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OGH vom 06.09.2016, 13Os86/16w

OGH vom 06.09.2016, 13Os86/16w

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Jülg als Schriftführer in der Strafsache gegen Christian T***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1, Abs 2 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom , GZ 16 Hv 128/15v 155, sowie über dessen Beschwerde gegen den zugleich gefassten Beschluss auf Widerruf bedingter Entlassung nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Christian T***** der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1, Abs 3 erster Fall StGB (I 1) und nach § 207 Abs 1 StGB (I 2 und 3), der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 (teils iVm § 15) StGB (III 1 bis 3) und nach § 202 Abs 1, Abs 2 erster Fall StGB (III 4) sowie der Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 1 StGB (IV 1, 2, 4 und 5) und nach § 201 Abs 1, Abs 2 erster Fall (teils iVm § 15) StGB (IV 3, 6 und 7), ferner der Vergehen der sexuellen Belästigung und öffentlichen geschlechtlichen Handlungen nach § 218 Abs 1 Z 1 StGB (II 1 und 3) und nach § 218 Abs 1 Z 2 StGB (II 2 und 4) sowie der pornographischen Darstellungen Minderjähriger nach § 207a Abs 3 (zu ergänzen:) zweiter Satz StGB (V) schuldig erkannt.

Danach hat er – soweit für die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung – (US 7 bis 17:) in Graz

(I) außer dem Fall des § 206 StGB eine geschlechtliche Handlung an einer unmündigen Person vorgenommen, und zwar

[...]

(2) am an der am geborenen Laura A*****, indem er ihr die Bekleidung vom Oberkörper riss und ihre entblößte Brust grob erfasste und drückte;

(3) am an der am geborenen Kimberley Q*****, indem er in ihren bekleideten Genitalbereich griff und seine Hand dort hin und her bewegte;

(II) eine Person durch eine geschlechtliche Handlung [...] vor ihr unter Umständen, unter denen dies geeignet ist, berechtigtes Ärgernis zu erregen, belästigt, und zwar

[…]

(4) am sechs (im angefochtenen Urteil namentlich genannte) Frauen und Mädchen, indem er in einem vollbesetzten Linienbus für diese Fahrgäste sichtbar Masturbationsbewegungen an seinem entblößten Penis durchführte;

(III) außer den Fällen des § 201 StGB eine Person mit Gewalt zur Duldung einer geschlechtlichen Handlung genötigt, und zwar

[…]

(4) am Tamara S*****, indem er sie gegen eine Tür drängte, ihre Strumpfhosen zerriss und mit einer Hand in ihren bekleideten Genitalbereich fasste, wobei die Tat eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) der Genannten, nämlich eine vierundzwanzig Tage übersteigende Gesundheitsschädigung (US 12) in Gestalt einer Anpassungsstörung, zur Folge hatte;

(IV) eine Person zur Duldung des Beischlafs oder einer diesem gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung […] zu nötigen versucht, und zwar

(1) am Mag. Elisabeth W***** mit Gewalt, indem er sie zu Boden drückte und ihre Hosen bis zu ihren Knien hinunterzog, wobei es infolge Gegenwehr des Opfers und Einschreitens diesem zur Hilfe kommender Passanten beim Versuch blieb;

[…]

(3) am Mareike P***** mit Gewalt und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB), indem er sie zu Boden stieß und mit den Worten „Sei ruhig! Wennst' schreist bring ich dich um!“ versuchte, ihr die Hosen herunterzureißen, wobei es infolge Gegenwehr des Opfers beim Versuch blieb und die Tat eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) der Genannten, nämlich eine vierundzwanzig Tage übersteigende Gesundheitsschädigung (US 14) in Gestalt einer posttraumatischen Belastungsstörung, zur Folge hatte;

[…].

Ausdrücklich nur gegen diese Schuldsprüche wendet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a und 9 lit b StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem Einwand der Mängelrüge (Z 5), die Feststellung der Täterschaft des – insoweit leugnenden – Angeklagten in Betreff der Taten laut Schuldspruch I 3, III 4, IV 1 und IV 3 sei „floskelhaft“ begründet und daher „willkürlich“ (Z 5 vierter Fall), verstößt ihre Ableitung aus der Charakteristik des modus operandi und der Nähe des jeweiligen Tatorts zum seinerzeitigen Wohnsitz des Beschwerdeführers (US 18 und 20) weder gegen Gesetze der Logik noch gegen grundlegende Erfahrungswerte.

Auch der von den Tatrichtern gezogene Schluss vom gezeigten Verhalten auf das diesem zugrunde liegende Wissen und Wollen des Angeklagten ist – dem gegen die Schuldsprüche III 4, IV 1 und IV 3 gerichteten Vorwurf der „Scheinbegründung“ (Z 5 vierter Fall) zuwider – unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden (RIS Justiz RS0116882, RS0098671).

Das Ergebnis einer „Auswertung des Handys des Angeklagten“, wonach „der Angeklagte am Vorfallstag um 7:31 Uhr bis 07:38 Uhr mittels SMS mit seinen ehelichen Kindern kommuniziert“ habe ([richtig:] ON 88 S 77 ff), steht weder der Annahme, er habe – „gegen 7:20 Uhr“ desselben Tages (US 9) – die vom Schuldspruch II 4 erfasste Tat verübt, erörterungsbedürftig (Z 5 zweiter Fall) entgegen, noch weckt es beim Obersten Gerichtshof erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit dem Ausspruch über die Schuld zugrunde liegender entscheidender Tatsachen (Z 5a).

Letzteres gilt auch für die von der weiteren Tatsachenrüge (Z 5a) – teils überdies ohne Benennung von Fundstellen in den umfangreichen Akten (siehe aber RIS Justiz RS0124172 [T3]) – hervorgehobenen Aussagen der von den Taten laut Schuldspruch I 3, III 4, IV 1 und IV 3 betroffenen Opfer, den Angeklagten nicht (mit Gewissheit) als Täter identifizieren zu können. Soweit er (teils nominell aus Z 5) anhand dieser – in den Urteilsgründen berücksichtigten (US 18, 20) – Verfahrensergebnisse von jenen des Schöffengerichts abweichende, ihm günstigere Schlussfolgerungen einfordert, bekämpft er bloß dessen Beweiswürdigung nach Art einer (im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld.

Die gegen den Schuldspruch I 2 gerichtete Rechtsrüge (nominell Z 9 lit b, inhaltlich Z 9 lit a) sagt weder deutlich und bestimmt, welche Feststellungen sie vermisst (siehe aber RIS Justiz RS0118342), noch macht sie aus dem Gesetz abgeleitet klar, weshalb „das Ergreifen einer noch unentwickelten Brust“ „erst dann tatbildlich“ nach § 207 Abs 1 StGB sein sollte, „wenn bereits die Pubertät der Betroffenen begonnen hat“, und „ansonsten“ „von einem untauglichen Versuch auszugehen“ sei (siehe aber RIS Justiz RS0116565).

Hinzugefügt sei, dass – auf Grundlage der Urteilskonstatierungen (US 8) – selbst im Fall der Nichtannahme eines zur Tatzeit bereits eingetretenen Pubertätsbeginns beim damals elfjährigen Tatopfer Deliktsbegehung durch (bloß relativ untauglichen, demnach strafbaren) Versuch anzunehmen wäre (grundlegend 12 Os 32/11i, EvBl 2011/101, 681; RIS Justiz RS0090077). Der vom Beschwerdeführer angesprochene Umstand ist daher nicht subsumtionsrelevant (RIS Justiz RS0122138).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen.

Bleibt anzumerken, dass die vom Schuldspruch IV 1 erfasste Tat zu Unrecht nicht – wie nach dem gemäß § 61 StGB anzustellenden Günstigkeitsvergleich aber vorliegend geboten – § 201 Abs 1 StGB idF BGBl I 2004/15, sondern der (mit BGBl I 2013/116 am in Kraft getretenen) geltenden Fassung dieser Bestimmung unterstellt wurde. Angesichts der zutreffend auf der Basis des ersten Strafsatzes des § 201 Abs 2 StGB (in Anwendung des § 28 StGB) erfolgten Strafrahmenbildung sowie des Umstands, dass die fehlerhafte Subsumtion (Z 10) den vom Erstgericht angenommenen Erschwerungsgrund der „besonders großen Anzahl an Vergehen und Verbrechen“ nicht tangiert, blieb sie jedoch für den Angeklagten ohne Nachteil im Sinn des § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO. Eines amtswegigen Vorgehens des Obersten Gerichtshofs bedarf es daher nicht ( Ratz , WK-StPO § 290 Rz 22 f).

Die Entscheidung über die Berufung und die (gemäß § 498 Abs 3 dritter Satz StPO implizierte) Beschwerde gegen den – verfehlt in Urteilsform ergangenen – Beschluss auf Widerruf einer bedingten Entlassung kommt dem Oberlandesgericht zu (§§ 285i, 498 Abs 3 letzter Satz StPO). Dabei ist dieses an den aufgezeigten Subsumtionsfehler nicht gebunden (13 Os 7/04, SSt 2004/24; RIS Justiz RS0118870).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2016:0130OS00086.16W.0906.000