OGH vom 09.11.1994, 13Os84/94
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Brustbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Mayrhofer, Dr.Ebner, Dr.Rouschal und Dr.Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Kahofer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Hubert R***** und einen anderen Angeklagten wegen des Vergehens der fahrlässigen Herbeiführung einer Feuersbrunst nach § 170 Abs 1 StGB, über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom , AZ 23 Bs 40/93, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Erster Generalanwalt Dr.Kodek, und des Verteidigers Dr.Schobel, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, zu Recht erkannt:
Spruch
Das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom , AZ 23 Bs 40/93 (= ON 19 des Aktes 29 EVr 41/92 des Landesgerichtes St.Pölten) verletzt durch den Schuldspruch des Leopold H***** das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 6 und 170 StGB.
Gemäß § 292 letzter Satz StPO wird dieses Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch des Leopold H***** wegen des Vergehens nach § 170 Abs 1 StGB und demzufolge auch in dem diesen Angeklagten betreffenden Straf- und Kostenersatzausspruch aufgehoben und im Umfang der Aufhebung in der Sache selbst erkannt:
Der Berufung der Staatsanwaltschaft wegen Nichtigkeit und Schuld wird, soweit sie sich (auch) gegen den Freispruch des Angeklagten Leopold H***** richtet, nicht Folge gegeben.
Text
Gründe:
Mit dem im Spruch zitierten Urteil gab das Oberlandesgericht Wien einer Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes St.Pölten vom , GZ 29 E Vr 41/92-10, mit dem Hubert R***** und Leopold H***** von der Anklage des Vergehens nach § 170 Abs 1 StGB gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen worden waren, Folge, hob das freisprechende Erkenntnis nach teilweiser Beweiswiederholung auf und erkannte die beiden Angeklagten im Sinne der Anklage schuldig.
Nach den vom Berufungsgericht aus dem erstinstanzlichen Urteil übernommenen wesentlichen Feststellungen wurde in dem je zur Hälfte im Eigentum des Leopold H***** und seiner Gattin Leopoldine H***** stehenden landwirtschaftlichen Anwesen am 19. und vom Dachdeckereibetrieb Helmut B***** über Auftrag der Eigentümer der Wirtschaftstrakt neu eingedeckt. Vereinbarungsgemäß unterstützten Leopold H***** selbst, am auch sein Sohn und am sein Neffe Leopold S***** den seit zwanzig Jahren in der genannten Dachdeckerei als Dachdecker beschäftigten Hubert R*****. Als am nur mehr eine Dachfläche von 1,5 m2 offen war, errichteten die drei Männer über der noch offenen Dachfläche zum Zuschneiden der für den Dachgrat benötigten Ziegel eine Arbeitsplattform im Ausmaß von 100 x 60 cm. Die Schneidearbeiten wurden mit einem Winkelschleifer zunächst in den Vormittagsstunden von H***** und S*****, nach Austausch der Trennscheibe und Überprüfung der Funktionstüchtigkeit durch R***** am frühen Nachmittag von S***** allein durchgeführt. Durch den beim Schneiden mit der Trennscheibe hervorgerufenen, bei Tageslicht aber nicht sichtbaren Funkenflug geriet das am Dachboden ungesichert unter der erwähnten Öffnung in einem Abstand von etwa zwei bis drei Meter gelagerte Stroh gegen 14,15 Uhr in Brand. Das Feuer erfaßte in Kürze das gesamte Wirtschaftsgebäude und konnte von der Feuerwehr trotz sofortigen Einsatzes erst gegen 17 Uhr gelöscht werden. Der durch das Feuer herbeigeführte Sachschaden betrug insgesamt rund 3 Mill S.
Ergänzend stellte das Berufungsgericht fest, daß Leopold H***** in seiner eigenen Werkstätte wiederholt mit einer Winkelschneidmaschine gearbeitet und dabei auch Mauerziegel geschnitten hatte, weshalb ihm bekannt gewesen sein müßte, daß beim Arbeiten mit der Trennscheibe ein bei Tageslicht nicht wahrnehmbarer Funkenflug entstehen konnte. Das fahrlässige Verhalten H*****s erblickte das Berufungsgericht demnach darin, daß er für die feuersichere Abdeckung der Strohballen auf dem Dachboden keine Vorsorge getroffen hatte.
Rechtliche Beurteilung
Der Schuldspruch des Leopold H***** steht, wie der Generalprokurator in der aus diesem Grunde gemäß § 33 Abs 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, mit dem Gesetz nicht im Einklang:
Fahrlässig handelt, wer die Sorgfalt außer Acht läßt, zu der er nach den Umständen verpflichtet und nach seinen geistigen und körperlichen Verhältnissen befähigt ist und die ihm zuzumuten ist, und deshalb nicht erkennt, daß er einen Sachverhalt verwirklichen könne, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht (§ 6 Abs 1 StGB). Die erste Voraussetzung fahrlässigen Handelns ist demnach ein Verstoß gegen die dem Täter obliegende objektive Sorgfaltspflicht. Das Maß dieser Sorgfaltspflicht wird durch Rechtsvorschriften und Verkehrsnormen, im übrigen aber darnach bestimmt, welche Sorgfalt im gegebenen Fall "ein mit den rechtlich geschützten Werten angemessen verbundener, besonnener und einsichtiger Mensch in der Lage des Täters aufwenden würde, um die Gefahr einer Rechtsgutbeeinträchtigung zu erkennen und hintanzuhalten" (EBRV 1971, 68). Es kommt mithin auf jene Sorgfalt an, die von einem sich seiner Pflichten gegen die Mitwelt bewußten Menschen aus dem Verkehrskreis des Täters in der konkreten Situation billigerweise verlangt werden kann (Leukauf-Steininger Komm3 § 6 RN 12 mit Judikatur- und Literaturnachweis).
Allgemein anerkannt ist, daß das Maß der objektiv gebotenen Sorgfalt unter anderem durch den Vertrauensgrundsatz begrenzt wird. Dieser zunächst für den Straßenverkehrsbereich nach § 3 StVO geltende Grundsatz wurde per analogiam auch für andere Lebensbereiche herangezogen, so insbesondere auch für die Fälle arbeitsteiligen Zusammenwirkens mehrerer (Leukauf-Steininger aaO RN 13 a). Danach ist der Vertrauensgrundsatz überall dort anzuwenden, wo die Erreichung eines sozial erwünschten und vom Recht als wertvoll anerkannten Zustandes nur möglich erscheint, wenn man den Handelnden von der generellen Einkalkulierung fremden Fehlverhaltens freistellt (Burgstaller in WrK Rz 54 zu § 6). Wenn eine Arbeit - so wie hier - einem dazu befähigten Gewerbebetrieb übertragen wurde und unter der Leitung eines in diesem Handwerk erfahrenen Fachmanns erfolgt, so ist jenen Personen, die nur Hilfsdienste leisten, zuzubilligen, daß sie sich auf die Richtigkeit der ihnen in diesem Rahmen erfolgten Anweisungen des Fachmannes verlassen.
Daß H*****, der insoweit nur Hilfsperson war, vorliegendenfalls derartigen Anweisungen zuwiderhandelte und etwa dadurch das Schadensereignis verursachte, wurde nicht festgestellt.
Seine Sorgfaltspflicht als Auftraggeber aber erschöpfte sich in der Auswahl eines für die Durchführung dieser Arbeiten befugten Gewerbebetriebes. Darin kann ihm nach den Konstatierungen der Untergerichte kein Verschulden angelastet werden. Hingegen war er nicht verpflichtet, die Tätigkeit des von diesem Betrieb entsandten Facharbeiters näher zu kontrollieren. Die diesem Facharbeiter unterlaufene Fehlleistung aber war für H*****, obgleich er Kenntnis von der Öffnung im Dach und dem darunter gelagerten Stroh hatte im Hinblick auf seine aus gelegentlicher Arbeit mit einer Winkelschleifmaschine an anderem Material gewonnene Erfahrung, keineswegs zwingend erkennbar, wurde doch im vorliegenden Fall nicht in einer Werkstätte oder in einem geschlossenen Raum, sondern im Freien auf dem Dach auf einer extra dazu errichteten Arbeitsfläche gearbeitet. Die vom Berufungsgericht erwähnte gebotene Beschaffenheit bzw Ausrüstung einer Werkstatt oder eines Raumes bei Durchführung von Arbeiten mit einer Winkelschleifmaschine hat daher zur vorliegenden Arbeitssituation keinen unmittelbaren Bezug.
Dazu kommt, daß der Angeklagte während jener von S***** am Nachmittag durchgeführten Arbeiten, die letztlich das Schadensereignis auslösten, nicht anwesend war und daher das nach allgemeinen Erfahrungssätzen durch den Einsatz einer neuen Trennscheibe und dem dadurch bedingten höheren Streukreis des Funkenfluges zu erwartende höhere Gefahrenpotential, dem aber durch eine diesem Umstand und den äußeren Verhältnissen (Windstärke und -richtung) entsprechende Arbeitsweise (Haltung der Winkelschleifmaschine) hätte begegnet werden können, nicht erkennen konnte. Er konnte daher darauf vertrauen, daß sein Neffe unter der fachkundigen Anleitung des anwesenden Dachdeckers (als Fachmann) diese Arbeit ohne Gefährdung des Hauses verrichten würde.
Durch den Schuldspruch des Angeklagten H********** verletzt das Urteil des Berufungsgerichtes somit zum Nachteil dieses Angeklagten das Gesetz in der Bestimmung der §§ 6 und 170 StGB. Diese Gesetzesverletzung war festzustellen und wie im Spruch zu entscheiden (§ 292 letzter Satz StPO).