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OGH vom 17.02.2006, 10ObS99/05i

OGH vom 17.02.2006, 10ObS99/05i

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Wolfgang Höfle (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Vera Moczarski (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Radmilla R*****, ohne Beschäftigung, YU-*****, vertreten durch Mag. Clemens Canigiani, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Rs 57/05m-125, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom , GZ 7 Cgs 90/01b-117, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am geborene Klägerin, die keinen Beruf erlernt hat, war in der Zeit von März 1972 bis April 1974 in Österreich als Hilfsarbeiterin in einer Konservenfabrik beschäftigt. In den letzten fünfzehn Jahren vor dem Stichtag () war sie in ihrem Heimatstaat Jugoslawien als assoziierte Landwirtin tätig und erwarb 179 Versicherungsmonate.

Mit Bescheid vom lehnte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt den Antrag der Klägerin vom auf Zuerkennung der Invaliditätspension mangels Invalidität ab. Das Erstgericht wies auch im zweiten Rechtsgang die dagegen erhobene Klage ab. Die Klägerin genieße keinen Berufsschutz iSd § 255 Abs 1 oder 2 ASVG, weil sie keinen erlernten oder angelernten Beruf ausgeübt habe. Auch ein Tätigkeitsschutz nach § 255 Abs 4 ASVG komme nicht in Betracht, weil sie im Beobachtungszeitraum nicht 120 Beitragsmonate in einem Arbeiterberuf erworben habe. Da für die Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch verschiedene Verweisungsberufe vorhanden seien, sei sie nicht invalid. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin keine Folge. Berufsschutz nach § 255 Abs 2 ASVG könne nur durch eine unselbständige Erwerbstätigkeit erlangt werden. Der früheste Stichtag für eine Invaliditätspension nach § 255 Abs 4 ASVG sei für die am geborene Klägerin der gewesen. Voraussetzung für einen Pensionsanspruch nach § 255 Abs 4 ASVG sei neben der Vollendung des 57. Lebensjahres, dass die Versicherte aufgrund ihres körperlichen oder geistigen Zustandes außer Stande sei, einer Tätigkeit, die sie in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag mindestens 120 Kalendermonate hindurch ausgeübt habe, nachzugehen. Diese zeitliche Voraussetzung der Ausübung einer bestimmten Tätigkeit treffe auf die Tätigkeit der Klägerin als assoziierte Landwirtin in Jugoslawien zu. Der Oberste Gerichtshof habe zwar in seiner Entscheidung 10 ObS 4/05v ausgeführt, dass bei Anwendung des § 255 Abs 4 ASVG im Hinblick auf das durch die zunehmende Flexibilisierung der Arbeitswelt verstärkt bestehende Erfordernis eines Wechsels zwischen verschiedenen Beschäftigungsformen auch Zeiten einer selbständigen Erwerbstätigkeit nach dem GSVG bei der Prüfung der Frage, ob eine Tätigkeit 120 Kalendermonate hindurch ausgeübt worden sei, zu berücksichtigen seien. Anders als in dem der Entscheidung 10 ObS 4/05v zugrundeliegenden Fall lägen bei der Klägerin im relevanten Zeitraum jedoch überhaupt keine Beitragsmonate aus einer unselbständigen Beschäftigung vor. Es sei daher auch zu keinem bloßen Wechsel der Rechtsform einer ansonsten gleichbleibenden Beschäftigung gekommen. Die Klägerin wäre, hätte sie den Beruf der Landwirtin in Österreich ausgeübt, im Zeitraum der letzten fünfzehn Jahre nicht der Versicherungspflicht nach dem ASVG, sondern jener nach dem BSVG unterlegen. Eine Ausdehnung des Tätigkeitsschutzes nach § 255 Abs 4 ASVG auf selbständige Erwerbstätigkeiten habe nach Ansicht des Berufungsgerichtes dann nicht zu erfolgen, wenn im Beobachtungszeitraum überhaupt keine im Inland nach dem ASVG versicherungspflichtige unselbständige Beschäftigung vorgelegen sei und sich die Leistungszuständigkeit der Pensionsversicherungsanstalt nur aus der Anwendbarkeit internationaler Sozialversicherungsabkommen ergebe. Daraus folge, dass die notwendigen 120 Kalendermonate der Ausübung der „einen Tätigkeit" auch wenigstens einen Pflichtversicherungsmonat unselbständiger Beschäftigung umfassen müsse. Da die Klägerin diese Voraussetzung für eine Invaliditätspension nach § 255 Abs 4 ASVG jedenfalls nicht erfülle, könne die Frage, inwiefern nach dem konkreten Regelungsinhalt der zwischen Österreich und Jugoslawien innerhalb des Zeitraumes der letzten fünfzehn Jahre vor dem Stichtag anwendbaren Sozialversicherungsabkommen die im anderen Vertragsstaat zurückgelegten Versicherungszeiten für die Beurteilung des Tätigkeitsschutzes zu berücksichtigen seien, dahingestellt bleiben. Da die Klägerin noch Verweisungstätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten könne, sei sie auch nicht invalide iSd § 255 Abs 3 ASVG.

Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil die Anrechenbarkeit selbständiger Erwerbstätigkeiten auf die nach § 255 Abs 4 ASVG erforderlichen 120 Kalendermonate der Ausübung einer Tätigkeit eine über den Einzelfall hinaus bedeutsame Rechtsfrage betreffe und die Entscheidung im gegenständlichen Fall nicht unmittelbar aus den Grundsätzen der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgeleitet werden könne. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

Die Revisionswerberin macht geltend, dass ihre Versicherungszeiten als assoziierte Landwirtin nach dem anwendbaren Sozialversicherungsabkommen wie inländische Versicherungszeiten zu werten seien. Es wäre aber unbillig, die Frage des Tätigkeitsschutzes nach § 255 Abs 4 ASVG davon abhängig zu machen, dass im maßgebenden Beobachtungszeitraum wenigstens ein Versicherungsmonat nach dem ASVG erworben worden sei, zumal die Klägerin vor dem Beobachtungszeitraum Beitragszeiten nach dem ASVG erworben habe. Da sie aufgrund ihres eingeschränkten medizinischen Leistungskalküls nicht mehr in der Lage sei, ihrer durch längere Zeit hindurch ausgeübten Tätigkeit als assoziierte Landwirtin nachzugehen, erfülle sie die Voraussetzung für eine Invaliditätspension nach § 255 Abs 4 ASVG.

Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden.

Das zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Jugoslawien geschlossene Abkommen über soziale Sicherheit vom ist nach Ratifizierung am in Kraft getreten und im Bundesgesetzblatt am kundgemacht worden (BGBl III 2002/100). Die Bestimmungen dieses Abkommens, die sich auf den Erwerb und die Gewährung von Leistungen aus der sozialen Sicherheit beziehen, sind ab dem auf Personen anzuwenden, auf die das zwischen den beiden Vertragsstaaten vor diesem Zeitpunkt in Geltung gestandene Abkommen über soziale Sicherheit anzuwenden war (Art 37 Abs 3 des Abkommens). Art 19 des Abkommens enthält Regelungen über die Zusammenrechnung der Versicherungszeiten. Hängt nach den Rechtsvorschriften eines Vertragsstaates der Erwerb, die Aufrechterhaltung oder das Wiederaufleben eines Leistungsanspruches von der Zurücklegung von Versicherungszeiten ab, so hat der zuständige Träger dieses Vertragsstaates, soweit erforderlich, die nach den Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaates zurückgelegten Versicherungszeiten zu berücksichtigen, als wären es nach den von ihm anzuwendenden Rechtsvorschriften zurückgelegte Versicherungszeiten, soweit sie nicht auf dieselbe Zeit entfallen (Art 19 Abs 1 des Abkommens). Damit ist nicht bloß die Anrechnung von Versicherungszeiten im anderen Staat (zB für die Erfüllung der Wartezeit) sondern auch die Gleichstellung von im anderen Vertragsstaat zurückgelegten Versicherungszeiten mit im Inland zurückgelegten Versicherungszeiten angeordnet, sodass davon auszugehen ist, dass in Serbien erworbene Beitragszeiten auch hinsichtlich der beruflichen Qualifikation für die Frage des Berufsschutzes so zu beurteilen sind wie die in Österreich zurückgelegten Versicherungszeiten (SSV-NF 17/112 mwN). Die Richtigkeit der Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass die Klägerin keinen Berufsschutz nach § 255 Abs 1 und 2 ASVG genießt (vgl auch SSV-NF 17/112) und auch keine Invalidität iSd § 255 Abs 3 ASVG vorliegt, weil die Klägerin noch verschiedene Verweisungstätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten kann, wird von der Revisionswerberin zu Recht nicht in Zweifel gezogen. Strittig ist nur die Frage, ob der Klägerin ein Tätigkeitsschutz nach § 255 Abs 4 ASVG zum Stichtag (der Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz erfolgte am ) zusteht, weil sie in den letzten 180 Kalendermonaten vor diesem Stichtag eine selbständige Tätigkeit als assoziierte Landwirtin in Jugoslawien mindestens 120 Kalendermonate hindurch ausgeübt hat. Nach der bereits vom Berufungsgericht zutreffend zitierten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes sind bei Anwendung des § 255 Abs 4 ASVG auch Zeiten einer selbständigen Erwerbstätigkeit nach dem GSVG bei der Prüfung der Frage, ob eine Tätigkeit 120 Monate hindurch ausgeübt wurde, zu berücksichtigen (10 ObS 4/05v; jüngst auch 10 ObS 54/05x). Auf die ausführliche Begründung dieser Entscheidung wird verwiesen. Dieser Grundsatz hat in gleicher Weise auch für Zeiten einer selbständigen Erwerbstätigkeit als Landwirt zu gelten, für die in Österreich eine Pflichtversicherung nach dem BSVG besteht. In den den beiden Entscheidungen 10 ObS 4/05v und 10 ObS 54/05x zugrundeliegenden Fällen hatte der Versicherte im maßgebenden Beobachtungszeitraum jeweils sowohl Versicherungszeiten aufgrund unselbständiger Erwerbstätigkeit nach dem ASVG als auch aufgrund selbständiger Erwerbstätigkeit nach dem GSVG erworben. Die Klägerin im gegenständlichen Fall hat hingegen im maßgebenden Beobachtungszeitraum ausschließlich Versicherungszeiten als selbständige (assoziierte) Landwirtin in Jugoslawien erworben, welche nach dem bereits erwähnten Art. 19 Abk SozSi Jugoslawien auch für die Frage des Tätigkeitsschutzes nach § 255 Abs 4 ASVG so zu beurteilen sind wie in Österreich zurückgelegte Versicherungszeiten aufgrund selbständiger Erwerbstätigkeit.

Der Gesetzgeber hat erst jüngst mit dem Sozialversicherungs-Änderungsgesetz (SVÄG 2005), BGBl I 2005/132, auch eine Berücksichtigung unselbständiger Erwerbstätigkeiten beim Tätigkeitsschutz im Rahmen der Erwerbsunfähigkeit vorgesehen (§ 133 Abs 3a GSVG;§ 124 Abs 2a BSVG). Danach ist auf das Erfordernis der Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit nach § 133 Abs 3 erster Satz GSVG bzw § 124 Abs 2 erster Satz BSVG eine gleichartige unselbständige Erwerbstätigkeit in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag im Ausmaß von höchstens 60 Kalendermonaten anzurechnen. Damit soll nach den Gesetzesmaterialien (EB zur RV 1111 BlgNR XXII. GP 14) im Hinblick auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom , 10 ObS 4/05v, auch bei Selbständigen die Anrechnung von Zeiten der unselbständigen Erwerbstätigkeit im Rahmenzeitraum ermöglicht werden, wobei zur Anknüpfung an die Selbständigkeit verlangt wird, dass in der Hälfte der erforderlichen Zeit - dh durch 60 Monate - eine selbständige Berufsausübung vorliegt. Diese Bestimmung ist nach Ansicht des erkennenden Senates auch deshalb erforderlich, weil nach ständiger Rechtsprechung der zuständige Pensionsversicherungsträger bei der Feststellung von Leistungsansprüchen nur eigenes Recht anzuwenden hat und bei Zuständigkeit der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft bzw der Sozialversicherungsanstalt der Bauern daher nur der Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit nach § 133 GSVG bzw § 124 BSVG, nicht aber ein Versicherungsfall nach dem ASVG (Invalidität oder Berufsunfähigkeit) in Frage kommt (SSV-NF 15/83 mwN). Auch der Umstand, dass bei der Prüfung einer Erwerbsunfähigkeit nach § 133 Abs 3 GSVG bzw § 124 Abs 2 BSVG die Möglichkeit einer zumutbaren Änderung der sachlichen und personellen Ausstattung des Betriebes des Versicherten zu berücksichtigen ist, hat zur Konsequenz, dass für die als Voraussetzung für eine Anwendung des Erwerbsunfähigkeitsbegriffes nach § 133 Abs 3 GSVG bzw § 124 Abs 2 BSVG geforderten Zeiten der Berufsausübung (auch) Zeiten einer selbständigen Erwerbstätigkeit vorliegen müssen, die die Pflichtversicherung im zuständigen System (GSVG, BSVG) begründet haben.

Der erkennende Senat teilt daher unter Berücksichtigung dieser Erwägungen und des aus der geschilderten Gesetzesänderung erkennbaren Willens des Gesetzgebers die Auffassung des Berufungsgerichtes, dass ein Tätigkeitsschutz nach § 255 Abs 4 ASVG nur dann in Betracht kommt, wenn im maßgebenden Beobachtungszeitraum der letzten 180 Kalendermonate vor dem Stichtag auch Zeiten einer unselbständigen Beschäftigung nach dem ASVG vorliegen. Diese Voraussetzung erweist sich auch deshalb als unbabdingbar, da nach § 255 Abs 4 zweiter Satz ASVG zumutbare Änderungen „dieser" Tätigkeit zu berücksichtigen sind und dafür im Sinne der dargelegten Ausführungen nur eine nach dem ASVG versicherungspflichtige Erwerbstätigkeit maßgebend ist. Es kann dabei im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, ob es in analoger Anwendung der Regelung zum Tätigkeitsschutz im Rahmen der Erwerbsunfähigkeit (§ 133 Abs 3a GSVG,§ 124 Abs 2a BSVG) auch für die Anknüpfung an die Unselbständigkeit erforderlich ist, dass in der Hälfte der erforderlichen Zeit - dh durch 60 Monate - eine unselbständige Berufsausübung vorliegt oder ob im Sinne der Ausführungen des Berufungsgerichtes das Vorliegen von (wenigstens) einem Monat der Pflichtversicherung nach dem ASVG bereits ausreicht. Da bei der Klägerin im maßgebenden Beobachtungszeitraum der letzten 180 Kalendermonate vor dem Stichtag unbestritten ausschließlich Zeiten einer selbständigen Erwerbstätigkeit vorliegen, kommt aufgrund der dargelegten Erwägungen ein Tätigkeitsschutz nach § 255 Abs 4 ASVG nicht in Betracht. Es musste daher der Revision ein Erfolg versagt bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.