OGH vom 14.09.2004, 10ObS99/04p
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch als weitere Richter (Senat nach § 11a ASGG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Arkadiusz A*****, Pensionist, *****, vertreten durch Dr. Alexander Wöß, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert-Stifter-Straße 65, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 11 Rs 16/04h-24, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 7 Cgs 100/02k-21, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Das Revisionsverfahren wird gemäß § 74 Abs 1 ASGG unterbrochen, bis über die strittige Vorfrage der Versicherungspflicht des Klägers als Hauptfrage im Verfahren in Verwaltungssachen rechtskräftig entschieden worden ist, dies einschließlich eines allenfalls anhängig gewordenen Verwaltungsgerichtshofverfahrens.
Bei der Burgenländischen Gebietskrankenkasse wird die Einleitung des Verfahrens in Verwaltungssachen angeregt.
Nach rechtskräftiger Entscheidung über die Vorfrage ist das Revisionsverfahren von Amtswegen wieder aufzunehmen.
Text
Begründung:
Der aus Polen stammende Kläger kam im Sommer 1988 als Flüchtling nach Österreich, wo er um politisches Asyl ansuchte. Er wurde von der Schaustellerin Hedwig H*****, die gemeinsam mit ihrem Gatten Werner H***** als Schausteller mit Autodrom, Schaukeln und dergleichen auf verschiedenen Jahrmärkten tätig war, angesprochen, ob er als Helfer bei ihnen arbeiten wolle. Der Kläger sagte den Ehegatten H***** zu und begann mit Anfang April 1988 mit seiner Tätigkeit. Seine Tätigkeit umfasste den Auf- und Abbau des Karussells, der Schaukel und des Autodroms. Weiters hatte der Kläger beim Betrieb für Ordnung zu sorgen und war auch für das Saubermachen zuständig. Eine konkrete Arbeitszeit war mit dem Kläger nicht vereinbart; der Kläger hatte rund um die Uhr für seinen Chef (Werner H*****) dazusein. Wenn keine der erwähnten Arbeiten zu verrichten war, trug Werner H***** dem Kläger und seinen übrigen Mitarbeitern die Verrichtung anderer Arbeiten wie beispielsweise Autowaschen auf. Am kam der Kläger mit einem Motocrossmotorrad des Werner H***** in einer Schottergrube in Nickelsdorf zu Sturz. Der Kläger erlitt bei diesem Unfall eine Querschnittlähmung ab der Höhe des 10. Brustwirbelkörpers mit Blasen- und Mastdarmlähmung. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit beträgt seit 100 vH.
Die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt lehnte mit Bescheid vom den Anspruch des Klägers auf Entschädigung aus Anlass dieses Unfalls ab, weil der Kläger zum Unfallszeitpunkt nicht zur Pflichtversicherung gemeldet gewesen sei und die zum Unfall führende Fahrt mit dem Motocrossmotorrad ausschließlich privaten Zwecken gedient habe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerechte Klage mit dem Begehren auf Zahlung einer Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß ab Antragstellung. Der Unfall habe sich während eines bestehenden Dienstverhältnisses ereignet, da der Kläger während seiner Arbeitszeit im Auftrag seines Dienstgebers mit der Motocrossmaschine gefahren sei.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Ein Dienstverhältnis des Klägers zum Schausteller Werner H***** habe zum Unfallszeitpunkt nicht bestanden. Das Motorrad sei vom Kläger und zwei weiteren Schaustellergehilfen ohne Einwilligung des Eigentümers in Betrieb genommen worden. Das Fahren mit dem Motorrad habe ausschließlich privaten Zwecken gedient.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren dahin statt, dass es dem Kläger ab eine Versehrtenrente im Ausmaß von 100 vH der Vollrente samt Zusatzrente als Dauerrente zuerkannte. Es ging bei seiner Entscheidung über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinaus im Wesentlichen noch davon aus, dass der Kläger im Rahmen eines Dienstverhältnisses mit einem vereinbarten Wochenlohn von S 2.000 für Werner H***** tätig gewesen sei. Da Werner H***** ein sehr strenger und "militanter" Mensch sei, habe der Kläger um seine Arbeit Angst gehabt und sei daher allen Aufträgen seines Chefs nachgekommen. Der Kläger habe am Unfallstag gerade die Autos des Autodroms gereinigt, als Werner H***** erklärt habe, er habe ein Motorrad gekauft, und er allen Mitarbeitern befohlen habe, gemeinsam mit ihm zur Schottergrube zu fahren, um das Motorrad zu testen. Nach der Fahrt mit dem Motorrad hätte der Kläger seine Arbeit wieder fortsetzen sollen. Der Kläger, der ein ungutes Gefühl gehabt habe, sei in der Folge als Letzter mit dem Motorrad gefahren und dabei zu Sturz gekommen.
Rechtlich vertrat das Erstgericht die Ansicht, der Kläger sei im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses bei Werner H***** beschäftigt gewesen. Der Umstand, dass Werner H***** den Kläger nicht zur Sozialversicherung angemeldet habe, schließe das Vorliegen eines Arbeitsunfalles nicht aus. Das Verhalten des Werner H***** und die für seine Mitarbeiter dadurch entstandene Drucksituation habe auch das Geschehen vom zur Betriebstätigkeit im weitesten Sinn gemacht, weil er infolge der Abhängigkeit seiner Mitarbeiter diesen keinen Entscheidungsspielraum gelassen habe. Seine Mitarbeiter hätten sich seinem Willen beugen müssen. Da damit der ursächliche Zusammenhang zwischen dem Unfallgeschehen und dem Arbeitsverhältnis gegeben sei, sei der Unfall vom als Arbeitsunfall zu qualifizieren.
Das Berufungsgericht wies in Stattgebung der Berufung der beklagten Partei das Klagebegehren ab. Nach seiner Rechtsansicht stehe das von Werner H***** angeordnete Fahren mit dem Motorrad derart außerhalb der zum Arbeitsverhältnis gehörenden Tätigkeiten, dass es objektiv nicht mehr als Teil der Erwerbstätigkeit des Klägers angesehen werden könne. Auch der Kläger habe angesichts der von ihm sonst zu verrichtenden Tätigkeiten keinesfalls berechtigterweise annehmen dürfen, noch im Rahmen seines Dienstverhältnisses zu handeln. Der für den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz erforderliche ursächliche Zusammenhang zwischen Unfall und versicherter Tätigkeit sei daher zu verneinen, wenn sich der Unfall des sich unter massivem Druck des Dienstgebers fühlenden Dienstnehmers bei einer ihm zwar aufgetragenen, jedoch gänzlich betriebsfremden Tätigkeit ereignet habe. Da das Vorliegen eines Arbeitsunfalles schon aufgrund dieser rechtlichen Erwägungen zu verneinen sei, erübrige sich ein Eingehen auf die weiteren Berufungsausführungen.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nach § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig sei.
Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen bzw ihr keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht nicht beachtet hat, dass ein Unterbrechungsgrund nach § 74 Abs 1 ASGG vorliegt. Über die Revision kann derzeit nicht entschieden werden.
Der Revisionswerber macht in seinen Rechtsmittelausführungen geltend, nach § 175 Abs 1 ASVG bestehe ein Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung unter anderem auch bei der Erledigung von Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis und bei Handlungsweisen, die der Arbeitgeber aufgrund seiner Weisungsbefugnis anordnen könne. Dazu gehörten auch solche Verrichtungen, zu denen kein Weisungsrecht bestehe, die der Arbeitnehmer aufgrund seiner persönlicher Abhängigkeit aber nicht ablehnen könne. Der Kläger habe die zum Unfall führende Tätigkeit während der Arbeitszeit und lediglich über Anweisung seines Arbeitgebers verrichtet, weshalb ein Unfallversicherungsschutz nach § 175 Abs 1 ASVG bestehe. Im Übrigen habe das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung nicht auf den nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes auch bei einer "betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung" bestehenden Unfallversicherungsschutz Bedacht genommen.
Der erkennende Senat hat dazu folgendes erwogen:
Arbeitsunfälle sind nach § 175 Abs 1 ASVG Unfälle, die sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung ereignen.
Im vorliegenden Fall ist strittig, ob der Kläger bei seiner Tätigkeit am Unfallstag überhaupt der Pflichtversicherung nach dem ASVG unterlegen ist. Während der Kläger geltend macht, er sei zur Unfallszeit im Rahmen eines die Pflichtversicherung nach dem ASVG begründenden Dienstverhältnisses tätig gewesen, geht die beklagte Partei demgegenüber davon aus, dass ein solches Dienstverhältnis nicht bestanden habe und der Kläger daher auch nicht der Pflichtversicherung nach dem ASVG unterlegen sei.
Ist nun in einer Rechtsstreitigkeit über den Bestand oder den Umfang eines Anspruchs auf Versicherungsleistungen die Versicherungspflicht, die Versicherungsberechtigung, der Beginn oder das Ende der Versicherung, die maßgebende Beitragsgrundlage oder die Angehörigeneigenschaft als Vorfrage strittig, so ist nach § 74 Abs 1 ASGG das Verfahren zu unterbrechen, bis über diese Vorfrage als Hauptfrage im Verfahren in Verwaltungssachen rechtskräftig entschieden worden ist, dies einschließlich eines allenfalls anhängig gewordenen Verwaltungsgerichtshofverfahrens. Voraussetzung einer solchen Unterbrechung ist, dass die Entscheidung über die Klage ganz oder zum Teil von der Beurteilung einer solchen Vorfrage abhängt und dass die betreffende Vorfrage zwischen den Prozessparteien strittig ist (SSV-NF 13/80, 13/96, 12/57, 8/32, 7/42 ua; RIS-Justiz RS0036839). Die Vorinstanzen haben nicht beachtet, dass es im vorliegenden Verfahren zunächst um die Frage geht, ob der Kläger am Unfallstag überhaupt der Pflichtversicherung nach dem ASVG unterlag, und die Feststellung der Versicherungspflicht, der Versicherungsberechtigung oder des Beginnes oder des Endes der Versicherung nach der ausdrücklichen Anordnung des § 355 Z 1 ASVG zu den Verwaltungssachen gehört, über die der zuständige Versicherungsträger (§ 409 ASVG) mit Bescheid zu entscheiden hat. Ist im Zeitpunkt der Unterbrechung des Verfahrens noch kein Verfahren in Verwaltungssachen anhängig, so hat das Gericht die Einleitung des Verfahrens beim Versicherungsträger anzuregen (§ 74 Abs 1 Satz 2 ASGG). Eine solche Unterbrechung ist auch vom Rechtsmittelgericht anzuordnen (SSV-NF 13/96 mwN ua).
Da es also im vorliegenden Verfahren zunächst um die Frage geht, ob der Kläger am Unfallstag überhaupt der Unfallversicherung nach dem ASVG unterlag, somit zum versicherten Personenkreis gehört, und da diese Vorfrage strittig ist, ist das im Revisionsstadium befindliche Verfahren nach § 74 Abs 1 ASGG zu unterbrechen, bis über diese Vorfrage als Hauptfrage im Verfahren in Verwaltungssachen entschieden worden ist. Die Versicherungsträger sind im Rahmen ihrer örtlichen und sachlichen Zuständigkeit zur Behandlung der Verwaltungssachen berufen. Zur Behandlung der Verwaltungssachen, welche die Versicherungspflicht sowie den Beginn und das Ende der Versicherung von Vollversicherten, von in der Kranken- und Unfallversicherung Teilversicherten (§ 7 Z 1 und § 8 Abs 1 Z 4) und von in der Unfall- und Pensionsversicherung Teilversicherten (§ 7 Z 2) und von in der Unfallversicherung Teilversicherten (§ 7 Z 3 lit a) .... betreffen, sind, unbeschadet der Bestimmung des § 411 ASVG, die Träger der Krankenversicherung berufen (§ 409 ASVG). Hat der Träger der Krankenversicherung einen Bescheid in einer Angelegenheit erlassen, welche die Unfall-, Pensions- oder Arbeitslosenversicherung betrifft, so hat der Träger der beteiligten Versicherung bzw die Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice im Verfahren vor den Verwaltungsbehörden über diese Bescheide Parteistellung (§ 411 ASVG).
Weil derzeit noch kein solches Verfahren anhängig ist, hat der Oberste Gerichtshof die Einleitung des Verfahrens beim zuständigen Versicherungsträger anzuregen. Im Hinblick auf die vom Kläger behauptete Beschäftigung im Unfallszeit in Nickelsdorf geht der Oberste Gerichtshof von der örtlichen Zuständigkeit der Burgenländischen Gebietskrankenkasse (§ 30 ASVG) aus. Aus den angeschlossenen Strafakten ergibt sich weiters, dass der Firmensitz, von dem aus der Kläger seine Tätigkeit abwechselnd an verschiedenen Orten ausgeübt hat, in Kittsee und somit ebenfalls im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Burgenländischen Gebietskrankenkasse gelegen ist. Nach rechtskräftiger Entscheidung der Vorfrage - einschließlich eines allfälligen Verwaltungsgerichtshofverfahrens - ist das unterbrochene Revisionsverfahren von Amtswegen aufzunehmen (SSV-NF 13/96 mwN).
Die dem Obersten Gerichtshof vorgelegten Akten werden daher vorerst zurückgestellt. Das Erstgericht wird ersucht, den Unterbrechungsbeschluss den Parteien und der Burgenländischen Gebietskrankenkasse als zuständigen Versicherungsträger zuzustellen. Falls der Versicherungsträger der einem Antrag des Versicherten nach § 410 Abs 1 Z 7 ASVG gleichzuhaltenden gerichtlichen Anregung auf Einleitung des Verfahrens in Verwaltungssachen nicht nachkommen wollte, hätte er einen diesbezüglichen Bescheid zu erlassen, der vom Kläger im Verwaltungsweg nach § 412 ASVG durch Einspruch an den zuständigen Landeshauptmann bekämpft werden könnte (vgl SSV-NF 3/101 ua). Um die unverzügliche Aufnahme des Revisionsverfahrens sicherzustellen, werden die Parteien ersucht, das Erstgericht von der rechtskräftigen Entscheidung über die Vorfrage zu verständigen; der beklagte Versicherungsträger möge dabei seine Akten anschließen. Das Erstgericht wird die Akten sodann im Wege des Berufungsgerichtes wieder dem Obersten Gerichtshof vorzulegen haben.