OGH vom 19.12.2018, 13Os87/18w (13Os88/18t)
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Sischka als Schriftführer in der Strafsache gegen Alois H***** wegen Verbrechen des Mordes nach § 15, 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Geschworenengericht vom , GZ 8 Hv 148/17d-74, und seine Beschwerde gegen den Beschluss des Vorsitzenden des Schwurgerichtshofs vom , GZ 8 Hv 148/17d-84, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Alois H***** aufgrund des Wahrspruchs der Geschworenen zweier Verbrechen des Mordes nach § 15, 75 StGB schuldig erkannt.
Danach hat er in U***** Tea Z***** zu töten versucht, nämlich
1) am , indem er ihr mit der Faust mehrere wuchtige Schläge gegen den Kopf versetzte, sie zu Boden brachte sowie ihr mit der einen Hand den Mund zuhielt und mit der anderen den Kehlkopf zusammendrückte, wobei es nur deshalb beim Versuch blieb, weil die Mutter des Angeklagten aufgrund des Bellens ihres Hundes auf den Vorfall aufmerksam wurde und Nachschau hielt, sowie
2) am , indem er ihr mehrere Messerstiche in den Brust und in den Bauchbereich versetzte, die im Urteil angeführte lebensgefährliche Verletzungen zur Folge hatten, wobei es lediglich aufgrund des Einschreitens der Ekaterine B***** beim Versuch blieb.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 4, 5 und 13 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
Überdies bekämpft dieser mit Beschwerde den Beschluss des Vorsitzenden des Schwurgerichtshofs vom (ON 84), mit dem im Ergebnis sein Antrag auf Protokollberichtigung abgewiesen, hingegen über „Antrag“ der Staatsanwaltschaft (die jedoch kein Rechtsmittel ergriffen hatte; vgl zum Kreis der Antragsberechtigten Danek, WKStPO § 271 Rz 47) sowie von Amts wegen die Hauptverhandlungsprotokolle vom (ON 71) sowie vom (ON 73) berichtigt wurden.
Eine Protokollberichtigung ist nur insoweit erforderlich, als entscheidungswesentliche Tatsachen betroffen sind und diesbezüglich fehlerhafte Protokollierung erweislich ist. Dabei ist allen Umständen oder Vorgängen Erheblichkeit zuzubilligen, die in irgendeiner Form für die Lösung der angesprochenen Schuldfrage, insbesondere für das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer entscheidenden Tatsache, von Bedeutung sein könnten (RISJustiz RS0120683 [T10]). Förmlichkeiten des Verfahrens, Verlesungen oder Beteiligtenanträge betreffende Umstände sind (nur) dann als erheblich anzusehen, wenn ihr Vorliegen oder Nichtvorliegen für die Geltendmachung einer Urteilsnichtigkeit oder eines Berufungsgrundes von Bedeutung sein kann (Danek, WKStPO § 271 Rz 45).
Sinngemäße Geltung des zweiten und dritten Satzes von § 270 Abs 3 StPO bedeutet nichts anderes, als dass jede von der StPO für zulässig erklärte Anfechtung eines gemäß § 271 Abs 7 zweiter Satz StPO gefassten Beschlusses diesen inhaltlich außer Kraft setzt. Über das in der Hauptverhandlung tatsächlich Vorgefallene entscheidet das jeweils zur Entscheidung über die Urteilsanfechtung berufene Rechtsmittelgericht (RISJustiz RS0126057).
Das Protokoll über die kontradiktorische Vernehmung der Zeugin Tea Z***** (ON 44) wurde nach dem insoweit ungerügten Hauptverhandlungsprotokoll gegen Ende der Hauptverhandlung vom einverständlich und solcherart gemäß § 252 Abs 1 Z 4 StPO zulässig verlesen (ON 73 S 18). Die bezugnehmend auf eine zeitlich davor liegende Vorführung der Ton- und Bildaufnahmen über diese Vernehmung (ON 72 S 38 ff) sowie die Verlesung des diesbezüglichen Protokolls (ON 73 S 3) eine „unzulässige Verlesung“ (§ 252 StPO) behauptende Verfahrensrüge (Z 4) geht daher ins Leere.
Das Beschwerdevorbringen, die „am Ende der Hauptverhandlung“ erteilte „Zustimmung zur einvernehmlichen Darstellung einzelner Aktenbestandteile“ habe sich „naturgemäß nur auf solche Aktenstücke bezogen, die im Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung noch nicht verlesen waren“, findet im Protokoll über die Hauptverhandlung (ON 73 S 18) keine Deckung.
Damit ist auch die Beschwerde insoweit erledigt, als sie behauptet, die zu Beginn der Hauptverhandlung am erfolgte Vorführung der Ton- und Bildaufnahmen über die in Rede stehende Vernehmung (ON 44) sei gemäß § 252 Abs 1 Z 2a StPO und nicht, wie im Hauptverhandlungsprotokoll vom dargestellt, gemäß § 252 Abs 1 Z 4 StPO erfolgt (ON 73 S 3). Denn auch im Fall der beantragten Berichtigung wäre die Nichtigkeitsbeschwerde erfolglos geblieben, sodass die angestrebte Protokolländerung ihren Zweck verfehlt (RISJustiz RS0126057 [T2]).
Weiters macht die Verfahrensrüge eine Verletzung des § 252 Abs 4 StPO geltend, weil der Vorsitzende des Schwurgerichtshofs entgegen § 322 StPO das nicht verlesene Protokoll über die Vernehmung der Zeugin Ekaterine B***** (ON 6 S 27 ff) nicht ausgesondert, sondern den Geschworenen überlassen habe.
Mit Beschluss vom (ON 84) ergänzte der Vorsitzende des Schwurgerichtshofs – soweit hier von Bedeutung – über „Antrag“ der Staatsanwaltschaft (ON 1 unjournalisiert) das Hauptverhandlungsprotokoll vom (ON 73) dahingehend, dass das (nicht verlesene) Protokoll über die Vernehmung der Ekaterine B***** (ON 6 S 27 bis 32) „aus dem Akt für die Dauer der Beratung der Geschworenen (sicherheitshalber) herausgenommen“ wurde (ON 73 S 18). Begründend führte er aus, auf Originalunterlagen aus dem Arbeitsbehelf zurückgegriffen zu haben (ON 84 S 4). Die Staatsanwaltschaft hatte darauf verwiesen, dass der Vorsitzende des Schwurgerichtshofs nach Erinnerung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft auf ausdrückliches Nachfragen des Letztgenannten erklärt habe, das in Frage stehende Protokoll für die Dauer der Beratung der Geschworenen aus dem Gerichtsakt zu nehmen (S 2 des Antrags unjournalisiert in ON 1).
In seiner diesbezüglichen Beschwerde bestreitet der Angeklagte nicht die inhaltliche Richtigkeit der in Rede stehenden Ergänzung, sondern wendet ein, der Vorsitzende des Schwurgerichtshofs habe seine Begründungspflicht verletzt und ihn nicht zu der in Aussicht genommenen Protokollberichtigung gehört (§ 271 Abs 7 vierter Satz StPO;Danek, WK-StPO § 271 Rz 49). Letzteres trifft zwar zu, wirkte sich aber nicht zum Nachteil des Beschwerdeführers aus, weil dieser Gelegenheit hatte, im vorliegenden Rechtsmittel (inhaltliche) Einwände vorzubringen (vgl 14 Os 177/08y). Mangels solcher Einwände und anderer gegen die in Rede stehende Berichtigung sprechende Verfahrensergebnisse hat der Oberste Gerichtshof – ohne dass weitere Aufklärung gemäß § 285f StPO erforderlich war – keine Zweifel, dass das Protokoll über die Vernehmung der Zeugin Ekaterine B***** (ON 6 S 27 ff) für die Dauer der Beratung der Geschworenen aus dem Akt entfernt wurde.
Der von der gegenteiligen Prämisse ausgehende Vorwurf einer Verletzung des Umgehungsverbots des § 252 Abs 4 StPO verfehlt daher sein Ziel.
In der Hauptverhandlung am (ON 73) beantragte der Beschwerdeführer die Ladung und Vernehmung der Tea Z***** als Zeugin zum Beweis dafür, dass es sich beim Vorfall vom um einen gegen ihre körperliche Integrität gerichteten Angriff von lediglich geringer Intensität gehandelt habe und dass die zuvor in einem Fahrzeug geführten Streitigkeiten über die bestehenden ehelichen Probleme unmittelbarer Auslöser und Anlass des Angriffs waren (ON 73 S 16). Zur Begründung seines Antrags verwies er auch darauf, dass der Vorfall vom zum Zeitpunkt der kontradiktorischen Vernehmung (ON 44) „nicht Inhalt und Gegenstand des Ermittlungsverfahrens“ war, sondern dieses „ausschließlich wegen des Vorwurfs bezüglich Faktum geführt wurde“ (ON 73 S 16 iVm ON 72 S 38).
Entgegen der weiteren Verfahrensrüge (Z 5) wurden durch die Abweisung dieses Antrags (ON 73 S 17) Verteidigungsrechte nicht verletzt. Denn Tea Z*****, der unabhängig vom Bestehen einer Aussagebefreiung gemäß § 156 Abs 1 Z 2 StPO schon als Ehefrau des Angeklagten (ON 44 S 2) ein Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 156 Abs 1 Z 1 StPO zukommt (anders die Entscheidungsgrundlage zu 15 Os 123/12w), hatte in der Hauptverhandlung durch ihren Privatbeteiligtenvertreter unmissverständlich erklärt, von diesem Recht Gebrauch zu machen (ON 73 S 17; RIS-Justiz RS0111315 [T8 und T 9]).
Der Kritik an der Begründung für die Abweisung des Antrags ist zu erwidern, dass die Richtigkeit einer solchen nicht unter Nichtigkeitssanktion steht (RIS-Justiz RS0121628).
Auch soweit sich die Verfahrensrüge gegen die Abweisung des Antrags wendet, die den Angriff vom betreffenden Angaben der Zeugin Tea Z***** bei der kontradiktorischen Vernehmung nicht in der Hauptverhandlung vorkommen zu lassen (ON 72 S 38 f), verfehlt sie ihr Ziel. Denn angesichts der bereits dargestellten, nach dem insoweit ungerügten Protokoll über die Hauptverhandlung zulässigen Verlesung des diesbezüglichen Vernehmungsprotokolls (ON 44) gemäß § 252 Abs 1 Z 4 StPO (ON 73 S 18) ist unzweifelhaft erkennbar, dass die behauptete Formverletzung – selbst wenn sie vorgelegen wäre – keinen für den Angeklagten nachteiligen Einfluss üben konnte (§ 281 Abs 3 StPO).
Der Sanktionsrüge (Z 13) zuwider stellt die erschwerende Wertung des Eintritts weiterer psychischer und physischer Folgen beim Opfer (US 5) keinen Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot (Z 13 zweiter Fall) dar, weil dieser Umstand entgegen der Beschwerdebehauptung nicht die Strafdrohung bestimmt.
Der Einwand, die genannten Folgen seien nicht „Teil des in der Fragestellung zum Ausdruck kommenden Sachverhalts“, geht daran vorbei, dass die die Sanktionsfindung betreffenden Tatsachen – mit Ausnahme der hier nicht relevanten, in § 314 Abs 1 erster und zweiter Satz StPO angesprochenen Ausnahmen – nicht Gegenstand der Fragestellung sind (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 20).
Soweit sich die Beschwerde gegen die Ergänzung des Hauptverhandlungsprotokolls vom (ON 73) wendet, wonach „seitens des öffentlichen Anklägers kein Antrag auf Verlesung dieser Einvernahmen gestellt wird“, räumt sie selbst ein, dass es sich dabei nicht um einen erheblichen Umstand oder Vorgang im Protokoll der Hauptverhandlung im Sinn des § 271 Abs 7 iVm § 270 Abs 3 StPO handelt.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 344, 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Berufung kommt demgemäß dem Oberlandesgericht zu (§§ 344, 285i StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2018:0130OS00087.18W.1219.000 |
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