solcherart auch nicht in den Schutzbereich des § 281 Abs 1 Z 2 StPO fallen ( Kirchbacher , WK StPO § 151 Rz 3; Ratz , WK StPO § 281 Rz 183 bis 187).

Der weiteren Verfahrensrüge (Z 3) zuwider fällt der Aufnahmebericht der T***** GmbH (ON 19 S 5) nicht unter das Verlesungsverbot des § 252 StPO. Konkret ist dieser Bericht keinem der Verbotstatbestände des § 252 Abs 1 StPO zu unterstellen, weil es sich dabei soweit hier von Interesse weder um ein amtliches Schriftstück noch um ein Sachverständigengutachten handelt. Gegen das Umgehungsverbot des § 252 Abs 4 StPO verstößt die Verlesung des Aufnahmeberichts ebensowenig, weil er nicht den Inhalt eines amtlichen Schriftstücks über eine Aussage wiedergibt ( Kirchbacher , WK StPO § 252 Rz 108).

Soweit die Beschwerde die Verlesung des Berichts der T***** GmbH auch aus Z 4 des § 281 Abs 1 StPO rügt, geht sie schon deshalb ins Leere, weil sie sich insoweit nicht auf eine gegen einen Antrag des Beschwerdeführers getroffene Entscheidung des Schöffengerichts, sondern (bloß) auf eine prozessleitende Verfügung des Vorsitzenden (ON 81 S 15) bezieht ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 303).

Aus welchem Grund es unter dem Aspekt der Nichtigkeitsgründe unzulässig gewesen sein soll, die Fotos, welche die ermittelnden Polizeibeamten von den Verletzungen der Tatopfer angefertigt haben, in der Hauptverhandlung vorzuführen, legt die Beschwerde nicht dar.

In Bezug auf den Schuldspruch I/a war die Nichtigkeitsbeschwerde daher gemäß § 285d Abs 1 StPO ebenso wie die im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehene Schuldberufung der Staatsanwaltschaft (ON 83 S 1) schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

Mit ihren Berufungen wegen des Strafausspruchs waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf die Aufhebung dieses Ausspruchs, Ersterer zudem mit seiner gemäß § 498 Abs 3 dritter Satz StPO als erhoben zu betrachtenden Beschwerde auf die Aufhebung des Beschlusses auf Erteilung einer Weisung, zu verweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.