OGH vom 07.03.2013, 12Os8/13p
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Viktorin als Schriftführer in der Strafsache gegen Muris M***** wegen des Vergehens des Betrugs nach § 146 StGB, AZ 6 U 208/12a des Bezirksgerichts Bruck an der Mur, über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluss des genannten Gerichts vom , nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Höpler, und des Verurteilten zu Recht erkannt:
Spruch
Im Verfahren des Bezirksgerichts Bruck an der Mur, AZ 6 U 208/12a, verletzt der Beschluss vom , soweit darin gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO der Widerruf der Muris M***** mit Beschluss des Landesgerichts Leoben vom , GZ 33 BE 531/10i 6, gewährten bedingten Entlassung ausgesprochen wurde, das Gesetz in § 494a Abs 2 erster Satz StPO und § 53 Abs 1 zweiter Satz StGB.
Dieser Beschluss, der im Übrigen unberührt bleibt, wird im genannten Umfang aufgehoben und es wird dem Vorsitzenden im Verfahren AZ 11 Hv 30/09d des Landesgerichts Leoben aufgetragen, über den Widerruf der Muris M***** mit Beschluss des Landesgerichts Leoben vom , GZ 33 BE 531/10i 6, gewährten bedingten Entlassung sowie der vom Landesgericht Leoben mit Urteil vom , AZ 11 Hv 30/09d, gewährten (teil )bedingten Strafnachsicht gemeinsam zu entscheiden.
Text
Gründe:
Mit gekürzt ausgefertigtem Urteil des Landesgerichts Leoben vom , AZ 11 Hv 30/09d, wurde (unter anderem) Muris M***** des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach (richtig:) §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1, Z 2, 130 vierter Fall und 15 Abs 1 StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 24 Monaten verurteilt, wovon ein Teil von 16 Monaten nach § 43a Abs 3 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde (AS 37 ff in AZ 33 BE 531/10i des Landesgerichts Leoben).
Aufgrund des Beschlusses des Landesgerichts Leoben vom , GZ 33 BE 531/10i 6, wurde Muris M***** (nach Verbüßung von fünf Monaten und zehn Tagen) am (vgl ON 9 dieses Akts) aus dem Vollzug des unbedingten Teils dieser Freiheitsstrafe bedingt entlassen und die Probezeit mit drei Jahren bestimmt.
Wegen neuer Delinquenz verurteilte das Bezirksgericht Neulengbach Muris M***** mit Urteil vom , AZ 8 U 7/12x, zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten, deren Vollzug bedingt nachgesehen wurde, und verlängerte die Probezeit des bedingten Strafteils auf fünf Jahre (Punkt 8./ iVm Punkt 7./ in ON 6 und 11 in AZ 6 U 208/12a des Bezirksgerichts Bruck an der Mur).
Mit gekürzt ausgefertigtem Urteil des Bezirksgerichts Bruck an der Mur vom , GZ 6 U 208/12a 14, wurde der Genannte wegen des Vergehens des Betrugs nach § 146 StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Monaten verurteilt. Gemäß § 369 Abs 1 StPO wurde dem Privatbeteiligten wenn auch ohne Setzung einer Leistungsfrist (vgl 15 Os 171/10a; Fabrizy , StPO 11 § 369 Rz 2) ein Betrag von 2.216 Euro zugesprochen. Gleichzeitig fasste der Bezirksrichter unter anderem den Beschluss, nach § 53 Abs 1 StGB und gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO die „bedingte Entlassung zu AZ 33 BE 531/10i des Landesgerichts Leoben“ zu widerrufen, die Entscheidung über den Widerruf „der bedingten Strafnachsicht zu AZ 11 Hv 30/09d des Landesgerichts Leoben“ aber gemäß § 494a Abs 2 StPO dem Urteilsgericht vorzubehalten.
Rechtliche Beurteilung
Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, steht der nach § 53 Abs 1 StGB gefasste Beschluss des Bezirksgerichts Bruck an der Mur vom mit dem Gesetz nicht im Einklang:
Nach dem durch das Strafrechtsänderungsgesetz 2008, BGBl I 2007/109, in den Rechtsbestand eingefügten zweiten Satz des § 53 Abs 1 StGB können die bedingte Nachsicht eines Teils einer Freiheitsstrafe und die bedingte Entlassung aus dem nicht bedingt nachgesehenen Strafteil nur gemeinsam widerrufen werden. Ein Widerruf der bedingten Entlassung aus dem nach § 43a Abs 3 oder 4 StGB nicht bedingt nachgesehenen Teil einer Freiheitsstrafe ist daher unzulässig, wenn nicht zugleich in Ansehung des bedingt nachgesehenen Teils dieser Strafe ein Widerruf ausgesprochen wird (vgl RIS Justiz RS0125448). Vorliegend hat das Bezirksgericht Bruck an der Mur in seinem Beschluss vom , S 3 in GZ 6 U 208/12a 14, die bedingte Entlassung des Muris M***** aus dem verbleibenden Strafrest zu AZ 33 BE 531/10i des Landesgerichts Leoben als Vollzugsgericht widerrufen, jedoch ausgesprochen, dass die Entscheidung über den Widerruf des bedingt nachgesehenen Teils derselben Freiheitsstrafe (im Ausmaß von 16 Monaten) dem Landesgericht Leoben vorbehalten bleibt und damit die Bestimmung des § 53 Abs 1 zweiter Satz StGB verletzt.
Der ausgesprochene, bloß partielle Widerruf von Rechtswohltaten ein und derselben Sanktion widerspricht dem gesetzlich vorgesehenen Ausschluss der eigenständigen Behandlung von (bedingt nachgesehenem) Strafteil und (nach bedingter Entlassung verbliebenem) Strafrest (RIS Justiz RS0125448 [T1]; Jerabek in WK 2 § 53 Rz 4a).
§ 494a Abs 2 StPO verwehrt dem Bezirksgericht eine Widerrufsentscheidung über Strafen oder Strafreste, die das Ausmaß von je einem Jahr übersteigen, und ordnet den Ausspruch an, die Entscheidung dem sonst zuständigen Gericht vorzubehalten, was die von § 53 Abs 1 zweiter Satz StGB geforderte gemeinsame Entscheidung hindert. Da dem Gesetzgeber nicht zugesonnen werden kann, bei in die Kompetenz des Bezirksgerichts fallender Nachdelinquenz den (nach materiellem Recht zulässigen) Widerruf von Strafteilen von über einem Jahr prozessual auszuschließen, ist bei dieser Konstellation die Zuständigkeit jenes Gerichts, das in erster Instanz die teilbedingte Strafnachsicht ausgesprochen hat, sowohl zur Entscheidung über die bedingte Strafnachsicht als auch zur Entscheidung über die bedingte Entlassung aus dem unbedingten Teil anzunehmen (RIS Justiz RS0126349).
Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich die aufgezeigte Gesetzesverletzung zum Nachteil des Verurteilten Muris M***** ausgewirkt hat, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, die Feststellung der Gesetzesverletzung mit der aus dem Spruch ersichtlichen konkreten Wirkung zu verbinden (§ 292 letzter Satz StPO).