OGH vom 29.08.2007, 13Os86/07g

OGH vom 29.08.2007, 13Os86/07g

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Mag. Hetlinger und Mag. Fuchs als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Maschler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Ioan H***** wegen des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 StGB, AZ 31 U 3/06h des Bezirksgerichtes Döbling, über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom , AZ 135 Bl 76/06m (= ON 24), nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin des Generalprokurators, Generalanwältin Mag. Wachberger, des Privatanklägers Mag. Georg K***** und seiner Vertreterin, Rechtsanwältin Dr. Barki, sowie des Verteidigers des Beschuldigten Dr. Charim, jedoch in Abwesenheit des Beschuldigten, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Text

Gründe:

Nach dem Inhalt einer von Mag. K***** im Verfahren AZ 31 U 3/06h des Bezirksgerichtes Döbling erhobenen (bei Gericht am eingelangten) Privatanklage wegen des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 StGB, „allenfalls" der Beleidigung nach § 115 StGB, soll Ioan H***** am ... etwa eine dreiviertel Stunde, nachdem der als Musikprofessor tätige Privatankläger dessen Sohn wegen Widersprüchlichkeiten und Ungereimtheiten in einer Entschuldigung zur Rede gestellt hatte, in die Schule gekommen und wutentbrannt ins Konferenzzimmer gestürzt sein und auf Mag. K***** eingeschrien, diesen beschimpft und bedroht haben. Wörtlich habe er geschrien: „Sie sind kein Pädagoge, Sie sind ein Terrorist. Ich werde dafür sorgen, dass Sie in dieser Schule keine Zukunft haben. Ich werde mich im Ministerium dafür einsetzen, dass ihre Tage hier gezählt sind". Diese Äußerungen seien für im Konferenzzimmer und am Gang davor anwesende Personen wahrnehmbar gewesen.

Das Bezirksgericht Döbling stellte das Strafverfahren „gem. §§ 227/447 (46 Abs 3) StPO" (richtig: § 451 Abs 2 dritter Fall StPO) mit der Begründung ein, dass Mag. K***** als Lehrer Beamter und die Handlung in Ausübung seines Dienstes erfolgt sei, weshalb nach § 117 Abs 2 StGB der öffentliche Ankläger den Täter mit Ermächtigung des Verletzten und der diesem vorgesetzten Stelle zu verfolgen gehabt hätte. Eine selbständige Verfolgung durch den Verletzten setze dessen unwiderrufliche und ausdrückliche Erklärung voraus, die erforderliche Ermächtigung zur Verfolgung durch den öffentlichen Ankläger nicht zu erteilen. Die Privatanklage enthalte aber eine solche Erklärung nicht. Auch habe der Staatsanwalt die Strafverfolgung nicht abgelehnt.

Der dagegen vom Privatankläger erhobenen Beschwerde gab das Landesgericht für Strafsachen Wien mit Beschluss vom , AZ 135 Bl 76/06m (ON 24), Folge. In seiner Begründung führte das Beschwerdegericht aus, dass neutrale Verrichtungen und Verhaltensweisen eines Beamten, die nicht als Erfüllung seiner spezifischen Vollzugsaufgaben erkennbar sind, selbst während der Dienstzeit am Dienstort noch keine Ausübung des Amtes oder Dienstes darstellten. Eine Amtsausübung oder Dienstausübung müsse nach außen als solche erkennbar in Erscheinung treten. Nur dann bestehe das der Bestimmung des § 117 Abs 2 erster Satz StGB zu Grunde liegende Bedürfnis nach einem erhöhten prozessualen Schutz des Beamten (AZ 14 Os 167/94 = EvBl 1995/105).

Die Amtshandlung des Privatanklägers, nämlich den Sohn des Beschuldigten zur Rede zu stellen, sei tatsächlich bereits beendet gewesen, „als der Beschuldigte laut schreiend und Schimpftiraden ausstoßend den Privatankläger im Konferenzzimmer aufsuchte". Die inkriminierte üble Nachrede sei somit nur in Beziehung auf eine Berufshandlung (Unterricht) und nicht während der Ausübung des Amtes als Unterrichtsorgan erfolgt. Eine - vom Beschuldigten behauptete - Einzelaussprache (§ 19 Abs 1 SchUG) sei nicht vorgelegen, weil nach der Darstellung des Privatanklägers der Beschuldigte keine inhaltliche Diskussion geführt, sondern ihn bloß mit Schimpfworten wie „Terrorist" überhäuft habe.

Der Generalprokurator erachtet das Gesetz durch den genannten Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien aus folgenden Erwägungen als verletzt:

§ 117 Abs 2 StGB sieht vor, dass im Falle der Begehung einer strafbaren Handlung gegen die Ehre wider einen Beamten oder wider einen Seelsorger(,) einer im Inland bestehenden Kirche oder Religionsgemeinschaft während der Ausübung seines Amtes oder Dienstes der öffentliche Ankläger den Täter mit Ermächtigung des Verletzten und der diesem vorgesetzten Stelle innerhalb der sonst dem Verletzten für das Verlangen nach Verfolgung offenstehenden Frist zu verfolgen hat.

Beamte (Seelsorger) sind dann in Ausübung ihres Amtes oder Dienstes begriffen, wenn sie eine in ihren amtlichen Wirkungskreis fallende Handlung rechtmäßig vornehmen, sich also in Erfüllung ihrer dienstlichen Aufgaben betätigen. Dieser Wirkungskreis ist nach den jeweiligen Dienstvorschriften zu beurteilen. Eine Amtsausübung oder Dienstausübung muss auch nach außen als solche erkennbar in Erscheinung treten, denn nur dann besteht das der Bestimmung des § 117 Abs 2 erster Satz StPO zu Grunde liegende Bedürfnis nach einem erhöhten prozessualen Schutz des Beamten. Die schlichte Anwesenheit des Beamten während der Dienstzeit am gewöhnlichen Ort seiner Amtsverrichtung oder Dienstverrichtung allein genügt ebenso wenig, wie seine bloße Dienstbereitschaft. Neutrale Verrichtungen oder Verhaltensweisen eines Beamten selbst während der Dienstzeit am Dienstort, die nicht als Erfüllung spezifischer Vollzugsaufgaben des Beamten erkennbar sind, stellen noch keine Ausübung seines Amtes oder Dienstes dar (14 Os 167/94).

Gemäß § 62 Abs 1 SchUG 1986 haben Lehrer und Erziehungsberechtigte eine möglichst enge Zusammenarbeit in allen Fragen der Erziehung und des Unterrichtes der Schüler zu pflegen. Zu diesem Zweck sind unter den für den jeweiligen Schultyp normierten Voraussetzungen auch Einzelaussprachen (§ 19 Abs 1 SchUG 1986) und - ohne Einschränkung auf einzelne Schultypen - gemeinsame Beratungen zwischen Lehrern und Erziehungsberechtigten über Fragen der Erziehung, den Leistungsstand ua durchzuführen.

Wird im Zuge eines solchen Gespräches eine strafbare Handlung wider einen Lehrer einer öffentlichen Schule begangen, erfolgt die Tatbegehung wider einen Beamten während der Ausübung seines Dienstes. Nach dem Vorbringen in der Privatanklage befand sich Mag. Georg K***** an seiner Dienststelle im M*****gymnasium Wien, als Ioan H***** ins Konferenzzimmer stürzte und dort auf ihn einschrie sowie ihn beschimpfte und bedrohte. Diesem Vorfall war vorausgegangen, dass der Privatankläger als Lehrer den Sohn des Beschuldigten(,) Liviu H***** wegen einer angeblich(en) falschen Entschuldigung betreffend den unterlassenen Besuch einer Lehrveranstaltung (Chorprobe) zur Rede gestellt hatte und der Bub kurz danach mit erhöhter Temperatur nach Hause entlassen worden war.

Da demnach der Beschuldigte unter Bezugnahme auf diese Unterredung des Privatanklägers mit Liviu H*****, sohin aus Anlass einer Frage der Erziehung seines Sohnes mit dessen Lehrer Mag. Georg K***** im Konferenzzimmer des M*****gymnasiums Wien in Kontakt getreten ist, erfolgten die den Gegenstand der Privatanklage bildenden strafbaren Handlungen des Beschuldigten während der Ausübung des Dienstes des Privatanklägers als Beamter, nämlich als Lehrer am M*****gymnasium Wien.

Die ausschließlich mit dem Fehlen der Voraussetzung der während der Ausübung des Dienstes des Beamten erfolgten Tatbegehung begründete Aufhebung des Einstellungsbeschlusses des Bezirksgerichtes Döbling durch das Landesgericht für Strafsachen Wien beruht demnach auf einer irrigen Auslegung der Bestimmung des § 117 Abs 2 erster Satz StGB."

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

Der Schlussfolgerung des Generalprokurators auf das Vorliegen des über die Stellung eines Beamten und seine dienstliche Anwesenheit hinausgehenden Tatbestandsmerkmals (auch) der Ausübung seines Dienstes (§ 117 Abs 2 StGB) liegt die rechtliche Annahme einer Einzelaussprache nach § 19 Abs 1 SchUG zugrunde.

§ 19 Abs 1 SchUG ordnet an, dass Erziehungsberechtigte von der Beurteilung der Leistungen des Schülers durch im Einzelnen in den nachfolgenden Absätzen geregelte Schulnachrichten oder Verständigungen in Kenntnis zu setzen sind. Darüber hinaus ist den Erziehungsberechtigten an allgemeinbildenden Pflichtschulen durch zwei Sprechtage im Unterrichtsjahr, an allen anderen Schularten - ausgenommen an Berufsschulen - durch die wöchentliche Sprechstunde des einzelnen Lehrers sowie bei Bedarf durch Sprechtage Gelegenheit zu Einzelaussprachen zu geben. An allgemeinbildenden Pflichtschulen haben die Lehrer den Erziehungsberechtigten, an Berufsschulen den Erziehungsberechtigten und den Lehrberechtigten auf deren Verlangen zu Einzelaussprachen zur Verfügung zu stehen.

Auf eine Sachverhaltsannahme der angefochtenen Entscheidung, wonach der Privatankläger einem derartigen Begehren des Beschuldigten nachgekommen sei oder dieser auch nur dem Privatankläger gegenüber ein solches Begehren zum Ausdruck gebracht habe, bezieht sich der Generalprokurator in seiner (im Übrigen nicht restlos aktenkonformen, weil interpretativ erweiternden: „Da demnach der Beschuldigte unter Bezugnahme auf diese Unterredung des Privatanklägers mit Liviu H***** ... mit ... Mag. Georg K***** ... in Kontakt getreten ist ...") Berufung auf das Vorbringen in der Privatanklage indes nicht. Die Nichtigkeitsbeschwerde verfehlt solcherart den gesetzlichen Bezugspunkt (Ratz, WK-StPO § 292 Rz 7), nämlich die Sachverhaltsannahmen der angefochtenen Entscheidung und geht damit fehl.

Da sie in Betreff der im angefochtenen Beschluss getroffenen Sachverhaltsannahmen (mit Recht) weder Verfahrens- noch formale Begründungsfehler geltend macht (aaO Rz 17) und in der Beschwerde nicht relevierte Rechtsfehler als Gegenstand der Entscheidung über eine gegen einen Beschluss erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes von vornherein nicht in Betracht kommen (aaO Rz 40), bedarf es weiterer Überlegungen des Obersten Gerichtshofes nicht.