OGH vom 17.02.2021, 13Os85/20d
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. SetzHummel LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Strobl in der Strafsache gegen Avdal A***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Geschworenengericht vom , GZ 26 Hv 1/20g-83, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde Avdal A***** aufgrund des Wahrspruchs der Geschworenen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt.
[2] Danach hat er am in B***** Gyavaz H***** vorsätzlich getötet, indem er sie am Hals erfasste und würgte, wodurch die Genannte eine schwere Hirnschädigung erlitt und am selben Tag verstarb.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die aus Z 5, 9, 10a und 12 des § 345 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
[4] Die behauptete Verfassungswidrigkeit von Strafnormen ist kein Gegenstand der Nichtigkeitsbeschwerde (RISJustiz RS0053859 [insbesondere T 3 und T 6]).
[5] Hinzugefügt sei, dass der Verfassungsgerichtshof den aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde im Sinn des Art 140 Abs 1 Z 1 lit d BVG erhobenen Antrag des Angeklagten in Bezug auf diverse Wortfolgen des § 322 StPO und des § 323 Abs 1 StPO zurückwies und die Behandlung des Antrags im Übrigen ablehnte ( G 314/20206).
[6] Gestützt auf Z 5 des § 345 Abs 1 StPO behauptet die Rüge Unfairness des Verfahrens, weil die Fragestellung aus der Sicht des Angeklagten verwirrend gewesen sei und der Vorsitzende die Geschworenen in Abwesenheit der Öffentlichkeit belehrt und instruiert habe.
[7] Zur erfolgversprechenden Rüge aus Z 5 des § 345 Abs 1 StPO ist ein in der Hauptverhandlung gestellter Antrag oder ein nach Art von Anträgen substantiierter Widerspruch stets unabdingbare Voraussetzung (RIS-Justiz RS0099112).
[8] Auf ein derartiges Prozessgeschehen stützt sich die Verfahrensrüge (Z 5) aber nicht.
[9] Hinzugefügt sei, dass eine Anwesenheit der Parteien bei der mündlichen Rechtsbelehrung nach der Intention des Gesetzes nicht zulässig ist (RISJustiz RS0100699). Der Gefahr einer allfälligen Unübersichtlichkeit oder schweren Verständlichkeit der schriftlichen Belehrung hinwieder wird dadurch vorgebeugt, dass sie den Geschworenen auch mündlich zu erklären ist, im Anschluss daran die Fragen zu besprechen sind und der Vorsitzende sich sodann zu überzeugen hat, ob seine Belehrung auch verstanden worden ist (§ 323 StPO; RISJustiz RS0101149).
[10] Das aus „§ 345 Abs. 1 Z. 9, 10a und 12 StPO“ erstattete Vorbringen vernachlässigt den wesensmäßigen Unterschied der Nichtigkeitsgründe (vgl RISJustiz RS0115902). Soweit den Kriterien eines Nichtigkeitsgrundes zuordenbar, sei erwidert:
[11] Weshalb alternative Hauptfragen hätten gestellt werden müssen (der Sache nach Z 6) und warum die Eventualfrage im Fall der Bejahung der (anklagekonformen) Hauptfrage nicht hätte unbeantwortet bleiben dürfen, entbehrt der gebotenen Ableitung aus dem Gesetz.
[12] Hinzugefügt sei, dass die – gesetzeskonform nur für den Fall der Verneinung der Hauptfrage gestellte – Eventualfrage (§ 317 Abs 3 StPO) zu Recht unbeantwortet blieb (RISJustiz RS0101107; Lässig, WKStPO § 314 Rz 4). Die Frage nach dem Verbrechen des Totschlags, das ein eigenständiges Delikt darstellt, wurde vom Schwurgerichtshof zu Recht nach der (anklagekonformen) Hauptfrage nach § 75 StGB als Eventualfrage gestellt (RISJustiz RS0092164; vgl auch Birklbauer in WK2 StGB § 76 Rz 13 f).
[13] Der Nichtigkeitsgrund der Z 9 des § 345 Abs 1 StPO kann ausschließlich aus dem Wahrspruch selbst abgeleitet werden (RIS-Justiz RS0101005).
[14] Dass die Geschworenen in der Niederschrift (§ 331 Abs 3 StPO) auf das Gutachten des Sachverständigen nicht eingingen ist einer Anfechtung mit Nichtigkeitsbeschwerde ebenso entzogen (RISJustiz RS0100846; Ratz, WKStPO § 345 Rz 71) wie das Unterbleiben einer Aussetzung der Entscheidung (§ 334 StPO; RISJustiz RS0101245).
[15] Der Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs 1 Z 10a StPO zielt – soweit hier von Bedeutung (Fehler in der Sachverhaltsaufklärung werden nicht behauptet) – darauf, in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse (§ 258 Abs 1 StPO iVm § 302 Abs 1 StPO) aufzuzeigen, die nahelegen, dass die Geschworenen das ihnen nach § 258 Abs 2 zweiter Satz StPO iVm § 302 Abs 1 StPO gesetzlich zustehende Beweiswürdigungsermessen in geradezu unerträglicher Weise gebraucht haben (RISJustiz RS0118780 [T13, T 16, T 17]; Ratz, WKStPO § 281 Rz 470, 490).
[16] Diesen Anfechtungsrahmen verlässt die Tatsachenrüge (Z 10a), indem sie ihre Einwände aus der Niederschrift der Geschworenen entwickelt (vgl dazu RISJustiz RS0115549 und RS0100809; Ratz, WKStPO § 345 Rz 16), vorbringt, die Verteidigung sei überzeugt, dass der Beschwerdeführer seine Tat in einem Ausnahmezustand begangen habe, und substratlos behauptet, die Geschworenen hätten sich mit der Frage allgemein begreiflicher heftiger Gemütsbewegung nicht auseinandergesetzt.
[17] Die Geltendmachung materieller Nichtigkeit verlangt im geschworenengerichtlichen Verfahren den Vergleich der im Wahrspruch der Geschworenen (§§ 330 bis 333 StPO) festgestellten Tatsachen mit der im Schuldspruch (§§ 260 Abs 1 Z 2, 270 Abs 2 Z 4 StPO iVm § 342 StPO) vorgenommenen Subsumtion (RIS-Justiz RS0101476).
[18] Weshalb auf Basis der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten Tatsachen auch eine Subsumtion nach § 76 StGB möglich sein sollte, entbehrt der gebotenen Ableitung aus dem Gesetz (RISJustiz RS0116565).
[19] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 344, 285d Abs 1 StPO).
[20] Die Entscheidung über die Berufungen kommt dem Oberlandesgericht zu (§§ 344, 285i StPO).
[21] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2021:0130OS00085.20D.0217.000 |
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